OGH 6Ob192/02g

OGH6Ob192/02g10.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Willi G*****, vertreten durch Berger, Saurer, Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten und gefährdeten Parteien 1. Ing. Matthias A*****, und 2. Fraktion der ÖVP-Gemeinderäte (Gemeinderatsklub der ÖVP) im Gemeinderat der Landeshauptstadt St. Pölten, ***** beide vertreten durch Mag. Werner Suppan, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung ehrenrühriger Behauptungen, in eventu Unterlassung urheberrechtlicher Verwertungsrechte, über den Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 25. April 2002, GZ 5 R 23/02t-21, mit dem die Beschlüsse des Landesgerichtes St. Pölten als Handelsgericht vom 4. Oktober 2001, GZ 29 Cg 122/02b-8, abgeändert wurden, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes hinsichtlich der erstbeklagten Partei wiederhergestellt und auch gegen die zweitbeklagte Partei erlassen wird, sodass die Entscheidung insgesamt lautet:

"Zur Sicherung des Anspruchs der klagenden und gefährdeten Partei auf Unterlassung der Behauptung und/oder Verbreitung ehrenbeleidigender und/oder kreditschädigender Behauptungen wird den beklagten Parteien geboten, die Behauptung und/oder Verbreitung der unwahren Äußerung, die klagende und gefährdete Partei hätte zu einer Bürgermeisterparty eingeladen, die aus Steuergeldern bezahlt und/oder für die unverblümt Steuergelder verbraucht würden und/oder sinngleicher Äußerungen zu unterlassen.

Diese einstweilige Verfügung wird bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils erlassen.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Sicherungsverfahrens vorläufig selbst zu tragen.

Die beklagten Parteien haben ihre Kosten des Sicherungsverfahrens endgültig selbst zu tragen."

Text

Begründung

Im Zuge der am 7. 10. 2001 abgehaltenen Gemeinderatswahlen in St. Pölten organisierte die SPÖ-Bezirksorganisation St. Pölten für den 31. 8. 2001 eine "Bürgermeisterparty". Die Veranstaltung sollte ursprünglich auf dem Rathausplatz unter Mitbenützung einer dort für ein Filmfestival aufgebauten Bühne stattfinden. Wegen Schlechtwetters musste sie aber in das Stadttheater verlegt werden. Für die Miete des Gebäudes war damals ein Tarif von 30.000 S inklusive Umsatzsteuer vorgesehen. Die Kosten des Veranstaltungsprogramms beliefen sich zusätzlich auf ca 100.000 S bis 150.000 S einschließlich der Werbemaßnahmen. Die "Bürgermeisterparty" wurde mit einem Plakat beworben, nach dessen Inhalt der Bürgermeister hiezu einlädt. Weiters wurden die auftretenden Künstler genannt, und es wurde auf den freien Eintritt hingewiesen. Auf die Veranstaltung wurde auch in der von der Stadt St. Pölten herausgegebenen Zeitschrift "St. Pölten konkret" unter der Überschrift "Bürgermeister macht Partylaune" hingewiesen. In der Ausgabe 3/2001 der periodischen Druckschrift "Der Standpunkt" erschien unter der Überschrift "... Gemeinderatswahlen 2001: Worum es wirklich geht" eine Fotografie des Plakates der "Bürgermeisterparty" mit der Bildunterschrift: "Der Bürgermeister lädt ein und bezahlt wird es von den Steuergeldern: 'Kommt zum G*****-Fest, bezahlt habt Ihr es schon!'" Unter dem fettgedruckten Titel folgt die Einleitung:

"Eine Analyse von ÖVP-Bezirksgeschäftsführer Matthias A***** (Erstbeklagter).

Die SPÖ St. Pölten betrachtet die Stadtkassa als Selbstbedienungsladen für Partei, Funktionäre, Günstlinge und Verwandte. Damit muss endlich Schluss sein! Die SPÖ wird am 7. Oktober vom Bürger die Rechnung präsentiert bekommen."

