OGH 1Ob131/99t

OGH1Ob131/99t23.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wider die beklagten Parteien 1.) Richard S*****, 2.) Maria-Theresia S*****, beide vertreten durch Dr. Erich Proksch, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung von Rechtshandlungen (Streitwert 2,5 Mio S) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Februar 1999, GZ 12 R 170/98b-39, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Parteien wird mangels gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die am 28. Jänner 1990 verstorbene Großmutter der beiden Beklagten hatte in ihrem Testament vom 13. Juli 1989 ihren Sohn (Vater der Beklagten) zum Alleinerben und für den Fall, dass dieser die Erbschaft nicht erlange, die Beklagten zu gleichen Teilen zu Ersatzerben (gemeine Substitution gemäß § 604 ABGB) berufen. Zufolge rechtskräftiger Einkommensteuer-Bescheide eines Finanzamts für die Jahre 1981 bis 1989 hatte der Vater der Beklagten Abgabenschulden von insgesamt 8,014.742 S, die sich wegen Zahlung um 200.000 S verminderten. Im Verlassenschaftsverfahren schlug der Vater der Beklagten am 5. April 1990 die ihm als Alleinerben angefallene Erbschaft bedingungslos und unwiderruflich aus, wobei er einen öffentlichen Notar zur Abgabe dieser negativen Erbserklärung in seinem Namen speziell bevollmächtigt hatte (§ 1008 zweiter Satz ABGB). Der Nachlass wurde sodann den bedingt erbserklärten Beklagten mit rechtskräftiger Einantwortungsurkunde vom 4. Juni 1991 je zur Hälfte eingeantwortet. Die Beklagten überwiesen am 6. September 1991 einer Pflichtteilsberechtigten das ihr zustehende Viertel des Reinnachlasses von 610.486,98 S samt 4 % Zinsen seit 14. Juni 1991, insgesamt 620.387,72 S.

Die zweite Instanz gab dem inhaltlich auf § 2 Z 3 AnfO (Anfechtung von Rechtshandlungen naher Angehöriger wegen Benachteiligungsabsicht) und § 3 Z 1 AnfO (Anfechtung einer unentgeltlichen Verfügung) iVm § 7 AnfO gestützten Anfechtungsbegehren statt.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten macht keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend:

a) Der behauptete Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

b) Das modifizierte Begehren der klagenden Partei, dem in zweiter Instanz stattgegeben wurde, hatte in erster Instanz gelautet, die Beklagten seien je schuldig, zur Hereinbringung vollstreckbarer Abgabenforderungen der klagenden Partei gegen ihren Vater laut vollstreckbarem Rückstandsausweis des Finanzamts ... von 8,014.742 S jegliche Exekution in den Nachlass nach ihrer verstorbenen Großmutter, der ihnen mit Einantwortungsurkunde ... eingeantwortet worden sei, respektive in zwei näher bezeichnete Liegenschaften sowie in ein näher bezeichnetes Superädifikat, sowie in die ihnen auf Grund dieser Einantwortungsurkunde zustehenden Gesamtrechte zu dulden; ... Die Beklagten könnten sich von dem geltend gemachten Anfechtungsanspruch durch Zahlung von 7,814.741 S an die klagende Partei befreien.

In einer zweiten Berufungsverhandlung modifizierte die klagende Partei ihr Begehren. Diese Modizierung betrifft ausschließlich die Berücksichtigung der von den Beklagten an die Pflichtteilsberechtigte erbrachten Zahlungen. Gegenübergestellt lautete diese zu Gunsten der Beklagten in das Klagebegehren aufgenommene Einschränkung in erster Instanz: "... zu dulden; dies abzüglich der von den Beklagten an eine näher bezeichnete Dritte geleisteten Pflichtteilsansprüche von 610.486,98 S", hingegen nach der von der zweiten Instanz übernommenen Modifizierung in zweiter Instanz: ... zu dulden, wobei ihnen im Falle der exekutiven Verwertung der Liegenschaften ein der Pflichtteilsforderung der ... entsprechender Betrag von 610.486,98 S zu verbleiben habe.

