OGH 7Ob72/01s

OGH7Ob72/01s13.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Heimo Berger, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei Zürich K***** AG, ***** vertreten durch Dr. Herwig Aichholzer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 179.743,08 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 11. Dezember 2000, GZ 2 R 211/00t-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 17. September 2000, GZ 21 Cg 143/99k-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

 

Spruch:

gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.135,-- (darin S 1.522,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin eines LKW-Zuges (bestehend aus einem Zugfahrzeug Renault Magnum AE 420 ti 19 T, und einem Dreiachsanhänger der "Firma K*****"), der bei der beklagten Partei mit einem 5 %igen Selbstbehalt (zumindest S 5.000, maximal S 15.000) kaskoversichert war.

Nach Art 1 Punkt 1.1.2 der zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeugkaskoversicherung (AKKB 1995) sind das Fahrzeug ..... und an ihm befestigte Teile gegen Beschädigung, Zerstörung und Verlust durch einen Unfall, das ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis, versichert. Nicht versichert sind Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden.

Am 10. 7. 1998 wurde das Zugfahrzeug anlässlich eines Schwertransportes von insgesamt 25 Doppel-T-Trägern mit einer Gesamtmasse von 26.640 kg nach Italien beschädigt, weil der Lenker der Klägerin ein abruptes Bremsmanöver durchführen musste, um nicht gegen die an einer Massenkarambolage auf der Autobahn zwischen Verona und Padua beteiligten Fahrzeuge zu stoßen. Dabei verlor er die Herrschaft über das Fahrzeug und stieß in weiterer Folge mit der rechten vorderen LKW-Begrenzung gegen die Leitschiene, wodurch es zu einer plötzlichen Richtungsänderung des Fahrzeuges kam. Erst nach dem Anstoß riss die (ordnungsgemäß angebrachte) Ladungssicherung und stießen die auf dem Dreiachshänger mitgeführten Stahlträger in die Rückwand der Zugmaschine.

Von der Gesamtschadenssumme von S 193.610 netto entfielen S 9.178 auf die durch die Berührung des Zugfahrzeuges mit der Leitschiene am Führerhaus entstandenen Schäden. Darauf bezahlte die Beklagte (unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes) S 4.178. Der restliche Schaden von S 184.432 ist durch das Verrutschen der Ladung entstanden.

Die Klägerin begehrte - abzüglich des Selbstbehaltes - zuletzt (AS 15) S 179.943,80. Der Schaden sei nicht als "gewöhnlicher Betriebsschaden" sondern als Schaden durch den Unfall, bei dem die Ladungssicherung gerissen und das Ladegut verrutscht sei, zu beurteilen.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - ein, es läge ein Betriebsschaden vor, der nicht versichert sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - unter (unbekämpfter) Abweisung eines Mehrbegehrens von S 201,72 - statt. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung sei ein Unfall ein Ereignis, das nach der Art, wie der versicherte Gegenstand im konkreten Fall verwendet wurde, so außergewöhnlich erscheine, dass damit vorher nicht zu rechnen gewesen sei. Ein Betriebsschaden liege hingegen vor, wenn das Fahrzeug unter Berücksichtigung seines Verwendungszwecks ähnlichen Einwirkungen gewöhnlich ausgesetzt sei und daher der Versicherungsnehmer dieses Betriebsrisiko in Kauf nehme. Die (normale) Bremsung eines Kraftfahrzeuges sei zwar in der Regel als gewöhnlicher Betriebsvorgang zu beurteilen; müsse jedoch der Lenker eines LKW-Zuges zur Vermeidung eines (Frontal)Zusammenstoßes eine Notbremsung einleiten, wobei der Zugwagen ins Schleudern gerate, der Anhänger sich quer stelle und gegen den Zugwagen pralle, so liege ein Unfall vor, weil der Schaden nicht den gewöhnlichen Betriebsgefahren zuzurechnen sei. Vorliegend sei der Gurt, der die Ladung ordnungsgemäß und technisch ausreichend gesichert habe, durch das Zusammenwirken der Vollbremsung mit der Berührung der Leitschiene und demnach unfallsbedingt gerissen. Dieser Unfall sei ausschließlich durch eine Massenkarambolage, die eine abrupte Bremsung des LKW-Zuges notwendig gemacht habe, verursacht worden. Das starke Bremsmanöver, das zum Reißen des Gurtes geführt habe, sei auf Grund eines unerwarteten und unvorhersehbaren plötzlich aufgetretenen Hindernisses auf der Autobahn notwendig geworden. Der dabei eingetretene Schaden am Fahrerhaus sei daher als Unfall- und nicht als Betriebsschaden zu qualifizieren.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es gehe hier um ein durch einen - wenn auch geringfügigen - Unfall überlagertes Bremsereignis, das nach den Feststellungen den Schaden alleine noch nicht ausgelöst hätte, und damit (um) den Beweis des Vorliegens eines versicherten Unfallschadens, der als gelungen anzusehen sei. Es dürfe nicht übersehen werden, dass ungeachtet des sich aus dem Frontschaden des LKW abgeleiteten geringen Anstoßes an der Leitschiene bei (einem) derartigen Unfallgeschehen weitere unwägbare Kräfte entstünden, die im Einzelnen gar nicht nachvollzogen werden könnten; so schon die durch das Außerkontrollegeraten des LKW-Zuges und im Zuge des Abfangens und Anstoßens an die Leitschiene frei werdenden Fliehkräfte. Der Oberste Gerichtshof habe auch ein Ereignis als Unfall qualifiziert, bei dem anlässlich der Vollbremsung zur Vermeidung eines Frontalzusammenstoßes der ebenfalls kaskoversicherte Anhänger durch Querstellen und Anprall an das Zugfahrzeug einen Schaden herbeigeführt habe (VersR 1978, 384). An dieser Ansicht, dass dabei ein Unfall und kein Bremsschaden vorliege, habe der Oberste Gerichtshof trotz Kritik aus der deutschen Lehre festgehalten (7 Ob 37/95). Auf die in erster Instanz eingewendete Leistungsfreiheit des Versicherers zufolge nicht ordnungsgemäßer Verwahrung des Ladegutes komme die Beklagte in ihrer Berufung nicht zurück, sodass darauf nicht mehr eingegangen werden müsse.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird.

