OGH 1Ob519/92

OGH1Ob519/9229.1.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Schöppl, Rechtsanwalt in Wals, wider die beklagte Partei Dr. Anton G*****, vertreten durch Dr. Alfred Lind und Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 60.680,-- sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 21. November 1991, GZ 22 R 599/91-11, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom 31. Oktober 1991, GZ 13 C 2149/91-8, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben und der angefochtene Beschluss des Rekursgerichtes mit der Maßgabe bestätigt, dass er zu lauten hat:

„Dem Rekurs der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben. Der erstinstanzliche Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Antrag der klagenden Partei auf Überweisung der Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Stainz abgewiesen wird.

Das Mehrbegehren, den erstinstanzlichen Beschluss ersatzlos aufzuheben, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit Klage im Mahnverfahren begehrte der Kläger vom Beklagten die Zahlung von S 60.680,-- für die Lieferung von Waren.

Gegen den deshalb antragsgemäß erlassenen Zahlungsbefehl erhob der Beklagte selbst Einspruch. Bei der darauf vom Erstgericht anberaumten Verhandlungstagsatzung erschien für den Beklagten ein in München ansässiger deutscher Rechtsanwalt und meldete sofort nach dem Vortrag der Klage die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit an. Im Anschluss daran schlossen die Streitteile einen Vergleich, der rechtswirksam werden sollte, wenn ihn der Beklagte nicht spätestens am 5.11.1991 widerrufen sollte. Für diesen Fall beantragte der Kläger die Überweisung der Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Stainz.

Der deutsche Rechtsanwalt widerrief den Vergleich „namens und im Auftrag“ des Beklagten fristgerecht. Darauf sprach das Erstgericht seine örtliche Unzuständigkeit aus und überwies die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Stainz.

Das Gericht zweiter Instanz hob diesen Beschluss aus Anlass des Rekurses des Klägers auf, wies den Überweisungsantrag ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Wohl gelte nach § 27 Abs 1 ZPO auch vor Bezirksgerichten bei einem S 30.000,- - übersteigenden Streitwert absolute Anwaltspflicht, das Einschreiten zum Vergleichsabschluss sei davon aber gemäß § 27 Abs 3 ZPO ausgenommen, selbst wenn der Vergleichsbetrag S 30.000,- - übersteige. Beim Abschluss des (bedingten) Vergleichs habe sich der Beklagte durch den deutschen Rechtsanwalt vertreten lassen können, weil auch die Bestimmungen über die relative Anwaltspflicht (§ 29 ZPO) auf diese Ausnahme verwiesen. Die Zivilprozessordnung regle jedoch die Befugnis zum Einschreiten zwecks Widerrufs bedingt abgeschlossener Vergleiche nicht. Für den Vergleichswiderruf könnten jedoch keine anderen Voraussetzungen gelten als für den Vergleichsabschluss selbst, sodass der vom deutschen Rechtsanwalt rechtzeitig ausgesprochene Widerruf als rechtswirksam anzusehen sei. Der Rekurs sei daher nicht berechtigt. Darüber hinaus habe der Vertreter des Beklagten aus den erörterten Gründen für den Beklagten nicht wirksam einschreiten und daher auch die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit nicht wirksam anmelden können. Da für eine amtswegige Prüfung der Zuständigkeit durch das Erstgericht nach den Klagsbehauptungen kein Anlass bestanden habe, habe der Kläger keinen Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO stellen und demgemäß das Erstgericht auch die Klage nicht an ein anderes Gericht überweisen können. In diesem Umfang sei der erstinstanzliche Beschluss aus Anlass des Rekurses aufzuheben und der Überweisungsantrag abzuweisen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil zur Frage, wie weit der Widerruf eines bedingten Vergleichs der Anwaltspflicht unterliegt, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehlt; er ist jedoch nicht berechtigt.

Der Kläger berief sich zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichtes in seiner Klage im Mahnverfahren der Sache nach auf den Fakturengerichtsstand (§ 88 Abs 2 JN). Der Beklagte, der den Einspruch gegen den Zahlungsbefehl - hiezu gemäß § 451 Abs 1 ZPO trotz des S 30.000,- - übersteigenden Streitwertes berechtigt - selbst verfasst hatte, ließ sich bei der darauf vom Erstgericht anberaumten Verhandlungstagsatzung von einem in München ansässigen deutschen Rechtsanwalt vertreten, der dort noch vor Einlassung in die Verhandlung über die Hauptsache (§ 441 ZPO) die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Erstgerichtes anmeldete und unmittelbar danach mit dem Kläger einen Vergleich abschloss, in welchem dem Beklagten jedoch die Möglichkeit des Widerrufs bis 5.11.1991 vorbehalten wurde. Nur für diesen Fall stellte der Kläger den Antrag, die Klage an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Stainz zu überweisen, dem das Erstgericht, nachdem der deutsche Anwalt den Vergleich namens des Beklagten fristgerecht widerrufen hatte, stattgab.

Der Kläger strebt im Rechtsmittelverfahren die ersatzlose Aufhebung dieses Beschlusses mit der Begründung an, dass die Widerrufserklärung wegen Verletzung der Anwaltspflicht unwirksam, der Vergleich deshalb rechtswirksam zustandegekommen und dem Erstgericht angesichts der streitbeendenden Wirkung des Vergleichs die Fortsetzung des Verfahrens verwehrt gewesen sei.

