OGH 7Ob16/00d

OGH7Ob16/00d29.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller sowie Dr. Kuras als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Andreas R*****, und der mj. Martina R*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 21. Bezirk als Unterhaltssachwalter, infolge Revisionsrekurses der beiden Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. November 1999, GZ 45 R 670/99h-192, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 30. August 1999, GZ 3 P 2088/95s-179, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Aus Anlass des Revisionsrekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie den Antrag auf Erhöhung des Unterhaltsvorschusses für die Zeit vom 1. 12. 1997 bis 30. 4. 1999 betreffen, ersatzlos aufgehoben und der Antrag insoweit zurückgewiesen.

2. Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit sie den Antrag auf Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse für die Zeit ab 1. 5. 1999 betreffen (ON 178), aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Mutter der beiden Minderjährigen wurde letztmalig mit Beschluss vom 17. 8. 1994 (ON 99) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.150,-- pro Kind ab 1. 3. 1994 verpflichtet. Mit Schreiben vom 7. 3. 1997 (ON 120) beantragte die Mutter eine Unterhaltsherabsetzung mit der Begründung, derzeit monatlich nur S5.635,-- netto zu verdienen. Dieses Einkommen werde sich aber bis Sommer erhöhen. Tatsächlich hat aber die Mutter das Arbeitsverhältnis per 30. 6. 1997 durch Wegbleiben vom Arbeitsplatz beendet (AS 263). Dementsprechend trat der Unterhaltssachwalter der beiden Minderjährigen dem Herabsetzungsbegehren der Mutter entgegen (AS 285). Über diesen Antrag wurde bislang noch nicht entschieden.

Den Minderjährigen wurden mit Beschlüssen des Erstgerichtes vom 29. 12. 1997 auf Grund der von der Mutter nicht erfüllten Alimentationspflicht Titelunterhaltsvorschüsse, und zwar der mj Martina in Höhe von monatlich S 2.150,-- und dem mj Andreas in Höhe von monatlich S 1.300,-- für die Zeit vom 1. 2. 1998 bis 31. 5. 2000 bzw 31. 1. 2001 gewährt (ON 146 und 147 sowie 151). Über Vorlage der Mitteilung des Arbeitsmarktservices vom 19. 6. 1998, wonach die Mutter seit 3. 11. 197 Notstandshilfe bezieht (AS 293) durch den Unterhaltssachwalter setzte das Erstgericht den Unterhaltsvorschuss für die beiden Kinder ab 1. 12. 1997 auf je S 642,-- unter gleichzeitiger Anordnung, dass ein Einbehalt der zu Unrecht ausbezahlten Vorschussbeträge nicht zu erfolgen habe, herab.

Das Rekursgericht bestätigte über Rekurs der beiden Minderjährigen diesen Beschluss des Erstgerichtes.

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 23. Juni 1999 zu 7 Ob 142/99d als verspätet zurückgewiesen.

Nach Zustellung dieser Entscheidung beantragten die beiden Minderjährigen mit dem gegenständlichen Antrag vom 22. 7. 1999 (ON 178), die Unterhaltsvorschüsse ab dem 1. 1. 1997 wieder auf S 1.300,-- bzw S 2.150,-- anzuheben.

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung ab, dass begründete Bedenken im Sinn des § 7 UVG bestünden und der Anspannungsgrundsatz nicht herangezogen werden könne.

