OGH 2Ob77/00p

OGH2Ob77/00p30.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 10. April 1976 geborenen Sanja A*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Sevdelin A*****, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf, Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgericht vom 2. Februar 2000, GZ 1 R 44/99g-86, womit infolge Rekurses des Vaters der Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 21. Mai 1999, GZ 13 P 64/92-82, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt wie folgt zu lauten hat:

Der Vater Sevdelin A***** ist schuldig nachstehende Kostenersatzbeträge an das Amt für Jugend und Familie für den 22. Bezirk zu bezahlen, und zwar für die Zeit vom 23. 5. 1992 bis 31. 8. 1992 monatlich S 2.750,--; für die Zeit vom 1. 9. 1992 bis 31. 12. 1992 monatlich S 1.800,--; für die Zeit vom 1. 1. 1993 bis 31. 8. 1993 monatlich S 2.000,-- und für die Zeit vom 1. 9. 1993 bis 30. 11. 1994 monatlich S 1.200,--.

Diese Beträge sind abzüglich bereits geleisteter Zahlungen binnen 14 Tagen zu entrichten.

Text

Begründung

Das Amt für Jugend und Familie für den 22. Bezirk stellte den Antrag, Sevdelin A***** als Vater der am 10. 4. 1976 geborenen Sanja A***** ab 23. 5. 1992 bis zur Beendigung der vollen Erziehung zu einer monatlichen Kostenersatzleistung von S 3.150,-- zu verpflichten. Es begründete dies damit, dass die (damals) Minderjährige in Pflege und Erziehung der Stadt Wien übernommen worden sei. Sie befinde sich bei einer Pflegemutter. Hiefür liefen monatliche Kosten von S 5.133,-- auf. Der Vater beziehe ein monatliches Nettoeinkommen von S 15.000,--, weshalb er eine Kostenersatzverpflichtung von 21 % der Bemessungsgrundlage tragen könne.

Der Vater wendete ein, er könne lediglich S 1.200,-- monatlich bezahlen. Zu einer Mehrleistung sei er aufgrund seiner Sorgepflichten und der Kreditrückzahlungen nicht in der Lage.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater nachstehende Kostenersatzbeträge zu zahlen, und zwar für die Zeit vom 23. 5. bis 31. 12. 1992 monatlich S 2.750,--, für die Zeit vom 1. 1. 1993 bis 31. 12. 1993 monatlich S 2.899,-- und für die Zeit vom 1. 1. 1994 bis 30. 11. 1994 monatlich S 3.150,--. Das Mehrbegehren des antragstellenden Amtes für die Zeit vom 23. 5. 1992 bis 31. 12. 1993 wurde abgewiesen.

Das Erstgericht stellte fest, dass sich die Minderjährige in der Zeit vom 23. 5. 1992 bis 30. 11. 1994 in Gemeindepflege befand und ab diesem Zeitpunkt in eine eigene Wohnung entlassen wurde. Sie habe nur über eine Lehrlingsentschädigung von monatlich S 3.500,-- verfügt, weshalb sie zur Kostenersatzleistung nicht herangezogen werden könne.

In seinem abweisenden Teil sowie hinsichtlich eines Zuspruches von S 1.200,-- pro Monat erwuchs dieser Beschluss in Rechtskraft.

Im Übrigen änderte das Rekursgericht die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass der Vater verpflichtet wurde, für die Zeit vom 1. 1. 1994 bis 30. 4. 1994 anstelle des festgesetzten Betrages von monatlich S 3.150,-- nur einen solchen von S 2.500,-- zu bezahlen.

Das Rekursgericht traf folgende Feststellungen:

Das monatliche Nettoeinkommen des Vaters betrug im Jahr 1992 S 14.583,--, im Jahr 1993 S 15.372,-- und im Jahr 1994 S 17.844,--. Seine Tochter begann mit 1. 9. 1992 eine Lehre als Bürokauffrau und bezog eine Lehrlingsentschädigung im ersten Lehrjahr von S 4.018,--, im zweiten von S 6.314,-- und im dritten von S 8.736,--.

Die Kosten der vollen Erziehung beliefen sich auf S 5.133,-- monatlich.

