OGH 1Ob583/93

OGH1Ob583/9321.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Limited, ***** vertreten durch Dr. Harald Jesser, DDr. Manfred Erschen, Rechtsanwälte in Leoben, wider die beklagte Partei Doris K*****, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr, Dr. Michael Krüger, Dr. Franz Haunschmidt, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 60.042,93 sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 15. Juni 1993, GZ 6 R 96/93-29, womit der Berufung wegen Nichtigkeit der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 12. Jänner 1993, GZ 8 Cg 17/91-25, Folge gegeben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Berufung der beklagten Partei in Ansehung der geltend gemachten Nichtigkeit verworfen wird.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Geschäftsführerin der K***** Einrichtungs-Gesellschaft mbH aus dem Titel des Schadenersatzes auf Zahlung von an die GesmbH ausgelieferten Waren in Anspruch. In der Verhandlung vom 26.9.1990 (ON 6) brachte die Klägerin unter anderem vor, daß gegen die Beklagte ein Strafverfahren anhängig sei. Das Erstgericht faßte daraufhin den Beschluß, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens zu unterbrechen und ordnete an, daß es zur Wiederaufnahme des Verfahrens eines Parteienantrages bedürfe (AS 27). Mit Schriftsatz vom 16. Jänner 1991 (ON 7) beantragte die Klägerin unter Hinweis auf die Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof und die damit weggefallene Bindung der Zivilgerichte an verurteilende strafgerichtliche Erkenntnisse die unverzügliche Fortsetzung des Zivilverfahrens. Das Erstgericht stellte Gleichschrift und Halbschrift dieses Antrages den Parteien mit dem Beisatz zu, daß der Verhandlungstermin gesondert bekanntgegeben werde und teilte in der Folge mit Verfügung vom 22.3.1991 mit, daß die nächste Verhandlung voraussichtlich im Herbst 1991 stattfinden werde. Mit Beschluß vom 21.10.1991 beraumte es die mündliche Streitverhandlung für 19.12.1991 an und verfügte die Zustellung des ZPO-Form 27 an die Parteienvertreter. Nach insgesamt drei Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht und zwei Beweisaufnahmen durch den ersuchten Richter erkannte das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung des Klagsbetrages schuldig, da sie in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft mbH neue Schulden eingegangen sei und deshalb den Gläubigern deliktisch hafte.

In ihrer Berufung machte die Beklagte unter anderem die Nichtigkeit des angefochtenen Urteils und des diesem vorausgegangenen Verfahrens geltend, da das unterbrochene Verfahren nicht ordnungsgemäß durch Gerichtsbeschluß aufgenommen worden sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Nichtigkeitsberufung Folge, hob das angefochtene Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren bis einschließlich der Verfügung vom 22.3.1991 als nichtig auf und trug dem Erstgericht die Entscheidung über den Aufnahmeantrag der Klägerin auf. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Die Aufnahme eines unterbrochenen Verfahrens könne gemäß § 165 Abs. 2 ZPO nur durch Gerichtsbeschluß erfolgen. Weder der Zustellung der Gleichschrift des Aufnahmeantrages noch der Erhebung eines Rechtsmittels komme die Wirkung der beschlußmäßigen Aufnahme auch eines nach § 190 ZPO unterbrochenen Verfahrens zu, weil die Zivilprozeßordnung stillschweigende Prozeßhandlungen nicht kenne. Es sei daher davon auszugehen, daß das Verfahren nach wie vor seit dem 26.9.1990 unterbrochen sei. Die nach diesem Zeitpunkt gesetzten Verfahrensschritte seien ebenso wie das Ersturteil nichtig.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Klägerin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat mehrfach ausgesprochen, daß ein unterbrochenes Verfahren nur durch Gerichtsbeschluß (§ 165 Abs. 2 ZPO) aufgenommen werden könne. Ebenso wurde ausgesprochen, daß die Zivilprozeßordnung stillschweigende Prozeßhandlungen und Entscheidungen nicht kennt (SZ 45/19; JBl. 1973, 46; RZ 1986/40; 8 Ob 607/92). Gegenstand der zitierten Entscheidungen waren Fälle der Verfahrensunterbrechung durch Konkurseröffnung (§ 7 KO, § 159 ZPO) sowie auf Grund des Todes des Parteienvertreters (§ 160 ZPO). Gegenständlich liegt der - soweit überblickbar - noch nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragene Fall der Verfahrensunterbrechung gemäß § 191 ZPO wegen Verdachtes einer strafbaren Handlung zur Entscheidung vor. Wie bereits das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausgeführt hat, sind die Bestimmungen der §§ 164 ff ZPO über die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens und damit auch die Bestimmung des § 165 Abs. 2 ZPO über die Entscheidung durch das Gericht gemäß § 167 ZPO auch auf die Fälle der §§ 190, 191 ZPO sinngemäß anzuwenden. Dabei darf allerdings nicht unbeachtet bleiben, daß sich die beiden Gruppen von Unterbrechungstatbeständen insoweit unterscheiden, als die Aufnahme des gemäß §§ 155 ff ZPO unterbrochenen Verfahrens mit Rekurs anfechtbar ist (RZ 1986/40; Fasching ZPR2 Rdz 613), während gemäß § 192 Abs. 2 ZPO die nach §§ 187 bis 191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden können. Gegen den Aufnahmebeschluß des wegen Präjudizialität unterbrochenen Verfahrens steht somit - entgegen der Ansicht der Beklagten - der Rekurs nicht zu (SZ 24/323; Fasching aaO). In diesem besonderen Falle räumt somit der Gesetzgeber der Verfahrensfortsetzung gegenüber dem möglichen Fortbestehen von Unterbrechungsgründen erhöhte Priorität ein. Dies kann aber bei der Wertung eines nicht ausdrücklich die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens anordnenden Beschlusses als Aufnahmebeschluß im Sinne des § 165 Abs. 2 ZPO nicht unbeachtet bleiben. Vielmehr ist in einem derartigen Falle darauf abzustellen, ob durch die nächste das Verfahren vorantreibende Verfügung des Gerichtes dessen Entscheidungswille, das unterbrochene Verfahren aufzunehmen deutlich erkennbar ist. Dies ist im gegenständlichen Fall zumindest für den Beschluß vom 21.10.1991, mit welchem nach dem Fortsetzungsantrag die mündliche Streitverhandlung anberaumt wurde, zu bejahen. In diesem Sinne tritt der erkennende Senat den Entscheidungen JBl. 1978, 433; EvBl. 1982/119 und 4 Ob 12/85 bei, wonach die Ausschreibung einer Verhandlung oder die Verfügung, die Gleichschrift des Fortsetzungsantrages zuzustellen, als ausreichend deutlicher Aufnahmebeschluß angesehen wurde. Auf die Frage, ob diese (ältere) Rechtsprechung auch in den Unterbrechungsfällen der §§ 155 ff ZPO anzuwenden ist, braucht gegenständlich aus den dargestellten Erwägungen nicht eingegangen werden.

Es war daher dem Revisionsrekurs Folge zu geben und in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes die Nichtigkeitsberufung zu verwerfen. Das Gericht zweiter Instanz wird nunmehr über das Rechtsmittel der Beklagten weiter zu befinden haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs. 1 ZPO.

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