OGH 7Ob186/99z

OGH7Ob186/99z14.7.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Nicole L*****, geboren am 15. 3. 1982, ***** vertreten durch ihre Mutter Regina L*****, ebendort, diese vertreten durch Dr. Nikolaus Schirnhofer, Rechtsanwalt in Wien, wegen pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung einer Klageausdehnung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 5. Mai 1999, GZ 45 R 94/99b-106, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 14. Jänner 1999, 7 P 51/98d-102, bestätigt wurde, in nicht nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden (im ausschließlich angefochtenen Punkt 2. des Beschlusses des Erstgerichtes) dahin abgeändert, daß auch die begehrte Klagsänderung im Verfahren 14 C 2811/97b des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien (Rechtssache klagende Partei Nicole L***** gegen beklagte Partei V*****) des Inhalts, die dort beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 1,583.646,-- zuzüglich 5 % Zinsen aus S 1,555.686,-- seit 1. 10. 1989 und 5 % Zinsen aus S 37.960,-- seit 2. 9. 1997 zu bezahlen sowie die Kosten des Verfahrens zu ersetzen, pflegschaftsgerichtlich genehmigt wird.

Text

Begründung

Die am 15. 3. 1982 geborene mj. Nicole ist die eheliche Tochter der mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom 23. 1. 1989 gemäß § 55a EheG geschiedenen Eheleute Herbert Otto und Regina L*****. Mit pflegschaftsgerichtlich genehmigtem Vergleich vereinbarten die Eltern, daß die Obsorge über das genannte Kind der Mutter zusteht.

In der Nacht vom 1. auf den 2. 9. 1996 fiel das Mädchen aus dem im 2. Stock gelegenen Fenster der mütterlichen Wohnung in Wien und erlitt hiedurch neben weiteren Verletzungen eine bleibende Querschnittlähmung.

Zum Unfallszeitpunkt bestand zugunsten der Minderjährigen Versicherungsschutz bei der W***** ua mit einer Versicherungssumme für bleibende Invalidität von S 500.000,-- mit Deckungserweiterung gemäß Besondere Bedingungen für die Kinderunverfallversicherung der österreichischen Gemeindebediensteten, Klausel 85 W, sowie bei der V***** (im folgenden kurz: V***** Versicherungen) ebenfalls eine Unfallversicherung mit einer Versicherungssumme bei dauernder 100 % Invalidität von S 1,545.686,-- sowie einem Spitalstagegeld a S 104,--.

Beide genannten Versicherungen lehnten die geltend gemachten Ansprüche mit Schreiben vom 4. 12. bzw 13. 12. 1996 ab, wobei lediglich die V***** Versicherungen gemäß § 12 Abs 3 VersVG in dem an die Mutter adressierten Schreiben darauf hinwies, daß der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung jedenfalls frei ist, wenn der Anspruch nicht innerhalb eines Jahres gerichtlich geltend gemacht wird.

Innerhalb dieser Jahresfrist wurden zwei getrennte Klagen der Minderjährigen gegen beide Versicherer, jeweils gerichtet auf Feststellung, daß diese aus den jeweiligen Versicherungsverträgen hinsichtlich des Vorfalles in der Nacht vom 1. auf den 2. 9. 1996 Versicherungsschutz zu gewähren haben, pflegschaftsgerichtlich genehmigt und sodann auch jeweils am 21.11. 1997 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien (gegen die W*****; in der Folge gemäß § 230a ZPO überwiesen an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien; dortiges Aktenzeichen 14 C 28c/97f) bzw direkt beim Bezirksgericht für Handelssachen Wien (gegen V***** Versicherungen; AZ 14 C 2811/97b) eingebracht. Beide Verfahren wurden in der Folge zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

In beiden Klagen wurde vorgebracht, daß die Klägerin (Minderjährige) durch den gegenständlichen Vorfall (Unfall) eine bleibende Querschnittlähmung erlitten, die jeweilige Versicherungsgesellschaft jedoch den Eintritt in den Versicherungsfall abgelehnt habe, weil sie diese Verletzung unberechtigter- und unbegründeterweise auf einen Selbstmordversuch der Genannten zurückführten. Beide beklagten Versicherungsgesellschaften bestritten neben dem Vorliegen eines Unfalles im Sinne der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen auch das Bestehen eines rechtlichen Interesses an einer Feststellung, weil unter Zugrundelegung der bestehenden Invalidität auf Basis der Versicherungssummen (die V***** Versicherungen überdies unter Hinweis auf ihre qualifizierte Ablehnung) eine Leistungsklage möglich gewesen wäre. Die für das vorliegende Revisionsrekursverfahren allein noch relevante V***** Versicherung sprach sich überdies gemäß § 235 Abs 2 ZPO ausdrücklich gegen eine allfällige Klageänderung des Feststellungs- in ein Leistungsbegehren aus.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 1. 7. 1998 brachte der Klagevertreter vor, daß er das Feststellungsbegehren gegen die W***** nunmehr auf eine Leistungsklage umstellen möchte, worauf ihm aufgetragen wurde, die hiefür erforderliche pflegschaftsgerichtliche Genehmigung binnen 4 Wochen beizubringen.

Mit am 14. 7. 1998 beim Pflegschaftsgericht eingebrachtem Schriftsatz beantragte hierauf die mj. Klägerin in den bezogenen beiden Zivilverfahren, folgende Klageänderungen in den verbundenen Rechtssachen zu genehmigen, und zwar hinsichtlich der W***** bezüglich eines Leistungsbegehrens in Höhe von S 500.000,-- zuzüglich 5 % Zinsen seit 1. 10. 1996 und bezüglich der V***** Versicherungen hinsichtlich eines Leistungsbegehrens von S 1,583.646 samt den aus dem Spruch ersichtlichen Staffelzinsen, beide Begehren jeweils auch zuzüglich der Verfahrenskosten.

Das Erstgericht erteilte lediglich der Klageänderung hinsichtlich des Verfahrens gegen die W***** die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung, versagte diese jedoch hinsichtlich des weiteren Verfahrens gegen die V***** Versicherungen und begründete dies rechtlich - zusammengefaßt - damit, daß nur die Erhebung einer zulässigen Feststellungsklage die Präklusivfrist des § 12 Abs 3 VersVG unterbreche, im vorliegenden Fall jedoch im Hinblick auf die bereits bei Klagseinbringung behauptete bleibende Querschnittlähmung der Minderjährigen (samt 100 %iger Invalidität) von Anfang an ein Leistungsbegehren möglich gewesen wäre, sodaß die Einbringung von Feststellungsklagen unzulässig gewesen sei. Da die V***** Versicherungen die Leistung mit Schreiben vom 13. 12. 1996 qualifiziert abgelehnt habe, sei der Versicherungsschutz infolge Versäumung der Jahresfrist jedenfalls untergegangen. Zu diesem hohen Prozeßrisiko für die Minderjährige komme weiters noch der Umstand, daß es die Mutter bisher verabsäumt habe, einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeanwaltes zu beantragen oder Deckung durch Rechtschutz nachzuweisen; ihrer persönlichen Haftungserklärung stehe die von ihr zugestandene aktuelle Einkommens- und Vermögenslage gegenüber.

