OGH 4Ob328/99k

OGH4Ob328/99k14.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Jennifer S*****, vertreten durch den Sachwalter (§ 9 Abs 2 UVG) Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie, Wien 22, Schrödingerplatz 1, infolge Revisionsrekurses der Republik Österreich, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 8. September 1999, GZ 4 R 628/99g-125, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 31. Mai 1999, GZ 4 P 1150/95i-115, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die am 1. 5. 1985 geborene Minderjährige ist die uneheliche Tochter von Gerlinde S*****. Die Minderjährige wurde mit Beschluss vom 26. 1. 1987 (ON 24) in Pflege und Erziehung ihrer mütterlichen Großmutter eingewiesen. Zuletzt mit Beschluss vom 20. 11. 1997 (ON 107) wurde der Minderjährigen für die Zeit vom 1. 10. 1997 bis 30. 9. 2000 ein monatlicher Unterhaltsvorschuss gemäß § 4 Z 1 UVG weitergewährt, weil die unterhaltspflichtige Mutter keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Ab 1. 4. 1992 (ausgenommen im April 1995) wird der mütterlichen Großmutter ein Verwandtenpflegegeld gemäß § 27 Abs 6 des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes (im folgenden kurz: WrJWG) in Höhe von zuletzt monatlich 2.700 S (ab 1. 5. 1999) gewährt (ON 114).

Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 31. 5. 1999 (ON 115) wurden unter Hinweis auf dieses Pflegegeld die der Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse rückwirkend mit Ablauf des 31. 3. 1992 eingestellt.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluss ersatzlos auf und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Übertragung der Obsorge an die Großmutter als Maßnahme der vollen Erziehung iSd § 2 Abs 2 Z 2 UVG zu beurteilen sei und das Rekursgericht überdies von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen sei. Befinde sich ein Kind in Pflege und Erziehung bei seiner Großmutter, sei dies nicht als Pflegeleistung einer Pflegefamilie oder im Rahmen eines Heims oder einer sonstigen Einrichtung iSd § 28 JWG zu beurteilen. Die Unterbringung der Minderjährigen bei ihrer Großmutter sei einer Maßnahme iSd § 2 Abs 2 Z 2 UVG rechtlich nicht gleichzuhalten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Im Rechtsmittel wird die Ansicht vertreten, nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes seien bei Bezug von Verwandtenpflegegeld die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG einzustellen. Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

In der Entscheidung 7 Ob 5/99g, deren Argumentation das Rekursgericht mit ausführlicher Begründung abgelehnt hat, hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, es sei nicht von entscheidender Bedeutung, dass nach der (ebenfalls einen derartigen Pflegegeldfall betreffenden) Entscheidung EFSlg 69.396 die Pflegegeldgewährung gemäß § 28 NÖJWG 1991 LGBl 40 bei Unterbringung eines Kindes bei Pflegeeltern zwingend vorgesehen gewesen sei, während es nach dem in der späteren Entscheidung (ebenso wie hier) anzuwendenden § 27 Abs 6 WrJWG im Ermessen der zuständigen Behörde stehe, eine solche Leistung zuzuerkennen. Maßgeblich sei vielmehr, dass tatsächlich ein Pflegegeld gewährt werde und sohin das Kind auf Grund einer offensichtlich rechtskräftigen Verwaltungsentscheidung einen entsprechenden Rechtsanspruch erworben habe. In einem solchen Fall seien die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Z 2 UVG erfüllt. Diesen Ausführungen kann bei näherer Prüfung nicht gefolgt werden.

Nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse dann nicht, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in eine Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Materialien im Justizausschussbericht (199 BlgNR 14. GP, 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt (RV 172 BlgNR 17. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG, Rechtspfleger 1999/2, 81 [83]). Diese Bestimmung solle demnach nur verhindern, dass jener Kostenaufwand, den die Länder zu tragen haben, faktisch auf den Bund überwälzt werde, sodass nur zu prüfen sei, ob ungeachtet etwaiger Ersatzrechte gegen das Kind oder Dritte die Länder zunächst verpflichtet sind, die Kosten zu zahlen (Knoll, Kommentar zum UVG, Rz 18 zu § 2). Der genannte Autor verweist in diesem Zusammenhang auch auf einen Bericht des Bundesministeriums für Justiz über die Ergebnisse einer Arbeitstagung über aktuelle Fragen zum Unterhaltsvorschussrecht im Jänner 1978 (veröffentlicht auch in ÖA 1978, 91), wonach selbst "die Tragung der Kosten der Unterbringung durch den Träger der Jugendwohlfahrtspflege ... allein noch nicht den Tatbestand des § 2 Abs 2 Z 2 UVG herstellt". Auch wenn die Verwendung des Wortes "Maßnahme" durch den Gesetzgeber "eher auf behördliche Anordnung schliessen lässt, ist das für sich [allein] doch nicht zwingend" (Knoll, aaO).

Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit zur Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG ist jedenfalls, dass die Unterbringung auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege (oder der Sozialhilfe) erfolgt, dh eine entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen vorliegt (Neumayr, aaO). So genügt es etwa nach der Rechtsprechung nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 TirJWG LGBl 1991/18); (nur) in einem solchen Fall vermag dann - konsequenterweise - auch die Unterlassung einer Antragstellung auf Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrecht zu erhalten (ÖA 1996, 127/UV 91).

Wird - wie hier - die Obsorge der Mutter entzogen und auf die mütterliche Großmutter übertragen, liegt keine "Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht" vor; eine solche Maßnahme soll durch die Belassung des Kindes innerhalb der Familie (im weiteren Sinne) in Verbindung mit einer Obsorgeübertragung ja geradezu vermieden werden. Schon daraus folgt, dass die Voraussetzungen einer vollen Erziehungsmaßnahme iS des § 2 Abs 2 Z d2 UVG nicht vorliegen (vgl §§ 16, 22 JWG).

Die Materialien zum WrJWG 1990 führen zu § 27 Abs 6 aus: "Gemäß Abs 6 kann der Magistrat dem im Gesetz angeführten Personenkreis nach freiem Ermessen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung Beiträge bis zur Höhe des Pflegegeldes gewähren; darauf besteht kein Rechtsanspruch; die Bedürfnisse des Pflegekindes sind jedoch primär von seinem Einkommen und durch die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche (Unterhaltsvorschüsse) gegenüber beiden Elternteilen zu decken. Über die Gewährung eines solchen Pflegebeitrages ergeht eine formlose schriftliche Verständigung."

Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsverwaltung entspricht auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Zusammenhang mit dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG BGBl 1993/110), wonach Zuerkennungen von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. 6. 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ohne Bescheidcharakter erfolgten; derartige, über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uam; RIS-Justiz RS0106703; zur Abgrenzung Hoheits- gegenüber Privatwirtschaftsverwaltung siehe auch etwa VwGH in Slg 14.326 A/1995 sowie Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 23 ff).

Daraus folgt, dass jedenfalls den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kann-"Bestimmungen und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrunde liegt, sodass die in der Vorentscheidung 7 Ob 5/99g vertretene Rechtsansicht jedenfalls bezüglich des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes bei Überlegung sämtlicher rechtlicher Gegebenheiten insoweit nicht mehr aufrecht erhalten und als tragendes Argument für eine Einstellung derartiger Unterhaltsvorschüsse auf Grund solcher Pflegegeldgewährungen herangezogen werden kann. Eine solche könnte vielmehr nur dann erfolgen, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des jeweiligen Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder (wie beispielsweise in Niederösterreich und Tirol) bestünde, worauf schließlich auch die - weiter oben bereits wiedergegebenen - Gesetzesmaterialien (zum UVG: arg "nach der geltenden Rechtslage") hinweisen; (bloß) freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art auch immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger nämlich nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach anzuwendendem Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung ebenfalls nur diesen und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rechtsprechung obliegen kann (1 Ob 78/99y).

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der vom Erstgericht angenommene Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a iVm § 2 Abs 2 Z 2 UVG tatsächlich nicht vorliegt; das Rekursgericht hat diesen Beschluss somit zu Recht aufgehoben. Dem Revisionsrekurs konnte deshalb kein Erfolg beschieden sein.

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