OGH 1Ob2331/96t

OGH1Ob2331/96t24.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. Z*****Versicherungen AG, ***** vertreten durch Dr.Ingo Ubl, Rechtsanwalt in Wien, und 2. Angela B*****, vertreten durch Dr.Karl J.Grigkar, Rechtanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, und die Nebenintervenienten 1. Ing.Walter D*****, und 2. Ing.Franz W*****, beide vertreten durch Dr.Walter Riedl, Dr.Peter Ringhofer, Dr.Martin Riedl und Dr.Georg Riedl, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 894.000,-- sA und Feststellung (Streitwert S 50.000,- -) bzw wegen Feststellung (Streitwert S 300.000,- -), infolge von Rekursen der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14.Mai 1996, GZ 14 R 89/96b-43, womit infolge von Berufungen der beklagten Partei und der beiden Nebenintervenienten das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21.Juli 1995, GZ 33 Cg 46/93i-36, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Keinem der Rekurse wird Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Versicherungsgesellschaft (in der Folge erstklagende Partei) war Haftpflichtversicherer eines LKW, der am 16.April 1991 von einem Sachverständigen des Amtes der NÖ. Landesregierung (dem Zweitnebenintervenienten) gemäß den §§ 55 und 57 KFG überprüft wurde. Der Sachverständige stellte verschiedene Mängel fest, unter anderem auch schwere Mängel an der Bremsanlage. Für den 3.Juni 1991 wurde demnach eine neuerliche Prüfung gemäß § 57 Abs 6 KFG angeordnet. Bei dieser von einem anderen Sachverständigen, dem Erstnebenintervenienten, vorgenommenen Überprüfung wurde unter anderem ein Bremstest auf dem Rollenbremsprüfstand durchgeführt. Dieser Sachverständige stellte dabei einige leichte Mängel, unter anderem auch solche der Bremsanlage, fest; schwere Mängel attestierte er dagegen nicht. Deshalb wurde gutachtlich festgestellt, daß das Fahrzeug den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes und den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen entspreche (§ 55 Abs 1 KFG).

An dem dieser Überprüfung nachfolgenden Tag lenkte ein bei der Halterin des LKWs beschäftigter Kraftfahrer das Fahrzeug im Stadtgebiet von Wien. Als er vor einer durch Rotlicht gesperrten Kreuzung das Fahrzeug anhalten wollte, versagten die Bremsen. Er fuhr auf ein vor ihm stehendes Fahrzeug auf und schob dieses auf den Schutzweg, auf dem sich unter anderem die Zweitklägerin befand. Diese wurde durch das nach vorn geschobene Fahrzeug niedergestoßen und dabei äußerst schwer verletzt; sie erlitt insbesondere eine Querschnittlähmung mit Lähmung des Mastdarms.

Die erstklagende Partei begehrte die Verurteilung des beklagten Rechtsträgers zum Ersatz ihrer mit S 894.000 bezifferten Aufwendungen und ferner die Feststellung, daß ihr die beklagte Partei die aus dem Schadensfall künftig zu erbringenden Leistungen jeweils zur Hälfte zu ersetzen habe. Sie brachte dazu vor, sie habe als Haftpflichtversicherer des LKWs der Zweitklägerin Schmerzengeld in Höhe von 1 Mio S sowie weitere S 750.000 für die behindertengerechte Adaptierung einer Wohnung und dem Eigentümer des Fahrzeugs, auf das der LKW aufgefahren war, S 38.000 bezahlt. Daraus ergebe sich unter Bedachtnahme auf eine Mithaftung von 50 % der Klagsbetrag, dessen Ersatz sie aus dem Titel der Amtshaftung verlange. Das bei ihr versicherte Fahrzeug habe mehrere grobe Mängel aufgewiesen; es sei deshalb weder verkehrs- noch betriebssicher gewesen. Diese Mängel seien bei der am Vortag erfolgten Überprüfung durch einen Amtssachverständigen nicht festgestellt und der LKW sei deshalb am Unfalltag trotz Bestehens dieser Mängel in Betrieb genommen worden. Bei Erstellung eines ordnungsgemäßen Gutachtens hätten die Kennzeichen und der Zulassungsschein wegen Gefahr in Verzug (§ 57 Abs 8 KFG) abgenommen werden müssen. Dann wäre aber mangels Inbetriebnahme des Fahrzeugs der Unfall unterblieben.

