OGH 1Ob371/97h

OGH1Ob371/97h27.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann W*****, vertreten durch Mag.Bernd Moser, Rechtsanwalt in Saalfelden, wider die beklagte Partei Matthias W*****, vertreten durch DDr.Manfred König, Rechtsanwalt in Saalbach, wegen S 100.000,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 25.September 1997, GZ 22 R 142/97d-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Saalfelden vom 10.Februar 1997, GZ 2 C 1058/96z-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, daß das erstinstanzliche Zwischenurteil wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Vater der Streitteile verstarb am 7.10.1995, ohne eine letztwillige Verfügung getroffen zu haben. Er hinterließ seine Ehegattin und fünf volljährige Kinder. Der Nachlaß wurde der Witwe an Zahlungsstatt überlassen.

Der Kläger brachte vor, die Eltern der Streitteile hätten mit Übergabsverträgen vom 20.1.1986 und vom 3.7.1990 dem Beklagten eine ihnen je zur Hälfte gehörige Liegenschaft gegen Einräumung eines Wohnrechts und Vereinbarung der Pflege im Krankheitsfall übertragen. Die Liegenschaftshälfte des Vaters, die ansonsten in den Nachlaß gefallen wäre, sei zum Zeitpunkt des Ablebens des Vaters 2,5 Mio S wert gewesen. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten erbrachten und mit S 250.000 zu bewertenden Gegenleistung verbliebe ein Wert der geschenkten Liegenschaftshälfte von S 2,250.000. Im Zuge der Übergabe der Liegenschaft an den Beklagten habe dessen Vater dem Kläger S 25.000 zugewendet. Der Pflichtteil des Klägers belaufe sich auf 1/15, weshalb er S 100.000 als Schenkungspflichtteil begehre.

Der Beklagte wendete ein, am 3.7.1990 einen notariellen Erbverzicht zum Nachlaß seiner Eltern abgegeben zu haben. Gemäß § 785 Abs 3 ABGB habe die somit an eine nicht pflichtteilsberechtigte Person mehr als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgte Schenkung unberücksichtigt zu bleiben. Darüber hinaus habe der Kläger in Anrechnung auf seine gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsansprüche verschiedene Leistungen erhalten, der nunmehr geltend gemachte Pflichtteilsanspruch sei durch diese Vorausempfänge gedeckt. Im übrigen habe der Beklagte zwischen Übergabe der Liegenschaft und Tod des Vaters aus eigenen Mitteln und Arbeitsleistungen eine Werterhöhung der Liegenschaft bewirkt.

Der Kläger replizierte, daß sich der Beklagte rechtsmißbräuchlich auf die Zweijahresfrist des § 785 Abs 3 ABGB berufe. Dieser habe den Erb- und Pflichtteilsverzicht ausschließlich deshalb abgegeben, um die Anrechnung der Schenkung zu verhindern und den Pflichtteilsanspruch der Noterben zu verkürzen. Die ihm seitens der Eltern zugekommenen Zahlungen bzw geldwerten Leistungen seien nicht auf den Pflichtteilsanspruch anzurechnen, weil es sich einerseits um eine Investitionsablöse bzw um Entgelt für vom Kläger geleistete Arbeit gehandelt habe, andererseits sei die Leistung in Entsprechung einer sittlichen Pflicht bzw aus Rücksichten des Anstands erfolgt und eine Anrechnung auf den gesetzlichen Erb- und Pflichtteil nicht vereinbart worden.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil das auf Zahlung von S 100.000 samt 10 % Zinsen ab 7.6.1996 bei sonstiger Exekution in die dem Beklagten übergebene Liegenschaft gerichtete Begehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend.

