OGH 2Ob9/00p

OGH2Ob9/00p20.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Renate W*****, vertreten durch Dr. Michael Mülner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien 1. Hubert Florian K*****, 2. Klaudia K*****, ebendort, und 3. G***** Versicherungs-AG, *****, sämtliche vertreten durch Dr. Maximilian Motschiunig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen (restlich) Rente (Streitinteresse S 72.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 12. Oktober 1999, GZ 4 R 196/99x-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Endurteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 19. Juli 1999, GZ 26 Cg 72/98d-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 5.601,70 (hierin enthalten S 933,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Streitpunkt bildet ausschließlich die Frage, ob bei der Klägerin, die bei einem vom Erstbeklagten allein verschuldeten Verkehrsunfall am 30. 12. 1996 einen komplizierten Oberarmbruch links erlitt, ausgebildete Mittelschullehrerin für Englisch und Italienisch ist und seit dem Schuljahr 1997/98 (also nach dem Unfall) als Lehrerin mit unbefristetem Lehrvertrag und voller Lehrverpflichtung am Sportgymnasium Saalfelden unterrichtet, welche sich aus neun Stunden Sprachunterricht und (vorwiegend sportlicher) Nachmittagsbetreuung im Internat zusammensetzt, die Voraussetzungen für eine abstrakte Rente - zuletzt begehrt im Ausmaß von monatlich S 2.000,-- ab dem nach Schluss der Verhandlung (13. 4. 1999) folgenden Monat bis zur Pensionierung - erfüllt sind. Beide Vorinstanzen haben dies verneint, wobei vom Erstgericht hiezu auch noch festgestellt worden war, dass sich die Klägerin deshalb nach Saalfelden beworben hatte, weil in ihrem Heimatbundesland Kärnten eine Lehrstelle für Englisch und Italienisch nicht frei war; die Klägerin geht während der Nachmittagsbetreuung mit ihren Schülern (elf bis zwölfjährige Buben) teilweise - jahreszeitgemäß - Schifahren, Schwimmen und Waldlaufen, teilweise muss sie auch nur als Schiedsrichterin (etwa bei Ballspielen) fungieren oder die Schüler sonstwie überwachen, wobei sie den Anforderungen ihres Arbeitgebers zur Gänze entspricht, obwohl sie keine Qualifikation auch als Turnlehrerin besitzt. Konkrete Umstände, dass sie wegen ihrer geringfügigen Bewegungseinschränkung ihren Job verlieren könnte, liegen nicht vor (diese in den rechtlichen Ausführungen enthaltene Aussage des Erstgerichtes wurde zwar in der Berufung von der Klägerin bekämpft, das Berufungsgericht ist hierauf jedoch aus - im Ergebnis zutreffenden - rechtlichen Erwägungen nicht eingegangen).

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erachtet, "zumal - soweit überblickbar - eine höchstgerichtliche Judikatur dazu fehlt, ob die Ausübung einer das Anforderungsprofil des erlernten (aber bis zum Unfall noch nicht ausgeübten) Berufes übersteigenden Anstellung nach dem Unfall den Zuspruch einer abstrakten Rente zufolge der mit der neuen Tätigkeit erforderlichen verletzungsbedingten höheren Anstrengung und Arbeitsplatzgefahr zu begründen vermag".

Die Revisionswerberin erachtet die Voraussetzungen einer abstrakten Rente im begehrten Ausmaß für gegeben, weil hiefür nicht ihre ursprüngliche Ausbildung (als Fremdsprachenlehrerin), sondern die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit (sportliche Tätigkeiten im Internatsbetrieb) maßgeblich sei. Insoweit sei aber mit der Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Einkommensminderung zufolge späteren Arbeitsplatzverlustes bzw Gefährdung desselben zu rechnen.

