OGH 8ObA252/97k

OGH8ObA252/97k11.12.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter RegRat Theodor Kubak und MinR Mag.Veronika Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*****verein *****, vertreten durch Dr.Georg Grießer, Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei C*****-GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Peter Schütz, Rechtsanwalt in Schwechat, wegen S 80.400,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.April 1997, GZ 9 Ra 404/96i-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3.Juni 1996, GZ 10 Cga 15/96i-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit dem seit 1.Oktober 1994 in Kraft stehenden Zusatzkollektivvertrag für die Speditionsangestellten Österreichs sollten Maßnahmen getroffen werden, um die Arbeitnehmer, die aufgrund der strukturellen Änderungen im Gefolge des Beitritts Österreichs zur EU vom Personalabbau betroffen sind, bei der Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes zu unterstützen (Präambel). § 4 des Zusatzkollektivvertrages regelt die Errichtung einer Arbeitsstiftung (Branchenstiftung Spedition). Danach kommen die Vertragschließenden überein, eine gemeinsame Einrichtung ("Branchenstiftung Spedition", § 2 Abs 2 Z 6 ArbVG) im Sinne des § 18 Abs 5 und 6 Arbeitslosenversicherungsgesetz zu gründen (Abs 1). Aufgabe dieser Einrichtung ist es, a) Maßnahmen zu organisieren, die die Stiftungsteilnehmer und -teilnehmerinnen vor allem durch Aus- und Weiterbildungsprogramme bei der Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes unterstützen und b) für Stiftungsteilnehmer und -teilnehmerinnen, die das 50.Lebensjahr vollendet haben, intensive Betreuungsmaßnahmen mit dem Ziel der Beendigung der Arbeitslosigkeit durchzuführen (Abs 2). Abs 3 des § 4 des Zusatzkollektivvertrages lautet wörtlich: "Als Träger der Branchenstiftung Spedition wurde ein Verein im Sinne des Vereinsgesetzes gegründet." Die Arbeitsstiftung wird unter anderem durch Solidaritätsbeiträge finanziert (Abs 4), welche zweckgebunden in einen Sozialfonds fließen (§ 5 Abs 1), der durch den Verein "Branchenstiftung Spedition" verwaltet wird (§ 5 Abs 3). Der Solidaritätsbeitrag ist von den Arbeitgebern zu leisten und richtet sich nach der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Angestellten (§ 6 Abs 1), wobei die vertragschließenden Parteien den Träger der Einrichtung ermächtigen, zur Durchsetzung der Bestimmungen dieses Kollektivvertrages entsprechende Maßnahmen zu ergreifen (§ 6 Abs 6).

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für Wien vom 21.11.1994 wurde der Klägerin die Umbildung des Vereines nach Inhalt der vorgelegten Statuten nicht untersagt.

Nach § 1 dieser Statuten führt die Klägerin den Namen "A*****verein *****". Der Verein ist nicht auf Gewinn gerichtet und bezweckt die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern und ehemaligen Mitarbeitern von Speditionen, die dem Fachverband der Spediteure angehören und in den Betreuungsbereich des Vereins aufgenommen werden. Die Aus- und Weiterbildung umfaßt allgemein alle berufsfördernden und arbeitsplatzschaffenden Maßnahmen, insbesondere durch gezielte marktorientierte Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen (§ 2). Der Vereinszweck soll durch ideelle und materielle Mittel erreicht werden. Als ideelle Mittel dienen unter anderem Vorträge, Seminare, Versammlungen, psychologische Betreuung, Berufsinformation, Berufsorientierung, Aus- und Weiterbildungslehrgänge usw die Herausgabe von Mitteilungsblättern und die Schaffung personeller, organisatorischer, räumlicher und finanzieller Voraussetzungen um die vorgenannten Aufgaben wirkungsvoll bewältigen zu können. Die erforderlichen materiellen Mittel sollen aufgebracht werden durch Beitrittsgebühren, Mitgliedsbeiträge, den Solidaritätsbeitrag gemäß Zusatz-Kollektivvertrag, abgeschlossen zwischen dem Fachverband der Spediteure und der Gewerkschaft der Privatangestellten, usw (§ 3).

