OGH 10ObS240/00t

OGH10ObS240/00t19.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Heinrich Lahounik (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Erwin Macho (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christian R*****, Justizanstalt G*****, vertreten durch Dr. Franz Havlicek, Rechtsanwalt in Hollabrunn, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Rekursverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2000 GZ 8 Rs 114/00v-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Oktober 1999, GZ 34 Cgs 110/99z-12, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekurses der klagenden Partei sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 21. 10. 1975 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er arbeitete in den Jahren 1991 bis 1993 als Kellner- und Maurerlehrling, in den Jahren 1993 und 1994 kurzfristig als Eisenbieger und Monteur. Seit 3. 10. 1998 ist der Kläger aufgrund der Anordnung einer vorbeugenden Maßnahme gemäß § 21 Abs 1 StGB in der Justizanstalt G***** untergebracht. Eine bedingte Entlassung des Klägers wurde zuletzt mit der Begründung abgelehnt, dass seine Gefährlichkeit noch bestehe. Beim Kläger besteht der Verdacht einer schizophrenen Basisstörung, die offensichtlich aufgrund seines in der Vergangenheit bestehenden massiven Drogenmissbrauches zu wiederholten psychotischen Exacerbationen führte. Es besteht ein leichter psychotischer Defektzustand, es bestehen aber keine Anzeichen einer organischen Hirnleistungsschwäche. Intelligenz, Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit sind durchschnittlich. Der Kläger "könnte" nur einfache geistige Tätigkeiten ausführen; in körperlicher Hinsicht "wäre" er in der Lage, leichte und mittelschwere, halbzeitig auch schwere Arbeiten zu verrichten. Bei Einhaltung einer zumutbaren Drogenabstinenz unter ärztlicher Anleitung "kann davon ausgegangen werden", dass eventuelle psychotische Entgleisungen wesentlich seltener auftreten; erhöhte Krankenstände sind nicht vorhersehbar. Der Kläger ist als "Maßnahmepatient" gemäß § 21 Abs 1 StGB auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vermittelbar.

Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 10. 3. 1999 den Antrag des Klägers vom 6. 11. 1998 auf Zuerkennung der Invaliditätspension mangels Invalidität ab.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger aufgrund der gegen den vorgenannten Bescheid erhobenen Klage eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 12. 1998 zu gewähren. Unter Zugrundelegung des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes vertrat es die Rechtsansicht, dass das Strafgericht durch die gegen den Kläger angeordnete vorbeugende Maßnahme gemäß § 21 Abs 1 StGB zum Ausdruck gebracht habe, dass beim Kläger zu befürchten sei, dass er ohne Anhaltung unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Es liege auf der Hand, dass die beim Kläger bestehende Gefährlichkeit ein Krankheitszustand sei, weil es sich um einen vom geistigen Regelzustand abweichender Zustand einer psychischen Erkrankung handle. Es könne keinem Arbeitgeber zugemutet werden, eine Person mit dieser Prognose einzustellen. Auf dem Arbeitsmarkt sei (anders als etwa in einer geschützten Werkstätte) eine Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Klägers nicht möglich. Der Kläger sei daher als unmittelbare Folge seines geistigen Zustandes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vermittelbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die bloße Tatsache der Unterbringung gemäß § 21 Abs 1 StGB reiche noch nicht für die Annahme der Invalidität aus. Die für die Unterbringung erforderliche geistige der seelische Abartigkeit müsse sich nicht auf die Arbeitsfähigkeit auswirken. Der Gefährlichkeitsprognose komme für den Ausschluss am Arbeitsmarkt nur dann Bedeutung zu, wenn die Gefährlichkeit als Ausfluss der geistigen oder seelischen Abartigkeit geeignet sei, sich gerade am Arbeitsplatz zu manifestieren. Beim Kläger hätten sich im erstinstanzlichen Verfahren keine schlüssigen Hinweise auf eine psychoorganische Beeinträchtigung und auch keine akuten psychotischen Persönlichkeitsmerkmale gefunden. Die Tatsache, dass der Antrag des Klägers auf bedingte Entlassung aus der vorbeugenden Maßnahme abgelehnt worden sei, reiche nicht für die Beurteilung der Invalidität aus. Das Erstgericht werde daher - zweckmäßiger Weise nach Beischaffung des Strafaktes - mit dem neurologisch-psychatrischen Sachverständigen zu erörtern haben, ob beim Kläger ernsthaft damit zu rechnen sei, dass er als Folge seiner Geisteskrankheit bei Aufnahme einer kalkülentsprechenden Tätigkeit Personen oder Güter am Arbeitsplatz gefährden oder im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung "strafbare" Handlungen begehen werde. Sollte das ergänzende Verfahren eine mit der Gefährlichkeitsprognose verbundene Geisteskrankheit ergeben, werde auch zu prüfen sein, ob der Kläger dieses Leiden allenfalls bereits in das Berufsleben eingebracht habe, weil laut seinen eigenen Angaben seit dem 14. Lebensjahr ein Alkohol- und seit dem 16. Lebensjahr ein Drogenmissbrauch bestehe. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine Rechtsprechung fehle, ob bereits die Tatsache der Unterbringung gemäß § 21 Abs 1 StGB den Untergebrachten wegen der hiedurch indizierten Gefährlichkeit vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließe.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, in Abänderung dieses Beschlusses das erstgerichtliche Urteil zu bestätigen.