Das Rekursgericht gab dem dagegen von den beiden Minderjährigen erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass die Erhebung des Revisionsrekurses zulässig sei. Das Gericht habe gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) bestehe oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt sei. Bei einem Bezug von Arbeitslosenunterstützung und Notstandshilfe lägen begründete Bedenken im Sinne der zitierten Gesetzesstelle vor, werde doch dadurch indiziert, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage sei, eine Arbeitsstelle zu finden. Nach der Intention des Gesetzgebers infolge der erläuternden Bemerkungen zu § 7 Abs 1 UVG solle diese Bestimmung vor allem einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen vorbeugen, aber auch sonst, besonders, wenn sich seit der Festsetzung des Unterhaltsbeitrages die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Verhältnisse wesentlich gebessert hätten, dem Gericht ermöglichen, die Vorschüsse in der der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Höhe zu bemessen. Ziel dieser Bestimmung sei es daher ausschließlich, im Vorschussverfahren amtswegig den die Vorschüsse auszahlenden Bund davor zu schützen, dass er nicht entgegen § 1 UVG höhere Vorschüsse, als sie dem gesetzlichen Unterhalt entsprächen, bezahle. Die Bestimmung sei also nicht zum Schutze des Unterhaltsschuldners geschaffen worden. Dieser habe die Titelkorrektur in dem dafür maßgebenden Verfahren anzustreben. Eine generelle Überprüfung des Exekutionstitels auf seine Richtigkeit habe nicht stattzufinden. Die maßgeblichen Umstände müssten offenkundig, offensichtlich, gerichtsbekannt sein, sich aus der Aktenlage ergeben, und keine weitwendigen oder umfangreichen Erhebungen zur Klarstellung erfordern. Vagen Möglichkeiten sei nicht nachzugehen. Eine Ausforschung von Umständen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte vorhanden seien, habe nicht zu erfolgen. Es müsse ein konkreter Verdacht vorliegen. Bei all dem sei ein "strenger Maßstab" anzulegen. Der gegenteiligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach amtswegige Erhebungen über die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners erforderlich seien, könne nicht gefolgt werden. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes seien nicht gegeben. Der Hinweis, dass die Unterhaltspflichtige einen PKW mit 2000 cm3 Hubraum besitze, reiche nicht aus, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des zulässigen und auch berechtigten Revisionsrekurses der Minderjährigen sind jedoch die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie über den Erhöhungsantrag auch für den Zeitraum vom 1. 12. 1997 bis zur Rechtskraft des Beschlusses im Vorverfahren absprechen, als nichtig aufzuheben und der Antrag zurückzuweisen. Auch im Außerstreitverfahren kommt den gerichtlichen Entscheidungen formelle und materielle Rechtskraft zu, die in jeder Lage des Verfahrens zu beachten ist (vgl Mayr/Fucik, Verfahren außer Streitsachen § 18 Rz 1 mwN; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 302 Z 5; RIS-Justiz RS0007171 = EvBl 1965/225, SZ 38/194, EvBl 1969/32, SZ 44/82, SZ 63/153 uva). Nur soweit ein Begehren nicht deckungsgleich ist (vgl RZ 1992/13 mit zahlreichen weiteren Nachweisen, ebenso Purtscheller/Salzmann aaO Rz 302 Z 4) oder eine Änderung des Sachverhalts gegenüber der früheren Entscheidung eingetreten ist (vgl RIS-Justiz RS0007161 = ÖA 1992, 57; RIS-Justiz RS0007201 = ÖA 1984, 44 ua), kann eine neuerliche Entscheidung erfolgen. Dabei ist es auch ausreichend, dass nur eine Veränderung der dem Gericht bekannten Tatsachen eintritt (vgl SZ 65/54 mwN). Solche Tatsachen werden aber hinsichtlich des Zeitraumes bis zur Rechtskraft des Beschlusses über die Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses am 9. 4. 1999 nicht geltend gemacht, sodass insoweit der Antrag zurückzuweisen und das Verfahren der Vorinstanzen als nichtig aufzuheben war (vgl SZ 65/54).

Im Übrigen ist der Revisionsrekurs der Kinder berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass über die Frage der Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses gemäß § 7 Abs 1 UVG bereits rechtskräftig entschieden wurde. Der neuerliche Antrag ist daher als Antrag auf Erhöhung anzusehen, auf den § 19 Abs 2 UVG analog angewandt werden kann (vgl dazu auch Neumayr in Schwimann ABGB2 § 19 UVG Rz 20; nur zu einer von der Titelerhöhung unabhängigen Erhöhung aM Haslberger, Unterhaltsvorschussgesetz § 19 Rz 5).

Es steht also den Minderjährigen frei, eine Angleichung des Unterhaltsvorschusses an den Titel zu beantragen, wenn die Gründe für die Einschränkung weggefallen sind (vgl Neumayr in Schwimann aaO § 7 Rz 27). Die Kinder haben unter Bezugnahme darauf, dass die Unterhaltspflichtige in einem (offensichtlich von ihr initiierten) Gewerbeverfahren nicht mitgewirkt habe, fallweise geringfügig beschäftigt sei und auch verschiedene Anhaltspunkte betreffend erhebliche, mit ihrem behaupteten Einkommen nicht in Übereinstimmung stehende Vermögenswerte besitze, behauptet, dass das von der Unterhaltsverpflichteten angegebene Einkommen nicht als Bemessungsgrundlage herangezogen werden könne, bzw dass die Mutter sich nicht bemüht habe, alles in ihren Kräften Stehende zu unternehmen, um zum angemessenen Unterhalt ihrer Kinder beizutragen.

Der Oberste Gerichtshof hat zu 8 Ob 31/98m unter Berufung auf Vorentscheidungen (vgl auch EvBl 1995/75) ausgesprochen, dass die Gewährung der Sozialhilfe für sich allein nicht geeignet sei, begründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu erwecken. So wie es durchaus möglich sei, dass auch bei regelmäßigem Bezug von Sozialhilfe die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltsschuldners gegeben seien, sei auch zu berücksichtigen, ob der Unterhaltspflichtige nicht andere Einkünfte habe, mögen sie auch auf freiwilliger Unterstützung beruhen. Dementsprechend habe das Gericht, wenn es Bedenken gegen das aufrechte Bestehen der im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltsverpflichtung habe, vorerst auf Grund seiner amtswegigen Beweiserhebungspflicht die für die Beurteilung dieser Frage notwendigen Grundlagen zu schaffen und könne erst danach beurteilen, ob diese Bedenken gerechtfertigt seien. Bei der Beurteilung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG sei ein strenger Maßstab anzulegen, eine "non liquet"-Situation in Bezug auf die Voraussetzungen nach § 7 Abs 1 Z 2 UVG gehe zu Lasten des vorschussgewährenden Bundes.

Dieser Entscheidung hat sich der erkennende Senat in seiner Entscheidung 7 Ob 48/98d auch für den Fall des Bezuges von Arbeitslosengeld angeschlossen. Die fristlose Entlassung oder ein sonstiger vom Unterhaltschuldner verschuldeter Verlust des Arbeitsplatzes rechtfertige zwar für sich allein noch nicht eine Anspannung in Höhe der zuletzt erzielten Einkünfte, sie könne jedoch ein Indiz dafür bilden, in welcher Weise der Unterhaltsschuldner bemüht sei, seine Kräfte anzuspannen, etwa wenn die Entlassung in der Absicht herbeigeführt worden wäre, um sich der Unterhaltspflicht zu entziehen. Es müsse auch das Verhalten des Unterhaltsschuldners nach der Entlassung in die Beurteilung miteinbezogen werden. Dabei komme es darauf an, ob dieser sich sodann über die bloße Anmeldung als Arbeitssuchender hinaus in jeder ihm zumutbaren Weise um die Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes bemühe, wobei auch eine entsprechende Eigeninitiative zu fordern sei.

Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlasst, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Der der Vorschussgewährung zugrundeliegende Unterhaltstitel wurde auf Grund einer Anspannung der unterhaltspflichtigen Mutter, die damals nicht in einem aufrechten Arbeitsverhältnis stand, erlassen. Tatsächlich hat die Mutter ein während ihrer Umschulung bei der Firma R***** *****GesmbH eingegangenes Arbeitsverhältnis, bei dem die Aussicht bestand, dass es zu einer Einkommenserhöhung kommen werde, durch ungerechtfertigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz beendet. Es ist daher durchaus möglich, dass trotz des Arbeitsplatzverlustes und des Bezuges von Notstandsunterstützung die Voraussetzungen für eine Anspannung der unterhaltspflichtigen Mutter nach wie vor vorliegen. Solange ungeklärt ist, ob und inwieweit sich die unterhaltspflichtige Mutter um die Erlangung einer Arbeit bemüht, scheint es zwar möglich, dass die titelmäßige Unterhaltsfestsetzung durch den Arbeitsplatzverlust unangemessen ist; eine entsprechend hohe Wahrscheinlichkeit kann jedoch ohne weitere Erhebungen nicht angenommen werden. Der vorliegende Pflegschaftsakt ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass immer wieder Vorschüsse gerade wegen der ständig wechselnden Arbeitsplätze und der immer wiederkehrenden Zeiten der Arbeitslosigkeit der Mutter gewährt wurden. Diese Umstände sprechen mangels gegenteiliger Anhaltspunkte eher für eine Unwilligkeit, einer "offiziellen" Arbeit nachzugehen, als für mangelnde Chancen am Arbeitsmarkt.

Mangels genauerer Sachverhaltsgrundlagen, die erst durch weitere Erhebungen festzustellen wären, kann daher vorweg nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG weiter vorliegen. Das Erstgericht wird daher ausgehend von den Angaben in dem Antrag auf Erhöhung des Unterhaltsvorschusses zu prüfen haben, inwieweit noch Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG aufrecht sind. In diesem Zusammenhang wird das Erstgericht auch über den Unterhaltsherabsetzungsantrag der Mutter zu entscheiden haben.

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