OGH 10ObS388/01h

OGH10ObS388/01h14.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Komm.Rat Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Cornelia S*****, Fremdsprachenassistentin, ***** vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara Pölt-Weg 2, 6021 Innsbruck, vertreten durch Ullmann - Geiler und Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Krankengeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. September 2001, GZ 23 Rs 38/01m-79, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Februar 2001, GZ 47 Cgs 152/97z-70, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 11. 10. 1962 geborene Klägerin stand seit Jahren wegen einer Anorexia nervosa in Behandlung. Sie befand sich wiederholt stationär in einer psychiatrischen Klinik, meistens mit der Diagnose „Schizopsychose".

Von 18. 1. 1995 bis 16. 6. 1996 war die Klägerin wegen Neurasthenie, von 17. 6. 1996 bis 24. 6. 1996 wegen Ohrenentzündung, von 25. 6. 1996 bis 15. 7. 1996 wegen Nasennebenhöhlenentzündung und von 2. 10. 1996 bis 13. 10. 1996 wegen Psychose arbeitsunfähig infolge Krankheit und stand von 16. 7. 1996 bis 18. 9. 1996 im Arbeitslosengeldbezug. Von 4. 3. bis 29. 7. 1996 nahm die Klägerin an 11 logotherapeutischen Gesprächen teil. Die Klägerin war auch nach dem 16. 6. 1996 an einer Neurasthenie bzw Psychose arbeitsunfähig erkrankt.

Bei der Klägerin liegt eine einzige Grundstörung vor, die sich zum Teil in psychotischen Entgleisungen, zum Teil mehr in den Symptomen einer Essstörung äußert und die man nicht grundsätzlich voneinander trennen kann. Das psychotische Ereignis im Oktober 1996 ist aus psychiatrischer Sicht als Fortsetzungserkrankung (der als Neurasthenie diagnostizierten Erkrankung) und nicht als neuer Versicherungsfall anzusehen.

Von 18. 1. 1995 bis 5. 10. 1996 (richtig: von 18. 1. 1995 bis 15. 7. 1996 und von 2. 10. bis 5. 10. 1996) bezog die Klägerin von der beklagten Partei Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit.

Mit Bescheid vom 7.5.1997 hat die beklagte Partei ausgesprochen, dass der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vom 18. 1. 1995 am 5. 10. 1996 ende. Der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit mit der Diagnose Neurasthenie sei am 18. 1. 1995 eingetreten. Am 16. 6. 1996 sei als letzter Tag der Arbeitsunfähigkeit der 16. 6. 1996 festgestellt worden. Tatsächlich sei der Versicherungsfall an diesem Tag nicht beendet worden, weil die Klägerin auch nach dem 16. 6. 1996 an einer Neurasthenie, aber auch an einer Psychose arbeitsunfähig erkrankt gewesen und in Behandlung gestanden sei. Ein Aufrechterhalten des Versicherungsfalles sei nur deshalb nicht möglich gewesen, weil die Klägerin durch Wochen mehrmals erfolglos aufgefordert worden sei, Befunde bzw Unterlagen zur Nachvollziehung des gesundheitlichen Zustandes vorzulegen. Zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme in das psychiatrische Krankenhaus B***** mit der Diagnose Psychose am 2. 10. 1996 habe die Klägerin von ihrem insgesamt 78-wöchigen Anspruch auf Krankengeld nach dem Krankengeldbezug vom 20. 1. 1995 bis 15. 7. 1996 noch über ein „Krankengeldguthaben" von vier Kalendertagen verfügt. Bei der Erkrankung, die am 2. 10. 1996 zur Aufnahme in das Psychiatrische Krankenhaus Baumgartner Höhe geführt habe, handle es sich um eine Fortsetzung der Erkrankung Neurasthenie bzw Psychose. Daraus ergebe sich, dass durch dieses Wiederauftreten einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit aufgrund desselben Leidens innerhalb von 13 Wochen ein einheitlicher Versicherungsfall vorliege. Die Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit seien daher zusammenzurechnen und auf den insgesamt 78-wöchigen Anspruch auf Krankengeld anzurechnen.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin zum einen die Feststellung, dass der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit am 2. 10. 1996 keinen Fortsetzungskrankenstand, sondern einen neuen Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit darstelle; zum anderen wird begehrt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, der Klägerin aus dem am 2. 10. 1996 eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit auch über den 5. 10. 1996 hinaus das Krankengeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die am 2. 10. 1996 aufgetretene mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Erkrankung gelte nach § 139 Abs 3 ASVG als Fortsetzung der vorausgegangenen Erkrankung, weshalb der Klägerin im Hinblick auf die Zusammenrechnung der Anspruchszeiten nur bis einschließlich 5. 10. 1996 Krankengeld gebühre.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung Folge und entschied im Sinne des Klagebegehrens. Es sah die Mängelrüge nicht als berechtigt an, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und ging in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass der Versicherungsfall beendet sei, wenn die Arbeitsunfähigkeit - wenn auch bei Weiterbestehen der Krankheit - wegfalle. Ungeachtet der fortdauernden Erkrankung habe der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit mit der Diagnose Neurasthenie am 16. 6. 1996 geendet, weil die Klägerin den Aufforderungen der beklagten Partei auf Vorlage von Nachweisen über die fortdauernde Erkrankung nicht nachgekommen sei. Da zwischen der Beendigung des Versicherungsfalles der Arbeitsunfähigkeit wegen Neurasthenie am 16. 6. 1996 und dem neuerlichen Versicherungsfall wegen der auf der gleichen Grundstörung beruhenden neuerlichen Erkrankung (Psychose) am 2. 10. 1996 ein Zeitraum von mehr als 13 Wochen gelegen sei, habe eine Zusammenrechnung der Anspruchszeiten für diese Krankheitsfälle zur Feststellung der Höchstdauer des Krankengeldes iSd § 139 Abs 3 ASVG nicht stattzufinden. Bei der neuerlichen Psychoseerkrankung der Klägerin ab 2. 10. 1996 handle es sich um einen neuen Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, weshalb der Krankengeldanspruch nicht mit 5. 10. 1996 begrenzt sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist unabhängig davon, ob die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung abhängt (§ 46 Abs 1 ASGG), zulässig, weil es sich beim noch strittigen Anspruch auf Krankengeld ab 6. 10. 1996 um eine wiederkehrende Leistung handelt (SSV-NF 2/47 ua; RIS-Justiz RS0085788) und gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG im Verfahren über wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen die Revision auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