Die beim Unfall Verletzte (die Zweitklägerin) begehrte die Feststellung, daß ihr die beklagte Partei für alle kausalen Folgen und Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 4.6.1991 unbegrenzt hafte; sie brachte vor, die Höhe ihres Schadens sei, soweit er noch in Hinkunft entstehen könne, nicht absehbar. Es sei zu befürchten, daß die von der erstklagenden Partei zu erbringenden Leistungen zu dessen Deckung nicht ausreichen werden.

Die beklagte Partei und die beiden Nebenintervenienten wendeten insbesondere ein, das am 3.Juni 1991 erstattete Gutachten sei sachgemäß gewesen. Schwere Mängel seien nicht erkennbar gewesen. Die Undichtheit der Betriebsbremsanlage, die möglicherweise unfallkausal gewesen sei, sei im Zeitpunkt der Überprüfung noch nicht vorgelegen, zumindest aber habe sie nicht erkannt werden können. Allenfalls vorhandene weitere Fahrzeugmängel seien für den Unfallhergang nicht kausal gewesen. Das Organhandeln könne demnach weder als rechtswidrig noch als schuldhaft beurteilt werden.

Das Erstgericht gab nach Verbindung beiden Klagebegehren statt.

Es stellte - abgesehen von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt - fest, bei der Untersuchung des LKWs am 3.Juni 1991 habe sich der Sachverständige darauf beschränkt, abzuklären, ob die am 16.April 1991 festgestellten Mängel behoben worden seien. Das Fahrzeug sei auf den Bremsprüfstand gebracht und dabei sei eine unterschiedliche Bremswirkung festgestellt worden. Da zuvor bei einer Reinigung des LKWs mittels Hochdrucks Wasser in die Bremsen eingedrungen sei, sei der Fahrzeuglenker angewiesen worden, bei einer Fahrt die Bremsen durch mehrmaliges Bremsen abzutrocknen. Bei der danach auf dem Bremsrollprüfstand vorgenommenen Untersuchung sei bei der vorderen Achse links und rechts eine Bremswirkung von je 6 kN, bei der Hinterachse links eine solche von 8 kN und rechts von 6 kN und an der Feststellbremsanlage rechts und links eine Bremswirkung von je 5 kN angezeigt worden. Der Siedepunkt der Bremsflüssigkeit sei nicht überprüft und auch das Luftspiel der Bremsbacken sei nicht beobachtet worden. Auch eine Überprüfung der Bremsschläuche habe nicht stattgefunden, weil das Fahrzeug mit einem Containeraufbau vorgeführt worden sei und dessen Abbau 10 Minuten in Anspruch genommen hätte. Es sei nur eine Gesamtprüfzeit von 15 Minuten zur Verfügung gestanden. Die Bremsleitungen seien im Zuge der Überprüfung als rostig beurteilt worden. Das sei aber nur als leichter Mangel beurteilt worden, weil keine Rosteinschlüsse festgestellt worden seien. Der Prüfer habe festgestellt, daß der Vorratsbehälter für Druckluft erneuert worden sei; der Druck im Behälter und ein allfälliger Verlust seien nicht überprüft worden. An der Bremsleitung, bei der „Betriebsbremsungswirkung“ hinten, an den Kennzeichen sowie an Rückblick- und Zusatzspiegel seien leichte Mängel festgestellt worden; weitere Mängel habe der Sachverständige nicht ermittelt. Insbesondere sei die Behebung des am 16.April 1991 festgestellten Mangels der „Betriebsbremsungswirkung vorn“ festgestellt worden, ohne daß in die Reparaturrechnungen Einsicht genommen worden sei.