Der Richtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG betrug im Jahr 1992 S 7.500,--, im Jahr 1993 S 8.166,-- und im Jahr 1994 S 8.750,--.

Der Durchschnittsbedarf für Minderjährige der Altersgruppe 15 bis 19 Jahre betrug vom 1. 7. 1991 bis 30. 6. 1992 S 3.690,--, vom 1. 7. 1992 bis 30. 6. 1993 S 3.850,--, vom 1. 7. 1993 bis 30. 6. 1994 S 4.000,-- und ab 1. 7. 1994 S 4.110,--.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht unter Hinweis auf die Entscheidung 5 Ob 560/94 aus, ein unterhaltsberechtigtes Kind sei selbsterhaltungsfähig, wenn es - auf sich alleine gestellt - mit seinen Einkünften alle Lebensbedürfnisse, also auch den fiktiven Geldaufwand zur Erlangung notwendiger Pflege- und Erziehungsleistungen decken könne. Solche Bedürfnisse könnten auch darin liegen, dass das Kind weiterhin auf spezielle Erziehungshilfen angewiesen sei. Im vorliegenden Fall habe sich die ehemals Minderjährige vom 23. 5. 1992 bis 30. 11. 1994 in voller Erziehung des Landes Wien befunden, wofür Kosten in der Höhe von S 5.133,-- aufgelaufen seien, die gemäß § 39 Abs 1 Wr. JWG von der Minderjährigen und ihren Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht nach bürgerlichem Recht zu tragen seien, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande sei. Diese Kosten der vollen Erziehung stellten einen Sonderbedarf dar, der zumindest zum Teil auch außerhalb der Erziehungsmaßnahme angefallen wäre und deshalb im konkreten Fall anteilig auch vom unterhaltspflichtigen Vater abzudecken sei.

Demnach hätte der vom Vater zu leistende Kostenersatzbetrag für das Jahr 1992 S 3.060,--, für das Jahr 1993 S 3.230,-- und für das Jahr 1994 S 3.750,-- betragen. Berücksichtige man unter Zugrundelegung der Richtwertformel des Obersten Gerichtshofes das Eigeneinkommen der Unterhaltsberechtigten während ihrer Lehrzeit, so errechne sich aus den Richtsätzen für die Ausgleichszulage in den Jahren 1992, 1993 und 1994 abzüglich des jeweiligen Mindesteinkommens multipliziert mit dem Verhältnis des Regelbedarfs zur Mindestpension für das erste Lehrjahr eine Unterhaltsverpflichtung von S 1.900,--, für das zweite Lehrjahr eine solche von S 1.050,-- während ab 1. 9. 1994 die Minderjährige zur Deckung ihrer gewöhnlichen Lebensbedürfnisse imstand gewesen wäre. Dies allerdings nur ohne Berücksichtigung des zufolge der vollen Erziehung zusätzlich abzudeckenden Sonderbedarfs. Diesen hätte die Unterhaltsberechtigte aus dem eigenen Einkommen nicht bestreiten können, weshalb für die Folgezeit weiterhin eine Leistungspflicht des Vaters zur zumindest teilweisen Abdeckung dieses Bedarfes zu bejahen sei. Die in der Entscheidung des Erstgerichtes festgestetzten Kostenersatzbeträge für die Zeit bis 31. 8. 1994 seien dem Leistungsvermögen des Vaters durchaus gerecht. Hingegen erscheine für die Zeit ab 1. 9. 1994 im Hinblick auf das Eigeneinkommen der Pflegebefohlenen ein Betrag von 50 % des Sonderbedarfs, das seien rund S 2.500,-- angemessen.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Rekursgericht für zulässig, weil zur Frage der Abdeckung des durch Übernahme eines unterhaltsberechtigten Kindes in volle Erziehung des Jugendwohlfahrtsträgers auflaufenden Sonderbedarfs bzw der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes im Zusammenhang mit einem solchen Sonderbedarf noch keine hinreichende Judikatur gegeben sei.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass er für schuldig erkannt werde, für den Anspruchszeitraum einen monatlichen Kostenersatz von S 1.200,-- zu bezahlen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und zum Teil auch berechtigt.

