OGH 1Ob139/97s

OGH1Ob139/97s24.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf ***** N*****, vertreten durch Dr.Fritz Schneider, Dr.Eva Schneider und Dr.Christoph Schneider, Rechtsanwälte in Bludenz, wider die beklagte Partei Nicole L*****, wegen Rechtsunwirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 19.März 1997, GZ 1 R 46/97s-11, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Montafon vom 7.Jänner 1997, GZ 2 C 23/95p-6, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit seines Anerkenntnisses der Vaterschaft zur Beklagten, weil er dazu durch einen von der Mutter veranlaßten Irrtum bzw durch List bestimmt worden sei.

Die Beklagte wendete ein, daß nach den ihr vorliegenden Informationen der Kläger ihr Vater sei.

Nach Einvernahme der Parteien und zweier Zeugen wurde die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung zur Einholung eines „blutserologischen“ Gutachtens auf unbestimmte Zeit erstreckt.

Mit Schreiben vom 2.10.1995, das am 9.10.1995 beim Erstgericht einlangte, zog der Kläger die Klage “wegen Vaterschaftsanerkenntnis“ zurück. Eine Gleichschrift dieses Schreibens wurde der Beklagten durch Hinterlegung zugestellt. Weitere Verfügungen wurden nicht getroffen.

Mit Schriftsatz vom 31.12.1996, der am 3.1.1997 beim Erstgericht einlangte, beantragte der Kläger die Fortsetzung des Verfahrens, weil er die Klage nicht unter Anspruchsverzicht zurückgenommen habe.

Das Erstgericht wies den Fortsetzungsantrag zurück. Im Abstammungsverfahren sei eine Klagszurücknahme nur ohne Anspruchsverzicht möglich. Die Beklagte habe der Klagszurücknahme stillschweigend (schlüssig) zugestimmt. Die Fortsetzung des Verfahrens sei daher unzulässig.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Stillschweigende Parteihandlungen seien dem Verfahrensrecht zwar grundsätzlich fremd, doch könne die Zustimmung zu einer Klagszurücknahme ausnahmsweise auch durch konkludentes Verhalten angenommen werden. Die Beklagte habe auf die ihr zugestellte Gleichschrift des Schriftsatzes des Klägers, mit dem er die Klagszurücknahme erklärt hatte, nicht weiter reagiert, was als (konkludente) Zustimmung zu dieser anzusehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Im Abstammungsverfahren gibt es nur eine Klagszurücknahme ohne Anspruchsverzicht, weil dort gemäß § 6 Abs 1 Z 3 FamRAnglV und Art V Z 4 UeKG prozessuale Verzichte unzulässig sind (Rechberger in Rechberger, ZPO, Rz 5 zu § 238 mwN); deshalb wäre die Klagszurücknahme im vorliegenden Fall - da es bereits zu Beweisaufnahmen gekommen ist - nur mehr mit Zustimmung der Beklagten möglich (Rechberger aaO Rz 4 zu § 238). Ausdrücklich hat die Beklagte jedenfalls ihre Zustimmung nicht erteilt. Es wurde ihr lediglich eine Gleichschrift des Schriftsatzes des Klägers, mit dem er die Klage zurückzog, zugestellt.

Nach der weit überwiegenden Rechtsprechung kennt das Verfahrensrecht stillschweigende Parteihandlungen nicht (RZ 1995/41; SZ 66/178; 8 Ob 607/92; RZ 1986/40; SZ 45/19; SZ 40/85 uva). In manchen Fällen wurde allerdings bejaht, daß die Zustimmung zur Klagszurücknahme ohne Anspruchsverzicht auch stillschweigend erklärt werden könne. So wurde vom Obersten Gerichtshof eine solche stillschweigende Zustimmung in der Entscheidung AnwZ 1937, 217 darin erblickt, daß sich der Beklagte nach erfolgter Klagszurücknahme ohne Erklärung entfernt und sein Kostenverzeichnis überreicht. Nach der von der Entscheidung EvBl 1962/476 zu beurteilenden Verfahrenslage hatte die beklagte Partei die Anfechtung des die Klagszurücknahme zur Kenntnis nehmenden (deklarativen) Beschlusses unterlassen. Nach dem der Entscheidung ÖA 1992, 64 zugrundeliegenden Sachverhalt war der dort beklagten Partei nicht nur der die Klagszurücknahme zum Ausdruck bringende Schriftsatz zugestellt worden, sondern auch eine Verständigung von der Terminabsetzung.

