OGH 11Os77/97 (11Os78/97)

OGH11Os77/97 (11Os78/97)26.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.August 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Benner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Edin P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27.März 1997, GZ 1 b Vr 9712/96-58, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemäß § 494 a StPO zugleich mit diesem Urteil ergangenen (Widerrufs-)Beschluß nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Kirchbacher, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Tanzler zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf fünf Jahre erhöht; der Angeklagte wird mit seiner Berufung hierauf verwiesen.

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der bosnische Staatsangehörige Edin P***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 27.August 1996 in Wien Larisa M*****, gleichfalls Bosnierin, außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafes genötigt, indem er sie in das Innere eines Hauses in Wien 8., Hernalser Gürtel, zog, in weiterer Folge in eine Wohnung führte, deren Eingangstüre sofort von innen versperrte und den Schlüssel abzog, sie mit einem Stoß auf ein Bett warf, entkleidete, sich auf sie legte und unter Ausnützung seiner körperlichen Überlegenheit gegen ihren Willen einen Geschlechtsverkehr durchführte, wobei sie einen Vaginaleinriß sowie Schürfwunden am Rücken, sohin eine an sich schwere Verletzung am Körper, erlitt.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5, 5 a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Der eingangs der Mängelrüge (Z 5) vorgetragene Hinweis bezüglich der Feststellung des Alters des Tatopfers betrifft keinen entscheidenden Umstand. Ob Larisa M***** zur Tatzeit erst das sechzehnte oder schon das siebzehnte Lebensjahr vollendet hatte, ist für die Untestellung der Tat unter das Strafgesetz oder die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes irrelevant. Im gleichen Sinn ist unerheblich, ob das Opfer das Lokal "Goldene Grotte", in welchem der Angeklagte beschäftigt war, vor dem in Rede stehenden Vorfall nur einmal oder wiederholt besucht hat und zu welcher Uhrzeit dies geschah.

Daß die Zeugin die als Tatort beschriebene Wohnung in jenem Haus, in dem sich das oben angeführte Lokal befindet, nicht wiedererkannte, hat der Schöffensenat ohnedies bedacht, jedoch nachvollziehbar als unbedeutend angesehen (US 5 f; S 286). Woher der Angeklagte den Schlüssel hatte, konnte angesichts der Vielzahl denkbarer Möglichkeiten dahingestellt bleiben.

Äußerungen des siebenjährigen Bruders der Larisa M***** bedurften im Urteil keiner Erörterung. Nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung erzählte er seiner Mutter am 27.August 1996, daß Larisa den gemeinsam besuchten Park verlassen habe und er über ihren Verbleib nichts wisse (S 316). Dies steht mit der Aussage des Mädchens in Einklang. Soweit der Beschwerdeführer Mutmaßungen über mögliche andere Schilderungen des Buben anstellt und auf dieser spekulativen Grundlage die Richtigkeit der Angaben der Zeugin bezweifeln will, vermag er einen Begründungsmangel nicht aufzuzeigen.

Die Beschwerdehinweise auf verschiedene Details in den Aussagen der Zeugin belegen keine erörterungsbedürftigen Widersprüche. Übereinstimmend beschrieb Larisa M***** bei der Polizei und vor Gericht, wie der Angeklagte sie zu der Wohnung zerrte, nach dem Betreten absperrte, sie auf das Bett stieß, niederdrückte und unter Festhalten ihrer Hände entkleidete, worauf er ohne loszulassen gegen ihren Willen Finger in die Scheide einführte, sich auf sie legte und einen Geschlechtsverkehr durchführte (S 29 ff, 284 f, 314). Somit finden die maßgeblichen Urteilsannahmen entgegen der allein auf Nebensächlichkeiten abzielenden Beschwerdebehauptung in den Aussagen der Zeugin volle Deckung.

Der Einsatz von Drohungen als Nötigungsmittel wurde dem Angeklagten nicht angelastet, sodaß die darauf bezogenen Beschwerdeeinwände ins Leere gehen.

Mit dem Vorbringen über die familiäre Situation der Zeugin und die Geschehnisse im Krankenhaus wird kein Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes aufgezeigt, sondern nach Art und Zielsetzung einer im schöffengerichtlichen Rechtsmittelverfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Erstgerichtes bekämpft.

Die Ausführungen zur Tatsachenrüge (Z 5 a) erschöpfen sich unter Verweisung auf die unter dem vorgenannten Nichtigkeitsgrund erstatteten Einwände in einer direkten Bestreitung der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin Larisa M***** sowie in der Forderung nach Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Damit werden aber keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen dargetan.

In der Subsumtionsrüge (Z 10) macht der Angeklagte insofern einen Feststellungsmangel zur subjektiven Tatseite mit dem Vorbringen geltend, als das Erstgericht keinen vorsätzlichen Einsatz eines Nötigungsmittels zur Verhinderung einer Widerstandsleistung konstatiert habe; da sich das Mädchen nicht zu wehren wagte (US 3), komme Nötigung zur Duldung des Beischlafes mit Gewalt oder durch Entziehung der persönlichen Freiheit mangels Überwindung eines Widerstandes gar nicht in Betracht; nicht der Krafteinsatz des Angeklagten, sondern eine "schlichte Drohung" habe das Mädchen zur Duldung der Penetrationen veranlaßt; da diese Drohung keine gefährliche im Sinn des § 74 Z 5 StGB darstelle, könne ihm weder Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB noch geschlechtliche Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB angelastet werden; er habe daher nur fahrlässige (schwere) Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 (erster Fall) StGB zu verantworten.