Das Rekursgericht gab dem gegen die Versagung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Klageänderung gegen die beklagte Partei V***** Versicherungen erhobenen Rekurs der Minderjährigen nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000,-- übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs unzulässig sei. Es übernahm die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes als zutreffend, daß die Einbringung einer (bloßen) Feststellungsklage unzulässig und eine Umstellung des Feststellungsbegehrens auf ein Leistungsbegehren "unzweckmäßig" sei, weil der Anspruch gegen die V***** Versicherungen infolge Präklusion gemäß § 12 Abs 3 VersVG bereits erloschen sei. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG für nicht zulässig erklärt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte außerordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, in Stattgebung des Rechtsmittels den angefochtenen Beschluß dahingehend abzuändern, daß die Beschlüsse der Vorinstanzen "ersatzlos aufgehoben" bzw dahingehend abgeändert werden, daß dem Antrag auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung der Leistungsklage auch hinsichtlich der V***** Versicherungen im Verfahren 14 C 2810/97f des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht zur Frage der Umwandlung auch einer zunächst unzulässigen Feststellungsklage in eine Leistungsklage im Zusammenhang mit der Wahrung der Ausschlußfrist des § 12 Abs 3 VersVG von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist und diese Abweichung im Sinne der Wiederherstellung der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof daher aufzugreifen ist. Dem Revisionsrekurs kommt dabei auch Berechtigung zu.

Soweit im Rechtsmittel moniert wird, daß die (qualifizierte) Ablehnung des Versicherungsschutzes durch die V***** Versicherungen lediglich an Regina L***** (ohne Hinweis auf ihre Stellung als gesetzliche Vertreterin ihrer mj. Tochter), nicht jedoch an die Bezugsberechtigte selbst ergangen sei, und die Tatsache, daß diese Ablehnung nicht an die Anspruchsberechtigte selbst, sondern bloß deren Mutter erfolgte, auch nicht Eingang in die vorinstanzlichen Feststellungen gefunden habe, ist einleitend folgendes zu erwidern:

Der Mutter des Pfleglings kommt seit dem Scheidungsbeschluß 1989 die alleinige Obsorge über ihre mj. Tochter zu; der diesbezügliche Scheidungsfolgenvergleich wurde - worauf bereits einleitend hingewiesen wurde - pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Es kann keinem (vernünftigen) Zweifel unterliegen, daß das (unstrittig qualifiziert im Sinne des § 12 Abs 3 VersVG erfolgte) Ablehnungsschreiben der V***** Versicherungen vom 13. 12. 1986, in dem auf den Vorfall vom 1./2. 9. 1996 betreffend die Tochter Nicole samt Schadensnummer Bezug genommen ist, an die Mutter in dieser ihrer Eigenschaft und Funktion als alleinige gesetzliche Vertreterin der Minderjährigen adressiert und zugestellt wurde (siehe Ablichtung in ON 58). Wenn im Rechtsmittel - offenbar - vermeint wird, dieses Ablehnungsschreiben hätte der "Anspruchsberechtigten selbst", also dem damals gerade 14 Jahre alten Mädchen zugestellt werden müssen, wird übersehen, daß eine solche Zustellung rechtsunwirksam gewesen wäre (jüngst ausführlich 10 ObS 202/98y bei Zustellung einer Leistungsablehnung durch einen Sozialversicherungsträger an eine noch nicht 18-jährige minderjährige Verletzte). Der (nunmehr gerichtlich beklagte) Versicherer in der vorliegenden Rechtssache hat daher zutreffend die Mutter und nicht die Minderjährige selbst als "Empfänger" festgelegt. Daß dieser das Ablehnungsschreiben nicht zugekommen wäre, behauptet die Rechtsmittelwerberin selbst nicht einmal.

Die zur Stützung ihres Standpunktes zitierte Entscheidung EvBl 1968/213 ist mit dem hier zur Beurteilung anstehenden Sachverhalt nicht vergleichbar: Abgesehen davon, daß es dort nicht um einen mj. Geschädigten und Begünstigten aus einer Unfallversicherung ging, lag die Besonderheit darin, daß der Versicherer die Ablehnungserklärung dem anwaltlichen Vertreter, die Rechtsbelehrung über die Folgen der Fristversäumung (nach § 12 Abs 3 VersVG) hingegen mittels eines Durchschlages dem Versicherungsnehmer selbst zugestellt hatte. Daraus ist daher für den Rechtsstandpunkt der Antragstellerin hier nichts zu gewinnen.

