OGH 9ObA348/00t

OGH9ObA348/00t14.2.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Hermann Weber und Ignaz Gattringer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Miodrag L*****, Kraftfahrer, ***** vertreten durch Dr. Evamaria Sluka-Grabner, Rechtsanwältin in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Franz S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwältin in Berndorf, wegen S 109.074,52 brutto und S 7.030,76 netto sA (Revisionsinteresse S 107.368,15 brutto und S 4.347,86 netto), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Oktober 2000, GZ 9 Ra 206/00f-13, womit das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Mai 2000, GZ 4 Cga 227/99t-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bereits im Ersturteil in Rechtskraft erwachsenen stattgebenden Teils insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 109.074,52 brutto und S 7.037,76 netto, jeweils samt 8 % Zinsen seit 1. 9. 1999 zu zahlen und die mit S 30.559,20 (darin S 3.953,20 Umsatzsteuer und S 6.480,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit S 24.965,68 (darin S 2.394,28 Umsatzsteuer und S 10.600,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.362,-- (darin S 1.352,-- Umsatzsteuer und S 13.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 21. 9. 1993 bis zu seiner Entlassung am 31. 8. 1999 bei der Beklagten, einem Transportunternehmen, als Kraftfahrer beschäftigt. Bis unmittelbar vor dem Entlassungstag war der in B***** wohnhafte Kläger mit einem kleineren Zustellfahrzeug vorwiegend im Raum Wiener Neustadt, Breitenau und Wien im Einsatz. Seine Tätigkeit war nicht mit Nächtigungen verbunden.

Kurze Zeit vor der Entlassung fand bei der Beklagten eine Umstrukturierung dahin statt, dass sie die Transporttätigkeit mit dem bisherigen Zustellfahrzeug des Klägers zur Gänze einstellen musste, ihr es jedoch gleichzeitig gelang, eine neue Geschäftsbeziehung zur Fa. S***** in W***** einzugehen. Diese neue Geschäftsbeziehung brachte es - neben dem Erwerb eines Spezialfahrzeuges mit Schlafkabine, Standheizung etc - mit sich, dass sich die Beklagte gegenüber S***** verpflichtete, mit diesem neuen Fahrzeug an bestimmten Tagen im Bereich von Wien und Niederösterreich Transporte für S***** durchzuführen. Die Beklagte betraute den Kläger mit diesen Transporten; er sollte nur mehr mit dem neuen Spezialfahrzeug fahren. Der Kläger wurde vom Geschäftsführer der Beklagten dahin belehrt, dass er die Zustellungen an den von S***** vorgegebenen Terminen einzuhalten habe; sollte es ihm nicht möglich sein, sämtliche Zustellungen an einem Tag vorzunehmen, habe er in dem neuen, mit einer Schlafkabine ausgestatteten Fahrzeug zu nächtigen, um dann die noch fehlenden Zustellungen gleich in der Früh zwischen 6 und 7 Uhr - noch vor Geschäftsöffnung der Kunden S***** - abzuschließen. Zur Abgeltung fallweiser Nächtigungen wurde dem Kläger eine wöchentliche Nächtigungsgebühr von S 200 netto gezahlt. Der Kläger nahm die Ankündigung der Beklagten zunächst widerspruchslos zur Kenntnis. Er erhob gegen derartige Nächtigungen keine Einwendungen, insbesondere auch nicht aus gesundheitlichen oder familiären Gründen. Vor dem 31. 8. 1999 führte er einen einzigen Probetransport mit dem neuen Spezialfahrzeug durch, der jedoch mit keiner Nächtigung verbunden war.

Am 31. 8. 1999 sollte der Kläger den ersten regulären Transport für S***** durchführen. Die Beladung des Fahrzeuges nahm er um 7 Uhr vor. Um 8 Uhr telefonierte er mit dem Geschäftsführer der Beklagten und wies darauf hin, dass die geplanten 15 Kommissionen ein "Wahnsinn" seien. Der Geschäftsführer beruhigte ihn, es komme vorerst nur darauf an, die Zustellungen vorzunehmen, die Retourfracht könne der Kläger "vergessen". Falls sich allerdings die Zustellungen am selben Tag nicht mehr ausgehen, müsse der Kläger im Fahrzeug nächtigen und die restlichen Zustellungen am folgenden Morgen vornehmen. Der Kläger bemerkte darauf, dass das ein "Witz" sei, und dass sich das nicht ausgehe, er müsse bis Laa an der Thaya fahren. Der Geschäftsführer blieb jedoch bei seiner Anordnung, dass Kunden, die nicht mehr am selben Tag beliefert werden können, am folgenden Morgen zwischen 6 und 7 Uhr beliefert werden müssen. Der Kläger erwiderte, "das werden wir schon sehen". Der Geschäftsführer wies hierauf den Kläger darauf hin, dass er mit einer Entlassung rechnen müsse, wenn er der Anordnung nicht entspreche. Der Kläger trat danach die Fahrt an.

Gegen 17,40 Uhr informierte der Kläger die Lebensgefährtin des Geschäftsführers telefonisch, dass noch 4 Kommissionen in Zistersdorf, Gänserndorf und Laa an der Thaya offen seien; es sei ihm aber nicht mehr möglich, diese Stationen anzufahren, er fahre daher jetzt nach Hause. Auf den Hinweis, er dürfe nicht nach Hause fahren, sondern habe (im Fahrzeug) zu nächtigen und die Zustellungen am folgenden Morgen durchzuführen, erwiderte der Kläger, dass er nicht auswärts schlafe. Auf den weiteren Hinweis, dass er dann aber mit der Entlassung rechnen müsse, reagierte der Kläger, dass er doch versuchen werde, die Kunden anzufahren. Kurz nach 20 Uhr erreichte der Geschäftsführer den Kläger am Handy. Auf die Frage nach seinem aktuellen Standort, antwortete der Kläger, dass er auf dem Weg nach Hause sei und gab zu, die fehlenden 4 Kommissionen nicht mehr erfüllt zu haben. Hierauf sprach der Geschäftsführer die Entlassung des Klägers aus.

Der Kläger begehrt den Betrag von S 109.074,52 brutto und S 7.030,76 netto für Abfertigung, Urlaubsentschädigung, Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen und offenes Entgelt mit der Begründung, er sei von der Beklagten ungerechtfertigt entlassen worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass der Kläger gerechtfertigt entlassen worden sei, weil er gegen die Weisung, im Raum Mistelbach zu nächtigen, falls nicht sämtliche Zustellungen durchgeführt werden können, verstoßen habe. Der Kläger habe diese Weisung trotz Androhung der Entlassung missachtet und sei nach Hause gefahren.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, dem Kläger S 1.706,37 brutto und S 2.683,-- netto sA zu zahlen und wies das Mehrbegehren von S 111.716,01 brutto sA ab. Ausgehend von den eingangs der Revisionsentscheidung wiedergegebenen Feststellungen vertrat es die Rechtsauffassung, dass das Verhalten des Klägers einer Arbeitsverweigerung gleichkomme; er sei daher zu Recht entlassen worden. Die Klage sei nur soweit berechtigt, als restliche Lohnansprüche geltend gemacht werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Dem Kläger sei bereits vor dem 31. 8. 1999 in Aussicht gestellt worden, dass er bei Transporten für S***** fallweise in der Schlafkabine des angekauften Spezialfahrzeuges übernachten müsse. Er habe dies widerspruchslos zur Kenntnis genommen und keine Einwendungen erhoben. Auch am Entlassungstag sei er mehrfach auf die Verpflichtung, im Fahrzeug zu nächtigen, hingewiesen worden, falls nicht alle Zustellungen durchgeführt werden können. Der Kläger sei daher nicht von der Beklagten "überrumpelt" worden. Zu den Pflichten des Arbeitnehmers zähle auch die Befolgung der Anordnungen des Arbeitgebers, sofern sie durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigt seien. Eine solche Rechtfertigung liege nur dann nicht vor, wenn die Anordnung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers widerspreche oder ihre Befolgung aus besonderen Gründen für den Arbeitnehmer in Bezug auf die Gefährdung seiner Gesundheit nicht zumutbar wäre. Dies sei hier nicht der Fall. Die Nichtbefolgung einer durch den Gegenstand der Arbeitsleistung und die Besonderheit des Betriebs gerechtfertigten Anordnung des Arbeitgebers erfülle den Tatbestand der beharrlichen Pflichtenvernachlässigung, wenn dem Arbeitnehmer bei pflichtgemäßer Sorgfalt die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens erkennbar sein musste. Die Voraussetzungen des § 82 lit f zweiter Tatbestand GewO 1859 müssten daher bejaht werden.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, dass dem Kläger noch ein weiterer Betrag von S 111.716,01 brutto zuerkannt werde.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ein Arbeiter kann nach § 82 lit f zweiter Tatbestand GewO 1859 entlassen werden, wenn er beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Darunter fällt auch, wenn er sich nicht den durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnungen des Arbeitgebers fügt (Kuderna, Entlassungsrecht2 138; RIS-Justiz RS0104135). Eine Anordnung ist ua dann nicht gerechtfertigt, wenn sie der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers widerspricht oder wenn sie aus besonderen Gründen für den Arbeitnehmer nicht zumutbar ist. Die gegenständliche Anordnung des Geschäftsführers der Beklagten, der Kläger habe an einem bestimmten, von seinem Wohnort verschiedenen Ort, die Nacht im Fahrzeug zu verbringen, um am folgenden Morgen weitere Zustellungen vorzunehmen, erstreckte sich bereits auf die Privatsphäre des Klägers, der die Entscheidung, wo ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit die Nachtruhe verbringt, zuzurechnen ist. Eine Anordnung, die sich aber nicht mehr auf das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb, sondern auf dessen Privatsphäre erstreckt, ist nicht mehr durch den Gegenstand der Dienstleistung oder die Besonderheit des Betriebs gerechtfertigt und daher unzulässig (Kuderna aaO 114; ARD 3855/15/87). Das Direktionsrecht des Arbeitgebers erstreckt sich nur auf die arbeitsspezifischen Umstände, nicht auf die Freizeit eines Arbeitnehmers.

