OGH 2Ob284/02g

OGH2Ob284/02g21.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga S*, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Mag. Andreas Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 7.921,34 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 4. Juni 2002, GZ 34 R 269/02i‑24, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 26. Februar 2002, GZ 38 C 1764/00w‑18, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2002:E67630

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Begründung:

 

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

 

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision wegen Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO für zulässig erklärt.

Es mag sein, dass die einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bei der Anwendung der von ihm geprägten Rechtssätze nicht immer zu einheitlichen Ergebnissen gelangt ist. Die Rechtssätze selbst lassen sich aber durchaus in Einklang bringen: Schon in der älteren Judikatur wurde zum Ausdruck gebracht, das Verbot des Überfahrens einer Sperrlinie gemäß § 9 Abs 1 StVO diene "grundsätzlich" der Sicherheit aller auf der Fahrbahn jenseits der Sperrlinie befindlichen Verkehrsteilnehmer (2 Ob 58/81; 8 Ob 203/82 = ZVR 1983/71; 2 Ob 99/83 = ZVR 1984/6; 8 Ob 41/84 = ZVR 1985/41), es schütze "insbesondere" den Gegenverkehr (2 Ob 100/82 = ZVR 1983/233; 2 Ob 99/83 = ZVR 1984/6). In 2 Ob 100/82 = ZVR 1983/233 wurde sogar unter Nennung von Beispielen aus der Vorjudikatur ausdrücklich ausgesprochen, dass dies nicht der ausschließliche Zweck dieser Norm ist. In der jüngeren Judikatur beruhen die Entscheidungen 2 Ob 47/94 = ZVR 1995/109 und 2 Ob 49/93 = ZVR 1995/142 auf der Annahme, dass der Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO auch (einbiegenden) Fahrzeugen des Querverkehrs zugutekommen kann. Andererseits wurde in 2 Ob 60/97f Gegenverkehr "in der vorliegenden Ausgestaltung" vom Schutzzweck ausgenommen.

Zusammenfassend ergibt sich also, dass § 9 Abs 1 StVO meist (aber nicht immer) dem Schutz des Gegenverkehrs dient, dass aber auch andere (etwa aus dem Querverkehr kommende) Verkehrsteilnehmer vom Schutzzweck erfasst sein können.

Die Kernaussage des Berufungsgerichtes liegt darin, dass "der Schutzzweck der Sperrlinie ganz grundsätzlich nicht nur die Verhinderung von Unfällen mit dem Gegenverkehr (ist), sondern auch mit Fahrzeugen des an sich benachrangten Querverkehrs, deren Lenker im - wenn auch allenfalls sorglosen und unberechtigten - Vertrauen darauf, dass wegen angehaltener Fahrzeuge und wegen der Begrenzung einer Fahrtrichtung durch die Sperrlinie keine Verkehrsteilnehmer aus einer bestimmten Richtung mehr kommen können, in die bevorrangte Fahrbahn einfahren." Diese Ansicht ist durch die vom Berufungsgericht zitierte jüngere Rechtsprechung (insbesondere 2 Ob 49/93 = ZVR 1995/142) gedeckt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht bei der Anwendung der von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entwickelten Grundsätze im Einzelfall die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraumes nicht überschritten. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) liegt daher nicht vor.

Eine solche wird auch in der Revision nicht aufgezeigt, weshalb das Rechtsmittel - ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruches des Berufungsgerichtes - als unzulässig zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

 

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