Nach dem Unfall sei der LKW von der Bundesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge untersucht und dabei seien folgende weitere Mängel festgestellt worden:

„Starke Durchrostungsschäden an der linken vorderen Fahrerhausseite, Einriß an der linken Seite der Rahmenkonstruktion, rechter Außenspiegel gesprungen, rechter vorderer Fahrtrichtungsanzeiger gesprungen, Undichtheit des Lenkgetriebes, Bremsleitungen an der Hinterachse stark korrodiert, Bremsschläuche an der Hinterachse porös und bis zum Gewebe eingerissen, Siedepunkt der Bremsflüssigkeit auf 120 Grad Celsius abgesenkt und daher ungeeignet durch Überalterung und unterlassene Wartung, vorderer rechter Bremszylinder undicht, keine Bremsflüssigkeit im Vorratsbehälter.“

In der Zusammenfassung sei in diesem Gutachten festgehalten worden, daß am LKW ein Versagen der Betriebsbremse und der Hilfsbremsanlage sowie ferner festgestellt worden sei, daß sich das Fahrzeug „infolge der Lenkungsflüssigkeit unter Minimummarke, Undichtheit der Betriebsbremsanlage, ungenügender Gesamtbremswirkung, unzureichenden Siedepunkts der Bremsflüssigkeit und Bereifungsschäden in nicht verkehrs- und betriebssicherem Zustand mit Gefahr im Verzug“ befunden habe. Bei den Schäden handle es sich um „Langzeitschäden“, die schon zur Zeit der Überprüfung vorhanden gewesen sein müßten.

Ursache des Unfalls sei ein Bremsendefekt gewesen, der bei einer allein visuellen Prüfung des Fahrzeugs in der am 3.Juni 1991 konkret zur Verfügung gestandenen Zeit nicht habe erkannt werden müssen. Infolge der Reinigung des Unterbodens mit einem Hochdruckreiniger habe das Austreten von Bremsflüssigkeit nicht mit Sicherheit erkannt werden können. Nach dem „Warmfahren“ der Bremsen habe es unerkannt bleiben können, weil ausgetretene Bremsflüssigkeit verdunstet sein könne. Zerlegungsarbeiten seien im Rahmen der Überprüfung nicht vorgesehen, weshalb eine unsachgemäße Instandsetzung des rechten Radzylinders nicht habe erkannt werden können. Die vorgeschriebene visuelle Prüfung der Bremsschläuche hätte aber im Hinblick auf deren Zustand die Beurteilung „Gefahr im Verzug“ zur Folge haben müssen.

Die erstklagende Partei habe der Zweitklägerin ein Schmerzengeld von 1 Mio S bezahlt, für die Beschaffung und Adaptierung deren rollstuhlgerechten Wohnung habe sie einen Betrag von S 750.000 aufgewendet. Überdies sei an den Eigentümer des Fahrzeugs, auf das der LKW aufgefahren sei, ein Betrag von S 38.000 als Ersatz des dabei entstandenen Fahrzeugschadens bezahlt worden.

Rechtlich meinte das Erstgericht, die rein visuelle Begutachtung des LKWs sei nicht geeignet gewesen, dessen Betriebs- und Verkehrssicherheit festzustellen. Bei sorgfältiger und ordnungsgemäßer Überprüfung hätte vor allem der schlechte Zustand der Bremsleitungen festgestellt werden müssen und eine allenfalls schon bestehende Undichtheit des vorderen rechten Bremszylinders hätte auffallen können. Dies hätte insgesamt zum Entzug der Fahrzeugpapiere und der Kennzeichen führen müssen, weil Gefahr im Verzug gegeben gewesen sei. Dadurch wäre aber der Unfall vom 4.Juni 1991 vermieden worden. Das Schmerzengeld sei angemessen; gegen die Höhe der sonstigen Schadenersatzleistungen bestünden keine Bedenken.