Der Arbeitnehmer schuldet eine auf Zeit abgestellte Arbeitsleistung, nicht aber einen bestimmten Erfolg seiner Arbeitsleistung. Der Umfang seiner Leistungspflicht bestimmt sich nicht nach einem vorgegebenen quantitativen "Soll". Die Zeit und nicht die Menge ist das Maß der vom Arbeitnehmer geschuldeten Leistung. Der vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer geschuldete Zeitlohn steht daher mit der Arbeitszeit und nicht mit dem Quantum der konkreten Arbeitsverrichtungen in einem synallagmatischen Zusammenhang (DRdA 1985/19 [Csebrenyak]; RIS-Justz RS0021299). Die Überwälzung des Erfolgsrisikos für die nach den Weisungen des Arbeitgebers zu leistende Arbeit durch die Verpflichtung zu einer Mindestarbeitsleistung widerspricht dem Wesen des Arbeitsvertrages (Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht8 145; RdW 1993, 286; RIS-Justiz RS0021477).

Die gegenständliche Anweisung, an einem Tag 15 Zustellorte anzufahren, und für den Fall, dass sich nicht alle an einem Tag erledigen lassen, im Fahrzeug zu nächtigen, überwälzte in unzulässiger Weise das Unternehmerrisiko der Beklagten auf den Kläger. Schon die Art der Weisung ließ erkennen, dass die Beklagte - zu Lasten des Klägers - in Kauf nahm, dass sie ihm Aufgaben zur Erledigung an einem Tag übertrug, die sich nicht ohne weiteres an einem Tag erledigen ließen. Die Beklagte ging gegenüber einem Dritten Verpflichtungen über Zustellungen an einem Tag ein, die vom Kläger allein im Rahmen eines Tages nicht bewältigt werden konnten. Dadurch wurde die Privatsphäre des Arbeitnehmers unnötigerweise belastet und damit von der Beklagten gegen die ihr als Arbeitgeberin obliegende Fürsorgepflicht verstoßen, sodass die Nichtbefolgung der Anordnung durch den Kläger auch aus diesem Grund die Entlassung nicht rechtfertigen kann (vgl Arb 10.725). Die Anordnung der Beklagten war somit nicht nur unzulässig, sondern auch unzumutbar.

Für den Inhalt der Arbeitspflicht ist primär die Einzelvereinbarung zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses maßgebend. Als pflichtgemäße Arbeitszeit ist nur jene anzusehen, zu deren Einhaltung sich der Arbeitnehmer verpflichtet hat (ARD 3929/16/87; RIS-Justiz RS0051992). Dadurch, dass der Kläger zur Ankündigung der Beklagten, er werde unter Umständen die Nacht im Fahrzeug verbringen müssen, zunächst schwieg, wurde noch keine neue Vereinbarung geschlossen. Dem Schweigen darf grundsätzlich kein Erklärungswert beigemessen werden, weil es verschiedene Ursachen haben kann (Koziol/Welser I11 92 mwN; RIS-Justiz RS0013991). Eine solche Vereinbarung konnte auch von der Beklagten nicht einseitig durch die Zahlung von wöchentlichen "Nächtigungsgebühren" a S 200 herbeigeführt werden. Um so weniger kam eine Vereinbarung am Tag der Entlassung zustande, ließen doch die Äußerungen des Klägers ("Wahnsinn", "Witz", "dass sich das nicht ausgehe", "werden wir schon sehen") erkennen, dass er nicht geneigt war, der Anordnung der Beklagten Folge zu leisten. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob eine solche Vereinbarung überhaupt wirksam wäre. Es braucht auch nicht auf Fragen der einem Lenker von Kraftfahrzeugen zu gewährenden Ruhezeiten (§§ 12, 15a AZG) bzw zulässigen Lenk- (§ 14a AZG) und Einsatzzeit (§ 16 AZG) eingegangen werden, weil es zufolge vorheriger Entlassung des Klägers gar nicht mehr zu einem Dienstbeginn um 6 Uhr des Folgetages kam.

Die Weigerung des Klägers, in seiner Freizeit die Nacht in seinem Fahrzeug zu verbringen, vermochte keine Vernachlässigung von Dienstpflichten zu begründen. Die Entlassung war daher nicht gerechtfertigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der vom Kläger für die Revision verzeichnete vierfache Einheitssatz steht ihm nicht zu, weil sich die damit angesprochene Regelung des § 23 Abs 9 RATG nur auf das Berufungsverfahren, nicht aber auf das Revisionsverfahren bezieht (9 ObA 183/00b; 10 ObS 260/00h).

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