OGH 10Ob307/99s

OGH10Ob307/99s11.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr, Dr. Steinbauer, Dr. Hopf und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Claudia W*****, geboren am 31. März 1988, vertreten durch den Unterhaltssachwalter Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie für den 10. Bezirk, Van-der-Nüll-Gasse 20, 1100 Wien, wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. September 1999, GZ 44 R 599/99k, 44 R 600/99g-166, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 29. April 1999, GZ 14 P 64/97p-148, berichtigt mit Beschluss vom 7. Mai 1999, GZ 14 P 64/97p-149, ersatzlos behoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Minderjährigen wurden Titelunterhaltsvorschüsse auf Grund der Verpflichtung des Vaters Michael W***** für die Zeit vom 1. 3. 1997 bis 28. 2. 2000 rechtskräftig weitergewährt. Diese Weitergewährung schloss an jene für die Zeit vom 1. 3. 1994 bis 28. 2. 1997 an. Auf Grund einer Titelerhöhung wurden diese Vorschüsse für die Zeit vom 1. 12. 1997 bis 31. 3. 1998 auf S 2.100 monatlich und ab 1. 4. 1998 auf S 2.350 monatlich erhöht. Auf Grund der Mitteilung des Amtes für Jugend und Familie, dass die Zahlungsempfängerin der Unterhaltsvorschüsse, die Großmutter mütterlicherseits Martha L*****, Verwandtenpflegegeld von monatlich S 700 beziehe, stellte das Erstgericht mit Beschluss in berichtigter Fassung die Unterhaltsvorschüsse, die auf Grund der Unterhaltsverpflichtung des Vaters gewährt werden mit 1. 3. 1994 (= mit Ablauf Februar 1994) ein und verwies zu seiner Begründung auf die Entscheidungen 1 Ob 613/95 und 7 Ob 5/99g.

Über Rekurs des Amtes für Jugend und Familie als Unterhaltssachwalter behob das Rekursgericht den Beschluss ON 148 einschließlich des Berichtigungsbeschlusses ON 149 ersatzlos. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Auf Grund ergänzender Erhebungen stellte das Rekursgericht fest, dass die mütterliche Großmutter das Pflegegeld am 3. 9. 1997 erstmals beantragte, der Höchstbetrag des Pflegegeldes S 4.325 betrug, die Unterhaltsverpflichtung des Vaters mit S 1.800 festgesetzt war, bezüglich der Unterhaltsverpflichtung der Kindesmutter eine Festsetzung unterblieben war. Im Hinblick darauf wurde ab 1. 8. 1997 Pflegegeld in der Höhe von S 2.500 monatlich zuerkannt, ohne dass darüber ein Bescheid erging. Zur Begründung wurde intern angemerkt, dass die Großeltern die Minderjährige als Kleinkind zu sich genommen hätten und auch die volle Obsorge ausübten. Um eine Fremdunterbringung zu verhindern, sei die Gewährung von Pflegegeld nach § 27 Abs 6 WrJWG 1990 an die Großeltern erforderlich. Die Gewährung des Pflegegeldes erfolgte mit Anweisung der Auszahlung des Pflegegeldes an das Julius Tandler-Familienzentrum mit Schreiben vom 9. 10. 1997. Am 12. 2. 1998 erfolgte eine Neuberechnung auf Grund der Unterhaltserhöhung gegenüber dem Vater auf S 2.350 monatlich, so dass das Pflegegeld ab 1. 4. 1998 auf S 2.000 monatlich herabgesetzt wurde. Auch in diesem Falle erfolgte keine bescheidmäßige Erledigung und keine Verständigung der Berechtigten. Auf Grund der Verpflichtung der Mutter zu Geldunterhalt mit Beschluss vom 8. 6. 1998 in der Höhe von S 1.500 monatlich, woraus sich eine Differenz auf den Pflegegeldhöchstsatz von zu diesem Zeitpunkt S 4.525 in der Höhe von S 675 ergab, wurde das Pflegegeld in der Höhe von S 700 monatlich gewährt (Neuberechnung vom 19. 2. 1999).

