OGH 8ObS191/00x

OGH8ObS191/00x7.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer als Vorsitzende und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Krajcsir und Heinrich Dürr als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Inge D*****, kaufm. Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider das Bundessozialamt für Soziales und Behindertenwesen für Kärnten, Klagenfurt, Kumpfgasse 23, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenzausfallgeld (S 54.471,-- netto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. März 2000, GZ 7 Rs 47/00m-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Dezember 1999, GZ 30 Cgs 122/99d-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 4.871,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 811,84 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Vom 4. 2. 1981 bis 30. 6. 1982 war die Klägerin bei der Firma A*****, die ebenso wie der spätere Arbeitgeber der Klägerin Johann M***** einen Sanitärgroßhandel betrieb, und vom 1. 7. bis 13. 8. 1982 bei der Dr. W***** Gesellschaft als Angestellte berufstätig. Vom 16. 8. 1982 bis 31. 1. 1984 war sie beim späteren Gemeinschuldner Johann M***** als Angestellte tätig, wobei sie gleichzeitig die Abendschule an der Handelsakademie Klagenfurt besuchte. Nach der einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses nahm die Klägerin eine sechsmonatige Lernkarenz in Anspruch, während der sie von der öffentlichen Hand eine finanzielle Unterstützung erhielt. Nach der Matura im Juni 1984 absolvierte sie in Absprache mit ihrem Arbeitgeber M***** noch einen dreiwöchigen Sprachaufenthalt in Italien, dem Haupteinkaufsgebiet ihres Arbeitgebers. Ab 6. 8. 1984 war sie wieder für Johann M***** tätig. Infolge Geburt eines Kindes bezog sie vom 7. 6. bis 28. 9. 1991 Wochengeld. Anschließend war sie bis 3. 8. 1993 in Karenz, wobei sie während dieser Zeit in Wiener Neustadt lebte.

Am 3. 8. 1993 schloss sie mit Johann M***** nachstehende Vereinbarung:

"Anrechnung der Vordienstzeiten für Abfertigung

Das Dienstverhältnis mit Frau Inge D*****, wird nach Ablauf der Karenzurlaubszeit in beiderseitigem Einvernehmen mit 3. 8. 1993 aufgelöst.

Frau Inge D***** wird die Wiedereinstellung bis längstens 1. 9. 1993 zugesagt, wobei für das neue Dienstverhältnis die bisherigen Bedingungen gelten und die Dienstzeit des bisherigen Dienstverhältnisses als Vordienstzeit für die Abfertigung voll angerechnet wird. Die bisherigen Vordienstzeiten per 1. 9. 1993 betragen 11 Jahre.

Hinsichtlich des Urlaubsausmaßes und des Entgeltfortzahlungsgesetzes gelten die gesetzlichen Vordienstzeitenanrechnungsbestimmungen. Im Hinblick auf die bezüglich der Abfertigung vereinbarte Vordienstzeitenanrechnung wird vereinbart, dass die Abfertigung aus Anlass der Beendigung des bestehenden Dienstverhältnisses nicht ausbezahlt wird.

Nimmt Frau D***** das Angebot auf Wiedereinstellung nicht an, so gelangt die Abfertigung in der gesetzlichen Höhe zur Auszahlung."

Bei der vereinbarten Vordienstzeitenanrechnung fanden neben der Dienstzeit der Klägerin bei der Firma A***** auch die Zeiten der Unterbrechung des Dienstverhältnisses bei Johann M***** Berücksichtigung. Ab 1. 9. 1993 war die Klägerin wieder bei Johann M***** tätig, über dessen Vermögen mit Beschluss vom 13. Jänner 1999 beim Landesgericht Klagenfurt zu 6 S 19/98f das Konkursverfahren eröffnet wurde. Das Dienstverhältnis der Klägerin, die nie eine Abfertigung von Johann M***** ausbezahlt erhalten hatte, endete durch Kündigung durch den Masseverwalter zum 31. März 1999.

Mit Antrag vom 4. 3. 1999 begehrte die Klägerin von der Beklagten Insolvenz-Ausfallgeld ua für Abfertigung im Ausmaß von sechs Monatsentgelten im Betrag von S 163.414,--.

Mit Bescheid vom 31. 8. 1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von weiterem Insolvenz-Ausfallgeld für Abfertigung im Betrag von S 54.471,-- ab, nachdem sie der Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld im Betrag von S 108.943 für Abfertigung zuerkannt hatte.