Das Gericht zweiter Instanz hob dieses Urteil auf und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es führte aus, das Verfahren erster Instanz sei deshalb mangelhaft geblieben, weil sich das Erstgericht mit dem im Gutachten (Beilage B) enthaltenen Hinweis, der Schaden am rechten vorderen Radbremszylinder, der Unfallursache gewesen sei, könne im Zeitraum zwischen der Überprüfung und dem Unfall eingetreten sein, nicht auseinandergesetzt und vielmehr einen „Langzeitschaden“ angenommen habe. Es mangle auch an einer Feststellung, ob der den Unfall verursachende Schaden bei der Überprüfung am 3.Juni 1991 hätte entdeckt werden können. Die Überprüfung der Kraftfahrzeuge gemäß den §§ 55 ff KFG diene der Verkehrssicherheit. Nehme ein Kraftfahrzeug infolge einer nicht ordnungsgemäßen Prüfung am Verkehr teil und entstehe durch einen nicht entdeckten Mangel, der bei ordnungsgemäßer Prüfung hätte festgestellt werden müssen, ein Schaden, so bestehe zwischen dem Schaden und der nicht ordnungsgemäßen Prüfung ein Rechtswidrigkeitszusammenhang, woraus Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden könnten. Kein Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehe indessen „zwischen nicht festgestellten Mängeln und dem Schaden, wenn diese Mängel nicht Ursache für den Schadenseintritt“ gewesen seien. Es könne dahingestellt bleiben, ob die von der Bundesanstalt für Kraftfahrzeuge angeführten Langzeitschäden zu einer Maßnahme gemäß § 57 Abs 8 KFG Anlaß geboten hätten. Entscheidend sei allein der Mangel, der den Unfall ausgelöst habe, also die Undichtheit des Bremszylinders des rechten Vorderrads. Daher sei zu prüfen, ob die Undichtheit schon im Zeitpunkt der Untersuchung am 3.Juni 1991 vorhanden gewesen sei bzw ob sie bei ordnungsgemäßer Untersuchung des LKWs hätte erkannt werden können, weil der beklagten Partei die Unterlassung der nach § 57 Abs 8 KFG gebotenen Maßnahmen nur dann angelastet werden könnte. Es sei aber auch erforderlich, zur Beurteilung der Angemessenheit des Schmerzengelds den Heilungs- und Behandlungsverlauf zumindest in groben Zügen darzulegen und die Maßnahmen mit Rechnungen zu belegen oder doch zu bewerten, die zur Herstellung einer rollstuhlgerechten Wohnung notwendig und geboten gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse der klagenden Parteien sind nur im Ergebnis nicht berechtigt.

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen wurde der bei der erstklagenden Partei haftpflichtversicherte LKW am 16.April 1991 einer „wiederkehrenden Überprüfung“ gemäß den §§ 55 und 57 KFG unterzogen. Bei einer solchen Überprüfung ist zu entscheiden, ob das Fahrzeug den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes und der aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen entspricht (§ 55 Abs 1 KFG). Entspricht das Fahrzeug den Vorschriften nicht, so hat die Behörde auszusprechen, welche Mängel zu beheben sind, und bei Fahrzeugen, die sich nicht in verkehrs- und betriebssicherem Zustand befinden, wann das Fahrzeug zur neuerlichen Prüfung vorzuführen ist (§ 57 Abs 7 KFG). Wird die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeugs gefährdet, so sind bei Gefahr im Verzug der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln gemäß § 57 Abs 8 KFG unverzüglich abzunehmen. Das Ergebnis der Prüftätigkeit eines mit der Kraftfahrzeugüberprüfung betrauten Sachverständigen ist kein Bescheid, sondern ein „technisches Gutachten“, also ein amtliches Zeugnis über die Verkehrstauglichkeit des Fahrzeugs. Mangels Bescheidcharakters des beanstandeten Organverhaltens ist demnach § 11 Abs 1 AHG nicht anzuwenden (ZVR 1969/179; vgl auch SZ 66/130).