Die Klägerin bekämpft primär die Zulassung der ordentlichen Revision und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision der Beklagten ist mangels erheblicher Rechtsfragen - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend (§ 508a Abs 1 ZPO) - unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die Beklagte zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf ihren Berufungsschriftsatz verweist und damit ihre Berufungsausführungen auch zum Vorbringen in der Revision erheben will, muss dies wirkungslos bleiben (SZ 69/209 mwN; 10 ObS 239/00w uva). Ein solcher Hinweis ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung unzulässig und einer Verbesserung nicht zugänglich (RIS-Justiz RS0043579; zuletzt: 1 Ob 170/00g; 6 Ob 324/00s; 7 Ob 76/01d).

Nicht weiter einzugehen ist auch auf die Revisionsausführungen, die lediglich eine "Betriebsbremsung" zugrunde legen und sich damit von den Feststellungen der Vorinstanzen entfernen, wonach ein "abruptes Bremsmanöver", also eine Notbremsung eingeleitet wurde, wobei der Lenker des LKW-Zuges die Herrschaft über das Fahrzeug verlor und mit der rechten vorderen LKW-Begrenzung gegen die Leitschiene stieß.

Gleiches gilt für die Überlegung, dass ein Betriebsschaden nicht "im weiteren Verlauf" bedingt durch einen geringfügigen Anstoß an die "Leitlinie" zu einem Unfallereignis "mutieren" könne (Seite 5 der Revision), weil feststeht, dass der gegenständliche Schaden nicht vor, sondern erst nach dem Anstoß an die Leitschiene entstanden ist.

Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass die Rechtsfrage schon deshalb erheblich wäre, weil "gerade die Höhe des durch die am Anhänger befestigte Ladung an der Zugmaschine eingetretenen Schadens", und die dadurch herbeizuführende Klärung der Frage, wann ein Bremsschaden und wann ein Unfallsschaden vorliege, auch "für die zukünftige Handhabung derartiger Vorfälle" von erheblicher Bedeutung sei. Worin hier tatsächlich die erhebliche Rechtsfrage liegen sollte, wird mit der zitierten Formulierung nämlich gar nicht aufgezeigt (RIS-Justiz RS0102181; RS0110702; zuletzt 7 Ob 37/01v).

Soweit die Revision aber - mit dem Berufungsgericht - die Meinung vertritt, dass zu "dieser Rechtsfrage" (gemeint offenbar: Unfallschaden oder Betriebs- bzw Bremsschaden) eine einheitliche gesicherte Rechtsprechung nicht vorliege, und dass die Entscheidung 7 Ob 37/95 (ZVR 1997/94 = VR 1996/420 = VersE 1674 = VersR 1997, 519) mit dem gegenständlichen Fall "nicht wirklich" vergleichbar sei, setzt sie sich damit offenbar nicht ausreichend auseinander. Die Revisionswerberin stützt ihre - von der Beurteilung der Vorinstanzen abweichende - Auffassung, dass hier ein "in erster Linie innerer Vorgang" vorliege, weil Kollisionen von Zugmaschinen und Anhängern beim Abbremsen oder auch bei Schleudervorgängen keine von außen wirkenden Ereignisse und damit keine Unfälle seien, nämlich lediglich auf die "deutsche Lehre und Rechtsprechung" für die eine einzige Belegstelle "(LG Osnabrück, ZfS 84, 53)" zitiert wird, und verschweigt, dass sich der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung (7 Ob 37/95) nicht nur mit der Definition des Unfallschadens bzw seiner Abgrenzung von "Brems-, Betriebs- und reinen Bruchschäden" nach Art 1.1.6 AKB 1986 (im hier relevanten Bereich wortgleich mit dem anzuwendenden Art 1 Punkt 1.1.2 der AKKB 1995), sondern auch mit der deutschen Lehre und Rechtsprechung zu dieser Frage bereits beschäftigt hat.