Mit an die Klägerin adressiertem Bescheid des Arbeitsmarktservices Wien vom 13.4.1995 wurden über Antrag der Klägerin die Maßnahmen der "Branchenstiftung Spedition", nämlich Berufsorientierung, Aus- und Weiterbildung und Outplacment insoweit als Maßnahme im Sinne des § 18 Abs 6 AlVG 1977 anerkannt, als jeweils solche Arbeitslose in die anerkannte Maßnahme einbezogen werden, bei denen die jeweilige Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservices unter Bedachtnahme auf die bisherige Ausbildung, Qualifikation und Berufslaufbahn sowie die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes eine positive arbeitsmarktpolitische Stellungnahme abgegeben hat.

Mit seiner Klage begehrte der Verein, die Beklagte zur Zahlung des Betrages von S 80.400 schuldig zu erkennen. Die Klägerin sei als Trägerin der Branchenstiftung Spedition gemäß § 6 des Zusatzkollektivvertrages für die Speditionsangestellten zur Einhebung eines monatlichen Solidaritätsbeitrages berechtigt. Die Beklagte habe ihre kollektivvertragliche Zahlungspflicht trotz mehrfacher Aufforderung nicht erfüllt und Solidaritätsbeiträge für insgesamt 60 Angestellte für die Zeit vom 1.11.1994 bis 31.12.1995 nicht bezahlt.

Die Beklagte, die das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit stellte, wandte dagegen ein, daß die Klägerin mit dem im § 4 Abs 3 des Zusatzkollektivvertrages genannten Träger der Branchenstiftung Spedition nicht ident sei. Nach den Formulierungen des Zusatzkollektivvertrages könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß die Kollektivvertragspartner davon ausgegangen seien, daß es einen Verein "Branchenstiftung Spedition" gegeben habe oder geben werde und daß dieser den Sozialfonds verwalte, wozu wohl auch die Eintreibung der Mittel gehöre. Mangels Identität mit dem im Zusatzkollektivvertrag genannten Verein sei die Klägerin nicht berechtigt, Beiträge zum Sozialfonds einzufordern.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß die Identität der Klägerin mit dem in § 5 Abs 3 des Zusatzkollektivvertrages genannten Verein "Branchenstiftung Spedition" keinesfalls eindeutig sei. Vielmehr erwarte nach der Textierung der zitierten Bestimmung jeder davon Betroffene, daß der gegründete oder zu gründende Verein die dort genannte Bezeichnung trage. Auch die Statuten der Klägerin seien keineswegs klar. Der einzige Hinweis für die letztlich doch anzunehmende Identität der Klägerin mit dem im Zusatzkollektivvertrag genannten Verein ergebe sich aus § 3 der Statuten, wo als Mittel zur Erreichung des Vereinszwecks unter anderem der Solidaritätsbeitrag gemäß Zusatzkollektivvertrag genannt sei. Weil sich aus dieser Bestimmung im Zusammenhalt mit dem Text des Zusatzkollektivvertrages die Legitimation der Klägerin zur Einforderung des Solidaritätsbeitrages ergebe, könne von der beantragten Parteienvernehmung Abstand genommen werden.

Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Gericht zweiter Instanz diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. § 2 Abs 2 Z 6 ArbVG sehe als zulässigen Inhalt eines Kollektivvertrages gemeinsame Einrichtungen der Kollektivvertragsparteien vor. Diese Bestimmung ermögliche es auch, die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegen eine solche Einrichtung festzulegen. Durch Kollektivvertrag könne daher zB ein Sozialfonds auf Branchenebene errichtet werden. Die Auslegung von Kollektivverträgen sei wie jene von Gesetzen vorzunehmen, sodaß es maßgeblich darauf ankomme, welchen Willen des Normgebers der Leser aus dem Vertragstext entnehmen könne. Die Überschrift des § 4 des Zusatzkollektivvertrages lasse klar erkennen, daß die Kollektivvertragsparteien die Errichtung einer sogenannten "Arbeitsstiftung" beabsichtigten. Darunter werde keine Stiftung im rechtlichen Sinn verstanden, sondern habe sich dieser Begriff im Zusammenhang mit dem verlängerten Arbeitslosengeldbezug in Krisenregionen eingebürgert, wonach das Unternehmen, in dem der Arbeitslose beschäftigt war, eine Einrichtung bereitstelle, die für arbeitslos gewordene Dienstnehmer nach einem einheitlichen Konzept die Planung und Durchführung von Maßnahmen zur Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes zum Gegenstand habe. Das Beschäftigungssicherungsgesetz 1993 habe im wesentlichen an diesem Konzept festgehalten, wobei nicht nur ein Unternehmen, sondern auch deren mehrere eine solche Einrichtung bereitstellen könnten. § 2 Abs 2 ArbVG ermögliche nun den Kollektivvertragsparteien die Schaffung einer solchen gemeinsamen Einrichtung im Sinne des § 18 Abs 6 AlVG auch in der Form, daß ein Verein mit Rechtspersönlichkeit als Träger dieser gemeinsamen Einrichtung (der "Arbeitsstiftung") vorgesehen sei. Der in der Überschrift des § 4 des Zusatzkollektivvertrages enthaltene Zusatz "Branchenstiftung Spedition" diene erkennbar der besonderen Benennung dieser Arbeitsstiftung. Aus § 4 Abs 3 des Zusatzkollektivvertrages ergebe sich hinreichend deutlich, daß die gemeinsame Einrichtung in Form eines Vereins geplant sei. Wenn § 5 Abs 3 des Zusatzkollektivvertrages die Verwaltung des Sozialfonds dem Verein "Branchenstiftung Spedition" übertrage, so sei aus dem Zusammenhang völlig klar ersichtlich, daß jener Verein, der Träger der Arbeitsstiftung ist, zur Verwaltung dieses Fonds berufen sei. Es sei der Beklagten zuzugeben, daß § 5 Abs 3 des Zusatzkollektivvertrages für sich alleine die Auslegung zuließe, daß lediglich ein Verein mit diesem Namen zur Verwaltung des Sozialfonds berufen wäre, doch ergebe sich aus dem Zusammenhang mit § 4 des Zusatzkollektivvertrages, daß dem die Organisation der Arbeitsstiftung durchführenden Verein auch gleichzeitig die Verwaltung jener Mittel übertragen werde, die diese Maßnahmen überhaupt erst ermöglichen. Bei Auslegung eines Kollektivvertrages sei grundsätzlich anzunehmen, daß die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen Interessen herbeiführen wollten. Eine an diesen Maßstäben orientierte Auslegung komme daher zum Ergebnis, daß die Kollektivvertragsparteien die Durchführung der Arbeitsstiftung einem einzigen Verein übertragen haben, der gleichzeitig auch mit der Verwaltung der finanziellen Mittel betraut worden sei, zu denen auch deren Geltendmachung zähle. Der Bezug der Klägerin zu dem im Zusatzkollektivvertrag genannten Verein ergebe sich aus § 3 Abs 3 der Statuten, wo als materielle Mittel zur Erreichung des Vereinszweckes unter anderem der Solidaritätsbeitrag genannt sei, sowie darauf, daß der im § 2 der Statuten genannte Vereinszweck im wesentlichen mit den im § 4 Abs 2 des Zusatzkollektivvertrages genannten Aufgabenstellung entspreche. Der Auffassung der Beklagten, lediglich ein Verein des Namens "Branchenstiftung Spedition" sei zur Einforderung der Solidaritätsbeiträge berechtigt, könne daher nicht gefolgt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Revision der Beklagten kommt Berechtigung zu.

