OGH 4Ob275/02y

OGH4Ob275/02y17.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef F*****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S***** GmbH, ***** 2. A***** GmbH, ***** wegen 65.400 EUR und Feststellung (Streitwert 7.267 EUR), über den Revisionsrekurs des Klägers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. Oktober 2002, GZ 16 R 221/02s-7, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. August 2002, GZ 15 Cg 133/02t-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, was die gegen die Erstbeklagte gerichtete Klage betrifft, bestätigt und, was die gegen die Zweitbeklagte gerichtete Klage betrifft, aufgehoben; dem Erstgericht wird insoweit aufgetragen, das gesetzliche Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten. Der Kläger hat die halben Kosten seines Rekurses und seines Revisionsrekurses selbst zu tragen; die halben Kosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt 65.400 EUR an Schadenersatz für Gesundheitsschäden durch die Infektion mit dem Hepatitis C-Virus im Zusammenhang mit Blutplasmaspenden sowie die Feststellung, dass ihm die Beklagten für alle künftigen Schäden hafteten. Der Kläger habe in den Jahren 1973 und 1974 in der Plasmapheresestelle der Erstbeklagten in Linz Blut zur Herstellung von Blutplasma gespendet. 1974 seien bei ihm erstmals erhöhte Leberwerte festgestellt worden; 1997 eine chronische Hepatitis C. Die Erstbeklagte habe über keine Gewerbeberechtigung verfügt, Blutplasma an ihrem Standort in Linz zu gewinnen. Sie hafte dem Kläger wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 1311 ABGB. Sie habe es auch verabsäumt, alle Vorkehrungen zu treffen, um jede Ansteckung von Spendern zu verhindern. Die Plasmaspende sei unter hygienischen Bedingungen durchgeführt worden, die nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen hätten. Die Erstbeklagte habe es auch unterlassen, den Kläger über mögliche Risiken aufzuklären; wäre er aufgeklärt worden, hätte er nie Plasma gespendet. Der Kläger stütze seine Ansprüche gegen die Erstbeklagte auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, vor allem auf Schadenersatz, auf Verletzung eines Schutzgesetzes, auf unterlassene Aufklärung über mögliche Risiken der Blutplasmaspende und auf Verletzung vertraglicher Sorgfaltspflichten. Die Zweitbeklagte sei an den damaligen Ordinarius für Anästhesie an der Universitätsklinik Wien herangetreten, um in Ausbildung stehende Ärzte für die Erstbeklagte zu gewinnen. Die Zweitbeklagte habe es von Anfang an darauf angelegt, Vorfeldorganisationen zu schaffen, um einerseits bei Projekten, bei denen Schäden vorauszusehen gewesen seien, die Haftung von sich abzuschieben, und um andererseits den entscheidenden Einfluss bei diesen Unternehmen weiterhin durch von ihr in die Leitung entsandte Personen zu wahren. Die Erstbeklagte sei mit einem ganz geringen und im Verhältnis zu den zu erwartenden Risiken geradezu lächerlichen Grundkapital ausgestattet worden; ihre Geschäftsführer habe die Zweitbeklagte entsandt. Die Zweitbeklagte habe der Erstbeklagten die Geräte für die Plasmapherese und das notwendige Fachwissen zur Verfügung gestellt und ihr das gewonnene Plasma abgenommen; damit habe sie eine Verkehrssicherungspflicht getroffen. Sie sei über die katastrophalen hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung fortlaufend informiert gewesen, habe jedoch nichts unternommen, um diese Zustände zu verbessern. Auch die Zweitbeklagte treffe daher eine direkte Haftung für die Schäden des Klägers. In Wahrheit habe sie das Unternehmen der nur formell selbstständigen Erstbeklagten geführt und sei die eigentliche Betreiberin der Plasmapheresestelle gewesen.

Zur Zuständigkeit des angerufenen Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien berief sich der Kläger auf §§ 75, 93 JN. Er mache keinen Anspruch aus einem Handelsgeschäft geltend. Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Der Kläger bringe selbst vor, dass beide Beklagte die Plasmapheresestelle betrieben hätten. Nach dem gesamten Klagevorbringen hafteten die Beklagten vor allem deshalb, weil die hygienischen Zustände in der Plasmapheresestelle derart schlecht gewesen seien, dass sich der Kläger mit Hepatitis C infiziert habe. Es handle sich dabei offensichtlich um einen Anspruch aus der Schlechterfüllung eines Handelsgeschäfts durch die Beklagten als Formkaufleute. Für einen solchen Anspruch sei das Handelsgericht zuständig.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nur rein deliktisches Verhalten falle nicht in den Betrieb eines Handelsgewerbes. Hingegen gehörten Realakte zum Betrieb, wenn sie in Erfüllung von Handelsgeschäften erfolgten. Auch die gegenüber der Zweitbeklagten geltend gemachte Durchgriffshaftung lasse den Anspruch in seinem Kern unberührt. Es werde damit kein selbstständiger Anspruch geltend gemacht, sondern es würden weitere Umstände behauptet, um die Durchgriffshaftung zu rechtfertigen. Der Anspruch werde daher aus einem Handelsgeschäft abgeleitet, auch wenn der Verstoß gegen eine Schutznorm mitursächlich gewesen sei. Schutznormen seien auch im Rahmen eines Vertragsverhältnisses zu beachten. Für beide Beklagte sei das Handelsgericht sachlich zuständig; der allgemeine Gerichtsstand der Zweitbeklagten begründe den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft für die Erstbeklagte.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss gerichtete ordentliche Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig; der Revisionsrekurs ist auch teilweise berechtigt.

Der Kläger nimmt beide Beklagte bei dem Gericht in Anspruch, in dessen Sprengel die Zweitbeklagte ihren Sitz hat. Er stützt seinen Anspruch gegen die Zweitbeklagte darauf, dass sie (ihre Rechtsvorgängerin) es von Anfang an darauf angelegt habe, eine Vorfeldorganisation zu schaffen, um bei Projekten, bei denen Schäden vorauszusehen sind, die Haftung von sich abzuwehren, andererseits aber den entscheidenden Einfluss bei diesen Firmen weiterhin durch von ihr in die Leitung entsandte Personen zu wahren. Er macht weiters geltend, dass die Zweitbeklagte über die katastrophalen hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung fortlaufend informiert gewesen sei, jedoch nichts unternommen habe, um die Zustände zu verbessern. Sie habe damit eine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Der Kläger stützt seinen Anspruch gegen die Zweitbeklagte damit einerseits auf Durchgriffshaftung, andererseits aber auch darauf, dass die Zweitbeklagte ihm gegenüber allgemeine Verhaltenspflichten verletzt habe und für die Gesundheitsschäden, die er durch die von ihm behaupteten Missstände bei der Blutplasmagewinnung erlitten haben will, verantwortlich sei. Der Kläger behauptet ein deliktisches Verhalten der Zweitbeklagten, das zu seinen Gesundheitsschäden geführt habe.

Der vom Kläger damit in Anspruch genommene Haftungsgrund beruht unmittelbar auf dem Gesetz und nicht auf der Verletzung von Pflichten aus dem mit der Erstbeklagten zustandegekommenen Handelsgeschäft, die mit der Entgegennahme von Blutplasmaspenden jedenfalls ein für ihren Geschäftsbetrieb notwendiges Nebengeschäft und damit ein Handelsgeschäft geschlossen hat (zur Qualifikation von Hilfs- und Nebengeschäften als Handelsgeschäfte s Kramer in Straube, HGB Kommentar² §§ 343, 344 Rz 15 mwN). Für die Klage gegen die Zweitbeklagte ist daher nicht das Handelsgericht, sondern das allgemeine Zivilgericht zuständig, im vorliegenden Fall das angerufene Gericht, weil die Zweitbeklagte, wie oben erwähnt, im Sprengel dieses Gerichts ihren Sitz hat (§ 75 JN).

Der Kläger beruft sich auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft und will bei dem für die Zweitbeklagte zuständigen Gericht auch die Erstbeklagte in Anspruch nehmen. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (§ 93 Abs 1 JN) steht aber nur offen, sofern nicht für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand gleichviel ob ausschließlicher oder Wahlgerichtsstand begründet ist (Mayr in Rechberger, ZPO² § 93 JN Rz 2, Simotta in Fasching² I § 93 Rz 6)).

Im vorliegenden Fall macht der Kläger Schadenersatzansprüche wegen Gesundheitsschäden geltend, die er durch das nicht sachgemäße Vorgehen der Erstbeklagten bei der Abnahme von Blutplasma erlitten haben will. Er begehrt damit den Ersatz von Schäden aus der Verletzung seiner Person. Derartige Ansprüche können gemäß § 92a JN bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist (Simotta aaO § 92a JN Rz 6; Mayr aaO § 92a JN Rz 2).

Der Kläger hat vorgebracht, dass die Erstbeklagte in Linz tätig geworden sei und er dort Blutplasma gespendet habe. In Linz hätte auch die Zweitbeklagte tätig werden müssen, um die behaupteten Missstände bei der Blutplasmagewinnung zu beheben. Durch ihr Untätigbleiben hat sie, nach dem Vorbringen des Klägers, eine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Damit ist der Gerichtsstand der Schadenszufügung für beide Beklagte in Linz begründet, weil auch die Zweitbeklagte wegen der Schäden des Klägers aus der Verletzung seiner Person in Anspruch genommen wird.

Das schließt den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus. Es kann daher offen bleiben, ob die beiden Beklagten eine materielle Streitgenossenschaft im Sinne des § 11 Abs 1 ZPO bilden und damit die weiteren Voraussetzungen dieses Gerichtsstands gegeben sind. Offen bleiben kann auch, ob der Gerichtsstand der Schadenszufügung auch dann begründet wäre, wenn der Kläger seinen Anspruch gegen die Zweitbeklagte nur auf Durchgriffshaftung gestützt hätte (zu diesem

selbstständigen Haftungsgrund s 6 Ob 579/83 = SZ 56/101; 8 Ob 629/92

= EvBl 1995/144; 8 Ob A 98/00w = RdW 2001/505 mwN).

Dem Revisionsrekurs war teilweise Folge zu geben und der angefochtene Beschluss hinsichtlich der Erstbeklagten zu bestätigen, hinsichtlich der Zweitbeklagten aber war der Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens aufzutragen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50; § 52 Abs 1 ZPO.

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