Das Rekursgericht hat allerdings übersehen, daß der Oberste Gerichtshof bereits in zwei Entscheidungen, und zwar jeweils durch seinen vertragsversicherungsrechtlichen Fachsenat zu 7 Ob 32/80 und 7 Ob 31/86 (= VersE 1290; beide ausgeworfen in RIS-Justiz RS0038945) auch zu dem hier - wenngleich vorerst nur für die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung im Vordergrund stehenden - Problem Stellung genommen hat. Hiebei wurde vom Zweck des § 12 Abs 3 VersVG ausgegangen, wonach eine möglichst rasche Klärung der Berechtigung einer Deckungsablehnung erfolgen soll; dies liegt im Interesse des Versicherers, weil durch jede Verzögerung in der Erledigung zweifelhafter Ansprüche die zuverlässige Feststellung der maßgebenden Tatsachen erschwert wird. Dieser angestrebte Zweck wird jedoch - wie der Oberste Gerichtshof hierin betonte - auch durch einen gerichtlichen Schritt erreicht, der vom prozessualen Standpunkt aus mit Mängeln behaftet ist, so etwa einer unzulässigen Feststellungsklage, weil (ganz oder teilweise) schon Leistungsklage möglich wäre. Wird nämlich sodann rechtzeitig vor Abweisung des Klagebegehrens die Umwandlung in eine Leistungsklage vorgenommen, so muß auch darin eine Wahrung der Ausschlußfrist erblickt werden; lediglich im (hier nicht zutreffenden) Falle der Ausdehnung eines Leistungsbegehrens wird man in der Regel die Wahrung der Frist nur für jenen Teil des Begehrens annehmen können, der bereits im ursprünglichen Klagebegehren enthalten war.

Eine solche Fallgestaltung ist auch hier gegeben. Selbst für den - hier (mangels Beurteilung der Rechtssache selbst in merito) nicht weiter zu untersuchenden - Fall, daß es sich bei der gegen die V***** Versicherungen unstrittig noch innerhalb der Jahresfrist des § 12 Abs 3 VersVG eingebrachten Feststellungsklage tatsächlich um eine (im Sinne der Ausführungen der Vorinstanzen) unzulässige gehandelt haben sollte, wurde jedenfalls durch die (fristgerechte) Einbringung derselben erreicht, daß einerseits der Versicherer klar weiß, daß sich sein Versicherungsnehmer mit der Deckungsablehnung nicht abfinden will, er vielmehr auf seinem Deckungsanspruch beharrt, und daß andererseits die gerichtliche Prüfung, also die zuverlässige Feststellung der maßgebenden Tatsachen, in die Wege geleitet wird. Wird daher eine solche (allenfalls) prozessual unzulässige Feststellungsklage, bevor es noch zu einer Abweisung des Klagebegehrens gekommen ist, in eine Leistungsklage umgewandelt, so muß darin eine Wahrung der Ausschlußfrist erblickt werden (nochmals ausdrücklich 7 Ob 32/80).

Daraus folgt aber - zusammenfassend -, daß die von beiden Vorinstanzen ins Treffen geführten Versagungsgründe einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer derartigen Klageumwandlung nicht zu greifen vermögen. Selbst unter Einbeziehung aller Eventualitäten in Abwägung des Prozeßrisikos und sorgfältiger Prüfung auch allfälliger erwartbarer Vermögensnachteile etwa durch Belastung mit Prozeßkosten (Schwimann in Schwimann, ABGB2 I Rz 27 zu § 154 mwN), ist die vom Klagevertreter in Aussicht genommene Klageänderung damit im Ergebnis nicht anders zu beurteilen als die bereits rechtskräftig genehmigte idente Änderung der ursprünglichen Feststellungsklage in eine nunmehrige Leistungsklage in der verbundenen Rechtssache 14 C 2810/97f gegen die W*****. In Stattgebung des Revisionsrekurses war daher auch der noch allein strittigen Klageänderung für die Rechtssache 14 C 2811/97b die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung ebenfalls zu erteilen und somit wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

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