In dem daran anschließenden Text heißt es unter anderem: "... Stadt ist gleich SPÖ. Aus diesem Selbstverständnis heraus werden unverblümt Steuergelder für Wahlwerbung verbraucht. Bürgermeisterparty, Empfänge, Feste, St. Pölten konkret, Bürgermeisterjahrbuch, Inserate und vieles mehr kosten jeder St. Pöltnerin und jedem St. Pöltner 1000 Schiling pro Jahr ..."

Es folgt ein Foto des Erstbeklagten mit der Bildunterschrift:

"ÖVP-Bezirksgeschäftsführer Matthias A***** übt Kritik". Der Artikel fand sich auch auf der Website der Zeitschrift im Internet. Dort fehlte allerdings die Bildunterschrift. Der Erstbeklagte ist der Verfasser des Rohtextes dieses Artikels. Die Überschrift, die Einleitung, die Verwendung des Fotos des Plakates der Bürgermeisterparty und die Bildunterschrift stammen nicht aus seinem Entwurf. Er war bei der Endredaktion nicht dabei. Der Erstbeklagte vertraute dem Redaktionsteam, dem er selbst nicht angehört. Der Artikel ist darauf zurückzuführen, dass dem der ÖVP angehörenden Vizebürgermeister ein telefonischer Hinweis zukam, dass für die Verwendung des Stadttheaters die Legung einer Rechnung "an das Rathaus" beabsichtigt sei. Diese Information sollte noch in der Septemberausgabe der Zeitschrift "Der Standpunkt" berücksichtigt werden. In dieser wird als Medieninhaber, Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich die Fraktion der ÖVP-Gemeinderäte genannt. Der Kläger begehrte, die Beklagten schuldig zu erkennen, die Behauptung und/oder Verbreitung der unwahren Äußerung, der Kläger habe zu einer Bürgermeisterparty eingeladen, die aus Steuergeldern bezahlt und/oder für die unverblümt Steuergelder verbraucht würde und/oder sinngleicher Äußerungen zu unterlassen. Weiters begehrte er den Widerruf der Äußerung und dessen Veröffentlichung in der periodischen Druckschrift "Der Standpunkt" und unter deren Website. Hilfsweise stellte er ein Unterlassungsbegehren bezüglich der Verbreitung und/oder Vervielfältigung des Plakates und insoweit ein Veröffentlichungbegehren. Zugleich beantragte er zur Sicherung des Unterlassungsanspruches hinsichtlich des Hauptbegehrens, hilfsweise hinsichtlich des Eventualbegehrens die Erlassung einer entsprechenden einstweiligen Verfügung. Nach dem Untertitel und dem Inhalt des vom Erstbeklagten verfassten Artikels in der Zeitschrift "Der Standpunkt" werde beim angesprochenen Medienkonsumenten der Eindruck erweckt, dass unter anderem der Kläger die Stadtkasse als Selbstbedienungsladen betrachte und daher öffentliche Gelder - also aus Abgabeneinnahmen stammende Beträge - für private Zwecke missbrauche. Dieser Vorwurf werde dahin konkretisiert, die Bürgermeisterparty sei aus Steuergeldern finanziert worden. Damit werde der Vorwurf strafrechtlicher Tatbestände (§§ 133, 153 und 302 StGB) gegen den Kläger erhoben. Der Vorwurf sei zur Gänze unwahr und ehrenrührig im Sinn des § 1330 Abs 1 ABGB sowie kreditschädigend im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB. Der Ruf des Klägers als Bürgermeister werde dadurch massiv gefährdet. Zudem stünden dem Kläger die ausschließlichen und alleinigen Werknutzungsrechte nach § 24 Abs 1 UrhG an dem von den Beklagten verbreiteten Plakat betreffend die Einladung zur Bürgermeisterparty zu. Der Kläger gründe seine Ansprüche aber primär auf die §§ 16 und 1330 ABGB. Da Gemeinderatsklubs gesetzlich vorgesehen und zwingend zu errichten seien, seien sie als juristische Personen im Sinn des § 26 ABGB zu qualifizieren. Die Zweitbeklagte, die als Medieninhaberin für den Inhalt des vom Erstbeklagten verfassten Artikels hafte, sei daher parteifähig.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Die strittige Äußerung sei wahr und stelle jedenfalls eine zulässige politische Kritik dar. Ein urheberrechtlicher Anspruch des Klägers sei nicht bescheinigt. Der Zweitbeklagten mangle es an einer über das Gemeinderecht hinausgehenden Rechtspersönlichkeit und damit an der passiven Klagslegitimation. Im Impressum der Zeitschrift "Der Standpunkt" sei die Fraktion anstelle der Aufzählung aller einzelnen Mitglieder nur der Einfachheit halber angeführt worden. Tatsächlich hätte die Klage gegen jeden einzelnen der neun ÖVP-Gemeinderäte gerichtet und jedem einzelnen zugestellt werden müssen. Der Erstbeklagte habe von der Aufnahme des Plakatfotos in den Artikel und von der Bildunterschrift vor dem Erscheinen der Zeitung keine Kenntnis gehabt und sei deshalb nicht passiv legitimiert. Die vom Sicherungsbegehren umfasste Äußerung sei zutreffend, weil das Stadttheater die Kosten für die Veranstaltung dem Büro des Bürgermeisters im Rathaus vorgeschrieben habe und die Umbuchung zum Budget des Theaters am 17. 9. 2001 erfolgt sei. Erst auf Grund der Verbreitung der den strittigen Titel enthaltenden Zeitschrift sei die Rechnung am 24. 9. 2001 storniert worden.

Das Erstgericht fasste in seiner gemeinsam ausgefertigten Entscheidung I. den Beschluss, dass das Verfahren hinsichtlich der zweitbeklagten Partei ab Zustellung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Äußerung als nichtig aufgehoben und die Klage hinsichtlich der zweitbeklagten Partei zurückgewiesen werde und erließ II. die beantragte einstweilige Verfügung zur Sicherung des Anspruchs auf § 1330 ABGB gegründeten Unterlassungsbegehrens gegen den Erstbeklagten.

Zum ersten Punkt der Entscheidung führte es in rechtlicher Hinsicht aus, dass Organisationsstrukturen, wie sie für eine juristische Person typisch seien, bei Gemeinderatsklubs nicht festzustellen seien. Es handle sich bei der Zweitbeklagten um ein nicht parteifähiges Gebilde, sodass das Verfahren hinsichtlich der Zweitbeklagten ab Zustellung als nichtig aufzuheben und die Klage insoweit zurückzuweisen sei.

Hinsichtlich des Sicherungsantrages betreffend den Erstbeklagten nahm das Erstgericht als bescheinigt an: Die Bürgermeisterparty wurde aus Mitteln des Klägers selbst, aus Spenden von persönlichen Freunden des Klägers und von Parteifreunden, vom Klub der Sozialdemokratischen Gemeindevertreter und aus dem Wahlkampfbudget für die Gemeinderatswahl finanziert. Das Wahlkampfbudget wiederum wurde aus Mitgliedsbeiträgen und aus Spenden finanziert. Die Mittel des Klubs der Sozialistischen Gemeindevertreter wurden ihrerseits durch Zahlungen eines Teils der Entschädigungen, die die Gemeindemandatare für ihre Tätigkeit erhalten, aufgebracht, wobei die Mandatare hiezu auf Grund eines Beschlusses der Gemeinderatsfraktion und der Partei verpflichtet sind. Die Entschädigungen für die Gemeindemandatare stammen aus dem Stadtbudget. Dass Mittel nach dem Parteiengesetz oder des Parteienförderungsgesetzes des Landes Niederösterreich in das Wahlkampfbudget der Bezirksparteiorganisation der SPÖ geflossen wären, kann nicht festgestellt werden.