Von der Lehre wird die Frage, ob die Zustimmung zur Klagszurücknahme auch stillschweigend erteilt werden könne, verschieden beantwortet:

Pollak (Zivilprozeßrecht2 397) vertritt die Ansicht, daß die Duldung der Klagszurücknahme allein nicht genüge, was sich schon aus der Verschiedenheit der Fassungen des § 237 ZPO („ohne Zustimmung ...“) und des § 235 ZPO („... diese Einwilligung ist als vorhanden anzunehmen ...“) ergebe. Auch Fasching (Komm III 145 f und LB2 Rz 1251) meint, die Zustimmungserklärung sei als Prozeßhandlung formgebunden, sie müsse ausdrücklich erfolgen. Die Auslegungsregel des bürgerlichen Rechts (§ 863 ABGB) sei auf Rechtsgeschäfte beschränkt und für Prozeßhandlungen nicht anwendbar.

Demgegenüber vertritt Neumann (Kommentar zu den ZPG II4 928) die Ansicht, die Zustimmung des Beklagten könne auch stillschweigend dadurch erklärt werden, daß sich dieser nach erfolgter Klagszurücknahme ohne eine Erklärung entferne oder sein Kostenverzeichnis überreiche. Rechberger (aaO, Rz 6 zu § 238) bejaht die Möglichkeit der konkludenten Zustimmung zur Klagszurücknahme unter Berufung auf die Entscheidung EvBl 1962/476. Holzhammer (ZPR2 198 und PraktZPR 163) ist ohne nähere Begründung ganz allgemein der Ansicht, die beklagte Partei könne der Klagszurücknahme auch stillschweigend durch konkludentes Verhalten zustimmen. Gleicher Auffassung ist Ballon (Einführung in das österreichische Zivilprozeßrecht6 Rz 264), der ebenso wie Rechberger auf die Entscheidung EvBl 1962/476 verweist.

Eine abschließende Stellungnahme zur Frage, ob eine stillschweigende Klagszurücknahme mit den Prinzipien des Verfahrensrechts vereinbar ist, ist aber entbehrlich, weil im vorliegenden Fall selbst bei Bejahung deren Zulässigkeit im Verhalten der Beklagten keine Zustimmung zur Klagszurücknahme zu erblicken wäre.

Bloßes Schweigen hat grundsätzlich keinen Erklärungswert; nur ausnahmsweise kann es mit Rücksicht auf die Übung des redlichen Verkehrs als Erklärung in bestimmter Richtung aufgefaßt werden (vgl nur Rummel in Rummel, ABGB2, Rz 15 zu § 863). Nun hat die Beklagte auf die Zustellung des Schriftsatzes, in dem die Klagszurücknahme zum Ausdruck gebracht wurde, überhaupt nicht reagiert. Sie hat die schriftliche Prozeßhandlung des Klägers kommentarlos entgegengenommen; es mangelt - im Gegensatz zu dem den Entscheidungen AnwZ 1937, 217; EvBl 1962/476; ÖA 1992, 64 zugrundeliegenden Sachverhalt - an einem besonderen Sachverhaltselement, das gegebenenfalls die stillschweigende Zustimmung der Beklagten anzunehmen geböte. Das Stillschweigen der Beklagten kann nicht nur dahin gedeutet werden, daß sie der Klagszurücknahme zustimmen wollte; die Auslegung dieses Verhaltens kann vielmehr durchaus auch anders verstanden werden: So ist es denkbar, daß die anwaltlich nicht vertretene Beklagte der Meinung war, mit der Klagszurücknahme verzichte der Kläger auf seinen Anspruch endgültig und bedürfe dazu ihrer Zustimmung gar nicht; die Beklagte mochte die Angelegenheit aber auch vorläufig als erledigt betrachtet und deshalb keine Äußerung abgegeben haben, weil ihr - als unvertretenen Partei - ohnehin noch keine besonderen Kosten erwachsen waren. An das bloße Stillschweigen zur Zustellung des Schriftsatzes kann somit nicht die Schlußfolgerung geknüpft werden, die Beklagte habe der Klagszurücknahme konkludent zugestimmt.

Das Erstgericht wird daher das Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen haben, weil die Klagszurücknahme nicht wirksam geworden ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekurses gegen den erstinstanzlichen Beschluß beruht auf § 52 ZPO; Kosten für den Revisionsrekurs wurden nicht verzeichnet.

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