Die beklagte Partei beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.

Der vom Berufungsgericht für zulässig erklärte Rekurs gegen den Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschluss ist nach § 47 Abs 2 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig, weil ein Verfahren über wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG vorliegt. Er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In seiner Rechtsrüge verweist der Rekurswerber darauf, dass bereits die Tatsache der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB den Untergebrachten wegen der durch die Anordnung der Maßnahme indizierten Gefährlichkeit vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließe. Aufgrund welcher Tat der Kläger in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angehalten werde, sei bedeutungslos; er sei jedenfalls immer gefährlich. Ein Arbeitsplatz außerhalb der Anstalt sei nicht möglich; die Gefährlichkeit sei an jedem Ort und zu jeder Zeit gegeben.

Die Ausführungen des Rekurswerbers verkennen im Ergebnis das Wesen der gesetzlichen Pensionsversicherung. Rechtsquelle für die Beurteilung der Invalidität des Klägers ist § 255 Abs 3 ASVG. Danach gilt ein Versicherter, der nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Daraus folgt, dass die Ursache für die Verschlechterung (Minderung) der Arbeitsfähigkeit der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten sein muss. "Infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes" bedeutet infolge Krankheit, infolge Gebrechen oder infolge gewisser Abnützungserscheinungen, vor allem infolge Alters (Teschner/Widlar, ASVG 1307; Wachter in ZAS 1989, 17 [18]; SSV-NF 6/28 ua).

Ausgeglichen wird beim Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit demnach das Risiko einer körperlich oder geistig bedingten Leistungsminderung (Schrammel in ZAS 1984, 83 [85]). Umstände, die zwar eine geminderte Arbeitsfähigkeit nach sich ziehen, mit dem Gesundheitszustand aber nicht zusammenhängen, führen daher nach ständiger Rechtsprechung nicht zur Invalidität (vgl SSV-NF 1/22 = ZAS 1989, 16 [Wachter; Unkenntnis der deutschen Sprache und der Lateinschrift]; SSV-NF 6/26 [Unkenntnis der deutschen Sprache], 6/28 [Führerscheinentzug, fehlende Beschäftigungsbewilligung], 8/102 [Unkenntnis der deutschen Sprache; Vorstrafen], 10/59 [Lesen und Schreiben]; RIS-Justiz RS0084895, RS0085017, RS0085034, RS0085050). Keine Invalidität liegt daher vor, wenn nicht der Gesundheitszustand des Versicherten kausal für die verminderte Arbeitsfähigkeit ist, sondern dafür andere Gründe maßgebend sind. Allfällige mit dem Gesundheitszustand nicht im Zusammenhang stehende Ursachen einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sind demnach bei Prüfung der Invalidität nicht zu berücksichtigen (SSV-NF 6/26). In diesem Sinne erkannte der Senat zu SV-NF 8/102, dass etwa der allfällige Ausschluss eines Versicherten vom Arbeitsmarkt durch eine Vorstrafe kein Risiko darstellt, für das die Pensionsversicherung aufzukommen hätte. Zu jenen anderen Gründen, die die Chancen eines Versicherten am Arbeitsmarkt einschränken oder vereiteln, ohne dass hierfür der Gesundheitszustand maßgebend ist, zählt etwa auch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder der Vollzug einer freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahme gemäß den §§ 21 bis 23 StGB.

Entgegen der Ansicht des Rekurswerbers "indiziert" die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB noch keine Invalidität im Sinne des § 255 ASVG in dem Sinne, dass im Sozialrechtsverfahren ohne Weiteres vom Vorliegen von Invalidität auszugehen wäre. Betrachtet man jedoch die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen eine Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB zu erfolgen hat, dann liegt es aber auf der Hand, dass im Verfahren des Untergebrachten auf Gewährung einer Invaliditätspension besonders zu prüfen ist, ob er vor allem zufolge seines geistigen Zustandes noch imstande ist, eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt bewertet wird, auszuüben. Das Strafgericht hat den Betroffenen nämlich dann gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn er eine Tat begangen hat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und er nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er sie unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit neuerlich eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Zur Bindung des Zivilrichters an ein Strafurteil bzw an ein Urteil des Strafgerichtes auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB ist Folgendes zu erwägen:

Mit Entscheidung des verstärkten Senates vom 17. 10. 1995, 1 Ob 612/95, hat der Oberste Gerichtshof zur Bindungswirkung eines Strafurteils festgestellt: "Wirkt die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart, dass der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen muss, und wirkt dieses für den Rechtskreis des Verurteilten, für diesen aber gegen jedermann, so kann sich niemand im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, dass er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe, gleichviel, ob der andere am Strafverfahren beteiligt war oder in welcher verfahrensrechtlichen Stellung er dort aufgetreten ist" (SZ 68/195). Von der Bindungswirkung eines verurteilenden Straferkenntnisses ist die Feststellung umfasst, dass der Angeklagte (Beschuldigte) eine oder mehrere bestimmte (einer oder mehreren strafbaren Handlungen subsumierbare) Tat(en) begangen hat. Der Schuldspruch wird in allen seinen Teilen der Rechtskraft teilhaft, also nicht bloß in der Feststellung der Tat nach deren objektiven Merkmalen, sondern auch in der Feststellung der konkreten Sachverhaltselemente und umfasst auch die rechtliche Subsumtion unter einen bestimmten Tatbestand (ecolex 1998, 772). Niemand kann sich im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, dass er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen hat. Die Bindung des Zivilrichters an das Strafurteil erstreckt sich nur auf die den Schuldspruch notwendigerweise begründenden Tatsachen; hingegen vom Strafgericht festgestellte Tatsachen, die über den Straftatbestand hinausreichen, binden den Zivilrichter nicht. Umstände, die nicht die Schuldfrage, sondern nur die Strafbemessung betreffen oder gar nicht jede Relevanz für die Entscheidung des Strafgerichtes sind, unterliegen der freien Kognition des Zivilrichters (RdW 1999, 801).

Wird der Angeklagte (Beschuldigte) schuldig befunden, so muss das Strafurteil insbesondere aussprechen, welcher Tat der Angeklagte schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden ist, begründet wird, unter gleichzeitigem Ausspruch, ob die strafbare Handlung ein Verbrechen oder Vergehen ist (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO), und zu welcher Strafe der Angeklagte verurteilt wird (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO; vgl auch §§ 270, 342, 458, 488 StPO; Foregger/Fabritzy, StPO8 § 260 Anm 1). Für das Verfahren über den Antrag des Anklägers auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB gelten sinngemäß die Bestimmungen über das Strafverfahren, sofern nichts anderes bestimmt ist (§ 429 Abs 1 StPO). Das Strafgericht entscheidet über diesen Antrag durch Urteil (§ 430 Abs 2 StPO). Das Urteil hat allen Erfordernissen des § 260 StPO zu entsprechen, insbesondere die Anführung der Anlasstat zu enthalten (Foregger/Fabrizy aaO § 430 Anm 1). Dabei entspricht die Anordnung einer Maßnahme nach dem §§ 21 bis 23 StGB dem Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO, also der Verurteilung zu einer bestimmten Strafe (Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 21-25 Rz 8 und 13).

Wie bereits zur strafgerichtlichen Verurteilung erwähnt binden vom Strafgericht festgestellte Tatsachen, die über die darauf angewendeten Straftatbestände hinausreichen, den Zivilrichter nicht; dieser ist daher auch nicht durch Umstände, die nicht die Schuldfrage, sondern nur die Strafbemessung betreffen, gebunden (RdW 1999, 801). Dies bedeutet für das Verfahren über den Antrag auf Unterbringung gemäß § 21 Abs 1 StGB, dass der Zivilrichter höchstens daran gebunden ist, dass der Untergebrachte eine bestimmte Anlasstat begangen hat. Keine Bindung des Zivilrichters besteht an die übrigen Voraussetzungen der Einweisung (vgl Ratz aaO Vorbem zu §§ 21-25 Rz 12 und 13 zur Wiederaufnahme im Falle des § 21 StGB). Alles, was demnach für die Strafbedrohtheit der Anlasstat nicht entscheidend ist, ist jedenfalls nicht Gegenstand der Bindungswirkung. Der Zivilrichter ist daher weder an einen vom Strafgericht festgestellten, auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat noch an die Gefährlichkeitsprognose gebunden, dass zu befürchten sei, dass der Betreffende ohne Einweisung unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Diese zu den übrigen Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB zählenden Umstände entsprechen der Strafbemessung beim Strafurteil (vgl Ratz aaO Vorbem zu §§ 21-25 Rz 8 und 9 zur Bekämpfung der Anordnung einer Maßnahme), an die wie erwähnt keine Bindung des Zivilrichters besteht (RdW 1999, 801).

