OGH 9ObA115/98x

OGH9ObA115/98x24.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie durch die fachkundigen Laienrichter Gerhard Kriegl und Olga Makomaski als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Partei Engelbert S*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Johann Buchner und Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Entlassungsanfechtung (Streitwert S 750.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Jänner 1998, GZ 11 Ra 273/97i-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. April 1997, GZ 11 Cga 22/96p-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 22.050 (darin enthalten S 3.675 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Entlassung des Klägers berechtigt war, zutreffend bejaht. Es reicht daher aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers, deren Schwergewicht auf der Frage liegt, ob der Kläger von der Beklagten ohne vorangegangenes Disziplinarverfahren entlassen werden durfte, folgendes entgegenzuhalten:

Das Arbeitsverhältnis des Klägers unterlag der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A). § 31 Abs 1 DO.A in der bis 31.12.1995 geltenden Fassung (im folgenden kurz DO.A alt) sah vor, daß unkündbare Angestellte - von hier nicht geltend gemachten bzw nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - nur aufgrund eines auf Entlassung lautenden Disziplinarerkenntnisses entlassen werden können. Demgegenüber setzt § 31 Abs 1 DO.A in der ab 1.1.1996 geltenden Fassung (im folgenden kurz DO.A neu) für die Entlassung eines Angestellten, für den ein erhöhter Kündigungsschutz besteht, kein Disziplinarerkenntnis mehr voraus. Gemäß der Übergangsbestimmung Art XXXV Z 2 DO.A neu tritt § 31 in der geänderten Fassung am 1.1.1996 in Kraft; Art XXXV Z 9 DO.A neu sieht vor, daß § 31 in der ab 1.1.1996 geltenden Fassung auch auf unkündbare Angestellte sowie auf Angestellte, für die ein erweiterter Kündigungsschutz gemäß § 30 in der bis 31.12.1995 geltenden Fassung besteht, anzuwenden ist.

Der Revisionswerber vertritt nun die Rechtsansicht, daß § 31 Abs 1 DO.A neu nicht auf den seiner Entlassung zugrunde liegenden Sachverhalt vom 9./10.1.1996 anzuwenden sei, weil die Änderung des Kollektivvertrages, in deren Rahmen unter anderem § 31 DO.A alt geändert worden sei, erst am 5.6.1996 im Amtsblatt zur Wiener Zeitung kundgemacht worden sei.

Abgesehen davon, daß eine Entlassung schon begrifflich keine Disziplinarmaßnahme ist (vgl. Strasser in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht3 II 348; infas 1996 A 3 uva), ist richtig, daß die Wirkung eines Kollektivvertrages - als solcher ist die DO.A zu werten (Arb 9.455; Arb 10.945; DRdA 1993/44; SZ 67/32 ua) - erst mit dem auf die Kundmachung im Amtsblatt zur Wiener Zeitung folgenden Tag beginnt; dies allerdings nur dann, wenn der Kollektivvertrag keine Vorschrift über seinen Wirksamkeitsbeginn enthält (§ 11 Abs 2 ArbVG). Der Wirksamkeitsbeginn des Kollektivvertrages bestimmt sich sohin in erster Linie nach der Vereinbarung der Kollektivvertragsparteien. Diese können den Zeitpunkt des Wirksamkeitsbeginns grundsätzlich auch vorverlegen, den Kollektivvertrag also mit rückwirkender Kraft ausstatten (Strasser in Floretta/Strasser, Kommentar zum ArbVG 94; derselbe in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht II3 146; Cerny in Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz, ArbVG Bd 2 78; aA Mayer-Maly, Arbeitsrecht 195; Tomandl, Arbeitsrecht I3 136 f; Mayer/Tomandl, Der mißhandelte Rechtsstaat, dargestellt am "Fall Poigenfürst", 39). Die Rückwirkung zieht weder Unzulässigkeit noch Nichtigkeit nach sich (RdW 1996, 175; Arb 7.396). Liegt der vereinbarte Wirksamkeitsbeginn vor der Kundmachung, so tritt die Wirksamkeit rückwirkend ein (Arb 10.112; ZAS 1988/8 grundsätzlich zust. Klein). Eine derartige Vereinbarung wurde hier von den Kollektivvertragsparteien getroffen. Die Wirksamkeit des normativen Teils des Kollektivvertrages war daher nur durch die Tatsache der späteren Kundmachung bedingt (Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht6 81), die unstrittig erfolgte.

