OGH 10ObS231/98p

OGH10ObS231/98p18.8.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Hon.Prof.Dr. Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Lainerichter Dr. Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Scharinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Cornelia W*****, vertreten durch Dr. Markus Ch. Weinl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter- Straße 65, vor dem Obersten Gerichtshof vorerst nicht vertreten, wegen Wiederaufnahme und Versehrtenrente infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 1998, GZ 25 Rs 48/98i-7, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. Jänner 1998, GZ 33 Cgs 288/97y-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Im Verfahren 35 Cgs 1/90 (vormals 35 Cgs 1/88) des Landesgerichtes Feldkirch, im zweiten Rechtsgang bestätigt durch Urteil des OLG Innsbruck vom 25.9.1990 (5 Rs 128/90), wurde die beklagte Partei rechtskräftig schuldig erkannt, der Klägerin ab 15.9.1987 bis 21.9.1988 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH zu gewähren; das Mehrbegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente von 20 vH über den 21.9.1988 hinaus wurde abgewiesen. Grundlage dieses Verfahrens bildete eine von der Klägerin gegenüber dem Bescheid der beklagten Partei vom 9.4.1980 (welcher unbekämpft geblieben war), mit welchem ihr Anspruch auf Versehrtenrente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von bloß 10 vH abgelehnt worden war, behauptete Verschlimmerung der Unfallfolgen eines Arbeitsunfalles vom 23.9.1978, deren Eintritt mit Bescheid derselben vom 7.12.1987 verneint worden war.

Mit ihrer am 16.12.1997 beim Erstgericht eingebrachten Wiederaufnahmsklage, gestützt "insbesondere" auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, stellte die Klägerin das Begehren, die in der einleitend bezeichneten Sozialrechtssache ergangenen Entscheidung aufzuheben und über ihr Begehren auf Versehrtenrente in gesetzlicher Höhe die Verhandlung neu durchzuführen und neu zu entscheiden. Aufgrund neu aufgefundener bzw benützbar gewordener Tatsachen und Beweismittel sei davon auszugehen, daß bei der Klägerin eine MdE von mindestens 50 vH eingetreten sei; das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales habe nämlich mit Bescheid vom 18.11.1997 den seinerzeit an Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom 9.4.1980, mit dem die Gewährung einer Versehrtenrente an die Klägerin abgelehnt worden sei, gemäß § 101 ASVG aufgehoben, sodaß die beklagte Partei nunmehr verpflichtet sei, binnen 6 Monaten einen neuen Erstbescheid zu erlassen.

Das Erstgericht wies diese Wiederaufnahmsklage gemäß § 538 Abs 1 ZPO (iVm § 2 Abs 1 ASGG) a limine mit Beschluß als zur Bestimmung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung ungeeignet zurück. Beim (aufhebenden) Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 18.11.1997 handle es sich weder um neue Tatsachen noch um neue Beweismittel im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO; der genannte Bescheid sei zudem auch nicht für das von der Wiederaufnahme bezeichnete Verfahren präjudiziell, weil dort über den Anspruch auf Versehrtenrente ab dem 15.9.1987 abgesprochen worden sei, der aufgehobene Bescheid vom 9.4.1980 jedoch nur den davorliegenden Zeitraum 1.10.1978 bis 14.9.1987 betreffe.

Das Rekursgericht gab dem von der Klägerin erhobenen Rekurs nicht Folge und schloß sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Beim Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales handle es sich nicht um neu aufgefundene Tatsachen oder Beweismittel (nova reperta), sondern vielmehr um solche, die lange nach rechtskräftigem Abschluß des wiederaufzunehmenden Verfahrens produziert worden seien (also um nova producta). Die nunmehrige Beseitigung des seinerzeitigen Bescheides der beklagten Partei könne auf die Richtigkeit des wiederaufzunehmenden Verfahrens keinen Einfluß ausüben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf die Rechtsmittelgründe der Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit und unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß ihrem Rekurs antragsgemäß stattgegeben, der erstinstanzliche Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen werde, das Wiederaufnahmeverfahren durchzuführen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs gegen die aus formellen Gründen erfolgte Bestätigung der Zurückweisung der Klage ohne Sachentscheidung durch das Rekursgericht ist gemäß § 47 Abs 2 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig (Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ-Sonderheft 5 A, 26; 7 Ob 364/97y), jedoch nicht berechtigt. Da die gegenständliche Wiederaufnahmsklage nicht nach, sondern vor Eintreten der Streitanhängigkeit zurückgewiesen wurde, ist das Rekursverfahren nicht gemäß § 521 a Abs 1 Z 3 ZPO, § 2 Abs 1 ASGG zweiseitig, sondern bloß einseitig.