Aus den Folgen der bei einer amtlichen Überprüfung eines Fahrzeugs auf seine Verkehrstauglichkeit und -sicherheit bzw bei Ausstellung eines Zeugnisses über das Ergebnis dieser Prüfung unterlaufenen Fehler kann ein Amtshaftungsanspruch entstehen (ZVR 1969/179). Die Haftung des Rechtsträgers nach dem Amtshaftungsgesetz erstreckt sich infolge des in dessen § 1 Abs 1 weit umschriebenen Kreises der Schadenersatzberechtigten auf jeden, dessen Schutz die verletzte Rechtsnorm bezweckt (SZ 67/39; EvBl 1982/51). Der mit dem Kraftfahrgesetz angestrebte Verwaltungszweck ist der Schutz der Sicherheit des öffentlichen Verkehrs; die in den §§ 55 und 57 KFG angeordnete Begutachtung dient zum überwiegenden Teil dem Schutz der Allgemeinheit und damit dem öffentlichen Interesse (SZ 67/39 mwN; EvBl 1982/51; ZVR 1965/154). Zur Abgrenzung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs kann dabei die Bestimmung des § 4 Abs 2 KFG herangezogen werden; da gemäß § 55 Abs 1 KFG - wie erwähnt - zu entscheiden ist, ob das Fahrzeug den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entspricht, sind dabei auch die Gebote des § 4 Abs 2 zu beachten. Dort werden als - auch durch die §§ 55 und 57 KFG - geschützter Personenkreis der Lenker, die beförderten Personen und (alle) anderen Straßenbenützer genannt (SZ 67/39 ua). Die §§ 55 und 57 KFG sind demnach Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB; sie sollen ganz allgemein den Gefahren vorbeugen, die durch den Betrieb nicht betriebs- bzw verkehrssicherer Fahrzeuge im Straßenverkehr hervorgerufen werden (vgl dazu insbesondere EvBl 1982/51). Ihre Mißachtung durch die Organe des Rechtsträgers kann Amtshaftungsansprüche zur Folge haben (SZ 67/39; vgl auch Schragel, AHG2 Rz 321).

Somit kann auch die Zweitklägerin als die bei dem Unfall am 4.Juni 1991 verletzte Straßenbenützerin die Amtshaftung des beklagten Rechtsträgers aufgrund einer solchen durch diesem zurechenbares Organverhalten bewirkten Schutzgesetzverletzung geltend machen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß von allen - teils gravierenden - Mängeln, die bei der Untersuchung des LKWs durch die Bundesanstalt für Kraftfahrzeuge festgestellt wurden, allein der Bremsendefekt infolge des undichten rechten vorderen Radbremszylinders Unfallursache war. Die beklagte Partei behauptet in diesem Zusammenhang, daß gerade dieser Defekt auch bei einer im Sinne der §§ 55 und 57 KFG vorschriftsgemäß durchgeführten Untersuchung nicht hätte entdeckt und daß deshalb unfallverhindernde Vorkehrungen gemäß § 57 Abs 8 KFG nicht hätten ergriffen werden können. Sie bestreitet demgemäß den Zusammenhang zwischen der - von ihr allerdings gleichfalls bestrittenen - Rechtswidrigkeit des Organverhaltens und dem eingetretenen Schaden. In der Tat ist der als wesentlicher Zurechnungsgrund jeder Schadenersatzverpflichtung zu fordernde Rechtswidrigkeitszusammenhang nur dann zu bejahen, wenn die übertretene Verhaltensnorm ihrem Schutzzweck zufolge gerade (auch) den verursachten Schaden verhindern sollte (Koziol/Welser, Grundriß10 I 453 mwN in FN 73). Im konkreten Fall ist deshalb zu fragen, ob der Sachverständige bei der Untersuchung am 3.6.1991, bei der er als Organ für die beklagte Partei handelte, den Verhaltensnormen der §§ 55 und 57 KFG schuldhaft auf eine solche Weise zuwiderhandelte, daß dadurch der Schaden als Folge der Inbetriebnahme des LKWs trotz defekter Bremsanlage ermöglicht wurde oder - anders ausgedrückt - ob die Untersuchung des LKWs am 3.6.1991 - jedenfalls bei dessen sich dem Sachverständigen darbietenden Zustand - auch solche Maßnahmen hätte umfassen müssen, die die Aufdeckung des unfallursächlichen Bremsendefekts ermöglicht und sodann die Abnahme von Zulassungsschein und Kennzeichentafeln geboten hätten.