Soweit vom Revisionswerber unter Berufung auf Mayer/Tomandl aaO betont wird, daß der Kollektivvertrag keineswegs "rückwirkend die Strafbarkeit eines zum Begehungszeitpunkt strafbaren Verhaltens beseitigen kann", so weist die Revisionsgegnerin zutreffend darauf hin, daß dieser Hinweis am gegenständlichen Problem vorbeigeht. Es wurde weder eine Strafbarkeit rückwirkend beseitigt, noch eine solche rückwirkend begründet. Die Rückwirkung reicht hier auch nicht über den Abschlußzeitpunkt des geänderten Kollektivvertrages zurück, sondern betraf nur den Zeitraum zwischen Abschluß und Kundmachung des Kollektivvertrages. Insoweit verweist etwa Klein darauf, daß der Wirksamkeitsbeginn durch Kundmachung durch verschiedene organisatorische Belange oft schwer abschätzbar ist, sodaß ein praktisches Bedürfnis der Kollektivvertragsparteien besteht, den Wirksamkeitsbeginn durch Vereinbarung festzulegen und dieser häufig vor der tatsächlichen Kundmachung liegt (Klein in ZAS 1988, 66 [67]).

Die vom Revisionswerber relevierte Änderung des Kollektivvertrages brachte einen Entfall des bis zum 31.12.1995 einer Entlassung nach der DO.A - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - vorgelagerten Disziplinarverfahrens; an der Möglichkeit der Entlassungsanfechtung gemäß § 106 ArbVG änderte sich durch die Kollektivvertragsänderung nichts. Daß durch die Kollektivvertragsänderung rückwirkend zum Nachteil des Arbeitnehmers ein Entlassungsgrund geschaffen worden wäre, der vorher nicht gegeben gewesen wäre, behauptet nicht einmal der Revisionswerber. Von "Willkür" und "unerträglicher Rechtsunsicherheit" kann keine Rede sein. Der Revisionswerber läßt im übrigen selbst offen, worin nun tatsächlich eine konkrete "Verschlechterung" seiner Position gelegen sein soll; aus seiner Bemerkung, ein Disziplinarverfahren hätte "ohne Zweifel auch pönalen Charakter" ist jedenfalls keine Verschlechterung erkennbar.

Was nun die Entlassung selbst angeht, ist ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen zu verweisen. Zusammenfassend ist davon auszugehen, daß ein Angestellter, für den ein erhöhter Kündigungsschutz besteht, gemäß § 31 Abs 1 Z 2 DO.A neu dann entlassen werden kann, wenn er sich einer besonders schweren Pflichtverletzung oder Handlung oder Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Versicherungsträgers unwürdig erscheinen läßt. Dieser Entlassungsgrund entspricht im wesentlichen jenem des § 27 Z 1 dritter Fall AngG.

Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen verschuldete der Kläger in der Nacht vom 9. zum 10.1.1996 in alkoholisiertem Zustand zunächst einen Autounfall mit Sachschaden und beging anschließend Fahrerflucht, wurde jedoch von der Polizei gestellt und ihm wurden der Führerschein und die Fahrzeugschlüssel abgenommen. Anschließend besorgte sich der Kläger seinen zuhause aufbewahrten Zweitschlüssel, konsumierte weitere alkoholische Getränke, nahm sein Fahrzeug schließlich wieder in Betrieb und verschuldete einen zweiten Autounfall, bei dem zwei Fußgängerinnen schwer verletzt wurden, wovon eine einige Tage später ihren schweren Kopfverletzungen erlag. Der Kläger leistete den Unfallopfern keine Hilfe, sondern beging erneut Fahrerflucht bis er schließlich von der Polizei gestellt wurde. Der Blutalkoholgehalt betrug zu diesem Zeitpunkt 1,94 o/oo. Der Kläger wurde vom Strafgericht wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 und 2 StGB und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 zweiter Fall (§ 81 Z 1 und 2) StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 Jahren verurteilt.

Der Revisionswerber stellt nicht in Abrede, daß die Verhütung von Unfällen, die Erste Hilfe Leistung und die Behandlung von Unfällen oberstes Anliegen seiner Arbeitgeberin, der Beklagten als Trägerin der Unfallversicherung, sind (§ 172 Abs 1 ASVG). Er bestreitet auch nicht, daß er als Angestellter der Beklagten gemäß § 8 Abs 1 DO.A (in der insoweit seit 1.1.1970 unverändert geltenden Fassung) verpflichtet war, die Interessen und das Ansehen des Versicherungsträgers in jeder Hinsicht zu wahren und zu fördern, bzw gemäß § 8 Abs 4 DO.A zu tadellosem Verhalten nicht nur im, sondern auch außer Dienst verpflichtet war. Es entspricht der herrschenden Auffassung, daß der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit auch auf Handlungen des Angestellten beruhen kann, die mit dem Arbeitsverhältnis in keinem oder keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen (Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, Ang7 611 f; Dusak in RdW 1988, 355 f; Arb 6.511; Arb 7.413; Arb 9.091; ÖJZ 1987/288A [VwGH A]; RdW 1996, 539; WBl 1998/23; RdW 1998, 31 ua). Das außerdienstliche Verhalten muß sich aber auf das Arbeitsverhältnis in der Weise auswirken, daß dadurch das dienstliche Vertrauen des Arbeitgebers verloren geht (Kuderna, Entlassungsrecht2 87; WBl 1995, 417). Bei dem außerdienstlichen Verhalten wird die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im allgemeinen eher bestehen bleiben und wird auch die Vertrauenswürdigkeit allenfalls weniger darunter leiden als bei einem dienstlichen Verhalten (Kuderna aaO 87). Die strafgerichtliche Verurteilung eines Angestellten wegen einer außerdienstlich begangenen Straftat bildet nicht zwangsläufig einen Entlassungsgrund (WBl 1998/23). Eine strafgerichtliche Verurteilung wegen eines Verkehrsunfalls wird auch in der Regel bei einem Kraftfahrer strenger zu beurteilen sein, als bei einem anderen Arbeitnehmer (Kuderna aaO 88).

Selbst unter Berücksichtigung aller vorstehenden Einschränkungen erweist sich aber die Entlassung des Klägers als berechtigt. Auch wenn er bei der Beklagten nicht als Kraftfahrer, sondern als Datensachbearbeiter beschäftigt und auch nicht unmittelbar in einem Bereich der Unfallverhütung oder -behandlung tätig war, so war doch das Verhalten des Klägers - abgesehen vom Unfall selbst - sowohl vor als auch nach dem Unfall von einer derartigen Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit geprägt, daß letztlich auch die Interessen seiner Arbeitgeberin so schwerwiegend beeinträchtigt wurden, daß die Entlassung des Klägers wegen Vertrauensunwürdigkeit gerechtfertigt war (Arb 5.813; Arb 9.091; RdW 1987, 131; ARD 4.210/19/90; ÖJZ 1991/125 A [VwGH A]; JBl 1993, 338).

Maßgebend ist, daß das Verhalten des Arbeitnehmers unter Anlegung eines objektiven Maßstabes das Vertrauen des Arbeitsgebers so schwer erschüttert hat, daß ihn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungszeit unzumutbar ist (Arb 7.687; Arb 8.416; Arb 9.862; RdW 1995, 272). Dies war hier der Fall. Der Kläger hat nicht nur in alkoholisiertem Zustand einen tödlichen Verkehrsunfall verschuldet, sondern auch durch die anschließende Fahrerflucht die Unfallopfer ihrem Schicksal überlassen und keine Hilfe herbeigeholt. Damit wurde aber auch das Vertrauensverhältnis, das zwischen ihm und seiner Arbeitgeberin als Trägerin der Unfallversicherung besteht, auf das Schwerste erschüttert. Der Kläger war daher wegen seines Verhaltens für die Beklagte - bereits ungeachtet der Publizität, den der gegenständliche Fall in den Medien hervorrief - nicht mehr weiter tragbar (vgl ZfVB 1995/77; infas 1985A 143).

Auch wenn an das außerdienstliche Verhalten eines Arbeitnehmers kein so strenger Maßstab anzulegen ist, wie an das Verhalten im Dienst, war im Hinblick auf das Gewicht der Verfehlungen des Klägers und des damit verbundenen Aufsehens die Gefährdung objektiver Interessen der Beklagten zu befürchten; der Beklagten war daher die Weiterbeschäftigung des Klägers nicht mehr weiter zumutbar und die Entlassung schon aus diesem Grund vom 16.1.1996 berechtigt (infas 1994, A 27).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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