Der erkennende Senat ist in dieser Entscheidung - neben dem dort behandelten Sachverhalt - ausdrücklich auch auf den Fall einer Notbremsung zur Vermeidung eines Frontalzusammenstoßes eingegangen und hat dazu festgehalten, dass ein derartiges als Unfall qualifiziertes Ereignis, das die Beschädigung eines kaskoversicherten Anhängers durch Querstellen und Anprall an den Zugwagen bewirkte, bereits zu VersR 1978, 384 als Unfallschaden beurteilt worden sei. Bei seiner - neuerlichen - Prüfung dieser mit dem vorliegenden Schaden "vollkommen vergleichbaren" (S 2 unten der Revisionsbeantwortung) Fallkonstellation (nämlich der Beschädigung des Zugfahrzeuges durch den Anhänger) hat der Oberste Gerichtshof in 7 Ob 37/95 folgenden Standpunkt vertreten: Der Rechtsprechung einiger deutscher Gerichte, dass Beschädigungen der Zugmaschine durch den Anhänger (oder umgekehrt) keine von außen wirkende Ereignisse und damit keine Unfälle seien, werde in Prölss/Martin VVG25, 1480 zu Recht entgegengehalten, dass es fraglich sei, ob sich dies den (insoweit vergleichbaren) deutschen Versicherungsbedingungen (AKB) nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, auf das nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen abzustellen sei, wirklich entnehmen lasse. Zugmaschine und Anhänger bzw Auflieger seien versicherungsvertraglich getrennte Versicherungsobjekte, die unabhängig voneinander versichert werden könnten. Die Einwirkung des einen auf das andere Versicherungsobjekt sei eine solche von außen und damit ein Versicherungsfall. Dies werde durch den Begriff des Betriebsschadens nicht hinreichend deutlich ausgeschlossen..... Der erkennende Senat sehe daher trotz der Ablehnung der Entscheidung VersR 1978, 384 in Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung16, RN 80 zu § 12 der deutschen AKB - weil nämlich ein Bremsschaden und kein Unfallschaden vorliege - keinen Anlass, von der Ansicht abzugehen, dass ein durch Querstellen oder Kippen der Zugmaschine oder des Anhängers hervorgerufener Schaden am Anhänger oder an der Zugmaschine als Unfallschaden zu qualifizieren sei, wenn dieser Vorgang auf einen Unfall zurückzuführen sei (für eine Auslegung der Versicherungsbedingungen in diesem Sinne spricht nunmehr auch die dahin geänderte - vom BGH gebilligte - Rsp des OLG Hamm [Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung17, RN 90 zu § 12 der deutschen AKB]).

Im vorliegenden Fall räumt die Beklagte auch in der Revision ausdrücklich ein, dass das Touchieren des Zugfahrzeues mit der "Leitlinie" (gemeint: Leitschiene) "zweifelsfrei" einen Unfall darstellte (S 5 der Revision). Wenn das Berufungsgericht die Deckungspflicht der Beklagten für den danach durch die am Anhänger befestigte Ladung verursachten Schaden bejahte, konnte es sich daher auf die dargestellte - mittlerweile von Prölss/Martin VVG26 Rz 48 zu § 12 AKB, 1574 sogar ausdrücklich gebilligte und in der Neuauflage von Stiefel/Hofmann (Kraftfahrtversicherung17, RN 89 f zu § 12 der deutschen AKB) auch nicht mehr kritisierte - Rechtsprechung des erkennenden Senates stützen (RIS-Justiz RS0081150); liegt doch der Unterschied zwischen der bereits behandelten Fallgestaltung und dem vorliegenden Sachverhalt nicht in der auch hier erfolgten verkehrsbedingten Notbremsung und ihren Folgen (Schleudern des LKW-Zuges und Anprall des Anhängers [bzw seiner Ladung] an das Zugfahrzeug), sondern - wie auch die Revision erkennt - lediglich darin, dass die abrupte Bremsung hier nicht eine Frontalkollision, sondern einen Auffahrunfall nach einer Massenkarambolage auf der Autobahn verhindert hat. Der abschließende Hinweis der Revisionswerberin, es handle sich auch bei der Entscheidung 7 Ob 2/77 (VersR 1978, 384 = ZVR 1978/24) um einen anders gelagerten Sachverhalt, weil dort ein vorschriftswidrig entgegenkommendes Kraftfahrzeug, dessen "Auftritt" zudem plötzlich erfolgt sei, "vorfallsverursachend" gewesen sei, vermag daher nicht zu überzeugen.

Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO liegt somit nicht vor, weil die Vorinstanzen einen durchaus vergleichbaren Fall behandelt und in Beachtung der Grundsätze der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entschieden haben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat zutreffend auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen.

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