OGH 3Ob7/00a

OGH3Ob7/00a12.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Patricia B*****, geboren am *****, vertreten durch die Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie für den 10. Bezirk, Wien 10., Van-der-Nüll-Gasse 20, als Sachwalterin infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. September 1999, GZ 44 R 569/99y-102, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 23. Juni 1999, GZ 1 P 2134/95a-98, ersatzlos behoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht stellte den der Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschuss mit (Ablauf des) 30. April 1997 ein, weil deren Großvater, in dessen Pflege und Erziehung sie sich befinde, seit 1. Mai 1997 Verwandtenpflegegeld nach § 27 Abs 6 WrJWG beziehe.

Das Gericht zweiter Instanz behob diese Entscheidung ersatzlos und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach seiner Ansicht erfüllt die Gewährung von Pflegegeld gemäß § 27 Abs 6 WrJWG nicht den Tatbestand des § 2 Abs 2 Z 2 UVG. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil diese Meinung "möglicherweise" von der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes aufgrund der Entscheidung 7 Ob 5/99g abweiche.

Der Revisionsrekurs des Bundes ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Mehrere Senate des Obersten Gerichtshofes haben bereits in zeitgleich ergangenen Entscheidungen vom 23. 11. 1999 ausgesprochen, dass die Rechtsansicht, die der Entscheidung 7 Ob 5/99g zugrundeliegt, nicht mehr aufrecht erhalten werden kann (zB 1 Ob 270/99h; 1 Ob 319/99i; 4 Ob 289/99x; 7 Ob 224/99p).

So führte etwa der 1. Senat in der Entscheidung 1 Ob 319/99i aus:

"1. Nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht dann kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind zufolge einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach öffentlichem Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Durch diese Einschränkung wird nach den Gesetzesmaterialien (AB 199 BlgNR 14. GP, 5) sichergestellt, daß die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe nicht auf den Bund überwälzt werden können. Solche öffentlich-rechtliche Unterhaltsleistungen zur vollen Versorgung des Kindes aus Mitteln der Sozialhilfe oder solchen der Jugendwohlfahrtspflege seien vielmehr vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen (RV 172 BlgNR 17. GP, 24).

Die Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG setzt jedenfalls voraus, daß der Unterbringung des Minderjährigen - hier bei einer Pflegefamilie - eine 'Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht' zugrunde liegt. Das bedingt aber eine behördliche Anordnung mit Kostenfolgen (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG, ÖRPfl 1999 Heft 2, 81 [83]). Eine solche ist etwa dann zu verneinen, wenn Pflegeeltern bloß die Obsorge für ein Pflegekind nach § 186a ABGB übertragen bzw eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt wird und die Unterhaltskosten aus Mitteln der Sozialhilfe gedeckt werden (ÖA 1991, 22), sofern die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie nicht auch ausdrücklich als Maßnahme voller Erziehung (siehe idS etwa § 14 TirJWG LGBl 1991/18) bzw als solche der Sozialhilfe deklariert wurde. Nur im Falle einer - im Anlaßfall allein bedeutsamen - Maßnahme voller Erziehung bestünde konsequenterweise auch bei Unterlassung der Antragstellung auf Zuerkennung von Pflegegeld - hier nach § 27 Abs 1 WrJWG - kein Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen (ÖA 1996, 127/UV 91).

2. Wird bestimmten Personen aus dem Familienkreis des Minderjährigen bloß die Obsorge übertragen und der Minderjährige daraufhin in deren Haushalt betreut, so ist darin - vor dem Hintergrund der Erläuterungen unter 1. - keine Maßnahme voller Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 UVG zu erblicken, weil durch eine solche pflegschaftsgerichtliche Beschlußfassung eine derartige Maßnahme geradezu vermieden werden soll.

3. Nach § 27 Abs 1 WrJWG haben 'Pflegeeltern' (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung als Maßnahme nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Pflegegelds. Die Leistung dient der Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten. Sie wird auf Antrag zuerkannt. Die Rechtsnatur dieses Anspruchs ist komplementär zu der als öffentlich-rechtliche Jugendwohlfahrtsmaßnahme zu besorgenden vollen Erziehung.

Auf die Zuerkennung eines Pflegegelds nach § 27 Abs 6 WrJWG besteht dagegen kein Rechtsanspruch. Über ein solches Begehren wird auch nicht bescheidmäßig abgesprochen. Jene Bestimmung dient bloß als Rechtsgrundlage für Ermessenszuwendungen an Personen, die ein Kind pflegen und erziehen. Diese Aufgabe wird im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung des Jugendwohlfahrtsträgers erfüllt. Sie kann daher nicht auf einer öffentlich-rechtlich zu besorgenden Agende des Jugendwohlfahrtsrechts - wie im Falle der Anordnung der vollen Erziehung - beruhen. Diese Rechtsnatur ist aus den Gesetzesmaterialien zum Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz unmißverständlich abzuleiten, wird doch zu dessen § 27 Abs 6 wörtlich ausgeführt:

'Gemäß Abs 6 kann der Magistrat dem im Gesetz angeführten Personenkreis nach freiem Ermessen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung Beiträge bis zur Höhe des Pflegegeldes gewähren; darauf besteht kein Rechtsanspruch; die Bedürfnisse des Pflegekindes sind jedoch primär von seinem Einkommen und durch die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche (Unterhaltsvorschüsse) gegenüber beiden Elternteilen zu decken. Über die Gewährung eines solchen Pflegebeitrags ergeht eine formlose schriftliche Verständigung'".

Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsansicht bereits in der Entscheidung 3 Ob 292/99h vom 24. November 1999 angeschlossen und gleichfalls ausgesprochen, dass die Gewährung von Pflegegeld nach § 27 Abs 6 WrJWG kein Grund für die Einstellung von Vorschüssen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz des Bundes sein kann, weil insofern der Tatbestand des § 2 Abs 2 Z 2 UVG nicht verwirklicht sei.

Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 16 Abs 3 AußStrG bei der Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses an einen Ausspruch des Rekursgerichtes nach § 13 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht gebunden. Der Revisionsrekurs des durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vertretenen Bundes (1 Ob 364/98f), in dem sich der Bund für seine Rechtsansicht auf die Entscheidung 7 Ob 5/99g beruft, ist daher in Ermangelung einer noch zu lösenden erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen, wenngleich der Revisionsrekurs schon vor dem 23. November 1999, dem Tag der eingangs zitierten einschlägigen Vorentscheidungen des Obersten Gerichtshofs, eingebracht wurde. Insofern ist also der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof maßgebend, geht es doch um die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsmittels.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte