OGH 9ObA246/01v

OGH9ObA246/01v27.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Tzt. Ulrike Zimmerl und Franz Gansch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der widerklagenden Partei Anton P*****, Kaufmann, ***** vertreten durch Mag. Herbert Schöpf, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die widerbeklagte Partei S***** & Co AG, ***** vertreten durch Dr. Walter Waizer und Dr. Peter Waizer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen EUR 27.970,22 brutto, infolge Revision der widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juni 2001, GZ 13 Ra 24/01d-17, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Jänner 2001, GZ 16 Cga 14/99k-13, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die widerklagende Partei ist schuldig, der widerbeklagten Partei die mit EUR 1.440,36 (darin enthalten EUR 240,06 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 502 Z 3 ZPO) liegt nicht vor. Diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO); auf den Vorwurf, das Berufungsgericht habe eine "Überraschungsentscheidung" getroffen, wird jedoch noch einzugehen sein. Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Rechtfertigung der Entlassung des Widerklägers zutreffend bejaht, sodass auf die Richtigkeit der Begründung der Berufungsentscheidung hingewiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers Folgendes entgegenzuhalten:

Der Widerkläger machte in seiner Widerklage geltend, dass er bei der Widerbeklagten als leitender Angestellter im Sinne des AngG tätig gewesen sei. Es überraschte ihn daher offenbar nicht, dass er vom Berufungsgericht als Angestellter - und nicht als Arbeiter - qualifiziert wurde; hingegen will er durch die Auffassung des Berufungsgerichtes überrascht worden sein - und zwar in einem Grad, der das Berufungsverfahren mangelhaft und die rechtliche Beurteilung unrichtig machen soll - dass die Rechtfertigung der Entlassung in seinem Fall nicht nach der GewO 1859, sondern nach dem AngG zu prüfen sei. Konkret geht es dem Revisionswerber dabei darum, dass die Widerbeklagte als Arbeitgeberin, ausgehend von ihrer ursprünglichen Auffassung, dass der Widerkläger Arbeitertätigkeiten verrichtet habe, die Entlassung auf § 82 lit d GewO 1859 gestützt hatte, während das Berufungsgericht - unter Zugrundelegung der vom Widerkläger behaupteten Qualifikation eines Angestellten - den behaupteten und festgestellten Sachverhalt nach § 27 Z 1 AngG, 3. Tatbestand prüfte. Richtig ist in diesem Zusammenhang zunächst der Hinweis des Revisionswerbers, dass der Oberste Gerichtshof in einer früheren Entscheidung aussprach, dass das Gericht an den Kündigungsgrund gebunden ist, auf den sich der Arbeitgeber festgelegt hat (Arb 8.148); der Oberste Gerichtshof stellte aber auch klar, dass keine eindeutige Festlegung vorliegt, wenn außer der Zitierung der Gesetzesstelle und des Gesetzeswortlauts auch noch der konkrete Sachverhalt mitgeteilt wird (Arb 8.760). Die unrichtige Bezeichnung des Kündigungs- oder Entlassungsgrundes ist an sich rechtlich bedeutungslos; es genügt, wenn das behauptete Verhalten des Arbeitnehmers beweisbar ist und die Entlassung rechtfertigt (Kuderna, Entlassungsrecht² 52 mwN). Das Gericht hat alle vom Arbeitgeber zur Begründung der Entlassung genannten Umstände auf ihre Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen, ohne an eine vom Arbeitgeber vorgenommene rechtliche Qualifikation gebunden zu sein (RIS-Justiz RS0028983).

Nach den bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen hat der Widerkläger, der bei der Widerbeklagten zuletzt im Fuhrpark als Disponent tätig war,

1) an einem Wochenende ein Kranfahrzeug seiner Arbeitgeberin eigenmächtig für private Zwecke verwendet,

2) bei diesem Einsatz einen beträchtlichen Schaden am Kranfahrzeug verursacht,

3) zwei Mitarbeiter in der Folge aufgefordert, den Rollfuhrleiter der Widerbeklagten nicht von diesem Vorfall zu informieren,

4) bei einem Dritten eigenmächtig im Namen und auf Rechnung seiner Arbeitgeberin Ersatzteile für die am Kranfahrzeug bei seinem privaten Einsatz beschädigten Teile um den Gesamtbetrag von rund ATS 46.000 bestellt und

5) schließlich diesen Dritten auch noch dazu veranlasst, diese Bestellung an die Widerbeklagte zu fakturieren, dabei aber zum Schein den Kaufpreis auf drei Rechnungen aufzuteilen und hierin fälschlich die Reparatur eines Kranfahrzeuges und eines LKW der Widerbeklagten zu behaupten.

Ein Arbeitnehmer kann nach § 82 lit d GewO 1859 entlassen werden, wenn er sich eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, welche ihn des Vertrauens des Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt. Als ein wichtiger Grund, der den Arbeitgeber nach § 27 Z 1 AngG, 3. Tatbestand zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, ist insbesondere anzusehen, wenn sich der Angestellte einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt. Das Vorliegen eines Diebstahls oder einer Veruntreuung, die die dadurch hervorgerufene Vertrauensunwürdigkeit subintelligieren (Kuderna aaO 132; RIS-Justiz RS0052754), stand beim gegebenen Sachverhalt ohnehin nie zur Diskussion. Ein Vergleich der beiden genannten Bestimmungen zeigt, dass der Unterschied im wesentlichen darin besteht, dass § 82 lit d GewO 1859 auf eine sonstige strafbare Handlung des Arbeitnehmers abstellt, welche ihn des Vertrauens des Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, während § 27 Z 1 AngG, 3. Tatbestand auf eine Handlung des Angestellten abstellt, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt, die aber nicht notwendigerweise strafbar sein muss (Arb 11.182). Es konnte daher bei dem gegebenen Entlassungssachverhalt für den Widerkläger nicht überraschend sein (vgl RIS-Justiz RS0037300), dass sich die Vorinstanzen mit der Frage der Vertrauensunwürdigkeit auseinandersetzten, die bei beiden Entlassungstatbeständen relevant ist.

Bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit kommt es vor allem darauf an, ob für den Arbeitgeber vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung bestand, dass seine Belange durch den Angestellten gefährdet seien, wobei nicht das subjektive Empfinden des Arbeitgebers entscheidet, sondern an das Gesamtverhalten des Angestellten (RdW 1986, 153; RdW 1995, 272; RdW 1996, 131 ua) ein objektiver Maßstab anzulegen ist, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falles und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt (RIS-Justiz RS0029833). Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Arbeitnehmers, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Arbeitnehmer des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (Arb 11.182; RdW 1996, 131 ua).

Ein Arbeitnehmer, der sich während eines längeren Arbeitsverhältnisses immer wohl verhalten hat, darf einen größeren Vertrauensvorschuss erwarten als ein Arbeitnehmer, der sich bereits einer Verfehlung schuldig gemacht hat (RIS-Justiz RS0029790, RS0029833). Entscheidend ist aber bei der Prüfung des Gesamtverhaltens das dominierende Merkmal der - die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung hervorrufenden - Vertrauensverwirkung (Kuderna aaO 87; RdW 1995, 272 ua). An der Auffassung des Berufungsgerichtes, dass der Grad der Vertrauensverwirkung des Widerklägers bei der hier vorliegenden Kumulierung der Verletzung von Meldepflichten, der versuchten Anstiftung von Mitarbeitern zur Pflichtwidrigkeit gegenüber ihrer Arbeitgeberin, dem Versuch, einen privat verursachten Schaden auf die Arbeitgeberin zu überwälzen, und schließlich der Veranlassung eines Dritten, an die Arbeitgeberin falsche Rechnungen zu legen, erreicht wurde, vermag keine rechtliche Fehlbeurteilung erkannt werden. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Widerkläger das Tatbild der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG, 3. Tatbestand verwirklicht; seine Entlassung war daher berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte