OGH 1Ob282/00b

OGH1Ob282/00b27.2.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mario H*****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Mag. Marina Breitenecker, Dr. Christine Kolbitsch und Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 125.268,50 sA und Feststellung (Streitwert S 30.000) infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert S 125.268,50) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Juli 2000, GZ 14 R 90/00h-36, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 18. Jänner 2000, GZ 32 Cg 2/98v-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden - mit Ausnahme der unbekämpft gebliebenen Abweisung des Feststellungsbegehrens - aufgehoben; die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

In der Nacht vom 1. zum 2. 6. 1997 wurden die Mutter des Klägers und deren Kusine vom Ehemann der Mutter des Klägers in der (vormaligen) Ehewohnung in Wien durch Kopfschüsse getötet; danach verübte der Ehemann der Mutter des Klägers Selbstmord.

Bereits am 30. 3. 1996 hatte die Mutter des Klägers Anzeige gegen ihren Ehemann erstattet, weil es zu Handgreiflichkeiten gekommen war. Am 9. 4. 1996 erstattete sie erneut Anzeige gegen ihren Mann, weil sie dieser mit dem Umbringen bedroht habe. Diese Anzeige zog sie in der Folge zurück. Im Mai 1996 setzte der Ehemann der Mutter des Klägers dieser eine Pistole an den Kopf und drohte, sie umzubringen. Wegen dieses Vorfalls erstattete sie vorerst keine Anzeige. Im Juni oder Juli 1996 ohrfeigte sie ihr Ehemann, wobei ihr linkes Trommelfell verletzt wurde. Drei Monate nach diesem Vorfall erlitt die Mutter des Klägers durch einen Schlag ihres Ehemanns eine Verletzung des rechten Trommelfells. Etwa sechs Wochen vor Weihnachten 1996 schnitt ihr ihr Ehemann mit einem Küchenmesser die Fingerspitze des linken Ringfingers ab und in der Folge kam es immer häufiger zu Gewaltattacken des Ehemanns gegen sie. Am 25. 4. 1997 zog sie in ein Frauenhaus, nachdem ihr Ehemann ihrer Kusine telefonisch mitgeteilt hatte, seine Ehegattin werde "etwas erleben", wenn sie am Abend nach Hause komme. Am 2. 5. 1997 erstattete sie erneut Anzeige gegen ihren Ehemann, der am 12. 5. 1997 von der Polizei einvernommen wurde und die Attacken gegen seine Frau dabei in Abrede stellte. Am 16. 5. 1997 beantragte die Mutter des Klägers beim zuständigen Bezirksgericht die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO. Mit Beschluss vom 23. 5. 1997 wurde ihrem Ehegatten ab 30. 5. 1997 verboten, in die (vormalige) Ehewohnung zurückzukehren. Er übergab am 30. 5. 1997 dem Richter die Schlüssel zur Ehewohnung, die der Mutter des Klägers ausgehändigt wurden. Am 1. 6. 1997 suchte diese gemeinsam mit ihrer Kusine die Wohnung auf, um dort Nachschau zu halten.

Der Kläger erlitt durch den gewaltsamen Tod seiner Mutter eine posttraumatische Belastungsstörung, die eine psychotherapeutische Behandlung indizierte. Spät- oder Dauerfolgen liegen nicht vor.

Der Kläger begehrte den Ersatz der Kosten des Begräbnisses seiner Mutter, der Kosten des Verlassenschaftsverfahrens, Schmerzengeld für die durch den Tod seiner Mutter erlittenen seelischen Schmerzen und den Ersatz der Kosten der durch den Tod seiner Mutter erforderlich gewordenen psychotherapeutischen Behandlung im Gesamtbetrag von S 125.268,50. Weiters begehrte er die Feststellung, die beklagte Partei hafte ihm für alle aus dem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten bzw Unterlassen ihrer Organe nach der Anzeigeerstattung vom 2. 5. 1997 eingetretenen Schäden. Die zuständigen Sicherheitsorgane und auch der von seiner Mutter eingeschaltene Richter hätten es unterlassen, die Staatsanwaltschaft von der vom Ehemann der Mutter des Klägers ausgesprochenen gefährlichen Drohung, der massiven Körperverletzung und dem illegalen Schusswaffenbesitz zu informieren und so die Erlassung eines Haftbefehls wie auch die Durchführung einer Hausdurchsuchung verhindert. Weiters sei den Organen der beklagten Partei anzulasten, dass nicht sofort eine Wegweisung und ein Rückkehrverbot gemäß § 38a SPG erlassen und die einstweilige Verfügung nicht unverzüglich vollzogen worden sei. Bei pflichtgemäßem Vorgehen der Organe der beklagten Partei hätte sich der Ehemann der Mutter des Klägers zum Tatzeitpunkt in Haft befunden, weshalb die Unterlassungen auch für den vom Kläger erlittenen Schaden kausal seien.

Die beklagte Partei wendete ein, die Mutter des Klägers habe sich bei Erstattung der letzten Anzeige bereits im Frauenhaus aufgehalten, und es sei deshalb nicht notwendig gewesen, eine Maßnahme gemäß § 38a SPG zu treffen. Die einstweilige Verfügung sei unverzüglich erlassen worden, und der Ehemann der Mutter des Klägers habe die Wohnungsschlüssel auch am 30. 5. 1997 abgegeben. Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Haft seien nicht vorgelegen, die Bedrohung mit einer Waffe sei zeitlich schon lange zurückgelegen. Die den Organen der beklagten Partei möglichen Handlungen hätten den Mord nicht verhindern können.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren des Klägers statt und wies das Feststellungsbegehren ab. Es vertrat die Ansicht, die zuständigen Beamten der Sicherheitsbehörde hätten es unterlassen, die Staatsanwaltschaft von den massiven Drohungen und den Körperverletzungen der Mutter des Klägers durch deren Ehemann zu informieren. Bei gehöriger Information hätte der Untersuchungsrichter gemäß § 175 StPO die Verwahrungshaft verhängen können. Dem Feststellungsbegehren komme allerdings keine Berechtigung zu, weil eine relevante psychopathologische Symptomatik über das Ende des Jahres 1999 hinaus nicht bestehe und eine weitere Behandlung nicht erforderlich erscheine.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands S 52.000, nicht aber S 260.000 übersteige; die ordentliche Revision sei zulässig. Der Mord wäre auch bei pflichtgemäßem Handeln der Organe der beklagten Partei nicht unterblieben. Die unterbliebene Verhängung der Untersuchungshaft sei nicht unvertretbar gewesen. Da die Haushalte der Bedrohten und des "Drohers" getrennt gewesen seien und ein Wegweiseverfahren eingeleitet gewesen sei, habe man die Wiederholungs- bzw Ausführungsgefahr verneinen dürfen. Die zu vollziehende einstweilige Verfügung sei ein gelinderes Mittel im Sinne des § 180 Abs 4 und 5 StPO zur Abwehr einer allenfalls anzunehmenden Ausführungsgefahr gewesen. Auch die Unterlassung einer Hausdurchsuchung - zur Auffindung allfälliger illegaler Waffen - sei vertretbar gewesen, denn es sei kein Hinweis auf die aktuelle Aufbewahrung einer Waffe vorgelegen und habe kein Anhaltspunkt dafür bestanden, dass der Ehegatte der Mutter des Klägers die Mordwaffe zu Hause aufbewahrt habe. Selbst bei Auffindung der Pistole im Zuge einer Hausdurchsuchung sei aber davon auszugehen, dass die Tat dann eben mit einem anderen Tatwerkzeug begangen worden wäre. Insgesamt erweise sich die Nichtanwendung strafprozessualer Zwangsmittel daher nicht als rechtswidrig; dieser Umstand sei auch nicht Ursache für die Tötung der Mutter des Klägers gewesen. Das Feststellungsbegehren scheitere schon am mangelnden rechtlichen Interesse des Klägers.

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist zum Umfang der Anfechtung Stellung zu nehmen: Wenngleich der Kläger nach dem Inhalt der Revisionserklärung das Urteil des Gerichts zweiter Instanz "zur Gänze" anficht (S 2 der Revision), stellt er im Revisionsantrag (S 8 der Revision) klar, dass er die Abweisung des Feststellungsbegehrens nicht bekämpft. Demnach ist nur mehr das Leistungsbegehren Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, eine Prüfung der Frage, ob die Sicherheitsbehörden die Anzeigeerstattung unterlassen hätten oder ob die Staatsanwaltschaft, sollte eine solche Anzeige erstattet worden sein, weder einen Haft- noch einen Hausdurchsuchungsbefehl beantragt habe, sei nicht erforderlich; es sei nämlich nicht Aufgabe des Amtshaftungsverfahrens, herauszufinden, welche von mehreren Behörden, für die die beklagte Partei einzustehen habe, die letztlich schadensstiftende Unterlassung "gesetzt" habe. Da die Unterlassung der Hausdurchsuchung zur Auffindung der Pistole bzw das Absehen vom Haftbefehl gegen den späteren Mörder durch die gerichtlichen Organe vertretbar gewesen sei, sei eine Haftung der beklagten Partei gemäß § 1 Abs 1 AHG zu verneinen. Hiezu ist auszuführen:

Gemäß § 1 Abs 1 AHG haftet unter anderem der Bund nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als seine Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben. Den Beamten der Sicherheitsbehörde (hier den in zwei verschiedenen Kommissariaten der Bundespolizei tätigen Bediensteten) wirft der Kläger vor, sie hätten die Staatsanwaltschaft nicht oder zumindest nur ungenügend informiert, was dazu geführt habe, dass kein Haftantrag bzw kein Antrag auf Durchführung einer Hausdurchsuchung gestellt worden sei. Wenngleich bloßes Unterlassen in der Regel nicht verantwortlich macht, ist eine Unterlassung dann rechtswidrig und kann Schadenersatzverpflichtungen zur Folge haben, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand (Schragel, AHG2 Rz 130). Das ist jedenfalls insoweit zu bejahen, als die Sicherheitsbehörde dazu verpflichtet war, die Anzeigen der Mutter des Klägers an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Wurde dieser Verpflichtung nicht entsprochen, so könnte sich der beklagte Rechtsträger von seiner Haftung nur dadurch befreien, dass er mangelndes Verschulden dieser Organe nachwiese oder die Kausalität der Pflichtwidrigkeit ernstlich zweifelhaft machte (SZ 60/33; Schragel, AHG2 Rz 168). Im vorliegenden Fall müsste die beklagte Partei daher den Beweis erbringen, dass die Staatsanwaltschaft keinen Haftantrag gestellt bzw der Untersuchungsrichter die Haft nicht verhängt hätte, selbst wenn die Anzeige ordnungsgemäß weitergeleitet worden wäre. Ein solcher Beweis ist aber nicht erbringbar (vgl SZ 62/73; SZ 61/231), sodass in diesem Fall die beklagte Partei für die Unterlassung der Sicherheitsbehörden einzustehen hatte.

Gleiches gilt, sollte es die Staatsanwaltschaft unterlassen haben, sich überhaupt mit der an sie weitergeleiteten Anzeige auseinanderzusetzen, bzw für den Fall, dass der Untersuchungsrichter einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der Haft oder auf Durchführung einer Hausdurchsuchung keiner angemessenen Erledigung zugeführt hätte. Derlei Unterlassungen sind indes in Wahrheit nicht festgestellt:

Das Erstgericht hat zwar im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - allerdings ohne jedes Tatsachensubstrat und auch gar nicht weiter begründet - "festgestellt", die "zuständigen Beamten" (der Sicherheitsbehörden) hätten es "eindeutig unterlassen", der Staatsanwaltschaft "von den massiven Drohungen und den Körperverletzungen" durch den Ehemann der Mutter des Klägers "zu berichten" (S 16 seines Urteils), doch bekämpfte der beklagte Rechtsträger in seiner Berufung gerade diese "Feststellung" ausdrücklich, und das Gericht zweiter Instanz räumte ein, nach der Aktenlage wäre namentlich die Feststellung, dass die Staatsanwaltschaft am 12. Mai 1997 von der neuerlichen Anzeige der Mutter des Klägers verständigt worden sei, möglich gewesen (S 12 seines Urteils). Aus rechtlichen Erwägungen hielt das Berufungsgericht diese von der beklagten Partei angegriffene "Feststellung" indes für unerheblich. Dieser Schluss ist jedoch - wie schon erörtert - verfehlt, weil die unterlassene Weiterleitung der Anzeige an die Staatsanwaltschaft die Haftung des beklagten Rechtsträgers jedenfalls begründen würde.

Anders wäre der Fall zu beurteilen, sollte im fortgesetzten Verfahren festgestellt werden, dass die Sicherheitsbehörde zumindest die letzte Anzeige der Mutter des Klägers an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet habe: In diesem Fall wäre es an diesem Organ gelegen, zu prüfen, ob die ihm vorgelegte Anzeige einen Haftantrag wegen Ausführungsgefahr rechtfertigte, ob also nach den sogenannten "inneren Tatsachen", d.h. den Charaktereigenschaften und den Wesenszügen des Verdächtigen, eine solche Gefahr anzunehmen war. War zu befürchten (wofür die bloß abstrakte Möglichkeit nicht ausreicht - SSt 43/57), dass der Verdächtige ohne Verhängung der Haft und ungeachtet des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens seine gefährliche Drohung (hier: Tötung seiner Frau) wahrmachen werde, so wäre ein solcher Haftantrag gerechtfertigt gewesen. Insoweit ist den Organen der Rechtspflege (Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter) kein freies Ermessen eingeräumt, sondern muss bei Zutreffen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Haftantrag gestellt und die Haft angeordnet werden (SZ 62/73 mwN in einem ähnlich gelagerten Fall).

Der Staatsanwalt ist, wird er mit einer sicherheitsbehördlichen Anzeige konfrontiert, zum Handeln verpflichtet, doch gibt ihm die Strafprozessordnung mehrere Handlungsmöglichkeiten an die Hand, von denen er - dem an ihn herangetragenen Sachverhalt entsprechend - Gebrauch machen muss: Diese sind Verfolgungsschritte in Verbindung mit dem Antrag auf Verhängung der U-Haft bzw unter Belassung des Verdächtigen auf freiem Fuß oder die Zurücklegung der Anzeige, in den beiden ersteren Fällen allenfalls auch in Verbindung mit dem Antrag auf Durchführung einer Hausdurchsuchung zur Auffindung und Beschlagnahme der Pistole.