Dagegen richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld im - der Höhe nach unstrittigen - Betrag von S

54.471 samt 8,5 % Zinsen ab 13. 1. 1999. Die Klägerin brachte vor, bei Berechnung der Abfertigung sei von einer Gesamtdauer des Dienstverhältnisses von mehr als 15 Jahren auszugehen, weil die Vereinbarung vom 1. 9. 1993 eine zulässige Anrechnung von Vordienstzeiten von 11 Jahren beinhalte, weshalb ihr zwei weitere Monatsentgelte an Abfertigung gebührten. Es sei Vertragswille der Parteien gewesen, auch Zeiten anzurechnen, die die Klägerin nicht bei Johann M***** verbracht habe, sowie die Karenzzeit.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete im Wesentlichen ein, dass das Dienstverhältnis der Klägerin zu Johann M***** insgesamt nur 14,19 Jahre gedauert habe, weshalb ihr vier Monatsentgelte Abfertigung gebührten. Die vom ehemaligen Dienstgeber zugesagte "anrechenbare Vordienstzeit für die Abfertigung" sei als sogenannte freiwillige Abfertigung zu qualifizieren. Die Anrechnung sei mit dem Regelungszweck des IESG nicht vereinbar, weil dadurch die Begrenzungsbestimmungen des § 1 IESG umgangen würden. Aus der Anrechnungsvereinbarung gehe hervor, das nur Dienstzeiten bei Johann M***** angerechnet werden sollten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es beurteilte den eingangs dargestellten Sachverhalt rechtlich dahin, dass nur gesetzliche Abfertigungsansprüche nach dem IESG gesichert seien. Nach dem Angestelltengesetz habe der Angestellte nur Anspruch auf Abfertigung gegenüber dem Arbeitgeber für die bei diesem verbrachte Dienstzeit, zu der auch ein gegen Entfall der Bezüge zu Studienzwecken gewährter Urlaub zähle. Die Anrechnung von Dienstzeiten bei anderen Dienstgebern sei individuell zu vereinbaren. Der Karenzurlaub nach dem Mutterschutzgesetz habe beim Berechnungszeitraum für die Abfertigung außer Betracht zu bleiben. Der Klägerin gebühre daher für die tatsächliche Dienstzeit bei Johann M***** von 14 Jahren zwei Monaten und sieben Tagen nur die Abfertigung im Ausmaß von vier Monatsentgelten, die sie schon erhalten habe. Die vertragliche Anrechnung der Dienstzeit bei der Firma A***** stelle nur eine freiwillige Abfertigung dar. Auch bei Annahme einer dienstzeitverlängernden Lernkarenz vom 1. 2. bis 5. 8. 1984 erreiche die Klägerin nicht 15 Jahre Dienstzeit.

Infolge Berufung der Klägerin änderte das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens mit S 54.471,-- samt 4 % Zinsen seit 13. 1. bis 12. 7. 1999 an Insolvenzausfallgeld ab und wies lediglich das Zinsenmehrbegehren ab; weiters sprach es aus, dass die Revision nach § 46 Abs 1 ASGG zulässig sei.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, die Abfertigung sei ein besonderes, durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bedingtes Entgelt. Voraussetzung für die Abfertigung sei eine bestimmte Dauer des Arbeitsverhältnisses, wobei eine Mindestdienstzeit von drei Jahren erforderlich sei. Die ununterbrochene Dauer des Arbeitsverhältnisses werde durch den rechtlichen Bestand desselben gekennzeichnet, nicht aber durch die Tatsache der Beschäftigung. Die Unterbrechung der Dienstleistung ohne Beendigung des Vertragsverhältnisses sei also ohne Einfluss auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses (Martinek ua AngG7 443; Holzer ua, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz4, 132). Eine Anrechnung von bei anderen Arbeitgebern verbrachten Vordienstzeiten für die Abfertigung sei ausschließlich Sache individueller Vereinbarung, des Kollektivvertrages bzw einer hiezu befugten Betriebsvereinbarung. Ein gesetzlicher Anspruch auf Abfertigung bestehe gegenüber dem Arbeitgeber nur für die bei ihm verbrachte Dienstzeit (Martinek aaO 445).

Nach § 15 Abs 2 MSchG bleibe die Zeit des Karenzurlaubes bei Rechtsansprüchen der Dienstnehmerin, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, soweit nichts anderes vereinbart sei, außer Betracht.

Aus § 1 Abs 4a IESG ergebe sich der klare Gesetzeszweck, nur gesetzliche Abfertigungsansprüche zu sichern, und zwar im Ausmaß des Angestelltengesetzes oder einer gleichartigen österreichischen Vorschrift, worunter nicht bloß kollektivvertragliche, sondern ausschließlich gesetzliche Vorschriften zu verstehen seien. Der Oberste Gerichtshof habe wiederholt betont, dass Insolvenz-Ausfallgeld nur für gesetzliche, nicht aber für freiwillige Abfertigungsansprüche gebühre (8 ObS 21/94; 8 ObS 2112/96p; 8 ObS 240/97w). Er habe aber auch ausgesprochen, es dürfe in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass das IESG in § 1 Abs 3 ausdrücklich auf Einzelvereinbarungen Bezug nehme und diese nur in bestimmten - hier nicht gegebenen und auch von der Beklagten nicht behaupteten - Fällen von der Sicherung nach dem IESG ausgeschlossen seien. § 3 Abs 3 zweiter Satz IESG bestimme, dass eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten unter Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 Z 2 IESG der Berechnung des Insolvenz-Ausfallgeldes insoweit zugrundezulegen sei, als es sich um die Anrechnung von tatsächlich geleisteten Beschäftigungszeiten handle und solche Zeiten nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt worden seien. Damit sei klargestellt worden, dass Einzelvereinbarungen insoweit gegenüber dem IESG-Fonds wirksam seien, als damit noch nicht abgefertigte Zeiten berücksichtigt werden (8 ObS 206/98x).