Zusammengefasst steht fest, dass die Klägerin vom 18. 1. 1995 bis 16. 6. 1996 wegen Neurasthenie arbeitsunfähig infolge Krankheit war und Krankengeld bezog. Vom 17. 6. 1996 bis 24. 6. 1996 war sie wegen Ohrenentzündung, vom 25. 6. 1996 bis 15. 7. 1996 wegen Nasennebenhöhlenentzündung und vom 2. 10. 1996 bis 13. 10. 1996 wegen Psychose arbeitsunfähig infolge Krankheit. Vom 16. 7. 1996 bis 18. 9. 1996 stand sie im Arbeitslosengeldbezug. Die Klägerin war auch nach dem 16. 6. 1996 an einer Neurasthenie bzw Psychose arbeitsunfähig erkrankt. Bei ihr liegt eine einzige Grundstörung vor, die sich zum Teil in psychotischen Entgleisungen, zum Teil mehr in den Symptomen einer Essstörung äußert und die man nicht grundsätzlich voneinander trennen kann. Das psychotische Ereignis im Oktober 1996 ist aus psychiatrischer Sicht als Fortsetzungserkrankung anzusehen. Der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, der nach § 138 Abs 1 ASVG den Anspruch auf Krankengeld auslöst, erfordert nach § 120 Abs 1 Z 2 ASVG den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Der Versicherungsfall ist beendet, wenn die Arbeitsunfähigkeit wegfällt, selbst wenn die Krankheit weiter besteht (RIS-Justiz RS0084738). Unstrittigerweise hatte die Klägerin bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Krankengeld bis zu einer Höchstdauer von 78 Wochen. Entsteht nach Wegfall des Krankengeldanspruches vor Ablauf der Höchstdauer neuerlich (und zwar innerhalb von 13 Wochen) infolge derjenigen Krankheit, für die der weggefallene Krankengeldanspruch bestanden hat, ein Anspruch auf Krankengeld, so werden gemäß § 139 Abs 3 ASVG die Anspruchszeiten für diese Krankheitsfälle zur Feststellung der Höchstdauer zusammengerechnet; die neuerliche Erkrankung gilt als Fortsetzung der vorausgegangenen Erkrankung. Gemäß § 139 Abs 4 ASVG entsteht ein neuer Anspruch auf Krankengeld infolge der Krankheit, für die der weggefallene Krankengeldanspruch bestanden hat, nach Ausschöpfung der Höchstdauer des Bezuges erst wieder, wenn der Erkrankte in der Zwischenzeit durch mindestens 52 Wochen in einer sonstigen gesetzlichen Krankenversicherung versichert war.