Es stellte fest, mit Notariatsakt vom 22.1.1986 hätten die Eltern der Streitteile dem Beklagten je 1/8-Anteil an einer Liegenschaft zum Preis von S 430.000 übertragen. Dieser Preis sei gegen Forderungen des Beklagten aus der Durchführung von Instandsetzungs- und Umbauarbeiten verrechnet worden. Am 3.7.1990 seien die restlichen 6/8-Anteile an der Liegenschaft von den Eltern der Streitteile dem Beklagten gegen Einräumung der freien Wohnung an mehreren Zimmern sowie der Verpflegung und Versorgung im Falle der Krankheit und der Gebrechlichkeit übergeben worden. Der Beklagte habe sich verpflichtet, seinen vier Geschwistern je S 50.000, welchen Betrag sie von den Übergebern erhalten sollten, zu bezahlen. Ebenfalls am 3.7.1990 habe der Beklagte für sich und seine Nachkommen mit Notariatsakt auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht zum Nachlaß seiner Eltern verzichtet. Das Motiv hiefür sei die Absicherung des Beklagten und der übergebenen Liegenschaft gegen eventuelle Pflichtteilsergänzungsansprüche der Kinder gewesen. Der Rechtsvertreter des Beklagten habe diesen und dessen Eltern vor Unterfertigung des Vertrags und vor Abgabe des Erbverzichts darauf aufmerksam gemacht, daß Schenkungen eines Erblassers bei der Berechnung des Nachlasses in Anschlag zu bringen seien. Dagegen könne man sich nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung insoweit absichern, als bei einem Erbverzicht des Übernehmers früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers gemachte Schenkungen nicht mehr zu berücksichtigen seien. Diese Variante habe dem Wunsch der Übergeber und des Beklagten entsprochen. Mit dem Kläger, der weder bei der Unterfertigung des Übergabsvertrags noch bei der Erklärung des Erbverzichts zugegen gewesen sei, sei nie über die Möglichkeit eines Erbverzichts und die daraus resultierenden Folgen gesprochen worden. Der Beklagte habe die im Übergabsvertrag vorgesehenen Zahlungen an die weichenden Geschwister erbracht. Im Jahre 1986 sei zwischen den Streitteilen und deren Eltern eine Einigung dahin erzielt worden, daß der ins Elternhaus einziehende Beklagte dem Kläger als Abgeltung für dort erbrachte Leistungen pauschal S 180.000 bezahle. Diese Zahlung sei auch geleistet worden. Im Jahre 1983 habe der Kläger von seinen Eltern Wertpapiere im Wert von S 30.000 erhalten. 1986 seien ihm anläßlich eines Hauskaufs von den Eltern S 50.000 überwiesen worden. Am 8.5.1995 habe der Kläger als Ausgleich dafür, daß dem Beklagten die Liegenschaft übertragen worden war, weitere S 50.000 erhalten. Es sei nicht feststellbar, daß der Kläger mit seinen Eltern die Anrechnung dieser Leistungen auf den Erb- bzw Pflichtteil vereinbart habe. Der Vater des Klägers habe diesen mit Bauholz für den Dachstuhl einer neu errichteten Garage versorgt, die Anrechnung des Wertes dieses Holzes auf den Erb- bzw Pflichtteil sei nicht vereinbart worden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, einziger Beweggrund für den Erbverzicht des Beklagten sei die Ingangsetzung der Zweijahresfrist des § 785 Abs 3 ABGB gewesen. Angesichts dieses unlauteren, auf eine Verkürzung des Pflichtteilsanspruchs der Geschwister abzielenden Motivs, das eindeutig im Vordergrund gestanden sei, berufe sich der Beklagte rechtsmißbräuchlich auf den Ablauf der Zweijahresfrist gemäß § 785 Abs 3 ABGB, sodaß das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Es traf nach Beweisergänzung folgende ergänzende Feststellungen, wobei die Feststellung über das einzige Motiv des Erb- und Pflichtteilsverzichts durch eine Negativfeststellung ersetzt wurde:

Der Vater der Streitteile habe sich mit den Ende der 80-Jahre erforderlich gewordenen umfangreichen Renovierungsarbeiten am Haus ***** nicht mehr belasten, die Durchführung dieser Arbeiten jedoch sichergestellt wissen wollen. Der Beklagte sei bereit gewesen, die nötigen Investitionen vorzunehmen, habe im Zusammenhang damit jedoch die Eigentumsverhältnissee an der Liegenschaft geklärt wissen wollen und sei deshalb auf deren Übergabe gedrungen. In der Folge hätten die Eltern der Streitteile den Entwurf eines Übergabsvertrags ausarbeiten lassen. Sie hätten - zur Vermeidung von Streitigkeiten - die spätere Erbauseinandersetzung unter den Kindern vertraglich durch Zahlungen an die weichenden Kinder in Höhe von je S 50.000, verbunden mit der Abgabe eines Erb- und Pflichtteilsverzichts, vorwegzunehmen beabsichtigt. Als sich herausgestellt habe, daß der Kläger und Annemarie G***** zur Abgabe eines Erb- und Pflichteilsverzichts nicht bereit waren, habe sich der Vater der Streitteile nach einer anderen rechtlichen Möglichkeit erkundigt, um Auseinandersetzungen um das Erbe unter den Geschwistern zu vermeiden, und habe darauf vom Beklagtenvertreter die im Ersturteil unter Bezugnahme auf das Schreiben Beilage B festgestellte Rechtsauskunft erhalten. Es sei nicht feststellbar, daß es ausschließliches Motiv des Erb- und Pflichtteilsverzichts des Beklagten war, die Anrechnung der erhaltenen Schenkung zu vermeiden und damit den Pflichteilsanspruch der anderen Noterben zu verkürzen, wenn auch unter anderem durch Abgabe des Erb- und Pflichteilsverzichts der Beklagte gegen eventuelle Pflichtteilsergänzungsansprüche der Geschwister abgesichert werden sollte.

