OGH 5Ob284/00a

OGH5Ob284/00a28.11.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann, Dr. Baumann und Dr. Hradil und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache des Antragstellers Franz A*****, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwälte in Bregenz, wider die Antragsgegnerin G***** mbH, ***** vertreten durch Dr. Paul Sutterlüty, Dr. Wilhelm Klagian, Dr. Claus Brändle, Dr. Manfred Schnetzer, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Nichtigerklärung und Wiederaufnahme des Preisfestsetzungsverfahrens nach §§ 13 ff WGG des Bezirksgerichtes Bregenz, 14 Nc 312/95g (Streitwert S 1,356.472 sA), infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 21. Juni 2000, GZ 4 R 113/00y-6, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Bregenz vom 19. Mai 2000, GZ 18 Msch 17/00i-6 (zuvor 14 Nc 312/95g-16), aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Revisionsrekursbeantwortung des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Zu 14 Nc 312/95g langte beim Erstgericht am 20. 12. 1995 ein Antrag auf Preisfestsetzung gemäß §§ 13 und 15 ff WGG ein, worin als Antragsteller sowohl die nunmehrige Antragsgegnerin als auch der nunmehrige Antragsteller, beide vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Alexander M*****, angeführt waren. Am 29. 2. 1996 erließ das Erstgericht einen Sachbeschluss, mit dem antragsgemäß der Preis für die Wohnung top Nr 1 im ersten Obergeschoß des Hauses***** in*****, die vom nunmehrigen Antragsteller aufgrund eines Nutzungsvertrags benützt worden war, mit S 1,356.472 festgesetzt wurde. Der Sachbeschluss wurde lediglich dem sich auf eine Vollmachtserteilung durch beide Antragsteller berufenden Rechtsanwalt Dr. Alexander M***** und zwar am 15. 3. 1996 zugestellt. Eine Zustellung an den nunmehrigen Antragsteller unterblieb daher.

Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erhob der nunmehrige Antragsteller am 23. 12. 1996 Rekurs gegen den bezeichneten Sachbeschluss, worin er im Wesentlichen die neuerliche Preisfestsetzung beantragte. Ein Vorbringen dahin, dass er tatsächlich dem Rechtsanwalt Dr. Alexander M***** keine Vollmacht zur Vertretung im Verfahren über die Preisfestsetzung erteilt habe, unterblieb.

Mit Beschluss vom 7. 3. 1997 wies das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht diesen Rekurs als verspätet und unzulässig zurück (2 R 78/97d). Die Rekursentscheidung wurde dem nunmehrigen Antragsteller am 28. 3. 1997 zugestellt.

Am 28. 3. 2000 langte beim Erstgericht eine am 24. 3. 2000 zur Post gegebene "Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage" des Antragstellers Franz A***** ein, in der er die Beseitigung des Sachbeschlusses 14 Nc 312/95g-3 vom 29. 2. 1996 anstrebt, in der Hauptsache eine dem WGG und der Satzung nicht widersprechende gerichtliche Entscheidung (Preisfestsetzung) begehrt und als Begründung anführt, er habe den seinerzeit eingeschrittenen Rechtsanwalt Dr. Alexander M***** weder beauftragt noch bevollmächtigt, für ihn in einem Verfahren über die Preisfestsetzung nach §§ 13, 15 WGG vor Gericht einzuschreiten. Ohne sein Wissen habe dieser den Antrag auf Preisfestsetzung eingebracht und das Verfahren eingeleitet. Dadurch sei der Antragsteller von der Teilnahme am Verfahren ausgeschlossen worden. Der Sachbeschluss sei ihm auch nicht zugestellt worden.

Damit liege ein Nichtigkeitsgrund gemäß § 529 Abs 1 Z 2 ZPO vor. Darüber hinaus lägen Wiederaufnahmsgründe nach § 530 Abs 1 Z 1, 2, 3, 6 und 7 ZPO vor.

Dazu führte der Antragsteller aus, dass sich der bekämpfte Beschluss auf eine Urkunde stütze, nämlich auf eine unwiderrufliche Kaufabsichtserklärung des Antragstellers, die fälschlich angefertigt und zur Antragstellung missbraucht worden sei, um ein Einvernehmen über den Preis darzutun, das in Wahrheit nicht vorgelegen sei. Der Antragsteller habe zwar diese Urkunde unterfertigt, jedoch darauf vertraut, dass danach eine gerichtliche gesetzmäßige Preisfeststellung stattfinden werde; es bestehe der Verdacht, dass die Genossenschaft diese Urkunde bei Gericht als Beweismittel zur Täuschung der Käuferinteressenten und des Gerichtes verwendet habe und damit eine strafbare Handlung gemäß §§ 108, 146 StGB begangen habe, um zu verhindern, dass bei der Preisfestsetzung tatsächlich alle wertbildenden Umstände Berücksichtigung fänden. Aus diesem Grund sei dann auch eine Berücksichtigung aller wertbildenden Umstände unterblieben, was für den Antragsteller eine ungünstige Entscheidung zur Folge hatte. Der endgültig festgesetzte Preis wäre andernfalls wesentlich gemindert worden.

Mit Beschluss vom 19. 5. 2000 wies das Erstgericht die "Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage" zurück. Gemäß § 22 Abs 4 WGG seien im gegenständlichen Verfahren die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren außer Streitsachen anzuwenden, was die Möglichkeit der Erhebung einer Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage nach ständiger Rechtsprechung ausschließe.

Einem dagegen vom Antragsteller erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz Folge. Es hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

Während die Lehre einhellig die Möglichkeit der Wiederaufnahme auch eines Außerstreitverfahrens bejahe, werde von der Rechtsprechung die analoge Anwendung der Vorschriften über die Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage im außerstreitigen Verfahren abgelehnt (zuletzt JBl 1997, 119 mwN). Erstmals mit Beschluss vom 30. 6. 1998, Rkv 1/98 habe die Oberste Rückstellungskommission beim Obersten Gerichtshof unter Bezug auf die Meinungen der Lehre ausgesprochen, dass zur Vermeidung eines krassen Rechtsschutzdefizits im Außerstreitverfahren vor allem in dessen "echten Streitsachen" die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 530 ff ZPO) auf dogmatisch einwandfreie Weise analog angewendet werden könnten.

Das Rekursgericht schloss sich der in dieser Entscheidung und der Lehre vertretenen Auffassung an und sprach aus, dass in einem Verfahren nach § 22 WGG, einer "echten Streitsache" des außerstreitigen Verfahrens, in der ein kontradiktorisches Verfahren nach Art des Zivilprozesses abzuführen sei und über Rechtsschutzgesuche von Parteien endgültig abgesprochen werde, ein Nichtigkeitsantrag analog § 529 ZPO zulässig sei.

Das Erstgericht habe daher über diesen Antrag das gesetzliche Verfahren einzuleiten.

Der vom Antragsteller geltend gemachte Grund stelle bei dessen Erweislichkeit einen Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO und einen Nichtigkeitsklagegrund nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO dar. Zu beachten sei allerdings auch, dass bei analoger Anwendung der §§ 530 f ZPO im außerstreitigen Verfahren wohl auch, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, § 534 ZPO über die Befristung der Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage anzuwenden sei. Von einer Verfristung des Nichtigkeitsantrags könne derzeit aber noch nicht ausgegangen werden, weil der betroffene Sachbeschluss nach der Aktenlage bisher nur dem sich auf eine Vollmachtserteilung berufenden Rechtsanwalt, nicht aber dem Antragsteller zugestellt worden sei. In diesem Fall hänge die Frage des Eintritts der Rechtskraft von streitigen Tatsachen - hier der Frage der tatsächlichen Bevollmächtigung des eingeschrittenen Rechtsanwalts - ab. Deshalb sei die Erhebung der Nichtigkeitsklage bereits zulässig (SZ 68/223; 7 Ob 89/99k), ohne dass ihr eine wirksame Zustellung an die Partei oder ihren gesetzlichen Vertreter voranzugehen habe, wie dies von einem Teil der Rechtsprechung vertreten werde (6 Ob 1/99m; 1 Ob 111/99a).

Im einzuleitenden Verfahren werde sich das Erstgericht daher nicht nur mit der Rechtzeitigkeit des Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsantrags im Sinn des § 534 ZPO, sondern auch damit zu befassen haben, ob und inwieweit der Antrag auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe gestützt sei (§ 538 Abs 1 ZPO). Mangle es an einem dieser Erfordernisse, sei der Antrag als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet analog § 538 Abs 1 letzter Satz ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Ansonsten wäre nach § 541 ZPO weiter vorzugehen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nach § 528 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil zur Frage der Anwendbarkeit der Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage im außerstreitigen Verfahren noch keine gesicherte höchstgerichtliche Judikatur vorliege. Auch bestünden Rechtsprechungsdifferenzen darüber, wann die Frist zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage in jenem Fall zu laufen beginne, in dem die Frage der Rechtskraft oder Scheinrechtskraft von streitigen Tatsachen abhänge.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Der Antragsteller beantragt, den Revisionsrekurs mangels Zulässigkeit zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus den Gründen des § 528 Abs 1 ZPO zulässig. Er ist auch berechtigt.

Mangels gegenteiliger Anordnung in § 521a ZPO ist das Rechtsmittelverfahren nicht zweiseitig. Ein Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO liegt nicht vor.