Der Lösung der anstehenden Fragen ist voranzustellen, daß sich die Verfahrensbestimmungen über die wiederkehrende Überprüfung der im § 55 Abs 1 angeführten Fahrzeuge (vor allem auch der dort genannten LKW) gemäß den §§ 55 und 57 KFG vom Verfahren zur wiederkehrenden Begutachtung nach § 57a KFG, auch wenn diese Bestimmungen insgesamt zur Überprüfung der Verkehrs- und Betriebssicherheit bestimmter Fahrzeuge erlassen wurden, besonders dadurch unterscheiden, daß in letzterem Verfahren lediglich zu ermitteln ist, unter welchen Voraussetzungen eine Begutachtungsplakette auszufolgen oder am Fahrzeug anzubringen ist, wogegen § 57 KFG für den Fall, daß das untersuchte Fahrzeug den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes bzw der aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nicht entspricht, weiterreichende Anordnungen trifft: Die Behörde hat dann gemäß § 57 Abs 7 KFG zu verfügen, welche Mängel zu beheben sind, und bei Fahrzeugen, die sich nicht in verkehrs- bzw betriebssicherem Zustand befinden, anzuordnen, wann sie zur neuerlichen Prüfung vorzuführen sind. Überdies sind gemäß § 57 Abs 8 KFG bei Gefahr im Verzug - wenn also die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeugs gefährdet wäre - der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln unverzüglich abzunehmen. Allein schon aus den unterschiedlichen Folgen von Beanstandungen leuchtet deutlich hervor, daß der Gesetzgeber der Überprüfung der im § 55 Abs 1 KFG genannten Fahrzeuge, also insbesondere auch der LKW (lit d), noch größere Bedeutung beimißt als jener der im Sinne des § 57a KFG zu beurteilenden Fahrzeuge, und zwar wohl deshalb, weil mit dem Betrieb von Omnibussen und Lastkraftwagen (sowie den übrigen in § 55 Abs 1 KFG aufgezählten Fahrzeugen) regelmäßig eine höhere Gefahr verbunden ist. An die mit der wiederkehrenden Überprüfung gemäß § 55 KFG anzuwendenden Sorgfalt sind deshalb noch strengere Anforderungen zu stellen als an jene bei der Begutachtung nach § 57a KFG.