Mit diesem Vorbringen negiert der Beschwerdeführer die zur äußeren wie zur inneren Tatseite getroffenen Urteilsfeststellungen, wonach er durch die festgestellten Tätlichkeiten und das Einsperren des Opfers die Duldung erzwungen hat (US 7) und bringt solcherart den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund, dessen gesetzmäßige Ausfüh- rung stets einen Vergleich des Urteilssachverhaltes in seiner Gesamtheit mit dem darauf angewendeten Strafgesetz erfordert, nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung.

Seine Rechtsansicht, bei mangelndem Widerstand des Opfers komme weder Gewaltanwendung noch Entziehung der persönlichen Freiheit, sondern nur eine qualifizierte Drohung als Nötigungsmittel zur Erreichung der Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung in Betracht, ist zudem unzutreffend:

Gewalt ist nach ständiger Rechtsprechung der Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder auch nur erwarteten Widerstandes (Leukauf/Steininger, Komm3 § 105 RN 4, § 201 RN 12; 14 Os 178/94, 11 Os 182/96). Gewalt, die dazu bestimmt und geeignet ist, den entgegengesetzten Willen des Opfers im Hinblick auf dessen Kräftezustand und in der Lage, in der es sich befindet, zu beugen, stellt auch dann ein Mittel zur Abnötigung eines Geschlechtsverkehrs oder diesem gleichzusetzender Handlungen dar, wenn das Opfer aus Angst keinen Widerstand leistet (Pallin in WK § 201 Rz 9 a).

Die Formulierung des Vergewaltigungstatbestandes bildet der Beschwerde zuwider keine Stütze für die vorgebrachte Auffassung. Die Neufassung des § 201 StGB durch die Strafgesetznovelle 1989, BGBl Nr 242, bezweckte nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers, durch Beseitigung des Merkmals der Widerstandsunfähigkeit dem Verhalten des widerwilligen Opfers die Bedeutung für die Tatbestandserfüllung zu nehmen (JAB 927 BlgNR 17.GP).

Die rechtliche Beurteilung der konstatierten Tätlichkeiten als tatbestandsmäßige Gewaltanwendung ist demnach einwandfrei.

Nominell auch unter der Z 5, der Sache nach nur unter der Z 10 rügt der Beschwerdeführer, daß im Urteil nicht festgestellt worden sei, ob die schwere Verletzung des Tatopfers auf die Penetration mit den Fingern oder auf den Geschlechtsverkehr zurückgehe.

Ein Feststellungsmangel in Ansehung der Qualifikation nach § 201 Abs 3 erster Fall StGB haftet dem Urteil jedoch nicht an. Die vermißte Eingrenzung der Verletzungsursache war nicht geboten, weil auch das gewaltsame Einführen eines Fingers in die Scheide einer Frau das Tatbild der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 oder Abs 2 StGB erfüllt (15 Os 15/95 mwN). Demnach ist es unentscheidend, ob die schwere Verletzung dabei oder beim Geschlechtsverkehr entstanden ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs 3 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend die einschlägige Vorstrafe und den raschen Rückfall, als mildernd hingegen nichts.

Während der Angeklagte mit seiner Berufung eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe begehrt, zielt die Berufung der Staatsanwaltschaft auf eine Erhöhung der Freiheitsstrafe ab; nur letztere Berufung ist berechtigt.

Daß der Angeklagte nicht zusätzlich eine gefährliche Drohung als Nötigungsmittel angewendet hat, stellt keinen Milderungsgrund dar.

Wohl aber wirkt zusätzlich erschwerend, daß der Angeklagte, worauf die Staatsanwaltschaft mit Recht verweist, die Tat auf - zwar nicht für das Opfer besonders qualvolle, aber doch - brutale Weise verübt hat, machte die schwere Verletzung des Opfers doch eine Notoperation erforderlich.

Als weiterer und ins Gewicht fallender Erschwerungsgrund ist zu werten, daß der Angeklagte dem Opfer durch die Tat die Jungfräulichkeit genommen hat. Dem Angeklagten, der demselben Kulturkreis angehört wie das Opfer, waren ohne jeden Zweifel die diesbezüglichen Folgen seiner Tat und deren Auswirkungen auf das Opfer bekannt und haben letzterem unfreiwillig einen unersetzbaren Schaden zugefügt.

Unter Abwägung der so zum Nachteil des Angeklagten veränderten Strafzumessungsgründe erachtet der Oberste Gerichtshof eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von fünf Jahren tätergerecht und schuldangemessen.

Gemäß § 53 Abs 1 StGB widerrief das Erstgericht die mit Beschluß des Landesgerichtes Wr.Neustadt vom 6.Februar 1996, AZ 45 BE 15/96, gewährte bedingte Entlassung aus einer zweijährigen Freiheitsstrafe, die das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 8.März 1995 zu AZ 1 e Vr 11.201/94-Hv 7022/94 über ihn verhängt hatte, wobei der Strafrest acht Monate betrug.

Die dagegen erhobene Beschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ergibt sich aus der völligen Wirkungslosigkeit der bedingten Entlassung und dem raschen Rückfall wegen eines gleichartigen Verbrechens geradezu das Gebot auf Widerruf der bedingten Entlassung. Daran vermag auch das Ausmaß der im gegenständlichen Verfahren verhängten Freiheitsstrafe nichts zu ändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390 a StPO.

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