Den (bereits im Rekurs geltendgemachten) Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO erblickt die Rechtsmittelwerberin darin, daß der Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 18.11.1997 nicht als neue Tatsache bzw neues Beweismittel im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO behandelt worden sei; die neue Tatsache liege darin, daß ihre MdE nicht 10, sondern 50 vH betrage. Durch die Verweigerung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. So wie aber (nach ständiger Rechtsprechung und Lehre: Fasching, Lehrbuch2 Rz 1905 und 1979; Kodek in Rechberger, ZPO Rz 2 zu § 503 und Rz 2 zu § 519; Fink, ASGG 119 Anm 6.1.3 zu § 48; Kuderna, ASGG2 286f Anm 1 zu § 47) ein Beschluß des Berufungsgerichtes, mit dem eine wegen Nichtigkeit erhobene Berufung verworfen wurde, unanfechtbar ist, weil kein Fall des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO vorliegt (woran sich auch durch die WGN 1997 nichts geändert hat), hat das gleiche auch im Rekursverfahren zu gelten (RZ 1989/50, SZ 65/84, 4 Ob 2296/96t, 4 Ob 2367/96h, 5 Ob 2238/96w, 7 Ob 2242/96y, 5 Ob 408/97d uva).

Die geltend gemachten Mangelhaftigkeiten liegen weder hinsichtlich des Erstgerichtes (insoweit abermals bereits die vom Rekursgericht verworfenen Argumente des Rekurses wiederholend) noch hinsichtlich des Rekursgerichtes vor; dies bedarf gemäß §§ 528 a, 510 Abs 3 dritter Satz ZPO, § 2 Abs 1 ASGG keiner näheren Begründung. Im übrigen können von der zweiten Instanz verworfene Verfahrensmängel nach ständiger Rechtsprechung nicht nochmals in dritter Instanz mit Erfolg geltend gemacht werden (SSV-NF 7/74 uva).

Auch in rechtlicher Hinsicht ist die Entscheidung des Rekursgerichtes nicht zu beanstanden (§ 510 Abs 3 zweiter Satz iVm § 528 a ZPO, § 2 Abs 1 ASGG). Die Rechtsmittelwerberin bezeichnet es zwar als unrichtig, daß das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in seinem Aufhebungsbescheid vom 18.11.1997 die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG mit 14.9.1987 begrenzt habe. Das Gericht hat jedoch die Bindungswirkung dieses Bescheides (ausführlich hiezu etwa Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 576ff; MGA Verwaltungsverfahren2 E 48ff zu § 38 AVG) zu beachten und kann von dieser (angeblichen) "Unrichtigkeit" der Verwaltungsbehörde somit nicht ausgehen. Damit ist aber jedenfalls davon auszugehen, daß das ausschließlich das Ausmaß der MdE bei der Klägerin seit dem 15.9.1987 betreffende und von der Wiederaufnahmsklage erfaßte Verfahren 35 Cgs 1/90 des Landesgerichtes Feldkirch von diesem Aufhebungsbescheid des genannten Bundesministeriums nicht berührt sein kann. Grundlage dieses Gerichtsverfahrens im Rahmen der sukzessiven Kompetenz der Gerichte war nämlich der abweisliche Bescheid der beklagten Partei vom 7.12.1987, welcher allein durch die am 11.1.1988 beim Erstgericht Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht eingelangte Klage gemäß § 71 Abs 1 ASGG außer Kraft gesetzt worden war; vom Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales aufgehoben wurde hingegen der (seinerzeit unbekämpft gebliebene) Bescheid der beklagten Partei vom 9.4.1980, betreffend auch bloß den (zu 35 Cgs 1/90 gar nicht verfahrensgegenständlichen) Zeitraum bis zum 14.9.1987: Für den Zeitraum danach wurde jedoch im gerichtlichen Verfahren, dessen Urteilsbeseitigung mit der vorliegenden Wiederaufnahmsklage angestrebt wird und dessen Bescheidgrundlage die angemeldete Verschlimmerung der Unfallsfolgen gegenüber dem nunmehr gemäß § 101 ASVG aufgehobenen Bescheid vom 9.4.1980 war, ausdrücklich und autonom (nämlich nach eigenständiger Erhebung aller maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen) festgestellt, daß ihre MdE von Anfang an (also schon ab 1980 nie über 20 vH betragen hatte, für den Zeitraum nach dem 15.9.1987 bis zum 21.9.1988 dieses Ausmaß ebenfalls nicht überschritt und für den anschließenden Zeitraum ab dem 22.9.1988 dieses (rentenbegründende) Ausmaß überhaupt nicht mehr erreichte, woraus folgt, daß der frühere (aufgehobene und den Gegenstand des Verfahrens zur Herstellung des gesetzlichen Zustandes bildende) Bescheid tatsächlich auf diese Entscheidung der Gerichte im Verfahren 35 Cgs 1/90 keinen Einfluß haben konnte bzw kann. Selbst für den Fall, daß die beklagte Partei daher im neuen Bescheid eine MdE der Klägerin von 50 vH (für den Zeitraum 1.10.1978 bis 14.9.1987) zugrunde legen würde, könnte sie damit eine Aufhebung oder Abänderung der gerichtlichen Entscheidungen im Verfahren 35 Cgs 1/90 nicht erreichen. Diese neu behaupteten Tatsachen (und Beweismittel) sind daher abstrakt zur Wiederaufnahme ungeeignet, weshalb die Vorinstanzen zurecht gemäß § 538 Abs 1 ZPO die Klage a limine zurückgewiesen haben. Dem Rechtsmittel der Klägerin konnte daher keine Folge gegeben werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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