OGH 7Ob206/98i

OGH7Ob206/98i11.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna H*****, vertreten durch Dr. Gerhard Krammer und Mag. Hans-Peter Pflügl, Rechtsanwälte in Horn, wider die beklagte Partei Hedwig U*****, vertreten durch Dr. Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 13. Jänner 1998, GZ 21 R 540/97b-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Laa an der Thaya vom 3. Oktober 1997, GZ C 354/97 k-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil lautet:

"Die Aufkündigung vom 18. 6. 1997 wird aufgehoben.

Das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, das im Haus ***** W***** (EZ *****) gelegene Kabinett der ebenerdigen Wohnung, welches über die Küche und das Schlafzimmer zu erreichen ist, binnen 14 Tagen nach Ablauf der Bestandzeit geräumt von sämtlichen Fahrnissen an die klagende Partei zu übergeben, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die in allen Instanzen mit insgesamt S 16.547,56 (darin enthalten S 2.311,26 Umsatzsteuer und S 2.680,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind Schwestern. Die Klägerin ist Eigentümerin des Hauses mit Garten in W*****. Anläßlich des dieses Haus betreffenden Übergabsvertrages vom 12. 1. 1994 räumte die Klägerin der Mutter der Streitteile das lebenslängliche unentgeltliche Fruchtgenußrecht an der Liegenschaft ein. Mit Mietvertrag vom 28. 7. 1994 vermietete die Mutter das im Haus befindliche Kabinett zur Alleinbenützung, verbunden mit dem Recht der Mitbenützung der übrigen Räumlichkeiten an die Beklagte. Der Mietvertrag wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. In Punkt 3. des Mietvertrages wurde vereinbart, daß es der Mieterin freistehe, das Mietobjekt nach ihren Bedürfnissen entweder als Zweitwohnung oder als ihren Hauptwohnsitz zu benützen. Die Klägerin hatte vom Abschluß dieses Mietvertrages keine Kenntnis.

Die Beklagte wohnt und arbeitet in Wien. Sie war aus ihrer ursprünglichen Wohnung delogiert worden und wohnt seit Mai 1994 in einer 300 m2 großen, bestens ausgestatteten Dachwohnung einer Bekannten. Der Beklagten steht dort die Benützung eines Zimmers samt Bad und WC und die Mitbenützung der Küche zu. Als Gegenleistung zahlt sie die anteiligen Betriebskosten und hilft bei Bedarf im Unternehmen ihrer Bekannten aus.

Die Mutter der Streitteile ist am 21. 3. 1997 verstorben. Die Beklagte besuchte ihre Mutter zu deren Lebzeiten an den Wochenenden und übernachtete auch im Haus in W*****. Gemeinsame Urlaube mit der Mutter verbrachte die Beklagte in ihrer Wohnung in Wien.

Die Beklagte hat vor, in Hinkunft etwa alle 14 Tage das Wochenende im Haus in W***** zu verbringen. Sollte sie die Wohnmöglichkeit bei ihrer Bekannten in Wien verlieren, will sie sich neuerlich in Wien eine Wohnung suchen. Nach ihrer Pensionierung in ein bis zwei Jahren würde sie aber gerne nach W***** ziehen.

Die Klägerin kündigte der Beklagten das Mietobjekt zum 31. 7. 1997 gerichtlich auf. Da die Beklagte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn des § 66 JN in Wien habe, stelle das Mietobjekt eine Zweitwohnung im Sinn des § 1 Abs 2 Z 4 MRG dar. Das MRG komme daher nicht zur Anwendung. Hilfsweise werde der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG geltend gemacht, weil die Beklagte in Wien wohne und arbeite und kein dringendes Wohnbedürfnis am Mietobjekt habe.

Die Beklagte erhob dagegen Einwendungen und brachte vor, daß keine Zweitwohnung im Sinn des § 1 Abs 2 Z 4 MRG vorliege. Maßgeblich hiefür sei der Vertragszweck. Die Vertragsparteien hätten bei Abschluß des Mietvertrages beabsichtigt, daß die unverheiratete und unversorgte Beklagte das lebenslängliche Wohnrecht am Mietobjekt haben solle. Das Haus sei das Geburtshaus der Beklagten, das Kabinett ihr Kinderzimmer gewesen. Es sei vereinbart gewesen, daß die Beklagte, solange sie noch berufstätig sein werde, das Haus vorzugsweise an den Wochenenden, an den Feiertagen und im Urlaub benützen, nach ihrer Pensionierung aber ständig darin wohnen werde. Die Beklagte habe nicht nur Kleidung, sondern auch Lebensmittel dort gelagert. Sie habe ihre Mutter regelmäßig besucht. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG komme im Hinblick auf die vereinbarte Verwendungsart nicht zum Tragen.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Räumung. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich der Schluß, daß das Bestandobjekt von der Beklagten bloß als Zweitwohnung zu Zwecken der Erholung gemietet worden sei. Daneben bestehe ein gewöhnlicher Aufenthalt in Wien. Das Bestandobjekt sei daher gemäß § 1 Abs 2 Z 4 MRG vom Anwendungsbereich des MRG ausgenommen, so daß kein Kündigungsschutz bestehe. Selbst bei Anwendbarkeit des MRG läge jedoch der Kündigungsgrund des "§ 30 Abs 2 Z 5 MRG" vor, weil das Bestandobjekt nicht zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendet werde.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Vertragszweck bestehe im vorliegenden Fall darin, daß es der Mieterin freistehe, das Mietobjekt nach ihren Bedürfnissen entweder als Zweitwohnung oder als Hauptwohnsitz zu verwenden. Deshalb sei hier darauf abzustellen, wie das Bestandobjekt von der Beklagten tatsächlich benützt werde. Die Beklagte benütze das Bestandobjekt als Zweitwohnsitz und habe damit diese Benützungsart gewählt. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß es beim Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 4 MRG auf die Parteienabsicht, daß die Wohnung lediglich zum Zweck der Erholung oder Freizeitgestaltung verwendet werde und nicht auf den tatsächlichen Verwendungszweck ankomme, sei daher auf den vorliegenden Fall nicht direkt anwendbar. Soweit die Berufung der Beklagten das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 5 MRG bekämpfe, könne ihr schon deshalb nicht gefolgt werden, weil das Erstgericht seine Entscheidung erkennbar auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG gestützt habe. Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht abweiche.

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist jedoch zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 4 MRG lautet: "Wohnungen oder Wohnräume, die vom Mieter bloß als Zweitwohnung zu Zwecken der Erholung oder Freizeitgestaltung gemietet werden; eine Zweitwohnung im Sinn der Z 3 und 4 liegt vor, wenn daneben ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des § 66 JN besteht."

Die Vorinstanzen sind zwar zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn des § 66 JN in Wien hat und das Haus in W***** bestenfalls als Zweitwohnung benützte und benützt.

Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 4 MRG setzt aber ungeachtet der durch das 3. WÄG erfolgten Aufnahme der Voraussetzung der Zweitwohnung und ihrer Legaldefinition in diese Bestimmung nach wie vor voraus, daß die Vermietung zu einem bestimmten Zweck, nämlich zur Erholung oder Freizeitgestaltung erfolgte. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kommt es dabei nicht auf die Verwendung, sondern auf den Vertragszweck an (SZ 56/132; WoBl 1991/59; WoBl 1994/24; 9 Ob 288/97m). Dieser ist im vorliegenden Mietvertrag ausdrücklich dahin vereinbart, daß die Mieterin den Mietgegenstand nach ihren Bedürfnissen entweder als Zweitwohnung oder als Hauptwohnsitz benützen kann. Eine Einschränkung des Vertragszweckes dahin, daß das Haus in W***** der Beklagten bloß zur Erholung oder Freizeitgestaltung zu dienen habe, ist dieser Bestimmung nicht zu entnehmen. Die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes enthaltene Schlußfolgerung, daß sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe, daß die Vermietung bloß zu Erholungszwecken erfolgt sei, ist nicht nachvollziehbar. Die Vereinbarung, daß die Beklagte nach ihrem Belieben die Wohnung auch als Hauptwohnsitz benützen könne, spricht vielmehr gerade gegen eine Einschränkung der Miete auf Zwecke der Erholung oder Freizeitgestaltung, die zugleich auch eine Einschränkung dahin bedeuten würde, daß die Wohnung nicht zur Befriedigung des ordentlichen Wohnbedürfnisses und damit gerade nicht als Hauptwohnsitz dienen dürfe (vgl WoBl 1994/24). Ebensowenig läßt sich aus dem Mietvertrag ableiten, daß sich die Beklagte sofort für die eine oder für die andere Möglichkeit entscheiden hätte müssen und daß sie ihre einmal getroffene Wahl der Benützungsart in alle Hinkunft beibehalten müsse. Auch der Umstand, daß die Beklagte die Wohnung derzeit tatsächlich bloß als Zweitwohnung und wohl auch bloß als Freizeitwohnung benützt, läßt nicht den Schluß zu, daß die Absicht der Mietparteien abweichend vom Text der Vertragsurkunde darauf gerichtet gewesen wäre, daß die Wohnung von vorneherein nur für diesen Zweck vermietet werden sollte. Die Argumentation des Berufungsgerichtes, daß es infolge der der Beklagten im Vertrag eingeräumten Wahlmöglichkeit auf die tatsächliche Benützung ankommen müsse, läßt in Wahrheit den vereinbarten, auch die Benützung als Hauptwohnsitz umfassenden Vertragszweck außer Betracht und steht somit in Widerspruch zur zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß nicht die tatsächliche Benützung, sondern der vereinbarte Vertragszweck ausschlaggebend ist. Da eine Einschränkung des Vertragszweckes auf die Benützung zur Erholung und Freizeitgestaltung mit dem Text der Vertragsurkunde nicht in Einklang zu bringen ist und auch keine Umstände hervorgekommen sind, daß die Parteiabsicht ungeachtet des Wortlautes der Urkunde auf diesen eingeschränkten Zweck gerichtet gewesen sei, unterliegt das Mietverhältnis dem Kündigungsschutz des MRG.

Zum hilfsweise geltend gemachten Kündigungsgrund des § 31 Abs 2 Z 6 MRG zeigt die Beklagte zutreffend auf, daß die festgestellte Benützung des strittigen Mietobjektes durch die Beklagte bloß als Zweitwohnung, nämlich durch fallweises Nächtigen am Wochenende, der ihr nach dem Mietvertrag ebenfalls offenstehenden Möglichkeit der Benützung entspricht. In der vertragsmäßigen Widmung einer Mietwohnung als Zweitwohnung liegt begriffsnotwendig ein Verzicht des Vermieters auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes der nicht regelmäßigen Verwendung der gemieteten Wohnung zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG (WoBl 1991/48; 1 Ob 567/91). Nichts anderes kann gelten, wenn der Mieterin sowohl die Benützung als Hauptwohnsitz als auch die Benützung als Zweitwohnsitz gestattet wurde. Da die Beklagte schon im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses ihren Hauptwohnsitz in Wien hatte und die Verlegung desselben nach W***** in ihr Belieben gestellt wurde, schließt die zitierte Vereinbarung das Vorliegen des behaupteten Kündigungsgrundes der mangelnden Befriedigung eines regelmäßigen Wohnbedürfnisses aus.

Da das Mietverhältnis entgegen der Ansicht der Vorinstanzen den Kündigungsbeschränkungen des MRG unterliegt und der geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG nicht zum Tragen kommt, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Aufhebung der Kündigung und Abweisung des Räumungsbegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte