OGH 7Ob328/99g

OGH7Ob328/99g15.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** mbH, ***** vertreten durch Schönherr, Barfuss, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei D***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Dr. Christoph Lassmann-Wichtl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung der Deckung (Streitwert S 120.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 25. August 1999, GZ 1 R 306/99t-11, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 14. April 1999, GZ 9 C 1725/98m-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.112,- (darin S 1.352,- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagenden Partei schloss am 10./27. 7. 1995 mit der K***** Autohandels GesmbH (im Folgenden kurz K*****) einen Händler- und Werkstättenvertrag mit Wirkung ab 1. 9. 1995 ab. Mit Schreiben vom 27. 10. 1995 kündigte die K***** diesen Händler- und Werkstättenvertrag per 31. 10. 1996 unter Einhaltung der vertraglich vorgesehenen Fristen und Termine auf.

Zwischen den Streitteilen war (laut Klagsbehauptungen wurde der Versicherungsantrag von der Klägerin im Juni 1995 gestellt) ein "Kraftfahrzeughändlervertrag - Rechtsschutz-Versicherungs- vertrag" mit Versicherungsbeginn 1. 1. 1996 abgeschlossen worden (es steht nicht fest, wann dieser Versicherungsantrag von der beklagten Partei angenommen und die Polizze der klagenden Partei übersendet worden ist). Dem Vertrag wurden vereinbarungsgemäß die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1994) zu Grunde gelegt.

Art 2 Punkt 3 lautet:

"In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben. ..."

Art 3 der ARB 1994 bestimmt, für welchen Zeitraum die Versicherung gilt (zeitlicher Geltungsbereich). Die Punkte 1. und 2. des Art 3 lauten folgendermaßen:

"1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.

2. Löst eine Willenserklärung oder Rechtshandlung des Versicherungsnehmers, des Gegners oder eines Dritten, die vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, den Versicherungsfall gemäß Artikel 2 Punkt 3 aus, besteht kein Versicherungsschutz. Willenserklärungen oder Rechtshandlungen, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurden, bleiben dabei außer Betracht."

Mit Schreiben vom 21. 8. 1997 machte die klagende Partei gegenüber der K***** aufgrund der Auflösung des Händler- und Werkstättenvertrages einen Ausgleichsanspruch analog § 24 HVertrG in Höhe von S 1,665.513 geltend. Die Erfüllung dieses Anspruches lehnte die K***** im Schreiben vom 3. 9. 1997 ab und bezeichnete darin eine gerichtliche Auseinandersetzung als unvermeidlich.

Dieser Sachverhalt wurde der beklagten Partei am 26. 8. 1997 mitgeteilt. Mit Schreiben vom 4. 9. 1997 lehnte die beklagte Partei die Deckung für den bevorstehenden Rechtsstreit der klagenden Partei mit der K***** ab.

Die Klägerin begehrt gegenüber der beklagten Versicherung die Feststellung, dass diese zur Rechtsschutzdeckung für den beabsichtigten Rechtsstreit gegen die K***** wegen der Zahlung eines Ausgleichsanspruches analog § 24 HVertrG Deckung zu gewähren hat. Der Rechtsstreit mit K***** sei nicht durch die Kündigungserklärung vom 27. 10. 1995 ausgelöst worden, sondern erst durch die Erklärung von K*****, keine Ausgleichszahlung leisten zu wollen. Erst mit der Verweigerung dieser Zahlung (die lange nach Versicherungsbeginn erfolgt sei) habe K***** gegen Rechtspflichten verstoßen und damit den Versicherungsfall im Sinne des Artikel 2 Punkt 3 ARB 1994 ausgelöst. Der Ausgleichsanspruch gegen K***** sei auch erst mit der tatsächlichen Beendigung des Vertragsverhältnisses, somit am 1. 11. 1996, entstanden. Davor wäre weder eine gerichtliche noch außergerichtliche Geltendmachung des Anspruches möglich gewesen, zumal wesentliche Faktoren für das Bestehen und die Bemessung des Anspruches erst mit tatsächlicher Vertragsbeendigung feststehen würden. Entgegen der Ansicht der beklagten Partei liege die Bedeutung des Art 3 Punkt 2 ARB 1994 darin, dass diese Bestimmung klarstelle, dass es für den zeitlichen Geltungsbereich der Rechtsschutzversicherung in den Fällen, in denen der Versicherungsfall nicht in einem faktischen Verhalten bestehe, sondern auf einer Willenserklärung beruhe, auf den Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung und nicht etwa auf den späteren Schadenseintritt oder gar die gerichtliche Geltendmachung ankomme. Bei den ARB 1994 handle es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 864a ABGB, die vom Versicherer den Kunden vorgegeben würden. Sollte das Gericht daher zur Auffassung gelangen, die richtige Auslegung des Art 3 Punkt 2 der ARB im Zusammenhang mit Art 2 Punkt 3 sei unklar, müsse die beklagte Partei gemäß § 915 ABGB die ungünstigere Auslegung gegen sich gelten lassen.

