Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 26.4.1954 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Zuletzt war sie als Heimarbeiterin (teilzeitbeschäftige Hilfskraft) in einem Betrieb, der sich mit der Erzeugung von Gestecken und Kunstblumen befaßt, beschäftigt. Unter Bedachtnahme auf ihren Leidenszustand, insbesondere auf die Folgen einer Bandscheibenoperation, kann sie nur noch leichte Arbeiten im Sitzen verrichten. Sie soll im Arbeitsprozeß nur ausnahmsweise einige wenige Schritte gehen. Bis zum 31.3.1995 vermochte sie Anmarschwege mit Hilfe zweier Stützkrücken in der Form zurückzulegen, daß sie 200 m in einem zurücklegte und danach eine 3-minütige Pause im Sitzen einhielt; anschließend konnte sie wieder eine Wegstrecke von 200 m zurücklegen und diesen Bewegungs- und Pausierungsablauf wiederholen. Seit 1.4.1995 kann sie nur unter Benützung eines Rollstuhles bei rollstuhlgeeigneten Anmarschwegen den Weg zum Arbeitsplatz zurücklegen. Auf Grundlage dieser medizinischen Einschränkungen kommen für sie nur mehr Heimarbeiterbeschäftigungen in Frage. Sie kann Hilfstätigkeiten verrichten wie einfache Näharbeiten, Klebe-, Zusammensteck- und Adjustierarbeiten, sie kann auch Adressiertätigkeiten ausüben und überhaupt Heimarbeiten mit ähnlichen Anforderungsprofilen durchführen. Es handelt sich dabei um Arbeiten mit leichter körperlicher Belastung in sitzender Körperhaltung (Tischarbeiten), für die ein gelegentliches kurzes und schrittweises Gehen ausreicht. Der Materialtransport wird zumindest in einer ausreichenden Anzahl von Betrieben (150 bis 200 in Österreich) organisiert. Sieht man von der Problematik der Anmarschwege ab, wäre der Klägerin auch die Tätigkeit einer Telefonistin zumutbar.
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 6.2.1995 wurde der Antrag der Klägerin vom 30.6.1994 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte sie die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.7.1994.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgerte rechtlich, daß die zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Klägerin als Heimarbeiterin keine Angestellten-, sondern eine Arbeitertätigkeit gewesen sei. Daher müsse von § 255 Abs 3 ASVG und nicht von § 273 Abs 1 ASVG ausgegangen werden. Das Verweisungsfeld der Klägerin sei grundsätzlich mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt identisch, davon sei der Klägerin aber nur der Heimarbeitsmarkt zugänglich. Allenfalls werde sie auch bei der Tätigkeit der Heimarbeiterin eine Teilzeitbeschäftigung ausüben können. Sie sei daher nicht als invalid anzusehen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte die gerügten Verfahrensmängel, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht aus:
Für die Beurteilung der Invalidität oder Berufsunfähigkeit komme es in der Regel nicht auf den aktuellen Wohnort des Pensionswerbers und die in diesem oder von dort durch Tagespendeln erreichbaren Arbeitsplätze, sondern auf die Zahl der in ganz Österreich vorhandenen, weil diese bei zumutbarem Wochenpendeln und zumutbarer Verlegung des Wohnsitzes verfügbar seien. Stünden nicht gesundheitliche Gründe einer Übersiedlung oder einem Wochenpendeln im Wege, müsse sich ein Versicherter auf Arbeitsplätze im gesamten Bundesgebiet verweisen lassen. Sofern österreichweit zumindest 100 Arbeitsplätze in einem Verweisungsberuf zur Verfügung stünden, könne nicht davon ausgegangen werden, daß in diesem Beruf kein Arbeitsmarkt bestehe. Da nach den Feststellungen einer Übersiedlung der Klägerin aus medizinischer Sicht nichts im Wege stehe, habe eine Überprüfung des im Umkreis der Klägerin befindlichen Teilarbeitsmarktes entfallen können. In diesem Zusammenhang sei zu bedenken, daß es bei Heimarbeiterinnen Tätigkeiten üblich sei, daß das Material vom Arbeitgeber zugeliefert werde und zwar in einer Weise, daß die Heimarbeiterin sich dieses Materials am Arbeitsplatz bloß zu bedienen brauche. Was die Ausgestaltung des Heimarbeitsplatzes betreffe, so seien keinesfalls Umbauten