Die sehr eingehende rechtliche Beurteilung des Gerichtes zweiter Instanz zur Auslegung der hier interessierenden Bestimmungen des Zusatzkollektivvertrages ist zutreffend, weshalb gemäß § 48 ASGG darauf verwiesen werden kann. Insbesondere ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, daß nach den bisherigen Verfahrensergebnissen die im § 4 des Zusatzkollektivvertrages genannte Arbeitsstiftung nicht als solche im Sinne des Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetzes oder des Privatstiftungsgesetzes, sondern lediglich als eine unselbständige Stiftung anzusehen ist, die in der Zuwendung einer Vermögensmasse, die zwar einem besonderen Zweck dient, aber selbst keine Rechtspersönlichkeit besitzt, an ein anderes Rechtssubjekt besteht und von diesem verwaltet wird (Welser in Rummel ABGB2 § 646 Rz 1; Koziol/Welser, Grundriß I10, 70). Mit dieser rechtlichen Einordnung als unselbständige, einer eigenen Rechtspersönlichkeit entbehrende Stiftung ist § 4 Abs 3 des Zusatzkollektivvertrages gut in Einklang zu bringen, wonach als Träger der Branchenstiftung Spedition ein Verein im Sinne des Vereinsgesetzes gegründet wurde. Nur diesem Verein kann in dem die Anerkennung der Maßnahmen der Arbeitsstiftung betreffenden Verfahren vor der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservices gemäß § 18 Abs 6 letzter Absatz Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) Parteistellung zukommen, weil dort ausdrücklich auf das Erfordernis der eigenen Rechtspersönlichkeit der Einrichtung verwiesen ist (vgl Dirschmied, AlVG, 162).

In diesem Sinne ist auch der Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservices Wien nicht an die "Branchenstiftung Spedition" sondern an die Klägerin adressiert. Allerdings bezieht sich die Bindung der Gerichte an rechtsgestaltende Bescheide der Verwaltungsbehörde (siehe hiezu SZ 57/23; SZ 64/98; 4 Ob 45/95; 2 Ob 2024/96b) grundsätzlich nur auf den Spruch über den Bescheidgegenstand (SSV-NF 5/49; Fucik in Rechberger ZPO § 190 Rz 5). Der im Verfahren vorgelegte Bescheid bindet daher nur insoweit, als bestimmte Maßnahmen der "Branchenstiftung Spedition" als solche im Sinn des § 18 Abs 6 AlVG anerkannt werden, nicht jedoch im Weg über die Bescheidadresse dahingehend, daß die Klägerin mit dem im Zusatzkollektivvertrag genannten Trägerverein ident wäre.

Gerade diese Identität wurde aber im Verfahren von der Beklagten immer bestritten. Es hätte daher - wenngleich gewichtige Indizien für die Bejahung dieser Frage vorliegen - der Durchführung eines entsprechenden Beweisverfahrens und daraus gewonnener Feststellungen über das Vorliegen der von der Klägerin behaupteten Tatsache bedurft, sie sei mit dem im Zusatzkollektivvertrag genannten Verein ident. Die von den Vorinstanzen vorgenommene - und wie dargestellt zu billigende - Auslegung von Zusatzkollektivvertrag und Statuten konnte lediglich die rechtliche Befugnis zur Beitragseinhebung klären, nicht jedoch die dem Tatsachenbereich zuzuordnende Frage, ob die Kollektivvertragsparteien die Klägerin mit der Verwaltung der Branchenstiftung betraut haben.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren, allenfalls nach entsprechendem weiteren Beweisanbieten durch die Parteien Feststellungen darüber zu treffen haben, ob die Klägerin tatsächlich jener Verein ist, den die Partner des Zusatzkollektivvertrages als Träger der (unselbständigen) "Branchenstiftung Spedition" gegründet haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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