Es führte weiter aus, dem Übergabsvertrag vom 3.7.1990 und dem Schreiben des Beklagtenvertreters vom 31.5.1990 (Beilage B) sei zu entnehmen, daß die Übergeber nach einer vertraglichen Gestaltungsmöglichkeit gesucht hätten, um Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Geltendmachung des Schenkungspflichtteils von vornherein zu verhindern. Es wäre dem Kläger oblegen gewesen, konkret zu behaupten und zu beweisen, worin die rechtsmißbräuchliche Berufung des Beklagten auf den Erb- und Pflichtteilsverzicht zu erblicken sei. Dieser Beweis sei ihm nicht gelungen. Noch zu Lebzeiten der Übergeber habe der Kläger von diesen Geld bzw geldwerte Leistungen erhalten, die er sich auf den Schenkungspflichtteil anrechnen lassen müsse. Davon habe auch der Beklagte bei Abgabe des Erb- und Pflichtteilsverzichts ausgehen dürfen. Ein vordergründig zum Zweck der Schädigung des Klägers erfolgter Erb- und Pflichtteilsverzicht durch den Beklagten liege nicht vor. Wenn auch die Abgabe des Erb- und Pflichteilsverzichts unter anderem aus dem Motiv heraus erfolgt sei, den Beklagten gegen allfällige Pflichtteilsergänzungsansprüche seiner Geschwister abzusichern, habe dies für sich gesehen kein rechtsmißbräuchliches Handeln dargestellt, denn es könne ein legitimes Interesse der Übergeber vorgelegen sein, unter Berücksichtigung höchstgerichtlicher Judikatur im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolgeregelung spätere Streitigkeiten um den Schenkungspflichtteil möglichst zu verhindern. Ein völliger Ausgleich zwischen den Pflichtteilsberechtigten und eine umfassende Sicherung des Pflichtteils sei nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen gewesen.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichtete Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Judikatur, deren Richtigkeit auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen wird, sind unter pflichtteilsberechtigten Personen des § 785 ABGB, die zur unbefristeten Schenkungsanrechnung verpflichtet sind, nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall im Zeitpunkt des Erbanfalls tatsächlich pflichtteilsberechtigt sind (1 Ob 2281/96i; SZ 68/47; 6 Ob 555/95; EFSlg 75.329; JBl 1991, 312; JBl 1988, 646; Eccher in Schwimann, ABGB2, Rz 16 zu § 785). Die Schenkung an den Beklagten und dessen Erb- und Pflichtteilsverzicht erfolgten mehr als zwei Jahre vor dem Erbanfall, sodaß die Schenkung gegenüber dem seinen Pflichtteil ansprechenden Kläger unberücksichtigt bleiben müßte, weil § 785 Abs 3 ABGB gilt (1 Ob 2281/96i; SZ 68/47; JBl 1991, 312; JBl 1988, 646). Der Beklagte beruft sich aber rechtsmißbräuchlich auf § 785 Abs 3 ABGB, weshalb er sich die Schenkung seiner Eltern anrechnen lassen muß (SZ 68/47; 6 Ob 555/95; Eccher aaO). Rechtsmißbrauch liegt nämlich bereits dann vor, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund stehen und daher andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, sodaß zwischen den vom Handelnden verfolgten Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen Teils ein krasses Mißverhältnis besteht (1 Ob 215/97t; 1 Ob 2281/96i; 7 Ob 2314/96m; SZ 68/47; 6 Ob 555/95; SZ 64/18; SZ 63/49; WBl 1987, 37). Für das rechtsmißbräuchliche Vorgehen beweispflichtig ist stets derjenige, der den Rechtsmißbrauch behauptet (7 Ob 2314/96m; 2 Ob 569/95; WBl 1987, 37; Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 62 zu § 1295). Der Kläger ist seiner Beweispflicht nachgekommen. Daran können auch die ergänzenden bzw abändernden Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ändern. Es war eindeutig Absicht der Geschenkgeber und des Beklagten, die Geltendmachung des Schenkungspflichtteils von vornherein zu verhindern (S 10 des Berufungsurteils); das - möglicherweise ohnehin nur bei den Übergebern vorhandene - Motiv, Streitigkeiten nach deren Tod zu verhindern, tritt dabei völlig in den Hintergrund. Gerade mit dem Erb- und Pflichtteilsverzicht des Beklagten sollte nämlich das Pflichtteilsrecht seiner Geschwister beschnitten werden. Dabei ist unbeachtlich, ob der Beklagte davon ausgehen durfte, daß der Kläger seinen Pflichtteil bereits zu Lebzeiten erhalten habe (S 12 f des Berufungsurteils), weil diese Frage bei der Ausmessung des Pflichtteils zu klären ist.

Da der Beklagte offenkundig bezweckte, die Anrechnung der ihm geschenkten Liegenschaftsanteile von vornherein zu verhindern, erweist sich seine Berufung auf § 785 Abs 3 ABGB als rechtsmißbräuchlich (SZ 68/47; 6 Ob 555/95), sodaß das Zwischenurteil des Erstgerichts in Stattgebung der Revision wiederherzustellen ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 ZPO.

Die Revisionsbeantwortung ist als verspätet zurückzuweisen, weil dieser an das Erstgericht gerichtete Schriftsatz nicht fristgerecht beim Obersten Gerichtshof, bei dem er gemäß § 508a Abs 2 ZPO einzubringen gewesen wäre, eingelangt ist (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 2 zu § 508a mwN).

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