§ 180 StPO regelt zwar die Verhängung (bzw Fortsetzung) der Untersuchungshaft nur unter dem Gesichtspunkt, unter welchen Voraussetzungen die Haft verhängt werden darf, doch kann es nicht zweifelhaft sein, dass die Haft - liegen die Voraussetzungen für sie vor - auch verhängt werden muss. Sofern es sich - was hier gar nicht in Frage steht - nicht um ein Verbrechen handelt, bei dem nach dem Gesetz auf mindestens 10-jährige Freiheitsstrafe zu erkennen ist (§ 180 Abs 7 StPO), darf die Untersuchungshaft nur verhängt werden, wenn ein entsprechender Antrag des Staatsanwalts vorliegt, entweder die Voruntersuchung eingeleitet oder die Anklageschrift oder der Strafantrag eingebracht worden ist, ein dringender Tatverdacht und entweder Flucht-, Verdunkelungs-, Tatbegehungs- oder, was im vorliegenden Fall allein von Bedeutung ist, Ausführungsgefahr gegeben ist (vgl Foregger/Fabrizy, StPO8 § 180 Anm 1 und 2). Liegen diese Voraussetzungen vor, so hat der Staatsanwalt die Verhängung der Untersuchungshaft zu beantragen, und der Untersuchungsrichter einem solchen Antrag zu entsprechen. Andernfalls handelte das Organ rechtswidrig.

Selbst rechtswidriges Organverhalten hat für sich allein noch nicht die Amtshaftung des Rechtsträgers zur Folge: Auch ein als rechtswidrig zu beurteilendes Verhalten muss noch nicht schuldhaft sein. Insbesondere dann, wenn das für den Rechtsträger zum Handeln verpflichtete Organ rasche Entschlüsse in einer nur schwer durchschaubaren Situation fassen musste oder hätte fassen müssen, kann nicht schon jedes - ex post als rechtswidrig erkanntes - Verhalten auch schon als schuldhaft beurteilt werden. Es kommt stets darauf an, ob die vom Organ getroffene Entscheidung bei pflichtgemäßer Überlegung als vertretbar anzusehen ist (Schragel, AHG2 Rz 147 mwN). Gleiches muss auch auch für den Fall gelten, dass der Untersuchungsrichter die Verhängung der Untersuchungshaft (oder die Durchführung der Hausdurchsuchung in der Wohnung des Ehegatten der Mutter des Klägers) abgelehnt haben sollte.

Ob das Verhalten der Organe der Strafrechtspflege, sollten sie - was erst festzustellen sein wird - überhaupt eingeschaltet worden sein, rechtmäßig oder aber wenigstens vertretbar war, kann auf Grund der unzureichenden Feststellungen der Vorinstanzen noch nicht verlässlich beurteilt werden. Es bedarf hiezu einer präzisen Darstellung der zeitlichen Abfolge des streitrelevanten Geschehens; insbesondere wird auch klarzustellen sein, ob der Staatsanwalt bzw der Untersuchungsrichter bei seiner Entscheidung bereits in Kenntnis der Ergebnisse des gerichtlichen Sicherungsverfahrens war, und ob sich ihm der dringende Verdacht aufdrängen musste, dass der Täter nach wie vor über eine Faustfeuerwaffe verfügte bzw, dass er die gegen seine Ehefrau gerichtete Morddrohung wahrmachen werde.

Es bedarf auch der näheren Verifizierung der der Mutter des Klägers zugefügten Fingerverletzung. In ihrer Scheidungsklage brachte diese nämlich vor, sie sei in den Finger geschnitten worden, im Arztbefund vom 9. Mai 1997 (S 27 des Scheidungsakts) ist auch nur von einer Schnittwunde am Endglied des Fingers die Rede, und nur die Anzeige vom 12. Mai 1997 enthält den Vorwurf des Abschneidens der Fingerspitze.

Das Erstgericht wird den Sachverhalt insoweit nach Erörterung mit den Parteien zu klären, zu verbreitern und erst danach neuerlich die Rechtmäßigkeit bzw die Vertretbarkeit des beanstandeten Organverhaltens zu beurteilen haben.

Dem Sicherungsrichter kann hingegen die unterbliebene Anzeige an den Staatsanwalt (§ 84 StPO) schon deshalb nicht zur Last gelegt werden, weil ihm die - mit dem Vorbringen im Sicherungsverfahren inhaltsgleiche - Anzeige der Mutter des Klägers an die Sicherheitsbehörde vorlag und er darauf vertrauen durfte, dass diese die Anzeige an die Staatsanwaltschaft schon weitergeleitet habe oder jedenfalls noch weiterleiten werde.

