OGH 7Ob237/99z

OGH7Ob237/99z27.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Land Niederösterreich, ***** vertreten durch Dr. Erich Hermann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Johann C*****, vertreten durch Dr. Werner Zaufal, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 57.600,-- sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. September 1998, GZ 44 R 699/98i-34, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 2. Juli 1997, GZ 1 C 169/96v-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin enthalten S 811,84 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte verpflichtete sich mit aus Anlass der - aus seinem Verschulden erfolgten - Scheidung seiner Ehe mit Eveline C***** am 11. 10. 1979 geschlossenem Vergleich, seiner geschiedenen Ehefrau monatlich Unterhalt von S 3.200,-- zu bezahlen. Eveline C***** ging nach der Scheidung eine Lebensgemeinschaft mit Alfred S***** ein. Dieser ist am 16. 11. 1989 verstorben. Der Lebensgemeinschaft entstammt ein am 21. 6. 1985 geborenes Kind, das schwer behindert ist und einer ganztägigen Betreuung bedarf. Deshalb kann Eveline C***** keiner geregelten Beschäftigung nachgehen, sondern nur unregelmäßig und bloß stundenweise arbeiten. Sie erzielt nur ein geringfügiges Einkommen und bezieht seit 1985 von der klagenden Partei Sozialhilfe, wobei die monatlichen Zahlungen seit 1993 S 5.000,-- überstiegen.

Die klagende Partei begehrt vom Beklagten die Zahlung von S 57.600,-- sA. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B***** vom 9. 5. 1989 sei gemäß § 43 des Niederösterreichischen Sozialhilfegesetzes (NÖ SHG) der nach dem durch den Tod des Lebensgefährten bewirkten Ende der Lebensgemeinschaft wieder aufgelebte Unterhaltsanspruch der Eveline C***** gegen den Beklagten auf die klagende Partei übergegangen. Aus Rücksichtnahme auf die eingeschränkte finanzielle Leistungsfähigkeit des Beklagten werde nur der Anspruch für die Zeit vom 1. 1. 1995 bis 30. 6. 1996 (18 Monate a S 3.200,--), insgesamt daher der Klagsbetrag, geltend gemacht.

Der Beklagte wendete - soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich - ein, dass Eveline C***** keinen Unterhaltsanspruch mehr habe, weil sie selbsterhaltungsfähig sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau des Beklagten, der für die Dauer deren Lebensgemeinschaft mit Alfred S***** geruht habe, sei nach dessen Ableben wieder aufgelebt. Wegen der Betreuung ihrer behinderten Tochter sei Eveline C***** die Ausübung einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nicht zumutbar, weshalb der durch Legalzession auf die klagende Partei übergegangene Unterhaltsanspruch aufrecht bestehe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes (der den erwähnten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B***** mit dieser Begründung aufgehoben hatte), nach der nach der Legalzession gemäß § 43 NÖ SHG der Anspruch des Sozialhilfeträgers gegen den unterhaltspflichtigen Dritten nicht im Verwaltungsweg, sondern im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen sei, sei beizupflichten, da sich durch eine rechtsgeschäftliche oder gesetzliche Zession an der Rechtsnatur einer Forderung nichts ändere. Nach ständiger Rechtsprechung ruhe der einem geschiedenen Ehegatten nach § 66 EheG zustehende Unterhaltsanspruch für die Dauer einer Lebensgemeinschaft, lebe aber mit deren Beendigung wieder auf. Es entspreche auch ständiger Rechtsprechung, dass bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit des unterhaltsberechtigten Ehegatten auch dessen familiäre Pflichten, etwa die Betreuung eines mj. Kindes, zu berücksichtigen seien. Dabei komme es nicht darauf an, ob das von der Unterhaltsberechtigten zu betreuende Kind vom Unterhaltspflichtigen stamme. Soweit der Beklagte mit einem Wegfall der Geschäftsgrundlage argumentiere, mache er in Wirklichkeit die jedem Unterhaltsvergleich innewohnende Umstandsklausel geltend. Aus dem Hinzutreten einer weiteren Sorgepflicht der Eveline C***** für ihr am 21. 6. 1985 geborenes schwer behindertes Kind könne zumindest keine Verminderung der Bedürfnisse der Unterhaltsberechtigten abgeleitet werden, sondern sei ganz im Gegenteil ihre Möglichkeit der Ausübung einer eigenen Erwerbstätigkeit erheblich erschwert worden. Daher handle es sich um keine Umstandsänderung, aus welcher ein Anspruch auf Unterhaltsenthebung oder auch nur Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung abgeleitet werden könnte. Das Erstgericht sei somit zutreffend vom aufrechten Bestehen der im Scheidungsvergleich vereinbarten Unterhaltsverpflichtung des Beklagten ausgegangen. Infolge der Legalzession gemäß § 43 NÖ SHG sei der Beklagte zur Leistung der geschuldeten Unterhaltsbeträge an die klagende Partei verpflichtet.