Die beklagte Partei beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und wandte ein, der auf § 24 HVG bzw einer analogen Anwendbarkeit dieser Bestimmung gegründete Anspruch der klagenden Partei gegen die Firma K***** sei bereits im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung des Händlervertrages vom 27. 10. 1995 entstanden. Zu diesem Stichtag - der somit noch vor der Geltungsdauer der zwischen den Streitteilen bestehenden Vereinbarung liege - sei daher auch der Versicherungsfall eingetreten. Selbst wenn jedoch der Versicherungsfall erst durch die Ablehnung der Ausgleichsforderungen der klagenden Partei durch die Firma K***** eingetreten sein sollte, würde sich das geltend gemachte Begehren aufgrund der Regelung des Art 3 Punkt 2 ARB als unbegründet erweisen. Die Kündigungserklärung der K***** mit Brief vom 27. 10. 1995 stelle eine auslösende Bedingung für die von der klagenden Partei erhobene Ausgleichsforderung dar. Die Regelung des Artikel 3 Punkt 2 ARB würde jeden Anwendungsbereich verlieren, wäre unter dem in der zuletzt erwähnten Norm genannten "auslösenden Ereignis" und dem "Versicherungsfall" keine Differenzierung vorzunehmen. Die erwähnte Bestimmung sei jedenfalls so auszulegen, dass sie keine - im Vergleich zu Art 2 Punkt 2 und Punkt 3 ARB - unnotwendige bloße Wiederholung der gleichen Reihenfolge normiere. Die Bestimmungen der Art 2 Punkt 2 und Punkt 3 ARB würden dazu dienen, zu vermeiden, dass ein Versicherungsnehmer, der entweder bereits in einen außergerichtlichen Konflikt mit einer anderen Person verwickelt ist oder einen solchen zumindest vorhersehen kann, einen Versicherungsvertrag abschließt, um sich auf diese Weise rechtsschutzmäßige Deckung zu verschaffen. Werde durch eine Willenserklärung oder Rechtshandlung des Versicherungsnehmers, des Gegners oder eines Dritten, die vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, die Möglichkeit eines rechtlichen Konfliktes eröffnet, so erscheine es sachlich nicht gerechtfertigt, dem Antragsteller rechtsschutzmäßige Deckung zu gewähren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es erörterte rechtlich:

Kein Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften und damit kein Versicherungsfall liege vor, wenn jemand von einem gesetzlichen oder vertraglichen Recht Gebrauch mache, dessen Ausübung seinerseits weder einen Verstoß darstelle noch einen solchen voraussetze. Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeute dies, dass durch die Kündigung des Händler- und Werkstättenvertrages durch die Firma K***** unter Einhaltung der vertraglich vorgesehenen Fristen und Termine der Versicherungsfall noch nicht ausgelöst worden sei. Dieser sei vielmehr erst dadurch eingetreten, dass die K***** den von der Klägerin geltend gemachten Ausgleichsanspruch analog zu § 24 HVG mit Schreiben vom 3. 9. 1997 ernsthaft bestritten habe. Denn in der Zurückweisung des Anspruches liege der von der Klägerin behauptete Verstoß des Gegners gegen Rechtspflichten. Art 3 der ARB 1994 regle den zeitlichen Geltungsbereich der Versicherung. Grundsätzlich erstrecke sich die Versicherung demnach auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten. Davon enthalte Art 3 Punkt 2. wieder einen zeitlichen Risikoausschluss. Löse nämlich eine Willenserklärung oder Rechtshandlung des Versicherungsnehmers, des Gegners oder eines Dritten, die vor Versicherungsbeginn vorgenommen worden sei, den Versicherungsfall gemäß Art 2.3. aus, bestehe kein Versicherungsschutz. Die vom Versicherer übernommene Gefahr trete nicht nur dann in ein konkretes Verwirklichungsstadium ein, wenn der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter bereits begonnen habe oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten zu verstoßen, sondern sei die erste Phase der Gefahrenverwirklichung erfahrungsgemäß häufig schon dann gegeben, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung vorgenommen werde, die zwar ihrerseits noch keinen Rechtsverstoß darstelle, jedoch ihrer Art nach geeignet sei, einen solchen Verstoß auszulösen. "Vorgenommen" sei die Willenserklärung oder Rechtshandlung in dem Zeitpunkt, in dem sie rechtlich wirksam geworden sei. Empfangsbedürftige Willenserklärungen wurden daher erst mit ihrem Zugang beim Empfänger wirksam. Häufige Fälle einer Willenserklärung im Sinne der genannten Bestimmung seien die (ordentliche) Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses. Nicht jede Willenserklärung, die zu einem Versicherungsfall führe, schließe den Versicherungsschutz aus. Nach dem Zweck der Bestimmung greife der Ausschluss vielmehr nur dann ein, wenn die Willenserklärung ihrer Natur nach erfahrungsgemäß den Keim eines nachfolgenden Rechtsverstoßes des einen oder anderen Teiles bereits in sich getragen habe. Für den gegenständlichen Fall bedeute dies, dass, obgleich der Versicherungsfall nach Versicherungsbeginn eingetreten sei, dennoch kein Versicherungsschutz bestehe, da der Verstoß durch die vor Versicherungsbeginn vorgenommene Kündigung des Händler- und Werkstättenvertrages adäquat kausal ausgelöst worden sei. Denn es entspreche allgemeiner Erfahrung, dass die Kündigung von Vertragsverhältnissen zu Störungen bei der Abwicklung des gekündigten Schuldverhältnisses führen könne. Die von der Klägerin vorgenommene Auslegung des Art 3.2 ARB 1994, wonach diese Bestimmung klarstelle, dass es für den zeitlichen Geltungsbereich der Rechtsschutzversicherung in den Fällen, in denen der Versicherungsfall nicht in einem faktischen Verhalten bestehe, sondern auf einer Willenserklärung beruhe, auf den Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung und nicht etwa auf den späteren Schadenseintritt oder gar die gerichtliche Geltendmachung ankomme, könne nicht gefolgt werden. Dies insbesondere deshalb, da der Begriff des Versicherungsfalles in Art 2 ARB 1994 abschließend definiert werde und eine zusätzliche Regelung in der von der Klägerin verstandenen Form unnötig wäre. Nach dem klaren Wortlaut des Art 3.2. ARB enthalte diese Bestimmung vielmehr, wie ausgeführt, einen zeitlich begrenzten Risikoausschluss.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Erhebung der ordentlichen Revision für zulässig. Bei Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen werde der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung entweder durch das schädigende Ereignis als solches oder bei allen anderen Fällen durch den tatsächlichen oder behaupteten Verstoß des Versicherungsnehmers, seines Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften ausgelöst. Der Versicherungsfall trete mit Beginn des Verstoßes ein, bei mehreren Verstößen mit dem ersten. Die Gefahren, die sich aus den beschriebenen Unschärfen bei der Festlegung des Versicherungsfalles ergäben, würden durch zeitliche Risikobegrenzungen verhindert. Dies entspreche dem Bedürfnis, von der Versicherungsgemeinschaft Rechtskonflikte fernzuhalten, die bei Versicherungsbeginn schon "vorprogrammiert" gewesen seien. Während Art 2.3. der ARB 1994 den Versicherungsfall umschreibe, regle Art 3 - wie dies schon aus der Überschrift hervorgehe - den zeitlichen Geltungsbereich, was, ohne dass es sich hiebei um Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts handle, mit denen man vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde nicht zu rechnen bräuchte, mit einer zeitlichen Begrenzung des Versicherungsschutzes in Form eines Risikoauschlusses verbunden sei. Die nahezu wortgleich identen Formulierungen des § 14 Abs 3 Satz 3 zweite Alternative der deutschen ARB 75 - die nunmehrigen deutschen ARB 94 decken sich in ihrer entsprechenden Bestimmung des § 4 Abs 3a unter Berücksichtigung des Entfalles einer dreimonatigen Wartezeit noch deutlicher - und des Art 3.2. Satz 1 der (österreichischen) ARB 1994, verfolgten den gleichen Regelungszweck, nämlich die Schaffung eines zeitlich begrenzten Risikoausschlusses. Art 3.2. der ARB 1994 trage somit der Tatsache Rechnung, dass in den unter diese Bestimmung fallenden Deckungsbereichen mit verstoßabhängigem Versicherungsfall die vom Versicherer übernommene Gefahr nicht nur dann in ein konkretes Verwirklichungsstadium eintrete, wenn der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter bereits begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten zu verstoßen, sondern dass die erste Phase der Gefahrenverwirklichung erfahrungsgemäß häufig schon dann gegeben sei, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung vorgenommen werde, die zwar ihrerseits noch keinen Rechtsverstoß gemäß Art 2.3. darstelle, jedoch ihrer Art nach geeignet ist, einen solchen Verstoß auszulösen, worunter auch - wie vorliegend - die Kündigung eines Vertragsverhältnisses falle.

Nach dem Zweck des Art 3.2. ARB 1994 greife der Ausschluss aber nur dann ein, wenn die Willenserklärung oder Rechtshandlung ihrer Natur nach erfahrungsgemäß den Keim eines nachfolgenden Rechtsverstoßes des einen oder anderen Teils bereits in sich trage, wie dies beispielsweise bei Kündigungen oft der Fall sei. Somit komme der Kündigung des Händler- und Werkstättenvertrages durch die K*****, die zwar nach Vertragsabschluss, aber vor Versicherungsbeginn erfolgt sei (Artikel 3.1. ARB 1994), dadurch, dass zwar nicht die Kündigung in Zweifel gezogen wurde, sondern über Folgen der Kündigung gestritten werde, die entscheidende Rolle zu. Die Wirkung der gegenständlichen Kündigung als streitträchtige Willenserklärung wäre nur dann nicht als gegeben anzusehen, wenn sie im konkreten Fall außerhalb der Lebenserfahrung und damit außerhalb adäquater Kausalität, dass der nunmehr anstehende Streit eine Folge der betreffenden Willenserklärung sei, liegen würde. Davon könne hier aber nicht die Rede sein. In der Judikatur habe sich die Ansicht durchgesetzt, dass § 24 HVertrG 1993 auf Vertragshändlerverträge unter der Voraussetzung analog anzuwenden sei, wenn der Vertrag, den wesentlichen Merkmalen des Handelsvertretervertrages derart angenähert sei, dass dessen Elemente überwiegen. Ob dies der Fall sei, sei ebenso wie die allfällige Höhe eines Ausgleichsanspruches als potentiell streitträchtig anzusehen.