Die Revisionsrekursbeantwortung war daher zurückzuweisen.

Unbeschadet der in Lehre und Rechtsprechung bestehenden kontroversiellen Auffassung über die analoge Anwendbarkeit der §§ 529 ff ZPO zumindest in den echten Streitsachen des außerstreitigen Verfahrens muss - schon um Wertungswidersprüche zu vermeiden - auch § 534 ZPO über die Befristung der Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage analog angewendet werden (Rkv 1/98), ein gesetzlicher Wiederaufnahmsgrund vorliegen und in analoger Anwendung des § 538 ZPO eine Zulässigkeitsprüfung vorgenommen werden.

Diesfalls erweist sich die Nichtigkeitsklage als verspätet. Gemäß § 534 Abs 2 ZPO wäre die vierwöchige Notfrist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach § 529 Z 2 von dem Tag an zu berechnen, an welchem die Entscheidung der Partei zugestellt wurde, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller im wieder aufzunehmenden Verfahren das ihm nur einmal zustehende Rechtsmittelrecht gegen den erstinstanzlichen Sachbeschluss durch Erhebung eines Rekurses verbraucht, in dem er zu seinem Nachteil den nun behaupteten Nichtigkeitsgrund nicht gerügt hat. Ein Rechtsmittel gegen den das Rechtsmittel zurückweisenden Beschluss des Gerichtes zweiter Instanz hat er nicht erhoben. Damit hat er den Eintritt der materiellen Rechtskraft des erstgerichtlichen Sachbeschlusses bewirkt, was zur Folge hatte, dass ihm danach nur noch vier Wochen zur Erhebung der "Nichtigkeitsklage" zustanden.

Entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes lässt sich daher bereits jetzt beurteilen, dass die Nichtigkeitsklage nicht in der gesetzlichen Frist erhoben wurde, weshalb sie im Ergebnis zu Recht vom Erstgericht durch Beschluss zurückgewiesen wurde (§ 538 Abs 1 ZPO).

Die Wiederaufnahmsklage hat der Antragsteller auf § 530 Abs 1 Z 1 und 3 ZPO gestützt, wobei (Ver)Fälschungshandlungen hinsichtlich einer vom Antragsteller gegenüber der Genossenschaft abgegebenen Kaufabsichtserklärung bezeichnet werden und behauptet wird, die Entscheidung sei durch eine darauf bezügliche strafbare Handlung erwirkt worden.

Tatsächlich und rechtlich gründet sich die Preisfestsetzung durch das Erstgericht, die nach § 15c WGG idF des 3. WÄG beantragt wurde, nicht auf den in der unwiderruflichen Kaufabsichtserklärung des Antragstellers bezeichneten Preis von S 1,410.000, sondern auf das Gutachten des Sachverständigen Ing. Herbert Kociancic vom 22. 11. 1994. Die vom Antragsteller abgegebene Kaufabsichtserklärung ist nur insoweit relevant, als damit zunächst vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Preisfestsetzung ein unverbindliches Interesse eines Mieters an einer nachträglichen Übertragung einer Wohnung in das Eigentum im Sinn des § 15c Abs 1 WGG dargetan wird (vgl Würth/Zingher Miet- und WohnR20 Rz 3 zu § 15c WGG). Dass der Antragsteller Interesse am Eigentumserwerb hatte, steht nicht in Zweifel.

Der Antragsteller befindet sich im Rechtsirrtum, wenn er meint, dass die von ihm vor Einleitung des Preisfestsetzungsverfahrens abgegebene Kaufabsichtserklärung von irgendeiner rechtlichen Bedeutung für den Ausgang des Preisfestsetzungsverfahrens war. In einem Verfahren nach § 22 Abs 1 Z 2a WGG wird in einem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren nach den Regelungen des § 15b Abs 3 bis 7 WGG der Preis für die nachträgliche Übertragung in das Wohnungseigentum festgesetzt.

Eine allfällige materiellrechtliche Unrichtigkeit der Preisfestsetzung, deren Korrektur dem Antragsteller in Wahrheit vorschwebt, kann vom Antragsteller nicht im Wege eines Wiederaufnahmeverfahrens mit der Behauptung einer missbräuchlichen Verwendung einer Urkunde im Verfahren erwirkt werden, die für den Verfahrensausgang nicht maßgeblich war und auch nicht zur Erwirkung der Entscheidung diente.

Damit liegt keiner der gesetzlichen Anfechtungsgründe vor, weshalb im Ergebnis die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage durch das Erstgericht zu Recht analog § 538 Abs 1 ZPO erfolgte.

Der Revisionsrekurs war daher berechtigt.

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