Diese - seit der 9. ASVGNov (BGBl 1962/13) in § 139 Abs 3 und 4 ASVG enthaltenen - Bestimmungen darüber, unter welchen Voraussetzungen das Krankengeld bei Wiedererkrankung an derselben nicht behobenen Krankheitsursache gebührt, waren in der Stammfassung des ASVG im Abs 3 des § 139 zusammengefasst (vgl Erläuternde Bemerkungen zur RV 599 BlgNR 7. GP, 55 f). Um zu einer halbwegs gleichmäßigen Behandlung von längerdauernder Arbeitsunfähigkeit einerseits und mehreren, in relativ kurzem Abstand aufeinanderfolgenden kurzfristigen Arbeitsunfähigkeiten andererseits zu gelangen, sieht das Gesetz in § 139 Abs 3 ASVG vor, dass mehrere Arbeitsunfähigkeiten als einheitlicher Versicherungsfall gelten, wenn die neuerliche Arbeitsunfähigkeit innerhalb von - nach der Stammfassung: vier Monaten, seit der 9. ASVGNov (BGBl 1962/13) - 13 Wochen eintritt und von derselben Krankheit verursacht worden ist wie die vorausgegangene Arbeitsunfähigkeit (vgl Jabornegg, Der Versicherungsfall in der Sozialversicherung, DRdA 1982, 11 ff [23]). Wird der Versicherte vor Ablauf der Höchstdauer, aber nach Ablauf der Frist von - nunmehr - 13 Wochen infolge derselben Krankheit neuerdings arbeitsunfähig, so beginnt ein neuer Versicherungsfall, für den wiederum Anspruch auf Krankengeld für die Höchstdauer ohne Anrechnung der früheren Krankheitsdauer besteht (vgl EB aaO 56).

Ungeachtet der gegenteiligen, von der beklagten Partei im bekämpften Bescheid vertretenen Ansicht hat der am 18. 1. 1995 eingetretene Versicherungsfall nicht am 16. 6. 1996 geendet, weil die Klägerin nach den Feststellungen über dieses Datum hinaus weiterhin aufgrund derselben Krankheitsursache arbeitsunfähig erkrankt war. Der Versicherungsfall ist erst mit Wegfall der Arbeitsunfähigkeit beendet und nicht mit einem (konstitutiven) Akt der beklagten Partei, wie offensichtlich das Berufungsgericht zu Unrecht meint; die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin infolge einer auf derselben Ursache beruhenden Krankheit blieb ja bestehen.

Dieser Zustand der Arbeitsunfähigkeit infolge (derselben) Krankheit bestand bei der Klägerin - ungeachtet des Umstands, dass die neuerliche ärztliche Krankschreibung für die Zeit ab 17. 6. 1996 bzw ab 26. 6. 1996 wegen Ohrenentzündung und Nasennebenhöhlenentzündung erfolgte - jedenfalls bis zum Ende der Krankschreibung (15. 7. 1996). Selbst dann, wenn man davon ausginge, dass ab dem Beginn des Arbeitslosengeldbezuges ab 16. 7. 1996 Arbeitsfähigkeit bestanden hätte, läge die neuerliche Erkrankung am 2. 10. 1996 innerhalb der 13-Wochen-Frist des § 139 Abs 3 ASVG, sodass die Arbeitsunfähigkeiten als einheitlicher Versicherungsfall gelten (vgl SSV-NF 1/35) und der Anspruch auf Krankengeld mit 5. 10. 1996 erschöpft ist. Das von der Klägerin erhobene Begehren ist daher nicht berechtigt. Anzumerken ist, dass die begehrte Feststellung begrifflich und rechtlich notwendig von der Leistungsklage in vollem Umfang umfasst ist, weshalb das Feststellungsbegehren unzulässig ist (10 ObS 423/98y) und schon aus diesem Grunde in jedem Fall abzuweisen gewesen wäre (RIS-Justiz RS0039066; zuletzt 10 ObS 217/01m). Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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