erforderlich, sondern es genüge ein Beistelltisch, auf dem die für die Arbeit benötigten Materialien in Griffweite gelagert werden könnten. Berücksichtige man aber, daß der Klägerin das Material gebracht werde und eine besondere Adaptierung des Arbeitsplatzes nicht erforderlich sei, bedürfe es keiner weiteren Ausführungen zur Frage der Zumutbarkeit einer Übersiedlung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung dahin, daß ihrem Klagebegehren stattgegeben werde und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin bekämpft in ihrem Rechtsmittel die Auffassung, daß ihr die Verlegung des Wohnortes zumutbar sei. Aufgrund der Tatsache, daß sie ständig auf die Benützung eines Rollstuhls angewiesen sei und mangels Vorhandenseins ausreichender behindertenadaptierter Wohnungen seien die mit einer Übersiedlung verbundenen hohen finanziellen Aufwendungen nicht zumutbar. Schließlich könne nicht übersehen werden, daß Heimarbeit in einzelnen Branchen bundesweit eine rückläufige Tendenz aufweise und in unterschiedlichen Formen erbracht werde, beispielsweise in vielen Bereichen nur im Ausmaß einer geringfügigen Beschäftigung oder nur saisonbedingt. In Zweifel gezogen werde auch, daß eine Zulieferung durch den Auftraggeber so erfolge, daß in Griffweite das herzustellende zu bearbeitende oder zu verpackende Produkt gelagert werden könne. Das Entgelt sei an Stundensätze und Stückpreise gebunden, wobei ausdrücklich bestritten werde, daß im Rahmen der Heimarbeit Durchschnittsentgelte erzielt würden, die wenigstens die Hälfte des Entgeltes betragen, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflege. Aus all diesen Gründen sei die Klägerin berufsunfähig.
Diesen Ausführungen ist im Ergebnis nicht zu folgen. Zur Frage der Verweisung eines Arbeiters oder Angestellten auf Heimarbeitstätigkeiten hat der Oberste Gerichtshof entgegen der Auffassung des Erstgerichtes bisher noch nicht Stellung genommen. Die vom Erstgericht zitierten Entscheidungen (SSV-NF 6/96, 8/83) betrafen entweder Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder auf Erwerbsunfähigkeitspensionen nach dem GSVG (so auch 10 ObS 97/97f, 10 ObS 172/97k ua). Sofern der oberstgerichtlichen Rechtsprechung der Rechtssatz entnommen werden kann, ein Versicherter müsse sich auch auf Heimarbeit verweisen lassen, so trifft dieser Rechtssatz in seiner Allgemeinheit bei Prüfung des Verweisungsfeldes nach § 255 oder § 273 ASVG nicht zu. Heimarbeiter im Sinne des § 2 Abs 1 lit a HeimarbeitsG 1960 ist, wer ohne Gewerbetreibender nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung zu sein, in eigener Wohnung oder selbstgewählter Arbeitsstätte im Auftrage und für Rechnung von Personen, die Heimarbeit vergeben, mit der Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Verpackung von Waren beschäftigt ist. Dabei ist der Begriff "Ware" in dieser Gesetzesbestimmung weit auszulegen, weshalb darunter nicht etwa nur das Adressieren von Briefumschlägen, sondern etwa auch das Falten von Plakaten und Prospekten gehört. Gemäß § 4 Abs 1 Z 7 ASVG sind Heimarbeiter und die diesen nach den jeweiligen gesetzlichen Vorschriften über die Heimarbeit arbeitsrechtlich gleichgestellten Personen in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung vollversichert, ohne daß es auf die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 ASVG (Dienstnehmereigenschaft) ankäme (VwGH SVSlg 36.904). Sowohl in der Judikatur als auch in der Lehre wird die Auffassung vertreten, daß das Beschäftigungsverhältnis in der Heimarbeit (Heimarbeitsverhältnis) kein Arbeitsverhältnis (Dienstverhältnis) aufgrund eines Arbeitsvertrages darstellt, wie es in der Regel beim Betriebsarbeitnehmer vorliegt. Diese Auffassung geht von der Überlegung aus, daß ein wesentliches Merkmal des Arbeitsverhältnisses, nämlich die Eingliederung in die Betriebsorganisation und damit die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, im Heimarbeitsverhältnis nicht gegeben ist (vgl dazu Ritzberger-Moser/Widorn, HeimarbeitsG 1960, Manz 1995, 17 f mwN).
Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Klägerin keinen Beruf erlernt und zuletzt als Heimarbeiterin beschäftigt war. Unbestritten ist, daß sie zur Pensionsversicherung der Angestellten gemäß § 245 Abs 3 ASVG leistungszugehörig und die beklagte Partei daher gemäß § 246 ASVG leistungszuständig ist. Hat eine Versicherte Versicherungsmonate in mehreren Zweigen der Pensionsversicherung erworben, so kommen für sie gemäß § 245 Abs 1 ASVG die Leistungen des Zweiges in Betracht, dem sie leistungszugehörig ist. Es wären dies hier also die Leistungen aus der Pensionsversicherung der Angestellten, für die beim Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit § 273 Abs 1 ASVG maßgebend ist. Als berufsunfähig gilt demnach der Versicherte, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. War ein Versicherter nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig, gilt er nach § 255 Abs 3 ASVG als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Ergibt sich aber aufgrund des Leistungskalküls eines Versicherten, daß er noch imstande ist, die von ihm zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit weiterhin auszuüben, ohne daß damit eine ins Gewicht fallende Gefahr der Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes verbunden ist, dann liegt weder Invalidität im Sinne des § 255 ASVG noch Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 ASVG vor. Erst wenn feststeht, daß ein Versicherter die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit nicht mehr in der angeführten Weise ausüben kann, muß geprüft werden, ob für ihn eine andere Berufstätigkeit in Betracht kommt, wobei der Kreis dieser Berufstätigkeit (Verweisungsfeld) davon abhängt, welcher der in den §§ 255 und 273 ASVG festgelegten Tatbestände für den Eintritt des Versicherungsfalles maßgebend ist (SZ 62/3 = SSV-NF 3/2 = JBl 1989, 462 ua).
Nach den Feststellungen ist die Klägerin ungeachtet der Tatsache, daß sie zur Fortbewegung überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen ist, noch imstande, die von ihr zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit einer Heimarbeiterin insbesondere auch in der Erzeugung von Gestecken, Maschen, Christbaumschmuck und Kunstblumen weiterhin auszuüben, ohne daß damit eine Gefahr der Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes verbunden wäre. In diesem Zusammenhang ist auf die Feststellungen zu verweisen, wonach die Klägerin auch einige wenige Schritte gehen kann und ihr Hebe- und Trageleistungen bei Arbeiten im Sitzen bis zu 10 kg zugemutet werden können. Haltungswechsel sind nicht erforderlich. Auch zusätzliche Pausen müssen nicht eingehalten werden, mit erhöhten Krankenständen ist nicht zu rechnen. Die Klägerin kann sich aus dem Sitzen, bücken, ihre Fingerfertigkeit ist erhalten. Bei den genannten Heimarbeiten handelt es sich um leichte Arbeiten im Sitzen (Tischarbeiten), für die ein gelegentliches kurzes und schrittweises Gehen ausreicht. Exponierte Stellen kommen nicht vor, die Arbeiten werden unter durchschnittlichem Zeitdruck ausgeführt, der Materialtransport wird vom Dienstgeber organisiert. Geht man also davon aus, daß die Klägerin wegen der erhalten gebliebenen Fähigkeit, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Heimarbeiterin weiterhin zu verrichten, dann stellt sich die Frage ihrer Verweisbarkeit nicht und es sind entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes keine Überlegungen notwendig, ob ihr mit Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand eine Änderung des Wohnortes zumutbar wäre. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Berufungsunfähigkeitspension hat und ihr Begehren von den Vorinstanzen im Ergebnis mit Recht abgewiesen wurde.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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