Da vorliegend subjektive Momente keine Rolle spielten und die ARB 1994 auf die Laufzeit des Vertrages, nicht jedoch auf den Zeitpunkt des Abschlusses abstellten, sei es rechtlich irrelevant, wann die Streitteile Willensübereinstimmung über den Abschluss des vorliegenden Rechtsschutzversicherungsvertrages erzielt hätten. Entgegen der Ansicht der klagenden Partei seien die zitierten Versicherungsbedingungen nicht unklar, vielmehr seien sie unter Zugrundelegung des Maßstabes bzw Wissensstandes eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers als Risikoausschluss klar erkennbar.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der klagenden Partei ist nicht berechtigt. Dies aus folgenden Überlegungen:

Rechtliche Beurteilung

Die Auslegung von Versicherungsbedingungen hat von der Perspektive eines durchschnittlich verständigen Versicherten auszugehen (RIS-Justiz RS0017960; 0008901; 0050063; 7 Ob 231/99t); es handelt sich dabei um einen Maßstab, der den Kriterien der §§ 914 f ABGB weitgehendst entspricht. Daher sind Unklarheiten zu Lasten des Versicherer auszulegen. Risikoeinschränkende Klauseln besitzen daher in dem Maß keine Vertragskraft, als deren Verständnis von einem Versicherungsnehmer ohne juristische Vorbildung nicht erwartet werden kann. Der erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen muss aber stets beachtet werden (vgl Heiss/Lorenz VersVG2 § 1 Rz 49 f und 56 mwN).

Die Beschreibung des Versicherungsfalles bereitet in der Rechtsschutzversicherung Probleme, weil sich das Entstehen eines Bedarfes nach Rechtsschutz nicht immer klar abgrenzen lässt. Wenn sich der gewünschte Rechtsschutz auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bezieht, ist der Versicherungsfall regelmäßig jenes Ereignis, das den Anspruch begründet hat; bei Umweltschäden der "Störfall". In den übrigen Fällen ist der Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften. Der Versicherungsfall gilt mit dem Beginn dieses Verstoßes als eingetreten. Bei mehreren Verstößen ist auf den ersten abzustellen. Die Gefahren, die sich aus den beschriebenen Unschärfen bei der Festlegung des Versicherungsfalles ergeben können, werden durch zeitliche Risikobegrenzungen verringert. Im vorliegenden Fall hat die klagende Partei eine Kfz-Händlervertrags-Rechtsschutzversicherung ohne Warte- zeit mit vereinbartem Versicherungsbeginn 1. 1. 1996 abgeschlossen. Der Versicherungsfall und damit die Beurteilung der Deckungsverpflichtung der beklagten Versicherung wird durch den von der klagenden Partei geltend zu machenden Anspruch bestimmt.

Die analoge Anwendung von Handelsvertreterrecht auf sog

Vertragshändler ist dann gerechtfertigt, wenn die Beziehungen

zwischen dem Vertragshändler und dem Hersteller (oder seinem

Zwischenhändler) so gestaltet sind, wie es sonst zwischen

Unternehmern und Handelsvertretern üblich ist (SZ 46/109 = JBl 1975,

34; WBl 1991, 332). Der Gesetzgeber hat dem Anspruch auf Gewährung

einer angemessenen Entschädigung nach § 25 HVG eine typischerweise

gegebene und daher vermutete Äquivalenzstörung (vgl Jabornegg

Handelsvertreter- und Maklerrecht, 486 f) zugrunde gelegt. Die

besondere Vergütung soll die das Vertragsverhältnis überdauernden

Vorteile, die dem Geschäftsherrn aus der vom Handelsvertreter

zugeführten Kundschaft bleiben, abgelten. An diese Wertung hat auch

die analoge Anwendung des § 24 HVertrG auf Vertragshändler

anzuknüpfen (EvBl 1990/96 = RdW 1990, 286 = ecolex 1990, 222 = WBl

1990, 152; WBl 1991, 332, 9 Ob 2065/96h). Der Vertragshändler ist ein

Kaufmann, der in die Vertriebsorganisation eines Herstellers von

Markenwaren derart eingegliedert ist, dass er es durch Vertrag mit

dem Hersteller (bzw dessen Zwischenhändler) ständig übernimmt, im

eigenen Namen und auf eigene Rechnung die Vertragsware im

Vertragsgebiet zu vertreiben und ihren Absatz zu fördern, die

Funktionen und Risken seiner Geschäftstätigkeit daran auszurichten

und im Geschäftsverkehr das Herstellerzeichen neben der eigenen Firma

herauszustellen (P. Ullmer, Der Vertragshändler 206; Griss-Reiterer

in Straube, HGB2 Rz 6 zu § 383; Jabornegg, HVR 67; EvBl 1990/66 = RdW

1990, 284 = ecolex 1990,22 = WBl 1990, 152; SZ 63/175 = EvBl 1991/76

= RdW 1991, 77 = ecolex 1991, 72 = WBl 1991, 67 mwN; WBl 1991, 332; s

auch SZ 46/109). Wenngleich sich die Rechtsstellung des Vertragshändlers von der des Handelsvertreters insofern deutlich unterscheidet, als jener die Handelstätigkeit im eigenen Namen und auf eigene Rechnung entfaltet (vgl Jabornegg aaO 68), weist der Händlervertrag doch auch Dienstleistungselemente auf, welche ihn dem Agenturverhältnis ähnlich erscheinen lassen. Der Vertragshändler muss derart in die Absatzorganisation seines Lieferanten eingegliedert sein, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang dem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu besorgen und seinem Vertragspartner bei Vertragsbeendigung seinen Kundenstamm zu

überlassen hat (BGHZ 93, 29, 59 mwN; EvBl 1991/76 = RdW 1991, 77 =

ecolex 1991, 82 = WBl 1991, 67). Dem steht es gleich, wenn es dem Vertragspartner bloß tatsächlich ermöglicht wird, den vom Vertragshändler erworbenen Kundenstamm auch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses kontinuierlich zu nutzen (EvBl 1991/76 = RdW 1991, 77 = ecolex 1991, 82 = WBl 1991, 67 mwN). Entgegen Jabornegg (HVG 69) ist es auch nicht erforderlich, dass der Vertragshändler eine arbeitnehmerähnliche Stellung innehat (WBl 1991, 332), zumal der Ausgleichsanspruch auch jenen Handelsvertretern zusteht, die keine

arbeitnehmerähnliche Stellung haben (ÖBl 1991, 76 = RdW 1991, 77 =

ecolex 1991, 82 = WBl 1991, 67). Nach den Materialien zum Stammgesetz

hatte zwar § 25 HVG lediglich den Zweck, eine missbräuchliche Ausbeutung der Tätigkeit des kundenzuführenden Handelsvertreters zu verhindern, doch ging schon die ursprüngliche Fassung über dieses Ziel hinaus (Jabornegg, HVG 484). Entscheidend ist das Schutzbedürfnis des Vertragshändlers, das gegenüber der Marktmacht internationaler Automobilkonzerne auch dann zu bejahen ist, wenn der Vertragshändler selbst ein größeres Unternehmen hat. Auch in diesem analogen Anwendungsbereich dient daher § 25 HVG dem Schutz des typischerweise schwächeren Vertragspartners (vgl Liebscher, Die analoge Anwendung des § 25 HVG auf Franchiseverträge, WBl 1992, 105 [107]).

Da im vorliegenden Fall kein Schadenersatzanspruch der klagenden Partei vorliegt, orientiert sich die Beurteilung des Versicherungsfalles am (behaupteten) Verstoß des Vertragspartners der Klägerin. Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, ist bei Willenserklärungen des Gegners des Versicherungsnehmers darauf abzustellen, ob diese ihrer Natur nach bereits den Keim eines nachfolgenden Rechtsstreites in sich tragen und sohin "streitträchtig" sind (in diesem Sinn übereinstimmend Prölss-Martin VVG26 § 14 ARB 75 Rn 39 ff und Harbauer Rechtsschutzversicherung6 § 14 ARB 75 Rn 76).

