OGH 13Os83/97

OGH13Os83/9718.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Juni 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Rouschal, Dr.Habl und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Marte als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz M***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25.Oktober 1996, GZ 12 e E Vr 9131/96-22, und weitere Vorgänge in diesem Verfahren nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiß, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren 12 e E Vr 9131/96 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verletzen:

1. Der Beschluß vom 25.Oktober 1996 (ON 22), mit dem der Antrag des Beschuldigten Franz M***** auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers abgewiesen wurde, ebenso die ohne Verteidiger durchgeführte Hauptverhandlung vom 6.November 1996, die Urteilsfällung und die Zustellung der Urteilsausfertigung zur Ausführung der angemeldeten Berufung an den Beschuldigten § 3 und § 41 Abs 2 StPO.

2. Die Unterlassung der Anordnung auf Anschluß einer schriftlichen Rechtsmittelbelehrung in der Zustellverfügung des zu 1. bezeichneten Beschlusses und der Belehrung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung vom 6.November 1996 über die Möglichkeiten einer offenstehenden Beschwerde dagegen oder der (neuerlichen) Antragstellung gemäß § 41 Abs 2 StPO unter Bescheinigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, § 3 StPO teilweise iVm § 152 Abs 3 Geo.

Gemäß § 292 letztem Satz StPO werden der Beschluß vom 25.Oktober 1996, ON 22, sowie das gegen Franz M***** ergangene Urteil vom 6. November 1996, ON 24, aufgehoben und die Erneuerung des Verfahrens im Umfang der Aufhebung angeordnet.

Mit seiner Berufung wird Franz M***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Im beim Landesgericht für Strafsachen Wien (ursprünglich zum AZ 12 e E Vr 11468/95) gegen Johanna und Franz M***** wegen § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB geführten Strafverfahren wurde ein von beiden Beschuldigten noch vor der Hauptverhandlung am 13.Juni 1996 gestellter schriftlicher Antrag auf Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers (mit Beschluß vom 11.Juni 1996) abgewiesen, weil kein Verteidigerzwang bestehe und der Antrag verspätet sei (GZ 12 e E Vr 9131/96-9).

Das Verfahren gegen den nicht erschienenen Franz M***** wurde in der Hauptverhandlung vom 13.Juni 1996 gemäß § 57 StPO ausgeschieden (S 329).

Mit Erkenntnis vom 8.Jänner 1997, GZ 13 Os 201/96-7, stellte der Oberste Gerichtshof fest, daß der bezeichnete Beschluß vom 11.Juni 1996 und die Durchführung der Hauptverhandlung vom 13.Juni 1996 gegen Johanna M***** samt Urteilsfällung das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 2 StPO (ebenso wie die Unterlassung der Entscheidung über den Antrag der Beschuldigten auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers in der Hauptverhandlung § 238 Abs 1 StPO) verletzen. Gemäß § 292 letztem Satz StPO wurde der vor Verfahrensausscheidung ergangene Beschluß vom 11.Juni 1996 sowie das gegen Johanna M***** ergangene Urteil vom 13.Juni 1996 aufgehoben und die Erneuerung des Verfahrens im Umfang der Aufhebung angeordnet.

Schon zuvor hatte Franz M***** in dem nach der Verfahrensausscheidung gegen ihn zum AZ 12 e E Vr 9131/96 fortgesetzten Verfahren nach Zustellung der Ladung zu der für den 6.November 1996 anberaumten Hauptverhandlung am 14.Oktober 1996 (RSa bei ON 16), dann neuerlich am 23.Oktober 1996 die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers beantragt, wobei er auf sein bis zum Existenzminimum gepfändetes Einkommen, seine mangelnde Gesetzeskenntnis und die darauf gegründete Befürchtung, nicht alle seine Unschuld beweisenden Möglichkeiten ausschöpfen zu können, hinwies (ON 21).