Dem Gericht zweiter Instanz kann im Sinne der dargelegten Grundsätze darin beigepflichtet werden, daß es für den Verfahrensausgang entscheidend ist, ob der unfallsauslösende Mangel - im vorliegenden Fall die Undichtheit des Bremszylinders des rechten Vorderrads - im Zuge der Überprüfung des LKWs am 3.Juni 1991 bei ordnungsgemäßer Untersuchung erkannt worden wäre oder doch hätte erkannt werden können. Bei einem bei vorschriftsmäßiger Untersuchung zwar feststellbaren, aber nicht festgestellten schweren Mangel, der zwar Anlaß zu einer Maßnahme gemäß § 57 Abs 8 KFG geboten hätte, jedoch für das Zustandekommen des Unfalls nicht kausal war, wäre dagegen der Rechtswidrigkeitszusammenhang - wie weiter oben bereits ausgeführt - zu verneinen. Ausschlaggebend ist daher die Lösung der Frage, wie die ordnungsgemäße Untersuchung des LKWs im konkreten Fall vorzunehmen gewesen wäre. Den dabei angestellten Erwägungen ist voranzustellen, daß schon bei der ersten Überprüfung am 16.April 1991 an der Bremsanlage gravierende Mängel festgestellt wurden. Die richtigerweise gemäß § 57 Abs 7 KFG angeordnete neuerliche Überprüfung mußte demgemäß - zumindest soweit sie die Bremsanlage des LKWs zum Gegenstand hatte - besonders sorgfältig durchgeführt werden, ist doch gerade den Bremseinrichtungen eines Kraftfahrzeugs - neben der Lenkung - für die Verkehrs- bzw Betriebssicherheit ganz entscheidende Bedeutung zuzumessen. Vor allem auch der Zustand der Bremsleitungen und der Bremsschläuche muß somit im Sinne des § 55 KFG einer eingehenden und sorgfältigen Überprüfung unterzogen werden. Das Erstgericht hat festgestellt, daß eine Prüfung der Bremsschläuche - aus Zeitgründen - unterblieben ist, daß aber bei der Untersuchung des LKWs in der Bundesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge kurz nach dem Unfall poröse und bis zum Gewebe eingerissene Bremsschläuche als Langzeitschäden festgestellt wurden und diese gravierenden Mängel schon zur Zeit der Überprüfung vorhanden gewesen sein müssen. Das Erstgericht schloß daraus, daß schon die visuelle Prüfung der Bremsschläuche die Beurteilung „Gefahr im Verzug“ und damit den Entzug der Kennzeichentafeln und des Zulassungsscheins zur Folge hätte haben müssen. Wohl war nicht der äußerst mangelhafte Zustand der Bremsschläuche, sondern die Undichtheit des rechten vorderen Radbremszylinders unfallursächlich; angesichts des überaus bedenklichen Zustands der Bremsanlage, zu dem noch hinzukommt, daß die Betriebsbremsen bereits bei der ersten Überprüfung von gravierenden Mängeln betroffen waren, wäre aber doch eine besonders sorgfältige Untersuchung der gesamten übrigen Bremsanlage einschließlich der Radbremszylinder geboten gewesen.Der Sachverständige darf sich in Fällen wie dem vorliegenden nicht einfach mit einer visuellen Überprüfung dahin, ob Bremsflüssigkeit verloren geht, begnügen. Bei derart schwerwiegenden Mängeln der Bremsanlage, bei denen Maßnahmen gemäß § 57 Abs 8 KFG von vornherein erwogen werden müssen, ist vielmehr besondere Vorsicht und Sorgfalt geboten,würde doch der mit einer Überprüfung gemäß den §§ 55 und 57 KFG verfolgte Zweck in nicht seltenen Fällen zur Gänze verfehlt werden. Bei Überprüfungen gemäß § 55 KFG sind über den bloßen Augenschein und eine Probefahrt hinausgehende Untersuchungen in besonders bedenklichen Fällen wie dem vorliegenden nicht bloß zulässig, sondern sogar erforderlich; selbst die Zerlegung von Teilen kann dann notwendig sein, wenn der dringende Verdacht besteht, daß zur Wahrung der Betriebs- und Verkehrssicherheit Maßnahmen gemäß § 57 Abs 8 KFG getroffen werden müssen. Solche Vorkehrungen begegnen auch keinen am Grundrecht des Eigentums orientierten Bedenken: Die Bestimmungen des V.Abschnitts des Kraftfahrgesetzes genügen im Grundsatz den Kriterien für Gesetze, die Eigentumsbeschränkungen vorsehen können, weil diese Regelungen unter anderem - und vor allem - dem Schutz der Allgemeinheit und damit den öffentlichen Interessen dienen (vgl das bei Grundtner/Stratil, KFG4 § 57 Anm 2 abgedruckte Gutachten). Auch wenn im Regelfall bei der Begutachtung von Fahrzeugen Zerlegungsarbeiten unterbleiben können, kann daraus keinesfalls der Schluß gezogen werden, daß solche Maßnahmen - auch anläßlich der Untersuchung gemäß den §§ 55 und 57 KFG - nicht zulässig wären. Eine solche Auffassung wäre mit dem Zweck der durch diese Verhaltensnormen angeordneten Untersuchung - der Vermeidung der Inbetriebnahme von nicht verkehrs- bzw betriebssicheren Kraftfahrzeugen im öffentlichen Verkehr und der damit verbundenen Gefahren - schlechthin unvereinbar. Deshalb können auch die Ausführungen des erkennenden Senats in 1 Ob 3/90, die Begutachtung eines Fahrzeugs durch den Beliehenen (gemäß § 57a KFG) erfolge ohne Zerlegungsarbeiten, nur so verstanden werden, daß bei derartigen Überprüfungen Zerlegungsarbeiten in der Regel unterbleiben können; ihrem Zustand nach besonders bedenkliche Teile des zu untersuchenden Kraftfahrzeugs können und müssen dagegen zerlegt werden, wenn das die ordnungsgemäße Untersuchung des Kraftfahrzeugs - namentlich bei dringendem Verdacht auf sonst nur schwer feststellbare Brems- bzw Lenkungsdefekte - erfordert. Genau das trifft aber im vorliegenden Fall, wie bereits dargelegt wurde, zu, so daß das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren zu klären haben wird, ob bei der erforderlichen eingehenden und sorgfältigen Überprüfung der gesamten Bremsanlage einschließlich des rechten vorderen Bremszylinders dessen Undichtheit erkennbar gewesen wäre. Dabei ist die beklagte Partei mit dem Beweis dafür belastet, daß der Schaden auch ohne die Verletzung der Vorschriften der §§ 55 und 57 KFG in gleicher Weise und im gleichen Umfang eingetreten wäre, sollte festgestellt werden, daß eines ihrer Organe eine ausreichende Überprüfung des LKWs unterlassen und damit Schutznormen übertreten hat (vgl dazu in einem vergleichbaren Fall EvBl 1982/51): Dann müßte der beklagte Rechtsträger beweisen, daß der unfallursächliche Bremsendefekt bei der Untersuchung noch nicht vorhanden war oder aber wenigstens trotz der gebotenen eingehenden und sorgfältigen Untersuchungen nicht erkennbar gewesen wäre.

Zu Recht hielt das Gericht zweiter Instanz eine Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens für notwendig, in deren Rahmen zu klären sein wird, ob die Undichtheit des Bremszylinders oder dessen gefährlicher Zustand bei der Untersuchung am 3.6.1991 erkennbar gewesen wäre, wären alle gebotenen Vorkehrungen getroffen worden. Dabei werden die vom erkennenden Senat dargelegten Grundsätze zu beachten sein. Festzuhalten bleibt noch, daß sich der beklagte Rechtsträger mit dem Hinweis auf die übliche Zeitbegrenzung solcher Untersuchungen nicht entlasten kann.

Sollten sich aufgrund der Ergebnisse der Ergänzung der Verhandlung die geltend gemachten Amtshaftungsansprüche dem Grunde nach als berechtigt erweisen, wird das Erstgericht auch die ihm vom Berufungsgericht aufgetragenen Beweiserhebungen über die Angemessenheit des Schmerzengelds und der übrigen Ersatzleistungen durchzuführen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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