Die zweite Instanz erachtete diese Präzisierung nicht als Klageänderung, weil die bereits aus der Formulierung des Klagebegehrens in ON 8/14 hervorgehende Absicht der klagenden Partei nunmehr nur dahin verdeutlicht worden sei, dass den Beklagten im Falle einer exekutiven Verwertung der ihnen als Folge der angefochtenen Rechtshandlung im Erbweg zugekommenen Liegenschaften ein der bereits berichtigten Pflichtteilsforderung entsprechender Betrag zu verbleiben habe, zumal die Anfechtungsklägerin zur Durchsetzung ihrer Forderung nicht mehr an Vermögenswerten heranziehen dürfe, als ihrem Schuldner durch die anfechtbare Rechtshandlung entzogen worden sei; dieser Befriedigungsfonds bestehe hier nur aus dem um die Pflichtteilsforderung verminderten Reinnachlass nach der verstorbenen Großmutter der Beklagten.

Richtig ist, dass die Klageänderung nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zulässig ist. Nach stRspr kann im Berufungsverfahren die Klage weder geändert noch auch nur iSd § 235 Abs 4 ZPO verändert werden. Verhandelt und entscheidet die zweite Instanz - ohne solche ausdrückliche Beschlussfassung - über eine im Berufungsverfahren geänderte oder auch bloss veränderte Klage, liegt ein Verstoß gegen zwingende Vorschriften der Prozessgesetze vor, der rückwirkend auch bei der Prüfung der materiellen Schlüssigkeit des geänderten Begehrens bzw der geänderten Klage in den Kognitionsbereich des Revisionsgerichts fällt, vor. Das Revisionsgericht hat in einem solchen Fall die Sache so zu beurteilen, als ob die Klageänderung oder Klageveränderung im Berufungsverfahren nicht erfolgt wäre (SZ 49/2 ua). Im vorliegenden Fall hat indes die vorgenommene Modifizierung nicht einmal den Charakter einer Klageveränderung iSd § 235 Abs 4 ZPO, sondern rein verdeutlichenden Charakter.

c) Die zweite Instanz erachtete die Anfechtungsgründe nach § 2 Z 3 AnfO und § 3 Z 1 AnfO als gegeben. In der außerordentlichen Revision vertreten die Beklagten die Rechtsauffassung, die Erbsentschlagung durch den Vater der Beklagten sei keine anfechtbare Rechtshandlung iSd § 7 AnfO, weil die Erblasserin diese bereits im Punkt 3. des Testaments als Ersatzerben gemäß § 604 ABGB berufen hat, falls deren Vater die Erbschaft nicht erlange. Somit sei bereits durch die Erblasserin die Erbsausschlagung ermöglicht worden; es fehle deshalb an einer anfechtbaren (Rechts-)Handlung. § 7 zweiter Satz AnfO könne nur so verstanden werden, dass die Erbsausschlagung nur dann anfechtbar sei, wenn keine Ersatzerben berufen seien; die Bestimmung solle sicherlich nicht den Willen des Erblassers beschränken.

Nach § 36 KO und § 7 AnfO sind auch Unterlassungen anfechtbar, wenn der Schuldner dadurch Rechte verliert oder Verpflichtungen begründet, erhält oder sichert. Das gleiche gilt für die Unterlassung der Antretung einer Erbschaft (§ 36 zweiter Satz KO und § 7 zweiter Satz AnfO). Nach § 39 Abs 1 KO und § 13 Abs 1 AnfO ist der Anfechtungsanspruch in derartigen Fällen darauf gerichtet, was dem Vermögen des (Gemein-)Schuldners entgangen ist (Koziol, Grundlagen und Streitfragen der Gläubigeranfechtung, 95). Voraussetzung für eine derartige Anfechtung ist, dass seinerzeit die Antretungslage gegeben war, dass also eine Verlassenschaftsabhandlung nicht unterblieben ist und der (Gemein-)Schuldner ungeachtet seiner Handlungsfähigkeit bei der vom Gericht hiezu anberaumten Tagsatzung oder innerhalb der ihm vom Gericht hiezu bemessenen Frist eine Erbserklärung nicht abgegeben hat (Petschek/Reimer/Schiemer, Das österr. Insolvenzrecht 301). Nach § 805 erster Satz ABGB steht es dem berufenen Erben frei, an Stelle der - unbedingten oder bedingten - Annahme der Erbschaft diese auch auszuschlagen (Erbsentschlagung). Diese dem Abhandlungsgericht gegenüber abgegebene Erklärung (§ 116, § 120 Abs 2 AußStrG) bewirkt, dass der Erbanfall als nicht erfolgt gilt, der Ausschlagende als Erbe ausscheidet und die Erbschaft nicht dem Ausschlagenden, sondern dem Nachberufenen als angefallen gilt (schlichte Ausschlagung der Erbschaft; SZ 67/175 = JBl 1995, 396 mwN). Der Ersatzerbe hat vor Eintritt des Ersatzfalls kein Recht, an die Stelle des Vorerben zu treten (NZ 1977, 120 ua), sein Recht ist in einem Fall wie dem vorliegenden von der Erbsentschlagung durch den Vorerben abhängig. § 7 zweiter Satz AnfO enthält die im Rechtsmittel angestrebte Einschränkung, die Erbsausschlagung sei nur dann anfechtbar, wenn es keine Ersatzerben gebe, gerade nicht. Die Erbsentschlagung, die aufgrund des Bestehens einer Nacherbschaft zum Eintritt eines Dritten führt, ist erkennbar vom Regelungszweck mitumfasst. Denn ist ein Erbe im Zeitpunkt des Erbfalls überschuldet, so hat er meist kein besonderes Interesse, die Erbschaft anzutreten. Häufig wird sogar das Bestreben gegeben sein, die Vermögenswerte vor dem Zugriff der Gläubiger zu retten und den nahen Angehörigen zukommen zu lassen (Koziol, Gläubigeranfechtung bei Unterlassung der Geltendmachung des Pflichtteils und bei Erbverzicht in JBl 1974, 402 ff, 402). Die Anfechtbarkeit einer Erbsentschlagung als "unterlassene Antretung einer Erbschaft" hat nichts mit der von den Beklagten behaupteten Beschränkung des erblasserischen Willens zu tun. Die Anfechtung ermöglicht vielmehr (mit Wirkung zugunsten eines Gläubigers wie hier der klagenden Partei), die Wirkungen einer Willenserklärung des Erben zu korrigieren.