Das Rekursgericht vertrat die Rechtsansicht, dass die erstmalige Gewährung von Pflegegeld per 1. 8. 1997 und die Tatsache des Pflegegeldbezuges keinen tragfähigen Einstellungsgrund ab 1. 3. 1994 abgebe. Aber auch ab 1. 8. 1997 sei die Einstellung nicht gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall sei die Unterbringung bei der Großmutter mütterlicherseits durch die leibliche Mutter ohne jede Mitwirkung des Jugendwohlfahrtsträgers erfolgt, so dass keine Maßnahme im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 UVG gegeben sei. Da die von den Eltern zu leistenden Unterhaltsbeiträge bzw die gewährten Unterhaltsvorschüsse zur Bedarfsdeckung nicht ausreichten, gewährte der Magistrat Pflegegeld gemäß § 27 Abs 6 WrJWG in der Höhe der Differenz zu den Pflegegeldhöchstsätzen. Rechtsanspruch auf Pflegegeld gebühre gemäß § 27 Abs 1 WrJWG nur zur Durchführung der vollen Erziehung, wogegen auf Verwandtenpflegegeld ohne Zusammenhang mit Maßnahmen zur Unterstützung der Erziehung kein Rechtsanspruch bestehe. Darüber sei auch nicht mit Bescheid zu erkennen. Mangels eines bestehenden Rechtsanspruches und mangels Erlassung eines Bescheides könne Pflegegeld auch beliebig eingestellt werden. Die Gewährung des Pflegegeldes erfolge weder im Zusammenhang mit einer Maßnahme der vollen Erziehung noch in Verbindung mit einer dieser vollen Erziehung gleichzuhaltenden Maßnahme und auch nicht zur Deckung des Lebensbedarfes des Kindes auf Grund einer rechtlichen Verpflichtung des Landes Wien und überdies ohne Rückersatzverpflichtung der Empfänger des Pflegegeldes, da eine Kostenersatzverpflichtung der Eltern nur im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht bestehe, die jedoch durch die Vorschussgewährung ausgeschöpft sei. Die Gewährung des zusätzlichen Pflegegeldes erfolge sohin ohne entsprechende Deckung durch eine Ersatzverpflichtung der Eltern und ohne mögliche Rückersatzverpflichtung zugunsten des Magistrats. Sie könne daher auch nicht in irgendeiner Weise auf den Bund überwälzt werden. Die Versagung der Unterhaltsvorschüsse bzw deren rückwirkende Einstellung bedeute eine Überwälzung einer Verpflichtung des Bundes auf den Träger der Sozialhilfe, da das Kind mangels angeordneter voller Erziehung keinen Anspruch auf Pflegegeld nach dem WrJWG habe. Auch in dem der Entscheidung 7 Ob 5/99g zugrunde liegenden Fall sei Pflegegeld nur in der Höhe der Differenz zwischen Unterhaltsvorschuss und dem Pflegegeldhöchstsatz gewährt worden und auch dort habe keine rechtliche Verpflichtung des Magistrats bestanden. Der Oberste Gerichtshof sei dort ohne Zugrundelegung einer ausreichenden Erhebung des tatsächlichen Sachverhaltes von einer rechtskräftigen Verwaltungsentscheidung und dem damit zuerkannten Rechtsanspruch ausgegangen. Durch die bloße interne Zahlungsanweisung sei keine der Rechtskraft fähige Verwaltungsentscheidung gegeben, sondern ein Akt der Privatwirtschaftsverwaltung ohne Rechtsanspruch. Eine Ablehnung könne daher nicht bekämpft werden und sei eine Sachverhaltsänderung keine Voraussetzung für eine geänderte Vorgangsweise. Eine Ersatzverpflichtung der Eltern gemäß § 22 UVG sei problematisch, da das Pflegegeld offenkundig keine der Unterhaltsverpflichtung kongruente Leistung wie der Unterhaltsvorschuss sei. Die Gewährung von Verwandtenpflegegeld in Ergänzung der Unterhaltsvorschüsse auf die Pflegegeldrichtsatzhöhe stelle keinen Einstellungsgrund dar.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien mit dem Antrag, in Abänderung des Beschlusses des Rekursgerichtes den erstgerichtlichen Beschluss hinsichtlich der Einstellung der Unterhaltsvorschüsse für die Zeit ab 1. 8. 1997 wieder herzustellen.

Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtstrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Materialien (JAB 199 BlgNR XIV GP, 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt werden (RV 172 BlgNR XVII GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "vollversorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG in RPflSlg A 1999/2, 81 [83]). Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Bestimmung ist jedenfalls, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe), somit einer entsprechenden Anordnung mit Kostenfolgen erfolgt (Neumayr aaO). So genügt es nach der Rechtsprechung nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 TirJWG LGBl 1991/18); (nur) in einem solchen Fall vermag dann konsequenterweise auch die Unterlassung einer Antragstellung auf Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrecht zu erhalten (ÖA 1996, 127/UV 1991).

Wird jedoch die Obsorge den Eltern entzogen und - wie hier - die Großeltern mit der Obsorge des Kindes betraut, dann liegt keine "Maßnahme der vollen Erziehung" nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vor. Einerseits ging die Initiative zu diesem Schritt nicht von der Jugendwohlfahrtsbehörde aus, andererseits liegen der Obsorgeübertragung ausschließlich dem Wohl der Minderjährigen (§ 178a ABGB) entsprechende familienbezogene Erwägungen zugrunde (ON 49). Die Übernahme (eigentlich: der Verbleib) der Minderjährigen im Wohnungsverband der Großeltern und deren rechtliche Gestaltung als Fall einer Obsorgeübertragung von den Eltern auf die Großeltern war daher gerade keine "Maßnahme der vollen Erziehung", sollte doch eine solche durch die Belassung des Kindes innerhalb der Familie (im weiteren Sinn) geradezu vermieden werden. Die Minderjährige wurde somit nicht auf Grund einer Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht (§ 2 Abs 2 Z 2 UVG) untergebracht.

Entgegen der zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung, von der der Oberste Gerichtshof schon in einigen Fällen abgegangen ist, liegt auch hier keine bescheidmäßige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vor. Während nämlich nach § 27 Abs 1 WrJWG "Pflegeeltern" (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die Materialien zum WrJWG § 27 Seite 57) statuiert § 27 Abs 6 WrJWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum 3. Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis die Großeltern eines Kindes einzustufen sind - vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des - auf Grund des § 27 Abs 5 WrJWG durch Verordnung der Wiener Landesregierung festzusetzenden - Richtsatzes gewährt werden kann, somit kein Rechtsanspruch besteht (Materialien zum WrJWG zu § 27 Abs 6).

Den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kann-Bestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern liegt damit kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrunde.

Ob eine Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 UVG erfolgen könnte, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des jeweiligen Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder (wie etwa in Niederösterreich und in Tirol; siehe hiezu RZ 1997/28 und RZ 1994/10 = EFSlg 69.396) bestünde, muss hier nicht untersucht werden. Bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger jedenfalls nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach dem anzuwendenden Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung dem Gesetzgeber und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen der Rechtsprechung obliegt (vgl 1 Ob 78/99y; 1 Ob 243/99p; 7 Ob 224/99p). Die Gewährung eines Verwandtenpflegegeldzuschusses nach § 27 Abs 6 WrJWG an die mütterliche Großmutter stellt demnach keinen Einstellungsgrund für die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar. Von der in der Entscheidung 7 Ob 5/99g vertretenen gegenteiligen Auffassung ist der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt abgegangen (vgl 1 Ob 243/99p; 2 Ob 273/99g; 2 Ob 274/99d; 7 Ob 224/99p; 8 Ob 299/99z); auch der erkennende Senat kann der dort ausgesprochenen Rechtsansicht nicht folgen.

Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben.

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