Vom Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten wurde am 17. 9. 2001 eine "Einnahmeanordnung an den Kläger als Bürgermeister für die Miete des Stadttheaters über 30.000 S inklusive 20 % Umsatzsteuer ausgestellt. Dass eine Anzahlung vorgenommen worden wäre, ergibt sich aus der Urkunde nicht. Die Urkunde ist durchgestrichen und mit dem handschriftlichen Vermerk "Storno 24. 9. 2001" versehen. Der Kläger forderte die Ausstellung der Rechnung an seine Privatadresse. Dorthin erfolgte dann auch die Rechnungslegung. Die Rechnung wurde am 3. 10. 2001 auf Anweisung des Klägers aus dem "Wahlkampffonds" der SPÖ bezahlt.

Bei dem Inserat, mit dem die Bürgermeisterparty in der Zeitschrift "St. Pölten konkret" angekündigt wurde, handelte es sich um ein bezahltes Inserat. Auf wen die Rechnung lautete und aus welchen Mitteln sie beglichen wurde, kann nicht festgestellt werden. Das Erstgericht würdigte diesen Sachverhalt dahin, dem Kläger werde im strittigen Artikel im Ergebnis unterstellt, Budgetmittel für eine in seinem Namen veranstaltete Party und seine Wahlkampagne in unzulässiger Weise verwendet zu haben. Es sei daraus der persönliche Vorwurf der Rechtsverletzung abzuleiten, dessen Richtigkeit vom Erstbeklagten nicht bescheinigt worden sei. Da der Erstbeklagte die endgültige Ausgestaltung seines Artikels dem Redaktionsteam überlassen und diesem vertraut habe, müsse er den gesamten Artikel in der konkreten Form, in der er letztlich erschienen sei, gegen sich gelten lassen.

Der Kläger bekämpfte die Zurückweisung der Klage hinsichtlich der Zweitbeklagten, der Erstbeklagte die Bewilligung der einstweiligen Verfügung und die Zweitbeklagte die fehlende Kostenentscheidung zu ihren Gunsten.

Das Rekursgericht gab den Rekursen des Klägers und des Erstbeklagten Folge. Es änderte den Beschluss dahin ab, dass es sowohl den Hauptals auch den Eventualantrag des Sicherungsbegehrens hinsichtlich beider Beklagter abwies und die Zweitbeklagte mit ihrem Kostenrekurs auf diese Entscheidung verwies. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstandes 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Parteifähigkeit der Zweitbeklagten sei im Gegensatz zur Ansicht des Erstgerichts zu bejahen, weshalb der Rekurs des Klägers berechtigt sei. Da das Erstgericht wegen der Identität der Einwendungen beider Beklagter auch auf inhaltliche Fragen eingegangen sei, könne das Rekursgericht hinsichtlich der Zweitbeklagten in der Sache entscheiden. Der Sicherungsantrag sei insgesamt abzuweisen, weil die ausgestellte Einnahmeanordnung indiziere, dass das Theater im Namen der Stadt bestellt worden sei. Es wäre daher Sache des Klägers gewesen, zu behaupten und zu bescheinigen, dass schon im Zuge der Bestellung der Räumlichkeiten des Theaters klargestellt worden sei, dass es sich um eine private Bestellung handle, die nicht auf Kosten der Stadt gehe und dass die Ausstellung der Einnahmeanordnung den Intentionen des Klägers widersprochen habe. Ein Wertungsexzess liege unter diesen Umständen insbesondere im Hinblick auf die Vorwahlzeit nicht vor. Das Klagebegehren sei auch zu Unrecht auf urheberrechtliche Ansprüche gestützt worden.