Die Beklagten sind Anfechtungsschuldner (6 Ob 196/72).

Auf Fragen der Befriedigungstauglichkeit und der Beweislast, im speziellen dann, wenn nahe Angehörige des Schuldners Anfechtungsgegner sind, muss nicht mehr eingegangen werden. Auf die vom Erstrichter vertretene und von der zweiten Instanz abgelehnte Auffassung, die Erbsentschlagung habe hier einer sittlichen Pflicht entsprochen (§ 3 Z 1 AnfO; vgl dazu SZ 34/57), kommt das Rechtsmittel nicht mehr zurück. Eine gesetzliche Verpflichtung des Vaters der Beklagten zur Erbsentschlagung bestand jedenfalls nicht.

d) Sonst tragen die Rechtsmittelwerber noch vor, die Abgabenschuld ihres Vaters hätte ihnen nicht auffallen müssen, sei doch sogar die Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Erwerb ausgestellt worden. Daraus sehe man, dass den Beklagten die Benachteiligungsabsicht ihres Vaters nicht habe bekannt sein können. Die Frage kann auf sich beruhen, weil die zweite Instanz, im Rechtsmittel unbekämpft, auch § 3 Z 1 AnfO als anwendbar erachtete.

e) Der auch hier klagende Bund belangte in einem Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien die Mutter der Beklagten ebenfalls wegen Anfechtung, allerdings nicht wegen der hier zu beurteilenden Erbsentschlagung, sondern wegen der Schenkung eines Baurechts auf den Todesfall durch den Vater der Beklagten, und schloss mit der Mutter der Beklagten einen gerichtlichen Vergleich ab. In diesem verpflichtete sich die Mutter zur Zahlung zweier Raten von je 200.000 S; durch den Vergleich wurde auch der Anspruch gegen die Mutter der Beklagten als Alleinerbin nach dem am 12. August 1994 verstorbenen Vater der Beklagten - die sich dort ihres Erbrechts entschlugen - für den Fall mitverglichen, dass der Reinnachlass im Verlass nach dem Vater der Beklagten 100.000 S nicht übersteige. Dass daraus die Beklagten nicht den von ihnen auch noch im Revisionsverfahren behaupteten Verzicht der klagenden Partei auf den ihnen gegenüber erhobenen Anfechtungsanspruch ableiten können, ist schon angesichts der von der klagenden Partei unterschiedlich angefochtenen Rechtshandlungen evident. Ebensowenig liegt res iudicata, wie die Beklagten vermeinen, vor. Das Vorliegen eines gerichtlichen Vergleichs begründet im übrigen nicht die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache, sondern führt - bei identischem Anspruch - zur Abweisung der Klage mangels Rechtsschutzinteresses (6 Ob 17/74 ua).

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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