Der Rekurswerber verkennt somit in seinen Überlegungen, dass die hier allenfalls in Betracht kommende Bindung des Zivilrichters an ein Urteil des Strafgerichtes nur in die Richtung eines bestimmten historischen Geschehens gehen kann. Abgesehen davon erstreckt sich die Bindungswirkung des Urteils des Strafgerichtes nicht auf Dritte (hier: Träger der Pensionsversicherung), die im Strafverfahren kein rechtliches Gehör hatten (SZ 69/131, SZ 71/66; RIS-Justiz RS0074219, RS0074953, RS0097968). Dass der Kläger in der Vergangenheit eine bestimmte Anlasstat, die mit Strafe bedroht ist, begangen hat, ist jedoch hier weder strittig, noch für den Anspruch auf Gewährung einer Invaliditätspension von unmittelbarer Relevanz. Nichts desto Trotz machen es die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und die aufrechte Unterbringung notwendig, den offenbar beeinträchtigten geistigen Zustand des Klägers und seine gesundheitsbedingten Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit besonders zu beleuchten. Das Erstgericht beschränkte sich hiezu jedoch aufgrund der unrichtigen Annahme, dass schon die Einweisung als solche einen für die Frage der Invaliditätspension relevanten Ausschluss vom Arbeitsmarkt bewirke, auf ein bisher lediglich im Konjunktiv gehaltenes Leistungskalkül.

Im fortgesetzten Verfahren wird daher vom Erstgericht, wie im Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes zugrundegelegt, selbständig, also ohne Bindung an die Einweisung und Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zu prüfen sein, ob der Kläger infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes noch imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (§ 255 Abs 3 ASVG). Entscheidend wird dabei sein, ob allein der Gesundheitszustand des Klägers für eine Verminderung der Arbeitsfähigkeit im vorgenannten Umfang kausal ist. Der Hinweis des Rekurswerbers, dass es dabei nicht darauf ankommt, wegen welcher Anlasstat er eingewiesen wurde, ist grundsätzlich richtig; dies spricht jedoch nicht gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass allenfalls auch aus der Anlasstat und dem darauf bezüglichen Strafakt für eine gründliche und umfassende Beurteilung des Falles relevante Erkenntnisse für die begehrte Leistung gewonnen werden können. Für die Frage der Verweisbarkeit des Klägers werden letztlich die auf Grund des ärztlichen Leistungskalküls zu treffenden Feststellungen, in welchem Umfang er im Hinblick auf die bestehenden (offenbar vorwiegend im geistigen Bereich angesiedelten) Einschränkungen behindert ist bzw welche Tätigkeiten er noch ausüben kann, entscheidend sein (SSV-NF 8/92; 10 ObS 118/95; 10 ObS 11/99m; 10 ObS 262/99y; RIS-Justiz RS0084399).

Das Erstgericht wird auch zu beachten haben, dass das Verweisungsfeld für Versicherte, die keinen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt haben, mit dem Arbeitsmarkt ident ist (SSV-NF 1/4, 2/50, 5/96, 6/12, 6/56 uva). Die mangelnde Vermittelbarkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund anderer als gesundheitlicher Einschränkungen (hier etwa der Unterbringung) gehört entgegen der Auffassung des Rekurswerbers nicht zum Risikobereich der Pensionsversicherung (SSV-NF 1/23, 1/68 uva).

Nach dem Akteninhalt sind die gesundheitlichen Probleme des Klägers vor Allem durch einen in der Vergangenheit liegenden Alkohol- und Suchtgiftmissbrauch verursacht worden. Im fortgesetzten Verfahren wird daher vom Erstgericht auch zu erörtern und zu klären sein, inwieweit beim Kläger ein bei aufbieten allenfalls auch großer Anstrengung noch beherrschbarer Fall von chronischem Alkohol- und Suchtgiftmissbrauch vorliegt oder ob der Missbrauch bereits zu einer abnormen Persönlichkeitsstruktur und zu einer unbeherrschbaren Sucht geführt hat, die eine willensmäßige Beeinflussung und eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ausschließt (SSV-NF 2/33, 5/29; RIS-Justiz RS0085066). Liegt noch ein beherrschbarer Fall vor, wäre der Kläger im Interesse der Versichertengemeinschaft im Rahmen seiner Duldungs- und Mitwirkungspflichten verbunden, sich des Gebrauches von Alkohol und Drogen zu enthalten bzw sich im Rahmen des Notwendigen und Zumutbaren einer Entziehungskur unter ärztlicher Leitung zu unterziehen (SSV-NF 2/33, 5/29, 5/63, 8/114 ua).

Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes nicht entgegentreten (Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 5 zu § 519; RIS-Justiz RS0042179). Dem Rekurs des Klägers kann daher kein Erfolg beschieden sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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