Wie aus dem Spruch - insbesondere dass dem Rekurs (auch) des Klägers Folge gegeben werde - im Zusammenhang mit der Begründung des Beschlusses des Rekursgerichtes hervorgeht, hat dieses einerseits das Prozesshindernis der mangelnden Parteifähigkeit verneint und den das Verfahren als nichtig aufhebenden und die Klage zurückweisenden Beschluss des Erstgerichtes (Punkt 1. dessen Spruches) beseitigt, andererseits das Sicherungsbegehren des Klägers zur Gänze abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss erhob nur der Kläger Revisionsrekurs. Die Zweitbeklagte führte lediglich in ihrer (nach Ablauf der Revisionsrekursfrist erstatteten) Revisionsrekursbeantwortung aus, dass die Zweitbeklagte entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes nicht rechtsfähig sei. Der erste Beschlussteil ist daher in Rechtskraft erwachsen, sodass die Frage der vom Rekursgericht für das gesamte Verfahren bindend bejahten Parteifähigkeit der Zweitbeklagten nicht mehr zu prüfen ist (vgl SZ 59/104). Strittig ist nur mehr die inhaltliche Berechtigung des Sicherungsbegehrens.

Bei ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen steht dem Beklagten der

Wahrheitsbeweis offen. Bei Werturteilen muss der Sachverhalt, auf dem

sie basieren, wahr sein. In die Ehre eines anderen eingreifende

beleidigende Werturteile können nach einer vorzunehmenden

Interessenabwägung gerechtfertigt sein. Diese fällt aber dann

grundsätzlich nicht zu Gunsten des Beklagten aus, wenn die Äußerung

auch in ihrem Tatsachenkern nicht der Wahrheit entspricht. Der

Persönlichkeitsschutz von Politikern ist zwar insofern eingeschränkt,

als die Grenzen der zulässigen Kritik bei ihnen weiter gezogen sind

als Privatpersonen; im politischen Meinungsstreit dürfen auch

schärfere Ausdrücke verwendet werden. Eine in die Ehre eingreifende

politische Kritik auf Basis einer im Wesentlichen unwahren

Tatsachenbehauptung überschreitet auch bei Politikern die Grenze

zulässiger Kritik (RIS-Justiz RS0054817; RS0032201). Auch nach der

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist

bei der bei kritischen Äußerungen vorzunehmenden Interessenabwägung

zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz selbst im

politischen Wettkampf die Frage, ob sich die Äußerung auf einen

wahren Sachverhaltskern zu stützen vermag, von ausschlaggebender

Bedeutung (EGMR 27. 2. 2001 [Jerusalem gegen Österreich] = MR 2001,

89; EGMR 26. 2. 2002 [Dichand ua gegen Österreich] = MR 2002, 84;

EGMR 26. 2. 2002 [Unabhängige Initiative Informationsvielfalt gegen Österreich] = MR 2002, 149).

Liegt die Ehrenbeleidigung in einer Tatsachenbehauptung, steht dem Verletzten das Wahlrecht zu, sich auf § 1330 Abs 1 oder Abs 2 ABGB zu stützen. Beim veschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch nach § 1330 ABGB trifft jedenfalls den Beklagten die Beweislast für die Richtigkeit der von ihm verbreiteten Tatsachen und somit der Wahrheit des Tatsachenkerns (MR 2000, 22 ua).

Gegenstand des Sicherungsbegehrens ist ausschließlich die dem Zeitschriftenartikel zu entnehmende Behauptung, der Kläger habe zu einer aus Steuergeldern finanzierten Bürgermeisterparty eingeladen. Auf andere im Artikel erhobene Vorwürfe - dass die Zeitschrift "St. Pölten konkret" als auf Kosten des Steuerzahlers gehende Werbung für den Kläger und die von ihm repräsentierte Partei verwendet werde und Ähnliches - bezieht sich das Klage- und Sicherungsbegehren nicht. Nach dem vom Erstgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ist der allein strittige Vorwurf unrichtig. Dies gilt insbesondere auch für die Miete des Stadttheaters, die nicht aus Steuergeldern, sondern aus dem Wahlkampffonds der SPÖ-Bezirksorganisation finanziert wurde, der seinerseits aus Spenden und Teilen der Mitgliedsbeiträge der Gemeinderatsmitglieder gespeist wird und in den keine öffentlichen Gelder fließen. Die Beklagten konnten nach den Ausführungen des Erstgerichtes auch nicht bescheinigen, dass die Einschaltung über die Bürgermeisterparty in der Zeitschrift "St. Pölten konkret" aus Steuergeldern finanziert worden wäre.