Im Anlassfall habe die Klägerin mit dem späteren Gemeinschuldner 1993 die Anrechnung von Vordienstzeiten im Ausmaß von 11 Jahren per 1. 9. 1993 vereinbart. Die Anrechnung der Vordienstzeiten beim selben Arbeitgeber sehe § 23 Abs 1 AngG vor. Diese Bestimmung stelle im Übrigen auf die ununterbrochene Dauer des Arbeitsverhältnisses ab, die auch während des Karenzurlaubes gegeben sei. Wenn sogar die Vereinbarung der Anrechnung von tatsächlich geleisteten Beschäftigungszeiten bei anderen Dienstgebern für die Abfertigung einen gesicherten Anspruch nach dem IESG auslöse, dann müsse dies auch für die Vereinbarung der Anrechnung von Zeiten der Karenz während aufrechten Dienstverhältnisses gelten (vgl 8 ObS 88/97t). Unter Berücksichtigung des Zeitraumes des Karenzurlaubes vom 29. 9. 1991 bis 3. 8. 1993 habe das Dienstverhältnis der Klägerin mehr als 15 Jahre gedauert und gebühre ihr daher die Abfertigung im Ausmaß von 6 Monatsentgelten bzw - zusätzlich zu dem von der beklagten Partei gewährten Anspruch - die Differenz von 2 Monatsentgelten.

Zum selben Ergebnis komme man, wenn dem Abfertigungsanspruch der Klägerin die tatsächliche Beschäftigungszeit bei der Firma A***** vom 4. 2. 1981 bis 30. 6. 1982 zugrundegelegt werde.

Der Zinsenzuspruch gründe sich auf § 3 Abs 2 iVm § 17a Abs 12 IESG. Nach dieser Bestimmung gebührten Zinsen aber nur bis 6 Monate nach Eröffnung des Konkurses. Die erhöhten Zinsen nach § 49a ASGG seien nicht zuzusprechen, weil die Verzögerung der Zahlung nicht auf eine unvertretbare Rechtsansicht des Arbeitgebers zurückzuführen sei, sondern auf den Konkurs des Gemeinschuldners (vgl 8 ObS 11/99x).

Die Revision sei zulässig, weil der Lösung der Rechtsfrage, ob die vereinbarte Anrechnung von Karenzurlaubszeiten für die Abfertigung einen gesicherten Anspruch bilde, erhebliche Bedeutung im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG zukomme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Klägerin beantragt der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 3 Abs 3 IESG idF der Nov 1997, der hier anzuwenden ist, weil der Konkurs über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin nach dem 30. 9. 1997 eröffnet wurde, ist eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten unter Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 Z 2 IESG der Berechnung des Insolvenzausfallgeldes insoweit zu Grunde zu legen, als es sich um die Anrechnung von tatsächlich geleisteten früheren Beschäftigungszeiten handelt und solche Zeiten nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt wurden (8 ObS 323/99d). Hiebei ist nicht erforderlich, dass die tatsächlich absolvierten Zeiten beim selben Arbeitgeber verbracht wurden (s Holzer/Reissner/Schwarz, Die Rechte des Arbeitsnehmers bei Insolvenz4 231).

Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen sollte nach der übereinstimmenden Absicht der Parteien mit der Vereinbarung vom 3. 8. 1993 auch die Dienstzeit der Klägerin bei der in derselben Sparte wie Johann M***** tätigen A***** vom 4. 2. 1981 bis 30. 6. 1982 angerechnet werden. Da nur dann, wenn eine übereinstimmende Parteienabsicht nicht erwiesen wurde, der Gehalt der schriftlichen Willenserklärung im Wege der rechtlichen Beurteilung durch Auslegung ermittelt werden darf (4 Ob 546/79; SZ 65/71; 8 ObA 261/95; 9 Ob 2258/96s), ist von der festgestellten Parteienabsicht auszugehen.

Da mit der einzelvertraglichen Anrechnung dieser gemäß § 3 Abs 3 IESG der Berechnung des gesicherten Abfertigungsanspruches zu Grunde zu legenden Beschäftigungszeit bei einem anderen Arbeitgeber die für die begehrte Abfertigung von sechs Monatsentgelten erforderliche Dienstzeit von 15 Jahren überschritten wird, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwieweit auch Zeiten des Karenzurlaubs auf Grund der einzelvertraglichen oder einer kollektivvertraglichen Anrechnung (vgl 8 ObS 88/97t) oder zur Vermeidung einer gegen Art 141 EG (ex 119 EGV) verstoßenden Diskriminierung bei Berechnung des gesicherten Abfertigungsanspruches zu berücksichtigen sind.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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