Der Vater machte in seinem Rechtsmittel geltend, die Höhe des von ihm an den Jugendwohlfahrtsträger zu leistenden Kostenersatzes für Erziehungsmaßnahmen hänge vom Umfang seiner Unterhaltspflicht ab. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes handle es sich bei den Kosten der Einweisung in die volle Erziehung nicht um einen Sonderbedarf, weil mit diesen Kosten der Wohnbedarf sowie die Pflege und Verköstigung der Minderjährigen abgedeckt werde. Der geltend gemachte Betrag von monatlich S 5.133,-- liege nicht über jenen Kosten, die anderwärtig für Wohnung, Energie, Pflege und Verpflegung im Rahmen des täglichen Lebens anfielen. Von einem Sonderbedarf könne begrifflich nur dort die Rede sein, wo Kosten entstünden, die über den durchschnittlichen Kosten gelegen seien, was hier jedoch nicht der Fall sei.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 33 JWG (§ 39 Wr. JWG 1990) haben die Kosten der vollen Erziehung der Minderjährige und seine Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht nach bürgerlichem Recht zu tragen, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande sind. Die Höhe der nach diesen Bestimmungen geltend gemachten Ersatzforderung hängt von der Unterhaltsverpflichtung der in Anspruch genommenen Eltern ab (RIS-Justiz RS0078933; ÖA 1996, 135 = EFSlg 77.831). Letztere entfällt mit der Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit (Schwimann in Schwimann2, ABGB, Rz 90 zu § 140 mwN). Bei einfachen Verhältnissen ist es sachgerecht, die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Lehrlings bei einem Bezug in der Höhe des Mindestpensionssatzes anzunehmen (RIS-Justiz RS0047645; SZ 63/101; SZ 65/114). Solche einfachen Verhältnisse liegen hier vor, liegt doch der nach der Prozentsatzmethode sich ergebende Unterhalt unter dem Regelbedarf.

Wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt dies aber nicht, wenn besondere Bedürfnisse bestehen, die aus dem Eigeneinkommen nicht zu decken sind. Selbsterhaltungsfähig ist nämlich ein Kind nur dann, wenn es - auf sich allein gestellt - mit seinen Einkünften alle Lebensbedürfnisse, also auch den fiktiven Geldaufwand zur Erlangung notwendiger Pflege- und Erziehungsleistungen decken könnte (5 Ob 560/94 = ÖA 1995, 152 = EFSlg 77.832, 77.840, 77.843, 77.846, 77.848, 79.674). Derartige besondere Bedürfnisse bestehen aber - entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes - hier nicht, betragen doch die Kosten der vollen Erziehung, anders als im Fall der Entscheidung 5 Ob 560/94, nur S 5.133,-- und übersteigen somit den Regelbedarf, der aber die Betreuungskosten nicht erfasst (Schwimann, aaO, Rz 22 zu § 140 ABGB), nur mäßig und liegen vor allem unter den Mindestpensionssätzen.

Daraus folgt, dass bei der Ermittlung des vom Vater zu ersetzenden Kostenbetrages die Kosten der vollen Erziehung nicht zu berücksichtigen sind, weil sie auch bei einem Kind, das im elterlichen Haushalt lebt, aufgelaufen wären.

Dies hat zur Folge, dass das Einkommen der Tochter des Antragsgegners im Sinne der Entscheidung SZ 65/114 (siehe hiezu auch Schwimann, aaO, Rz 88 zu § 140 ABGB) zu berücksichtigen ist. Daraus folgt bei Anwendung der dort entwickelten Berechnungsmethode eine Kostentragungspflicht des Vaters für den Zeitraum vom 23. 5. 1992 bis zum Beginn der Erwerbstätigkeit seiner Tochter in der vom Erstgericht zugesprochenen Höhe von S 2.750,-- pro Monat. Für die Zeit vom 1. 9. 1992 bis 31. 12. 1992 beträgt die Kostenersatzpflicht S 1.800,-- pro Monat, für die Zeit vom 1. 1. 1993 bis 31. 8. 1993 S 2.000,-- pro Monat. Für die Folgezeit erreicht sie jedoch nicht den bereits rechtskräftig zugesprochenen Betrag von S 1.200,-- pro Monat, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

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