Zu den geltend gemachten Ersatzansprüchen des Klägers, über die nur bei Bejahung eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens von Organen des beklagten Rechtsträgers zu befinden sein wird, ist angesichts des gegenwärtigen Verfahrensstands nur wie folgt Stellung zu nehmen:

Die vom Kläger geltend gemachten Schäden (Begräbniskosten, Kosten des Verlassenschaftsverfahrens sowie die Kosten einer Psychotherapie) und das für erlittenes seelisches Ungemach begehrte Schmerzengeld sind im Amtshaftungsweg nur insoweit ersatzfähig, als sie aus den §§ 1325 und 1327 ABGB abgeleitet werden können:

Die der Höhe nach außer Streit gestellten Begräbniskosten sind nur so weit zu ersetzen, als sie der Kläger tatsächlich getragen hat. Die Kosten des Verlassenschaftsverfahrens sind nicht ersatzfähig (ZVR 1980/240; SZ 45/25; aA Reischauer in Rummel, ABGB2 § 1327 Rz 10, der allerdings die gemachte Erbschaft als Vorteil anrechnen will). Die Kosten der Psychotherapie sind Heilungskosten, soweit die seelische Erkrankung adäquat kausal auf den Tod der Mutter zurückzuführen ist; der Höhe nach steht der Therapieaufwand ebenso wie die Begräbniskosten außer Streit.

Gleiches gilt auch - worauf schon das Gericht zweiter Instanz zutreffend hinwies - für das geltend gemachte Schmerzengeld:

Kein Schmerzengeld gebührt für seelische Schmerzen, die nicht die Folge einer körperlichen Verletzung sind (SZ 47/147 ua). Unter einer Körperverletzung ist jedoch jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen. Diese Beeinträchtigung muss sich nicht in äußerlich sichtbaren Verletzungen manifestieren, sondern es genügen auch massive Einwirkungen in die psychische Sphäre (zB die Herbeiführung eines psychischen Schocks). Dagegen kann eine sich nur in Unbehagen und Unlustgefühlen äußernde psychische Beeinträchtigung nicht der Annahme einer "Verletzung am Körper" gleichgehalten werden; derartige Folgen erfüllen die Anspruchsvoraussetzungen des § 1325 ABGB nicht (ZVR 2000/44 uva).

Es muss sich somit um massive Einwirkungen in die psychische Sphäre im Sinne einer Störung innerer Lebensvorgänge handeln. Diese Einwirkungen stellen insbesondere dann eine körperliche Verletzung im Sinne des § 1325 ABGB dar, wenn sie mit körperlichen Symptomen einhergehen, die als Krankheit anzusehen sind (ZVR 1995/46 mwN). Eine derartige massive psychische Beeinträchtigung ist etwa anzunehmen, wenn aus ärztlicher Perspektive die Behandlung der psychischen Störung geboten ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn nicht damit gerechnet werden kann, dass die Folgen der Beeinträchtigung von selbst abklingen oder wenn gar zu befürchten ist, dass ohne ärztliche Behandlung eine dauernde gesundheitliche Störung zurückbleibt (9 Ob 36/00k; ZVR 1997/75; ZVR 1995/46 ua; vgl dazu insbesondere Danzl, Schmerzengeldansprüche für Angehörige der Opfer des Unglücks von Kaprun? in ZVR 2000, 398; Harrer in Schwimann, ABGB2 § 1327 Rz 5 bis 8; Reischauer aaO § 1327 Rz 4, 7 und 10 jeweils mwN).

Nach diesen Grundsätzen werden die eingeklagten Ersatzansprüche bei Bejahung adäquat kausalen schuldhaft rechtswidrigen Verhaltens von Organen des beklagten Rechtsträgers im fortgesetzten Verfahren zu beurteilen sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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