Rechtliche Beurteilung

Beim Verdienstentgang nach § 1325 ABGB (und gleichermaßen auch nach § 13 Z 2 EKHG) handelt es sich um positiven Schaden (RIS-Justiz RS0081773), der regelmäßig für die Zukunft in Form einer Rente und für die Vergangenheit mit einem kapitalisierten Betrag der bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz aufgelaufenen Schadensbeträge zuerkannt wird. Unter bestimmten Voraussetzungen gewährt die Rechtsprechung - seit SZ 9/85 - jedoch auch eine Rente, obwohl der Verletzte keinen (konkreten) Verdienstentgang erlitten hat, wofür sich der Begriff der abstrakten Rente eingebürgert hat (ausführlich Harrer in Schwimann, ABGB2 Rz 48 ff zu § 1325; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 30 ff zu § 1325; Apathy, EKHG Rz 15 ff). Für diesen nur ausnahmsweise und für Härtefälle (SZ 38/153) zustehenden Anspruch wird - worauf bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - die Erfüllung sowohl einer Sicherungs- als auch einer Ausgleichsfunktion verlangt: Der Verletzte soll einerseits wegen des Verlustes an Konkurenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt einen Fonds zur Deckung künftiger Schäden erlangen und andererseits einen Ausgleich für Mehranstrengungen erhalten (Apathy aaO Rz 15; MGA EKHG6 E 96 ff zu § 13; Harrer aaO; RIS-Justiz RS0030797). Die Behauptungs- und Beweislast hiefür trifft den Geschädigten (ZVR 1989/133); dass der Geschädigte bereits ein Feststellungsurteil hinsichtlich künftiger Schäden für sich hat, hindert den Zuspruch einer abstrakten Rente für sich allein nicht (ZVR 1983/84; RIS-Justiz RS0030920).

Lehre und Rechtsprechung (über die bereits zitierten Nachweise hinaus siehe 2 Ob 27/95) lassen für den Anspruch auf eine abstrakte Rente nicht eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit genügen; es muss vielmehr eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein (SZ 41/157; ZVR 1993/165). Voraussetzung für die Gewährung einer abstrakten Rente ist sohin, dass die Möglichkeit einer früheren Erschöpfung der Arbeitskraft des Verletzten gegeben ist (Ausgleichsfunktion) und der Geschädigte der Gefahr einer Benachteiligung im Wettbewerb mit gesunden Menschen ausgesetzt ist (Sicherungsfunktion). Wenn nur eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist, gebührt die abstrakte Rente nicht, vielmehr muss ein so enger Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verdienstausfall in Folge konkret und absehbar drohenden Verlustes der gegenwärtigen Erwerbsgelegenheit gegeben sein, dass es schon jetzt geboten ist, durch Rücklagen einen Fonds zwecks Deckung des Ausfalls zu schaffen (ZVR 1993/165; 2 Ob 27/95). Das Berufungsgericht hat hiezu zutreffend erkannt, dass jedenfalls die Sicherungsfunktion der Rente nur dann als gegeben angenommen werden könnte, wenn für den nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz liegenden Zeitraum eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Armverletzung der Klägerin nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich ist (8 Ob 88/87).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich, dass eine solche konkrete Gefahr eines drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes der Klägerin - die sich in einem unbefristeten Dienstverhältnis befindet und ihren Arbeitsplatz im Nachbarbundesland ja nicht (gegenteiliges wurde nicht einmal behauptet) unfallfolgenbedingt, sondern ausschließlich deshalb angetreten hat, weil im Heimatbundesland keine Stelle für die Doppelfächer Englisch und Italienisch ausgeschrieben wurde und auch in (naher) Zukunft nicht ausgeschrieben werden wird - tatsächlich nicht gegeben ist. Bereits diese Umstände lassen die Annahme eines künftigen Arbeitsplatzverlustes samt Minderung ihres Arbeitseinkommens wegen der Unfallfolgen nicht wahrscheinlich erscheinen (SZ 41/157). Ihr Vorbringen dazu hat sich in erster Instanz ausschließlich auf abstrakte Befürchtungen bzw Mutmaßungen beschränkt. Sollte die Klägerin in Zukunft auf Grund der Verletzungsfolgen tatsächlich einen Verdienstausgang erleiden, so wäre ihr Anspruch auf Ersatz des konkreten Verdienstentganges durch das von ihr erwirkte Feststellungsurteil im Rahmen des Teilanerkenntnisurteiles vom 30. 6. 1998 ohnedies - und ausreichend - gesichert (5 Ob 1534/94).

Bereits in der schon zitierten Entscheidung 8 Ob 88/87 hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass die Frage, ob die für den Zuspruch einer abstrakten Rente erforderlichen Voraussetzungen als erfüllt anzusehen sind, grundsätzlich eine solche des konkreten Einzelfalles darstellt, zumal die Zuerkennung einer abstrakten Rente ohne konkreten Entgang rechtsvergleichend immer ohne Beispiel ist, sodass ihr auch für weitere Fälle grundsätzlich keine beispielgebende Bedeutung zukommt. Unter diesen Gegebenheiten kommt den von den beklagten Parteien in der Revisionsbeantwortung als fehlend munierten Feststellungen, die bereits Gegenstand ihrer Berufungsbeantwortung waren und vom Berufungsgericht als nicht rechtlich relevant unbehandelt geblieben sind, tatsächlich keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.

Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt demnach nicht vor. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichtes ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision der Klägerin aus dem Grunde des § 502 Abs 1 ZPO hingewiesen.

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