Mit Beschluß vom 25.Oktober 1996 (ON 22) wies der Einzelrichter diesen Antrag mit der Begründung ab, daß es sich "um einen Sachverhalt einfachster Rechts- und Sachlage" handle und das Vergehen der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 StGB nur mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht sei, sodaß die Voraussetzungen des § 41 Abs 2 Z 1 bis 6 StPO nicht vorlägen. Zudem habe der Beschuldigte zur Stützung der behaupteten Vermögenslosigkeit keine Bescheinigungsmittel vorgelegt, sodaß von der aktenkundigen (bereits im Juli 1995 erhobenen, S 7 und 9) Vermögenslage auszugehen sei, wonach dem Beschuldigten auch unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflicht bei einer einfachen Lebensführung (ausreichende) Mittel verbleiben, um die Kosten eines Wahlverteidigers zu tragen.

Die Zustellung dieses Beschlusses wurde am 29.Oktober 1996 verfügt, der Anschluß einer Rechtsmittelbelehrung nicht angeordnet (S 1 b).

In der Hauptverhandlung vom 6.November 1996 wurde der Beschuldigte vorerst zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie zu seinen Sorgepflichten vernommen. Nach dem Hauptverhandlungsprotokoll ging der Einzelrichter darauf nicht näher ein (S 386). Er unterließ ferner die Belehrung, daß die Rechtsmittelfrist gegen den Beschluß vom 25.Oktober 1996 noch nicht abgelaufen war, der Beschuldigte aber auch einen neuen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers unter Bescheinigung seiner Einkommens- oder Vermögensverhältnisse einbringen könne.

In der Hauptverhandlung entschlug sich die (wegen des gleichen Vorwurfes noch nicht rechtskräftig schuldig erkannte) Gattin des Beschuldigten nach Vorhalt der Bestimmungen des § 152 Abs 1 Z 1 und 2 StPO der Zeugenaussage (S 392). Dennoch wurden auch die (dem Beschuldigten schon zuvor bei seiner Vernehmung teilweise vorgehaltenen) Protokolle ihrer polizeilichen Aussage als Verdächtige im Vorverfahren (S 157 ff) und als Beschuldigte in der gegen sie geführten Hauptverhandlung (ON 10) verlesen (ON 23) und deren Inhalt auch dem Urteil vom 6.November 1996, mit dem Franz M***** des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Z 1 und 2 StGB schuldig erkannt wurde, zugrunde gelegt (ON 24, US 5).

Über die vom Angeklagten gegen den Schuldspruch rechtzeitig ohne ausdrückliche Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen angemeldeten (ON 27), nach Zustellung der Urteilsausfertigung aber nicht ausgeführten Rechtsmittel ("Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen Schuld und Strafe") hat das Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorgangsweise im Verfahren 12 e E Vr 9131/96 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien steht, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, mehrfach mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Ist nämlich ein Beschuldigter außerstande, ohne Beeinträchtigung des zu einfacher Lebensführung notwendigen Unterhalts die Kosten der Verteidigung zu tragen, so ist ihm auf sein Verlangen für die Hauptverhandlung ein Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er nicht zu tragen hat, wenn und insoweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist (§ 41 Abs 2 StPO). Das Gesetz führt dazu jene Fälle an, in denen die Beigebung eines (solchen) Verteidigers jedenfalls erforderlich ist; so bei schwieriger Sach- und Rechtslage und zur Ausführung eines angemessenen Rechtsmittels (§ 41 Abs 2 Z 2 und 4 StPO). Das Gesetz erfaßt damit insbesondere Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz, weil für das Verfahren vor dem Schöffen- oder Geschworenengericht ohnehin die spezielle Bestimmung des § 41 Abs 2 Z 1 iVm Abs 1 Z 1 StPO gilt.

Im vorliegenden Fall war die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers auf Grund des Inhaltes des gestellten Strafantrages im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung in der Hauptverhandlung erforderlich, wie schon die Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen und dessen Erörterung (ON 4, S 392) zeigt.

Auch die weitere Begründung des Beschlusses vom 25.Oktober 1996 (ON 22), wonach von einer aktenkundigen, die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers nicht erfordernden zureichenden Einkommens- und Vermögenslage ausgegangen werden könne, weil es der Beschuldigte unterlassen habe, "die zur Stützung der von ihm behaupteten Vermögenslosigkeit erforderlichen Bescheinigungsmittel vorzulegen", entspricht nicht dem Gesetz.

