OGH 10ObS223/99p

OGH10ObS223/99p22.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf und die fachkundigen Laienrichter Mag. Heinrich Lahounik (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Winfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elfriede H*****, vertreten durch Mag. Dr. Alfred Poferl, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 1999, GZ 12 Rs 109/99g-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. März 1999, GZ 10 Cgs 135/96t-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf deren Richtigkeit zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Wesentlicher Punkt der Berufung der Klägerin im zweiten Rechtsgang war die Bekämpfung der Feststellungen des Erstgerichtes betreffend die Dauer der künftigen Krankenstände der Klägerin. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Ausführungen auseinandergesetzt und ist zum Ergebnis gelangt, dass gegen diese Feststellungen keine Bedenken bestehen. Danach kann über die zu erwartenden Krankenstände der Klägerin keine sichere Aussage getätigt werden. Es sind jedenfalls bei Einhaltung des Leistungskalküls Krankenstände, die das Ausmaß von sieben Wochen jährlich (erreichen bzw) überschreiten, mit hoher Wahrscheinlichkeit "zumindest bei Anlegen harter Kriterien bezüglich Krankenstandsindikation" nicht zu erwarten. Es besteht kein Substrat für Krankenstände im Ausmaß von sieben Wochen jährlich oder darüber.

Unter den Revisionsgründen der unrichtigen bzw fehlenden Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache wendet sich die Revisionswerberin gegen dieses Ergebnis. Hiezu ist sie vorweg darauf zu verweisen, dass die Überprüfung der Tatsachenfeststellungen und der Beweiswürdigung dem Obersten Gerichtshof entzogen ist (Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 1 zu § 503; SSV-NF 7/12, 10/29 ua).

Rechtliche Beurteilung

In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates ein Versicherter erst dann vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, wenn bei ihm mit großer Wahrscheinlichkeit jährlich leidensbedingte Krankenstände von (insgesamt) sieben Wochen oder mehr zu erwarten sind (SSV-NF 6/82, 7/76, 10/14, 11/147, 12/52, 12/79 ua). Diese Judikatur wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dann, wenn die Krankenstände das Maß, mit dem der Arbeitgeber bei jedem Arbeitnehmer rechnen muss, bedeutend übersteigen, sich der Arbeitgeber zumeist zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses entschließen werde, weil ihm der Arbeitnehmer unter diesen Umständen nicht regelmäßig zur Arbeitsleistung zur Verfügung steht; der Arbeitnehmer sei unter diesen Umständen bei der Ausübung einer Beschäftigung auf das Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und könne unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes keinem Beruf nachgehen (SSV-NF 4/40, 10/29 ua).

Die Inanspruchnahme eines Krankenstandes hat das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit zur Voraussetzung. Diese besteht dann, wenn der unselbständig beschäftigte Versicherte nicht in der Lage ist, seine arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit wieder aufzunehmen (SSV-NF 5/19, 10/29; vgl auch ZAS 1987/19 [Mazal]). Ob ein bestehender oder zu erwartender Leidenszustand die Inanspruchnahme eines Krankenstandes erforderlich macht, kann daher nur aufgrund der Anforderungen im konkreten (Verweisungs-)Beruf entschieden werden (SSV-NF 6/70, 10/29). Es kommt nicht darauf an, ob der Versicherte Krankenstände "in Anspruch nimmt", sondern nur darauf, ob diese aus medizinischer Sicht auch notwendig sind (SSV-NF 3/120). Es ist für die Entscheidung auch nicht von Bedeutung, in welchem Umfang die Klägerin in der Vergangenheit Krankenstände konsumierte, weil diese, selbst wenn sie berechtigt waren, immer nur im Zusammenhang mit der konkret verrichteten Tätigkeit zu sehen sind. Sekundäre Feststellungsmängel liegen in diesem Zusammenhang nicht vor. Wesentlich ist ausschließlich die Prognose für die Zukunft ausgehend von den Anforderungen der Verweisungsberufe (SSV-NF 7/75; RIS-Justiz RS0084364).

Im weiteren wendet sich die Revisionswerberin gegen die Anlegung "harter Kriterien" bei der Krankenstandsprognose. Dafür gäbe es keine Grundlage im Gesetz; sie liefe auch dem Grundsatz der "sozialen Rechtsanwendung" zuwider. Die diesbezüglichen Ausführungen des Erstgerichtes beruhen auf dem Gutachten des von ihm bestellten neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen (ON 20, AS 139; ON 22, AS 162); sie sind nur ohne Berücksichtigung des Zusammenhanges, in dem sie gebraucht wurden, missverständlich. Nach den Erläuterungen des Sachverständigen, denen das Erstgericht in seinem Urteil folgte, sollte mit der Diktion "harter Kriterien" lediglich klargestellt werden, dass bei der Klägerin kein gesundheitlich bedingtes Substrat für Krankenstände von sieben Wochen jährlich oder mehr besteht. Lediglich bei Unkenntnis der vollständigen Krankengeschichte der Klägerin könnte es "in einer durchschnittlichen Kassenpraxis" dazu kommen, dass die Klägerin auch mehr als sieben Wochen "krankgeschrieben" würde.

Eine Diskussion der Frage, dass die Praxis der ärztlichen Krankenstandsbestätigungen von vielen als unbefriedigend empfunden wird (vgl Mazal in RdW 1989, 273; Tomandl in ecolex 1991, 865, jeweils mwN), ist hier entbehrlich. Die Vorinstanzen vertraten entgegen den Ausführungen der Revisionswerberin nicht die Ansicht, dass es den Ärzten in der Praxis generell an der notwendigen Sorgfalt bei Krankschreibungen mangle und nur gerichtliche Sachverständige den "nötigen Sachverstand" und die "erforderliche Sorgfalt" zur Beurteilung dieser Kriterien besitzen. Für den vorliegenden Fall ist allein entscheidend, dass nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, dass bei der Klägerin aus medizinischer Sicht in Zukunft Krankenstände von mindestens sieben Wochen jährlich notwendig werden. Es wird nicht verkannt, dass eine absolut sichere Aussage über die Umstände künftiger Krankenstände medizinisch oft nicht möglich ist und daher auch nicht gefordert werden kann; ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der in Zukunft aus medizinischer Sicht notwendigen Krankenstände ist jedoch erforderlich (SSV-NF 3/120). Da dieses bei der Klägerin nicht gegeben ist, war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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