OGH 1Ob110/72

OGH1Ob110/7221.6.1972

SZ 45/70

Normen

ABGB §825
ZPO §14
ABGB §825
ZPO §14

 

Spruch:

Mehrere Mitmieter bilden eine Rechtsgemeinschaft bürgerlichen Rechts nach § 825 ABGB und sind daher im Kündigungsprozeß notwendige Streitgenossen iS des § 14 ZPO

OGH 21. 6. 1972, 1 Ob 110/72 (KG Wels R 39/72; BG Bad Ischl C 1172/31)

Text

Die Marktgemeinde E als Eigentümerin des Hauses E, O-Straße 93, kundigte am 29. 11. 1971 den im Dachgeschoß dieses Hauses rechts vom Stiegenaufgang gelegenen Raum Nr 24 samt Holzhüttenabteil der Verlassenschaft nach dem am 16. 5. 1971 verstorbenen Friedrich H zum 31. 12. 1971 aus dem Gründe des § 19 Abs 2 Z 11 MietG auf.

Die beklagte Partei - vertreten durch einen Kurator - hat rechtzeitig Einwendungen erhoben und die Aufhebung der Kündigung beantragt. Sie brachte hiezu vor, Stefanie B, die Lebensgefährtin des verstorbenen Friedrich H, sei seit dem Jahre 1958 Mieterin des im selben Haus und ebenfalls im Dachgeschoß gelegenen Wohnraumes Nr 18. Im Jahre 1960 sei H als Lebensgefährte zu ihr in diesen Raum gezogen und habe mit ihr bis zu seinem Tode im gemeinsamen Haushalt gelebt. Mit Wirkung vom 1. 11. 1969 sei beiden, Friedrich H und Stefanie B, vom Bürgermeister der klagenden Partei die Wohnung Nr 24 zugesprochen worden. Seit dieser Zeit seien sie gemeinsam Mieter dieser Wohnung gewesen.

Der Erstrichter hat die Aufkündigung für rechtswirksam erklärt und die beklagte Partei verpflichtet, das aufgekundigte Bestandobjekt der klagenden Partei geräumt zu übergeben. Stefanie B sei seit 1958 Mieterin des Wohnraumes Nr 18. In diesen sei Friedrich H im Jahre 1960 als deren Lebensgefährte zugezogen. Über wiederholtes Drängen beider Lebensgefährten sei über ausdrücklichen Wunsch des Friedrich H und über Verfügung des Bürgermeisters der klagenden Partei das Bestandobjekt Nr 24 dem Friedrich H mit Wirkung vom 1. 11. 1969 vermietet worden. Von da an habe auch Friedrich H bis zu seinem Tode den Mietzins für dieses Mietobjekt bezahlt. Die beiden Bestandobjekte Nr 18 und Nr 24 lägen nicht nebeneinander. Seit der Zuweisung des Raumes Nr 24 hätten Friedrich H und Stefanie B beide Räume gemeinsam bewohnt und den Raum Nr 18 als Küche sowie den Raum Nr 24 als Schlafzimmer benützt.

In rechtlicher Beziehung führte der Erstrichter aus, das Beweisverfahren habe nicht ergeben, daß Stefanie B Mitmieterin des aufgekundigten Bestandobjektes gewesen sei. Ein Eintrittsrecht stehe ihr nicht zu, weil die Voraussetzung des § 19 Abs 2 Z 11 MietG, daß sie mit dem bisherigen Mieter bis zu seinem Tode durch mindestens fünf Jahre in der aufgekundigten Wohnung gelebt haben müßte, nicht erfüllt sei. Da es sich bei den Wohnräumen Nr 18 und Nr 24 um getrennte Bestandobjekte handle, würde Stefanie B die Voraussetzungen zum Eintritt in das Mietverhältnis hinsichtlich des Raumes Nr 24 nur dann erfüllen, wenn sie in diesem Wohnraum durch fünf Jahre mit Friedrich H in Lebensgemeinschaft gelebt hätte.

Das Berufungsgericht hat, das Urteil des Erstrichters bestätigt, jedoch die Revision für zulässig erklärt. Es ist in seiner Entscheidung von den vom Erstrichter als erwiesen festgestellten Sachverhalt insoweit ausgegangen, "als er nicht die auch auf Tatumstände, bezogene Feststellung betraf, am hier aufgekundigten Raum sei über ausdrücklichen Wunsch Hs und über Verfügung des Bürgermeisters nur mit H ein Mietverhältnis begrundet worden". Das Berufungsgericht hat hiezu ausgeführt, daß es hierauf in streitentscheidender Weise im vorliegenden Fall einer laut dem Standpunkt der Vermieterin allein gegen die Verlassenschaft nach Friedrich H gerichteten Aufkündigung nicht ankomme. Unter Hinweis

auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 8 Ob 187/64 =

MietSlg 16.415/26 und 8 Ob 126/68 = MietSlg 20.445 hat das Berufungsgericht nämlich die Auffassung vertreten, die Einheitlichkeit des von mehreren Mietern abgeschlossenen Mietvertrages stehe nach dem Tode eines der Mieter der Aufkündigung nur seines Rechtsnachfolgers aus dem Gründe des § 19 Abs 2 Z 11 MietG nicht entgegen. Als Rechtsnachfolger des Mieters H müsse aber im vorliegenden Fall die hier von der Aufkündigung betroffene Verlassenschaft gewertet werden. Es müsse daher der Stefanie B, da - in dieser Hinsicht sei die Ansicht des Erstrichters zu billigen - von einem Eintrittsrecht nach § 19 Abs 2 Z 11 MietG nicht ausgegangen werden könne, anheimgestellt bleiben, ihr behauptetes Bestandrecht an der Wohnung Nr 24 gegenüber der Vermieterin geltend zu machen.

Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung und allfälligen neuerlichen Verhandlung an das Berufungsgericht zurück. .

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Dem Berufungsgericht kann darin nicht gefolgt werden, daß die Frage, ob Stefanie B Mitmieterin des aufgekundigten Wohnraumes ist, für die Entscheidung des gegenständlichen Falles unerheblich sei.

Wenn es auch zutrifft, daß die beiden - allerdings vereinzelt gebliebenen - Entscheidungen MietSlg 16.415/26 und MietSlg 20.445 den Standpunkt vertraten, die Einheitlichkeit des von mehreren Mietern abgeschlossenen Bestandvertrages stehe nach dem Tode eines der Mieter der Aufkündigung nur dessen Rechtsnachfolgers aus dem Gründe des § 19 Abs 2 Z 11 MietG nicht entgegen, so folgt der erkennende Senat doch der ansonsten übereinstimmenden Lehre und langjährigen Rechtsprechung, wonach mehrere Mitmieter eine Rechtsgemeinschaft bürgerlichen Rechts nach § 825 ABGB und im Kündigungsprozeß eine notwendige Streitgenossenschaft iS des § 14 ZPO bilden. Sie können also im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichtes nur alle gemeinsam gekundigt werden (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 281, Klang aaO, V, 116; Fasching IV, 64I;

Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht 71, Ehrenzweig[2], § 370 III; SZ 26/207; MietSlg 8221; MietSlg 8399; MietSlg 8401;

MietSlg 16.414; MietSlg 16.288; MietSlg 20.495; 5 Ob 196/71; 4 Ob 515/72; zuletzt etwa 6 Ob 80/72). Dies ergibt sich schon daraus, daß bei Kündigung eines von mehreren Mitmietern dieser nicht verurteilt werden könnte, die Wohnung, an der von einem anderen Mitmieter Mietrechte ausgeübt werden, dem Vermieter geräumt zu übergeben (siehe auch hiezu MietSlg 16.288). Wie die Entscheidung 6 Ob 80/72 ausführt, vermag die Begründung der beiden oben genannten vereinzelt gebliebenen Entscheidungen, daß bei Festhalten an der Forderung der gemeinsamen Aufkündigung mehrerer Mieter dem Vermieter das ihm beim Tode eines Mitmieters ohne Hinterlassung eintrittsberechtigter Personen nach § 19 Abs 2 Z 11 MietG zustehende Kündigungsrecht genommen würde, nicht zu überzeugen. Durch die Bestimmung des § 19 Abs 2 Z 11 MietG sollte - wie diese Entscheidung weiter ausführt - nicht das Kündigungsrecht des Vermieters erweitert werden, sondern vielmehr, wie schon die Überschrift des § 19 MietG "Kündigungsbeschränkungen" zeigt, das dem Vermieter gemäß § 1116a ABGB zustehende Kündigungsrecht im Interesse bestimmter schutzbedürftiger Personen eingeschränkt werden. § 19 Abs 2 Z 11 MietG stellt somit eine Schutzbestimmung zugunsten der Mieter dar. Aus ihr läßt sich für die Beurteilung der Frage der Einheitlichkeit des Bestandverhältnisses und der sich daraus ergebenden Folgen nichts wesentliches gewinnen. Nur der Vollständigkeit halber sei noch bemerkt, daß auch die - von Fasching aaO, abgelehnte - Entscheidung SZ 16/239 die Einheitlichkeit des Mietverhältnisses von Mitmietern mit den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen nicht bezweifelt und nur den Standpunkt eingenommen hat, das unter § 19 Abs 2 Z 3 MietG fallende Fehlverhalten des einen Mitmieters laufe rechtlich auf einen Austritt aus der Mietrechtsgemeinschaft hinaus, weshalb aus SZ 16/239 gegen die hier vertretene Rechtsansicht gleichfalls nichts abgeleitet werden kann (ähnlich auch schon 6 Ob 80/72).

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