Aus der am 17. 9. 2001 ausgestellten Einnahmeanordnung der für das Stadttheater zuständigen Dienststelle des Magistrats ergibt sich lediglich, dass die Theatermiete zu diesem Zeitpunkt und daher auch im Zeitpunkt des Erscheinens des strittigen Artikels in der Septemberausgabe der Zeitschrift "Der Standpunkt" noch nicht beglichen und die Dienststelle offenbar der Ansicht war, die Kosten würden von der Stadtgemeinde (in Form eines internen Buchungsvorganges) getragen. Dem trat der Kläger aber durch die ausdrückliche Weisung, die Einnahmeanordnung zu stornieren und ihm persönlich eine Rechnung zuzustellen, entgegen. Das Erstgericht erblickte darin, wie es im Rahmen seiner Beweiswürdigung ausführte, auch keinen Nachweis dafür, dass zunächst die Finanzierung der Party aus öffentlichen Mitteln (die Miete des Theaters aus dem Budget der Stadtgemeinde) geplant war und dieses Vorhaben nur unter dem Druck der öffentlichen Diskussion um die Finanzierung der Bürgermeisterparty die Begleichung der Miete für das Stadttheater aus anderen Mitteln erfolgt ist.

Die Ansicht des Rekursgerichtes, dass die Bescheinigungslast dafür, dass von vorneherein diese Art der Finanzierung in Aussicht genommen war, den Kläger treffe, weicht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Beweislast der Richtigkeit des Tatsachenkerns bei einer (auch) auf § 1330 Abs 1 ABGB gegründeten Unterlassungsklage ab.

Den strittigen Vorwurf hat nicht nur die Zweitbeklagte, sondern auch der Erstbeklagte zu verantworten. Anders als in den Entscheidungen 6 Ob 90/99z und 6 Ob 139/99f - bei denen jeweils in Zeitschriften unrichtig wiedergegebene Zitate der Beklagten zu beurteilen waren, zu deren Veröffentlichung die Beklagten keinen Auftrag erteilt hatten - verfasste der Erstbeklagte seine Äußerung gerade zum Zweck der Veröffentlichung und überließ die endgültige Ausgestaltung des Zeitungsartikels dem Redaktionsteam der von der Zweitbeklagten herausgegebenen Zeitschrift. Ob er sich dennoch darauf zurückziehen kann, er habe die Überschrift des Artikels und die Bildunterschrift nicht selbst verfasst und die Ablichtung des Plakats im Rahmen des Artikels nicht persönlich vorgesehen, kann dahingestellt bleiben. Denn auch in dem unstrittig vom Kläger verfassten Textteil wird der "unverblümte" Verbrauch von Steuergeldern (auch) ausdrücklich im Zusammenhang mit der Bürgermeisterparty behauptet. Dass der Kläger damit jene Veranstaltung meinte, die auf dem abgebildeten Plakat beworben wird, hat er gar nicht bestritten. Auch ohne die vom Redaktionsteam hinzugefügten Teile des Artikels ist daher die Betroffenheit des Klägers durch den strittigen Artikel und die Verantwortlichkeit des Erstbeklagten für denselben zu bejahen. In Abänderung des Beschlusses des Rekursgerichtes ist daher dem Sicherungs-(Haupt-)Begehren gegen beide Beklagte auf der Basis des vom Erstgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhaltes stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Provisorialverfahrens beruht hinsichtlich des Klägers auf § 393 Abs 1 EO, hinsichtlich der Beklagten auf den §§ 41 und 50 ZPO iVm den §§ 78 und 402 EO.

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