OGH 5Ob84/01s

OGH5Ob84/01s24.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1.) Erika Z*****, 2.) Verein *****, beide vertreten durch Dr. Hans Günther Medwed und andere Rechtsanwälte in Graz, wider die Antragsgegnerin Mag. pharm. E. F***** KG, *****, vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Stipanitz‑Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, wegen Angemessenheit des begehrten Hauptmietzinses (§ 37 Abs 1 Z 8 MRG), über die Revisionsrekurse beider Seiten gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 13. Dezember 2000, GZ 3 R 173/00h‑54, womit der Sachbeschluss des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 13. Jänner 2000, GZ 6 Msch 124/96d‑38, ergänzt durch den Ergänzungssachbeschluss vom 29. Juni 2000, GZ 6 Msch 124/96d‑48, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2001:0050OB00084.01S.0424.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

 

Begründung:

 

Das Erstgericht stellte den angemessenen Hauptmietzins für das von der Antragsgegnerin gemietete Objekt mit S 104.105,‑- fest.

Das Rekursgericht ersetzte diesen Betrag durch den Betrag von S 86.962,77 und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 130.000,‑- übersteigt. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig, weil keine Rechtsprechung dazu bestehe, ob Apotheken zu ertragsschwachen Nahversorgungsunternehmen zählen.

Die gegen diese Rekursentscheidung erhobenen Revisionsrekurse beider Seiten sind unzulässig.

Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 528 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz, § 528a ZPO, § 37 Abs 3 Z 16 MRG).

Rechtliche Beurteilung

Zum Revisionsrekurs der Antragsteller:

Bei der Beurteilung der Angemessenheit des Mietzinses handelt es sich um eine Rechtsfrage, die vom Richter - und nicht vom Sachverständigen - zu lösen ist. Die Ermittlung des üblichen Mietzinses - als Orientierungshilfe für die Angemessenheitsprüfung - gehört hingegen zur Tatfrage, zu deren Lösung der Richter auf die Hilfe eines Sachverständigen zurückgreifen kann. Dessen Bewertungsergebnis und die Aufgabenadäquanz der von ihm gewählten Methode sind vom Gericht frei zu würdigen. Letztlich ist es gemäß § 273 ZPO der freien Überzeugung des Richters überlassen, den im konkreten Fall "angemessenen" Mietzins zu bestimmen (5 Ob 294/98s = MietSlg 50.325 mwN; RIS‑Justiz RS0111105, RS0069559).

Ob Lage und Größe des konkreten Mietobjektes ausreichend berücksichtigt wurden, hat keine über die besonderen Umstände des Einzelfalles hinausgehende Bedeutung. Mit seiner Abweichung vom Ergebnis des Erstgerichts (und des Sachverständigen) zu Gunsten der Antragsgegnerin hat das Rekursgericht die Grenzen des ihm bei der Beurteilung der Angemessenheit des Mietzinses zustehenden Spielraumes nicht überschritten. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung liegt nicht vor.

Zum Revisionsrekurs der Antragsgegnerin:

Zur Berücksichtigung der Art der im Mietgegenstand ausgeübten Geschäftstätigkeit gemäß § 12a Abs 2 MRG liegt - beginnend mit 5 Ob 109/97h = SZ 70/74 - eine umfangreiche Rechtsprechung des erkennenden Senates vor (RIS‑Justiz RS0107998, RS0107999), an deren Grundsätzen sich das Rekursgericht orientiert hat. Danach soll die Mietzinsreduzierung gemäß § 12a Abs 2 MRG zunächst einmal nicht die Existenz bestimmter Personen, sondern bestimmter Branchen am konkreten Standort ermöglichen. Auch bei den Branchen ist jedoch nach sozialen Gesichtspunkten zu differenzieren. Mit dem dehnbaren Begriff Art der Geschäftstätigkeit sollte offensichtlich ein Beurteilungsspielraum geschaffen werden, der es ermöglicht, die Mietzinsreduzierung nur den typischerweise ertragsschwachen Branchen zugutekommen zu lassen und unter diesen wiederum nur jenen, die selbst - wie etwa die Nahversorger - eine vom Gesetzgeber als schützenswert anerkannte soziale Aufgabe in den Versorgungsstrukturen des betreffenden Gebietes erfüllen. Neben die dem Tatsachenbereich zuzuordnende Beurteilung, ob es sich um eine "ertragsschwache" Branche handelt, tritt somit als zweites notwendiges Element die der rechtlichen Beurteilung unterliegende soziale Komponente, welche grundsätzlich dann gegeben ist, wenn die Versorgung der Bevölkerung mit Sachgütern und Dienstleistungen des täglichen Lebens durch den konkreten Geschäftszweck gesichert werden soll. Wird jedoch dieser Kreis der "Nahversorger" verlassen, bedarf es konkreter Anhaltspunkte für eine besondere Schutzwürdigkeit der betreffenden Branche (5 Ob 129/99b = WoBl 2000/9 = MietSlg 51.271).

Auch in der Frage, ob die vom Mieter im Mietobjekt ausgeübte Geschäftstätigkeit der Nahversorgung im engeren Sinn zuzurechnen ist, wird den Gerichten ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der die Möglichkeit einer Anrufung des Obersten Gerichtshofes gemäß § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 528 Abs 1 ZPO auf die Korrektur grober Beurteilungsfehler einschränkt (5 Ob 108/00v = immolex 2000/198). Hingegen ist es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofes, für jede einzelne Branche zu untersuchen, ob eine Mietzinsreduktion gemäß § 12a Abs 2 MRG möglich ist.

Im vorliegenden Fall spricht zunächst schon das Vorbringen der Rechtsmittelwerberin, sie erziele im Durchschnitt etwa einen Gesamtjahresumsatz von netto S 17 Mio und liege damit knapp unter der österreichischen Durchschnittsapotheke, sie habe den Betrieb um den üblichen Kaufpreis für Apotheken von ca 100 % des Umsatzes erworben, gegen die mangelnde Ertragskraft der Branche. Wirtschaftlich vernünftiges Handeln unterstellt ist nicht anzunehmen, dass derart hohe Beträge aufgewendet werden, um sich in eine typischerweise ertragsschwache Branche einzukaufen. Darüber hinaus ist die Ansicht des Rekursgerichtes, die soziale Komponente im obigen Sinne sei nicht erfüllt, weil für die klaglose Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln schon die entsprechenden Bestimmungen des Apothekengesetzes (beispielsweise über die Bedarfsprüfung) sorgen würden, zumindest vertretbar. Eine krasse Fehlbeurteilung, die der Oberste Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit wahrnehmen müsste, liegt nicht vor.

Da es somit der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO nicht bedurfte, waren beide Revisionsrekurse - ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichtes ‑ als unzulässig zurückzuweisen.

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