Gemäß § 27 Abs 1 ZPO (idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989) müssen sich die Parteien vor Bezirksgerichten in Sachen, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert S 30.000,- - übersteigt, durch Rechtsanwälte vertreten lassen. Nach Abs 3 dieser Bestimmung findet deren Abs 1 jedoch - unter anderem - auf Vergleiche vor einem Bezirksgericht keine Anwendung, selbst wenn deren Betrag oder Geldeswert S 30.000,- - übersteigt. Gemäß § 29 Abs 2 ZPO gilt § 27 Abs 3 ZPO auch im Bereich der relativen Anwaltspflicht sinngemäß, sodass sich der Beklagte von dem deutschen Rechtsanwalt bei der Verhandlungstagsatzung vom 15.10.1991 mit Rücksicht auf den Streitwert (S 60.680,- -) nur zum Abschluss des Vergleiches, aber nicht auch sonst wirksam vertreten lassen konnte.

Die hier maßgebliche Vorschrift des § 27 Abs 3 ZPO nimmt schlechthin „Vergleiche vor einem Bezirksgericht“ vom Anwendungsbereich der absoluten (und § 29 Abs 2 ZPO ferner auch von der relativen) Anwaltspflicht gemäß § 27 Abs 1 ZPO (bzw § 29 Abs 1 ZPO) aus. Nach den Materialien (JAB, 991 BlgNR, 17. GP, 6) soll für Vergleiche vor einem Bezirksgericht, gleichgültig, ob es sich nun um prätorische oder um Vergleiche im Zuge eines Verfahrens handelt, keine Anwaltspflicht bestehen. Diese im § 27 Abs 3 und im § 29 Abs 2 ZPO vorgesehene Ausnahme von der (absoluten und relativen) Anwaltspflicht erstreckt sich demnach auf alle Erklärungen der Parteien, die für das Zustandekommen des Vergleiches von Bedeutung sind. Hat sich demgemäß eine Partei oder haben sich beide Parteien die Möglichkeit des Widerrufs vorbehalten, so muss diese Ausnahme vom Anwendungsbereich der Anwaltspflicht auch auf den Schriftsatz ausgedehnt werden, mit dem die zum Widerruf berechtigte Partei dem Gericht erklärt, dass sie den Vergleich widerruft, also letztlich doch nicht abschließen will. Nimmt § 27 Abs 3 ZPO somit auch den Widerruf eines - bedingt abgeschlossenen - Vergleiches von der Anwaltspflicht aus, so hat das Gericht zweiter Instanz zutreffend die prozessbeendende Wirkung des bei der Verhandlungstagsatzung am 15.10.1991 zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vergleiches verneint.

Der deutsche Rechtsanwalt - der deshalb nicht als Rechtsanwalt im Sinne des § 27 Abs 1 ZPO angesehen werden kann (vgl. Petrasch in ÖJZ 1985, 258 unter Berufung auf 3 Nd 511/84) - konnte bei der Verhandlungstagsatzung vom 15.10.1991 außer zum Abschluss des Vergleiches für den Beklagten nicht wirksam einschreiten, sodass dieser die Verhandlungstagsatzung - abgesehen vom Vergleich - gemäß § 133 Abs 3 ZPO versäumt hat (SZ 21/21 uva; Fasching, LB2 Rz 438). Der Beklagte hat demnach keine wirksame Unzuständigkeitseinrede erhoben, sodass das Erstgericht, das seine örtliche Unzuständigkeit auch nicht von Amts wegen erörterte und mangels Unzuständigkeitseinrede auch gar nicht hätte erörtern dürfen (§ 43 Abs 1 JN), den Überweisungsantrag des Klägers mangels der gesetzlichen Voraussetzungen hätte abweisen müssen. Liegen die Voraussetzungen für die Überweisung der Klage gemäß § 261 Abs 6 ZPO nicht vor, kann der Überweisungsbeschluss trotz des dort angeordneten Rechtsmittelausschlusses angefochten werden (EvBl 1981/220 uva). Da der Überweisungsantrag mangels wirksamer Unzuständigkeitseinrede auch aufgrund eines Rekurses abgewiesen werden kann, mit dem die durch einen Vergleich bewirkte Beendigung des Verfahrens angestrebt wird, ist der zweitinstanzliche Beschluss dahin richtigzustellen, dass der Überweisungsantrag in teilweiser Stattgebung des Rechtsmittels abgewiesen wird.

Da der Kläger bei der Verhandlungstagsatzung vom 15.10.1991 keinen Säumnisantrag gestellt hat, wird das Bezirksgericht Salzburg im fortzusetzenden Verfahren erneut eine Verhandlungstagsatzung anzuberaumen und dabei darauf Bedacht zu nehmen haben, dass sich der Beklagte bisher in die Verhandlung über die Hauptsache noch nicht eingelassen hat. Ruhen des Verfahrens (§ 170 ZPO) trat deshalb nicht ein, weil der Kläger Anträge stellte (vgl Fasching Komm II 812); auch die Unterlassung eines Säumnisantrages hatte das Ruhen nicht zur Folge, weil ihn der Richter nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolles hiezu nicht aufgefordert hatte (§ 133 Abs 2 ZPO; vgl Holzhammer, Zivilprozeßrecht2, 234).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.

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