OGH 10ObS297/02b

OGH10ObS297/02b22.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gottfried Winkler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Milorad B*****, vertreten durch Dr. Franz Terp, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. April 2002, GZ 8 Rs 65/02s-59, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. Mai 2001, GZ 9 Cgs 179/99z-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sozialrechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 27. 1. 1948 geborene Kläger arbeitete nach seinen eigenen Angaben in den letzten 15 Jahren vor der Antragstellung (27. 11. 1996) als LKW-Fahrer, zuletzt in Jugoslawien, wobei er grenzüberschreitend auch in Italien und Russland unterwegs war und auch Zollformalitäten abgewickelt hat. Bis 1976 war er in Österreich tätig, seither als Chauffeur und Spediteur in Jugoslawien. In Österreich erwarb er 66 Versicherungsmonate.

Nach seinem - im Detail festgestellten - Leistungskalkül ist der Kläger noch in der Lage, leichte und mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, ohne langes Gehen und Stehen sowie ohne Arbeiten an hoch exponierten Stellen (ab 3 m), ohne Arbeiten in der Fabrik und unter überdurchschnittlichem besonderen Zeitdruck, zu verrichten.

Mit Bescheid vom 22. 9. 1999 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab, weil der Kläger nicht invalid sei.

Die dagegen erhobenen Klage blieb in erster und weiter Instanz erfolglos.

Das Erstgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, der behauptete Berufsschutz als Berufskraftfahrer brauche derzeit nicht geprüft werden, weil zum Stichtag das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien nicht mehr in Kraft und das neue Abkommen noch nicht in Kraft sei, sodass die vom Kläger in Jugoslawien erworbenen 300 Versicherungsmonate zur Erfüllung der Wartezeit nicht herangezogen werden könnten. Da der Kläger in Österreich jedenfalls in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung nicht als Chauffeur mit Berufsschutz gearbeitet habe, müsse der vorliegende Fall im Lichte des § 255 Abs 3 ASVG geprüft werden. Nach dieser Gesetzesstelle sei der Kläger aber nicht invalid, weil er noch in der Lage sei, eine Reihe von Beschäftigungen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten werden, durchzuführen.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und schloss sich auch dessen rechtlicher Beurteilung an. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung hat das Rechtsmittelgericht auf eine Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das umstrittene Rechtsverhältnis anzuwenden sind (Kodek in Rechberger² Rz 11 zu § 482 ZPO mwN uva; RIS-Justiz RS0031419 [T2]). Insbesondere sind Änderungen des zwingenden Rechts, sofern nicht Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, vom Rechtsmittelgericht ohne weiteres von Amts wegen seiner Entscheidung zugrunde zu legen, selbst wenn der zur beurteilende Sachverhalt bereits vor In-Kraft-Treten des neuen Rechts verwirklicht wurde (Fasching LB² Rz 1927; SZ 71/89; SZ 69/238 ua; RIS-Justiz RS0106868; zuletzt: 10 ObS 135/02d).

Im Ergebnis zutreffend verweist der Revisionswerber daher auf das zwischenzeitig - am 1. 5. 2002 rückwirkend mit dem Tag der Kündigung des alten Abkommens (1. 10. 1996) - in Kraft getretene Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 5. 6. 1998 (BGBl III 2002/100); ist doch die Frage, ob in einem Vertragsstaat zurückgelegte Versicherungszeiten für die Beurteilung eines Berufsschutzes im anderen Vertragsstaat zu berücksichtigen sind, nach dem Regelungsinhalt des konkreten Abkommens zu beurteilen (10 ObS 177/00b = DRdA 2001, 184 = infas 2001 S 22; ARD 5215/25/2001; 10 ObS 29/02s; RIS-Justiz RS0114288 zuletzt: 10 ObS 288/02d), wobei nach Art 19 Abs 1 des (neuen) Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien vom 5. 6. 1998 (BGBl III 2002/100) der zuständige Träger eines Vertragsstaates, soweit erforderlich, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen hat, als wären es nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegte Versicherungszeiten, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen (10 ObS 288/02d).

Da somit die nunmehrige Fassung des Abkommens nicht die bloße Anrechnung von Versicherungszeiten im anderen Staat, sondern darüber hinaus die Gleichstellung von im Vertragsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten mit im Inland zurückgelegten Versicherungszeiten anordnet, ist davon auszugehen, dass die in der Bundesrepublik Jugoslawien erworbenen Beitragszeiten auch hinsichtlich der beruflichen Qualifikation für die Frage des Berufsschutzes so zu beurteilen sind wie in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten (10 ObS 288/02d mwN).

Sind aber - wie hier - nach der Regelung eines zwischenstaatlichen Abkommens oder überstaatlichen Rechts im Ausland erworbene Versicherungszeiten für die Frage, ob dem Versicherten Berufsschutz zukommt zu berücksichtigen, dann ist die Frage, ob aufgrund der im Ausland ausgeübten Tätigkeit Berufsschutz erworben oder ein bereits zuvor bestandener Berufsschutz erhalten wurde, nach österreichischen Rechtsvorschriften zu prüfen (RIS-Justiz RS0114288). Um zu klären, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines angelernten Berufes vorliegen, sind ua der genaue Inhalt der im Vertragsstaat verrichteten Tätigkeit, die hiefür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Dauer der notwendigen Anlernung und der Zeitpunkt zu dem diese abgeschlossen war, zu erheben. Ein angelernter Beruf im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG liegt dann vor, wenn für seine Ausübung qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich waren, welche jenen in einem österreichischen Lehrberuf gleichzuhalten sind (10 ObS 177/00b = DRdA 2001, 184 = ARD 5215/25/2001).

Auf dieser Grundlage werden die Tatsacheninstanzen im weiteren Verfahren den Berufsschutz des Klägers zu prüfen haben. Es werden daher geeignete Beweisaufnahmen über den Inhalt der Tätigkeit des Klägers in Jugoslawien durchzuführen und die erforderlichen Feststellungen darüber zu treffen sein, welche Arbeiten er genau verrichtete und welche Kenntnisse und Fähigkeiten hiefür erforderlich waren. Unter Gegenüberstellung mit den Anforderungen des entsprechenden Lehrberufes wird dann die Frage zu klären sein, ob der Kläger überwiegend eine qualifizierte Tätigkeit verrichtete und ihm dementsprechend Berufsschutz zukommt (vgl 10 ObS 177/00b). Da diese, für die abschließende Beurteilung wesentlichen Fragen bisher ungeklärt blieben, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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