Wie Kronsteiner (VR 1988, 169 [171] Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung [ARD 1988]) zutreffend erkannt hat, wurde die Fassung sowohl des Art 2.3 als auch des Art 3.2 der deutschen Bedingungslage entnommen, sodass entgegen der Ansicht der Revisionswerberin sehr wohl die deutsche Rechtsprechung und Lehre zur Auslegung heranzuziehen sind. Die zitierten Bestimmungen enthalten verschiedene, wenn auch nach der Art des Einzelfalles unter Umständen einander überdeckende zeitliche Risikoausschlüsse. Art 2.3 regelt den Fall, in dem mehrere als selbständig und adäquat kausal zu bewertende Verstöße vorliegen. Diese bleiben für die zeitliche Festlegung des Versicherungsfalles außer Betracht, soweit sie länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsantrages für das betroffene Wagnis zurückliegen. Diese Regelung beugt dem Streit darüber vor, ob solche länger zurückliegenden Vorgänge noch als adäquat kausal für die Entstehung des Rechtskonfliktes anzusehen sind und trägt der Erfahrungstatsache Rechnung, dass Verstöße nach einem solchen Zeitraum häufig schon "verziehen" sind, wenn sich in der Zwischenzeit keine Weiterungen ergeben haben (vgl Harbauer aaO Rn 58). Dementsprechend hat nach dem hier vorliegenden Sachverhalt daher die Bestimmung des Art 2.3 aus der Beurteilung auszuscheiden. Die Bestimmung des Art 3.2 der österreichischen ARB 1994 findet in der deutschen Bedingungslage in einer verschärften Form nämlich mit einer dreimonatigen Wartefrist nach Versicherungsbeginn ihren Niederschlag, was aber hinsichtlich des Verstoßeintrittes als solchem eine übereinstimmende Betrachtungsweise erlaubt. Zutreffend haben die Vorinstanzen in diesem Punkt die Lehrmeinungen von Prölss-Martin aaO und Harbauer aaO wiedergegeben. Auf die tatsächlich gegebene Differenz dieser Lehrmeinungen muss aber im vorliegenden Fall gar nicht eingegangen werden, weil die Kündigung des Händlervertrages durch die K***** nach den Klagsbehauptungen keinerlei Anbot enthielt, der Klägerin nach endgültiger Beendigung des Vertrages den ihr zustehenden Anspruch analog § 24 HVertrG adäquat abzugelten. Nur ein derartiges Angebot hätte unter Zugrundelegung des klägerischen Rechtsstandpunktes einer vertragsgemäßen Kündigung entsprochen. Somit erweist sich nach den Klagsbehauptungen die Kündigung der K***** vom 26. 10. 1995 als unvollständig im Sinne von vertragswidrig und begründet daher einen Verstoß im Sinne des Art 3.2 der ARB 1994. Wie bereits zuvor ausgeführt wurde, ist ja der Ausgleichsanspruch der klagenden Partei bereits im Zeitpunkt der Kündigung entstanden, wenn er auch möglicherweise mangels Berechenbarkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig war. Dies ändert jedoch nichts an einem vertragswidrigen Verhalten des Geschäftspartners der klagenden Partei, ihr diesen Anspruch vorzuenthalten, wie sie dies dann auch später schriftlich deponiert hat. Damit ist aber der Versicherungsfall bereits vor Eintritt des Versicherungsbeginns eingetreten und muss aus diesem Grunde eine Deckungsverpflichtung der beklagten Versicherung verneint werden.

Zur Erkennbarkeit dieses Risikoausschlusses für Verstöße vor Versicherungsbeginn hat der Senat noch erwogen: Wie bereits dargelegt, sollen die zeitlichen Risikoausschlüsse Zweckabschlüsse in der Rechtsschutzversicherung verhindern, wobei es für den Versicherer nicht erforderlich ist, nachzuweisen, dass ein solcher im konkreten Fall vom Versicherungsnehmer beabsichtigt war (vgl Harbauer aaO Rn 66 mwN). Die Erschwerung sogenannter "Zweckabschlüsse" kann in der Rechtsschutzversicherung als einer Massenbranche zwangsläufig nur generalisierend durch eine starre, etwaige Besonderheiten des Einzelfalles vernachlässigende zeitliche Begrenzung als grober Raster erfolgen. Gegen derartige Risikoausschlüsse bestehen im Hinblick auf § 915 ABGB keine Bedenken, weil jeden durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer die Notwendigkeit solcher Begrenzungen klar sein muss (vgl mwN 7 Ob 202/98a).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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