Wohl ist nach der (gemäß § 488 StPO auch für das Verfahren vor dem Einzelrichter geltenden) Bestimmung des § 454 letzter Satz StPO der Beschuldigte in der Vorladung zur Hauptverhandlung über sein Recht, sich eines Verteidigers zu bedienen (§ 39 StPO) und über die Voraussetzungen der Beigebung eines (Verfahrenshilfe-)Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO zu belehren. Das diese Belehrung enthaltende, dem Beschuldigten zugestellte (S 365) StPO-Formular Lad 7 weist aber nicht darauf hin, daß die Behauptungen über Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch sogleich zu bescheinigen sind. Da in dem von der Sicherheitsbehörde erstellten Personalblatt hier (wie im Regelfall) Verbindlichkeiten (mit Ausnahme der Sorgepflichten) des Beschuldigten nicht verzeichnet wurden und im vorliegenden Fall schon wegen des dem Strafantrag zugrundeliegenden Vorwurfes eine erhebliche Schuldenbelastung des Beschuldigten nahelag (wobei sich gegenüber dem im Personalblatt festgehaltenen Erhebungsergebnis der Sicherheitsbehörde auf Grund der bis zur Beschlußfassung verstrichenen Zeit von ca fünfzehn Monaten relevante Veränderungen der Einkommens- und Vermögenslage des Beschuldigten möglich waren), war es unzulässig, die Antragsbehauptung des Beschuldigten, bis auf das Existenzminimum gepfändet zu sein, sogleich (als unglaubwürdig) zu verwerfen.

Nach § 3 StPO ist das Gericht verpflichtet, auch dort, wo es nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, einen anwaltlich nicht vertretenen Beschuldigten über seine Rechte zu belehren (Mayerhofer StPO4 § 3 E 177). Der Einzelrichter wäre demnach verhalten gewesen, vor seiner Entscheidung über den Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers dem Beschuldigten zur Vorlage allenfalls fehlender Bescheinigungsmittel aufzufordern.

Er wäre aber ebenso verpflichtet gewesen, dem Beschuldigten zum Beschluß vom 25.Oktober 1996 eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung zu erteilen (Mayerhofer, aaO, § 3 E 189). In Entsprechung dieser allgemeinen gesetzlichen Verpflichtung wird im § 152 Abs 3 Geo angeordnet, daß bei Zustellung eines Beschlusses stets auch eine Rechtsmittelbelehrung zuzustellen ist, wobei dies, was vorliegend unterlassen wurde, in der Zustellverfügung ausdrücklich anzuordnen ist.

Wegen der vorher unterlassenen Manuduktion bestand für den Einzelrichter in der Hauptverhandlung jedenfalls die Verpflichtung, den Beschuldigten mündlich auf die noch offene Beschwerdefrist und die Möglichkeit eines neuen, gleichlautenden Antrages unter Bescheinigung seiner Behauptungen hinzuweisen.

Die Verweigerung des Verfahrenshilfeverteidigers gereicht dem Beschuldigten ebenso zum Nachteil wie die mehrfachen Verstöße gegen die Belehrungspflicht nach § 3 StPO und in Konsequenz dessen die ohne Verteidigerbeiziehung durchgeführte Hauptverhandlung und Urteilsfällung sowie die Zustellung der Urteilsausfertigung zur Rechtsmittelausführung an den Beschuldigten selbst.

Die (vom Beschuldigten mangels Rechtsbeistand nicht relevierte) unzulässige Verlesung (§ 252 Abs 1 StPO) der sicherheitsbehördlichen und gerichtlichen Aussageprotokolle seiner sich in der Hauptverhandlung berechtigt der Aussage entschlagenden Gattin (§ 151 Abs 1 Z 1 und 2 StPO) und die Verwertung dieser Angaben im Urteil waren nicht gesondert als weitere Gesetzesverletzungen festzustellen, weil bereits die vorher dargestellten Gesetzesverletzungen die Aufhebung des Schuldspruches erfordern.

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