OGH 13Os201/96

OGH13Os201/968.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Jänner 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Rouschal, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Heißenberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johanna M***** und einen anderen Beschuldigten wegen der Vergehen der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Juni 1996, GZ 12e E Vr 11468/95-10, und weitere Vorgänge in diesem Verfahren nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Weiß, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren 12 e E Vr 11.468/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verletzt

1. § 41 Abs 2 StPO: der Beschluß vom 11.Juni 1996, ON 10, ebenso wie die Durchführung der Hauptverhandlung vom 13.Juni 1996 gegen Johanna M*****, die Urteilsfällung und die Zustellung der Urteilsausfertigung zur Ausführung der angemeldeten Berufung an die bezeichnete Beschuldigte;

2. § 238 Abs 1 StPO: die Unterlassung der Entscheidung über den Antrag der Beschuldigten Johanna M***** auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers in der Hauptverhandlung vom 13.Juni 1996.

Gemäß § 292 letztem Satz StPO werden der Beschluß des bezeichneten Gerichtes vom 11.Juni 1996, ON 10, sowie das gegen Johanna M***** ergangene Urteil vom 13.Juni 1996, GZ 12 e E Vr 11.468/95-12, aufgehoben und die Erneuerung des Verfahrens im Umfang der Aufhebung angeordnet.

Mit ihrer Berufung wird Johanna M***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In dem beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 12 e E Vr 11.468/95 gegen Johanna und Franz M***** wegen § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB geführten Verfahren wurde den Beschuldigten die Ladung zu der vom Einzelrichter für 13.Juni 1996 anberaumten Hauptverhandlung am 15. Mai 1996 durch Hinterlegung zugestellt. Am 7.Juni 1996 langte bei diesem Gericht deren Antrag vom 4.Juni 1996 auf Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers ein, der vom Einzelrichter am 11.Juni 1996 abgelehnt wurde, weil im Verfahren kein Verteidigerzwang bestehe und der Antrag zu spät gestellt worden sei (ON 10). Dieser Beschluß wurde den Beschuldigten am Tag der Hauptverhandlung (durch Hinterlegung) zugestellt.

In dieser Hauptverhandlung wurde das Verfahren gegen Franz M***** gemäß § 57 StPO ausgeschieden, weil er nicht erschienen war, und die Hauptverhandlung gegen Johanna M***** durchgeführt. Sie beantragte dabei neuerlich die Bestellung eines Verteidigers im Rahmen der Verfahrenshilfe. Der Einzelrichter entschied über diesen Antrag nicht, sondern verwies lediglich auf den zum ersten (schriftlichen) Antrag ergangenen Beschluß. Die Hauptverhandlung, in der unter anderem der bestellte Buchsachverständige sein vorher schriftlich erstelltes Gutachten vortrug, ergänzte und erörterte, wurde ohne Verteidiger durchgeführt und auf dieser Grundlage gegen Johanna M***** ein Schuldspruch wegen § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB gefällt (ON 11 und 12).

Noch am selben Tag meldete sie Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an. Die Ausführung dieser Rechtsmittel wurde nach Urteilszustellung (durch Hinterlegung) an sie am 19.August 1996 am 25. September 1996 zur Post gegeben. Das Oberlandesgericht hat darüber noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Durch das Vorgehen des Einzelrichters wurde, wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, das Gesetz mehrfach verletzt.

Ist nämlich ein Beschuldigter außerstande, ohne Beeinträchtigung des zu einfacher Lebensführung notwendigen Unterhaltes die Kosten der Verteidigung zu tragen, so ist ihm auf sein Verlangen für die Hauptverhandlung ein Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er nicht zu tragen hat, wenn und insoweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist (§ 41 Abs 2 StPO). Das Gesetz führt dazu jene Fälle an, in denen die Beigebung eines (solchen) Verteidigers jedenfalls erforderlich ist; so bei schwieriger Sach- und Rechtslage und zur Ausführung eines angemeldeten Rechtsmittels (§ 41 Abs 2 Z 2 und 4 StPO). Das Gesetz erfaßt damit insbesondere Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz, weil für das Verfahren vor dem Schöffen- oder Geschwornengericht ohnehin die spezielle Bestimmung des § 41 Abs 2 Z 1 iVm § 41 Abs 1 Z 1 StPO gilt.

Zwar hat der Beschuldigte (Angeklagte, Betroffene) die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers so rechtzeitig zu verlangen, daß dadurch das Verfahren grundsätzlich nicht verzögert wird (vgl Mayerhofer/Rieder, StPO3, E 29 und 30 zu § 41; siehe auch § 44 Abs 2). Die Ablehnung eines Antrages auf Bestellung eines Verteidigers als verspätet kann jedoch nur dann erfolgen, wenn dieser Antrag offenbar nur zur Verzögerung des Verfahrens gestellt wird (vgl Mayerhofer StPO4 Anm zu E 29 zu § 41).

Im vorliegenden Fall war die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers - der nicht wegen der Einkommenslage der Beschuldigten abgelehnt wurde - auf Grund des Inhaltes des gestellten Strafantrages und im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung in der Hauptverhandlung erforderlich, wie schon die Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens eines Buchsachverständigen und dessen Erörterung der Sachlage zeigt. Schon die Ablehnung des darauf zielenden Antrages der Beschuldigten vom 4. (eingelangt am 7.)Juni 1996 war daher gesetzwidrig.

Aber auch durch die Unterlassung der Entscheidung über den in der Hauptverhandlung gestellten (neuerlichen) Antrag der Beschuldigten Johanna M***** auf Bestellung eines Verteidigers im Rahmen der Verfahrenshilfe wurde das Gesetz verletzt. Gemäß § 238 Abs 1 StPO ist über im Laufe der Hauptverhandlung über einzelne Punkte des Verfahrens gestellte Anträge, auch wenn der Vorsitzende dem unbestrittenen Antrag einer Partei nicht stattzugeben findet, sofort zu entscheiden. Der Hinweis auf einen bereits über seinerzeitige Anträge vor der Hauptverhandlung gefaßten Beschluß - der noch dazu ohne Rechtsmittelbelehrung (s RSb-Brief S 1a) zugestellt wurde - vermag diesfalls eine solche Entscheidung nicht zu ersetzen, wozu noch kommt, daß der (rechtlich verfehlte) Beschluß noch gar nicht (wegen der Hinterlegung erst am selben Tag) bekannt sein konnte und keinesfalls rechtskräftig war (s § 41 Abs 7 StPO).

Die Verweigerung eines Verfahrenshilfeverteidigers auf Grund des schriftlichen Antrages beider Beschuldigten gereicht diesen ebenso zum Nachteil wie die Unterlassung der Entscheidung über den in der Hauptverhandlung von Johanna M***** gestellten gleichgerichteten Antrag (s Mayerhofer StPO4, ENr 34 zu § 41) und in Konsequenz dessen die ohne Verteidigerbeiziehung durchgeführte Hauptverhandlung und Urteilsfällung sowie die Zustellung der Urteilsausfertigung zur Rechtsmitteldurchführung an die Beschuldigte selbst. Gemäß § 292 letztem Satz StPO war daher mit Kassierung der bezeichneten Verfahrensschritte und der Anordnung der Erneuerung des Verfahrens (einschließlich einer neuen Entscheidung über den Antrag ON 9) in diesem Umfang vorzugehen.

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