Seinen Ausspruch, die Revision sei nicht zulässig, änderte das Berufungsgericht über Antrag des Beklagten mit der Begründung ab, es liege noch keine veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Rechtsfrage vor, ob ein Unterhaltsanspruch nach § 66 EheG auch dann bestehe, wenn eine zumutbare Erwerbstätigkeit des Unterhaltsberechtigten durch die Betreuungspflicht für ein nicht vom Unterhaltspflichtigen stammendes mj. Kind verhindert werde.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist zu bemerken, dass das Wiederaufleben der Unterhaltspflicht, die wegen einer vom Unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten eingegangen Lebensgemeinschaft nach hM ruhte (vgl etwa Zankl in Schwimann ABGB2 I § 66 EheG Rz 57 mwN), nicht schon mit deren tatsächlichen Auflösung eintritt, sondern erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Unterhaltsberechtigte vom Schuldner

Unterhalt eingemahnt hat (3 Ob 115, 116/90 = JBl 1991, 589 = ÖA 1993,

112; 3 Ob 70/92 = RPflSlgA 1993/67 = RZ 1994/24; Zankl aaO § 66 EheG

Rz 64). Die klagende Partei und mit ihr die Vorinstanzen gehen wohl davon aus, dass eine solche Einmahnung durch den erwähnten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B***** ersetzt bzw bewirkt wurde. Das wird offenbar ohnehin auch vom Beklagten so gesehen, da ein Einwand, zu einem Wiederaufleben seiner Unterhaltspflicht sei es mangels Einmahnung des Unterhalts nicht gekommen, von ihm nicht erhoben wurde.

Der Auffassung des Beklagten, die Geltendmachung des klagsgegenständlichen Unterhaltsanspruches sei rechtsmissbräuchlich und sittenwidrig, weil der verstorbene Lebensgefährte der Eveline C***** und außereheliche Vater deren am 21. 6. 1985 geborenen Kindes bei Fortbestand der durch sein Ableben aufgelösten Lebensgemeinschaft für das Kind und dessen Mutter zu sorgen gehabt hätte; dessen Pflichten dürften nicht auf ihn, den Beklagten, überwälzt werden, weiters dürfe bei der Zumutbarkeit der Erwerbstätigkeit eines nach § 66 EheG unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten die Betreuung eines mj. nicht vom Unterhaltspflichtigen stammenden Kindes nicht berücksichtigt werden, kann nicht beigepflichtet werden. Vielmehr entspricht es der hL, dass es kein Kriterium für die Zumutbarkeit darstellt, ob das zu betreuende Kind aus erster oder zweiter Ehe (mit dem Unterhaltspflichtigen) stammt oder unehelich ist (Schwind in Klang2 I/1 870; Pichler in Rummel2 § 66 EheG Rz 2; Zankl aaO § 66 EheG Rz 22, Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 131). Auch von Schwimann (Unterhaltsrecht2 158), der die besondere Bedeutung der Kinderbetreuung für die Frage der Zumutbarkeit der Erwerbstätigkeit des unterhaltsberechtigten Ehegatten betont, wird keine Differenzierung danach vorgenommen, ob es sich um ein Kind des Unterhaltspflichtigen handelt, oder nicht. Dafür, dass nicht nur die Betreuung gemeinsamer Kinder der geschiedenen Ehegatten ein Zumutbarkeitskriterium der Erwerbstätigkeit des Unterhaltsberechtigten darstellt, spricht der Umstand, dass nach der clausula rebus sic stantibus auch auf Seiten des Unterhaltsschuldners Sorgepflichten für weitere geborene Kinder nach der Scheidung zu berücksichtigen sind (vgl Zankl aaO). Dies gilt nach stRsp auch für Unterhaltsvergleiche, denen als eine im redlichen Verkehr geltende Gewohnheit ebenfalls nach ganz allgemeiner Meinung die Umstandsklausel innewohnt (Purtscheller-Salzmann aaO Rz 302 mwN; RIS-Justiz RS0018984). Ist aber eine weitere Sorgepflicht des gemäß § 66 EheG unterhaltspflichtigen Ehegatten nach einhelliger Auffassung regelmäßig zu berücksichtigen, würde es eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung bedeuten, wollte man in einem Fall wie dem vorliegenden eine schuldlos geschiedene unterhaltsberechtigte Ehegattin, wie dem Beklagten offenbar vorschwebt, im Sinne der Anspannungstheorie (siehe dazu etwa Zankl aaO § 66 EheG Rz 33) so behandeln, als hätte sie für ihr außereheliches Kind keine Betreuungspflicht und könnte daher einem geregelten Erwerb nachgehen. Keine Rolle kann dabei spielen, ob die Unterhaltsberechtigte - wie hier Eveline C***** - den Unterhaltsanspruch erreichende (oder ihn sogar übersteigende) Zahlungen in Form von Sozialhilfe bereits erhalten hat, da Sozialhilfe nicht bezweckt, unterhaltspflichtige geschiedene Ehegatten zu entlasten.

Der vom Beklagten erhobene Einwand der Sittenwidrigkeit bzw des Rechtsmissbrauchs könnte allein in dem wohl nur theoretischen, hier gar nicht behaupteten Fall der Herbeiführung einer Betreuungspflicht durch den Berechtigten, in der Absicht und zum Zwecke, dem Unterhaltspflichtigen damit zu schaden, Berechtigung zukommen. Gerade im vorliegenden Fall, in dem die Erwerbsunfähigkeit der geschiedenen Ehefrau deshalb ohne weiteres feststeht, weil das bereits 11-jährige Kind schwer behindert ist, ist eine solche - wie betont, vom Revisionswerber auch gar nicht angestellte - Überlegung aber völlig fernliegend.

Auf die Problematik, ob Evelinie C*****, die offenbar keine besondere berufliche Ausbildung besitzt, altersbedingt überhaupt eine entsprechende Erwerbsmöglichkeit hätte, muss nicht mehr eingegangen werden.

Da die Vorinstanzen den durch die Legalzession des § 43 NÖ SHG auf die klagende Partei übergegangen, der Höhe nach außer Streit stehenden Unterhaltsanspruch der Eveline C***** ohne Rechtsirrtum bejaht haben, muss die Revision erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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