Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 8.10.1946 geborene Kläger absolvierte nach dem Besuch der Volksschule eine dreijährige Lehrausbildung zum Tischler, die er erfolgreich abschloß. Er arbeitete in der Folge jedoch nur kurzzeitig in diesem Beruf; in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.11.1993) war er überwiegend als Hilfszimmerer tätig. Diese überwiegend nach Anweisung von Fachkräften geleistete Tätigkeit erfordert ua mittelschwere und schwere Arbeiten, die das Leistungskalkül des Klägers übersteigen.
Auf Grund seines vom Erstgericht im einzelnen festgestellten Zustandsbildes (insbesondere Hämorrhoidalbildung und Vernarbung nach mehrfacher Operation [Analfistel mit deutlicher Schwäche des äußeren Analschließmuskels]), sind dem Kläger nur mehr leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen zumutbar, wobei es auf die Reihenfolge der Körperhaltung nicht ankommt. Arbeiten können nur mit Modelleinlagen geleistet werden. Nicht zumutbar sind Tätigkeiten mit feinmotorischen Bewegungsabläufen, Arbeiten an exponierten Stellen, die Benützung von Steighilfen, weiters Arbeiten, welche in ihrer zeitlichen und psychischen Belastung Akkord- und Fließbandarbeiten entsprechen, Tätigkeiten mit einem forcierten Arbeitstempo, Arbeiten bei Kälte und Nässe, sowie Arbeiten, die mit der Inhalation von chemisch-physikalischen Reizen verbunden sind. Zumutbar sind das Heben leichter Lasten sowie ein normaler zeitlicher Tätigkeitsablauf. Auf den Anmarschweg ist nicht Bedacht zu nehmen. Eine Umschul- und Anlernbarkeit ist nicht mehr gegeben. Der Kläger ist jedoch den üblichen Arbeitsanweisungen dann noch gewachsen, wenn die Verweisungstätigkeiten in inhaltlicher, struktureller und intellektueller Sicht keine größeren Anforderungen stellen als die bisher geleisteten Tätigkeiten. Ein Einsatz in Produktions- und Fertigungsbetrieben ist nicht möglich. Verbale Kontaktberufe können dann geleistet werden, wenn sie sich auf sporadisch zu erteilende einfache Auskünfte beschränken.
Pro Jahr muß mit Krankenständen im Gesamtausmaß von 6 Wochen gerechnet werden.
Der Kläger ist verweisungsfähig und könnte noch die Tätigkeit eines Boten im Innendienst ausüben. Ein solcher besorgt anfallende Hilfsdienste, überbringt Schriftstücke innerhalb des Betriebes und ähnliches. Er arbeitet somit die ganze Arbeitszeit über in geschlossenen Räumen, dauernd (über zwei Drittel der Arbeitszeit) im Gehen, unterbrochen durch fallweises Stehen und Sitzen. Die körperliche Belastung ist dabei eine leichte. Nennenswerte Arbeiten in besonderen Körperhaltungen (wie in gebückter Haltung oder über Kopf) werden nicht abverlangt. Weder Arbeiten unter besonderem Zeitdruck noch in forciertem Arbeitstempo noch Arbeiten an exponierten Stellen kommen vor. Die beim Kläger bestehende deutliche Gangstörung führt nur zur Einschränkung, daß Arbeiten an exponierten Stellen ausgeschlossen sind; ihm ist aber durchaus zumutbar, mehr als zwei Drittel des Arbeitstages Arbeiten im Gehen zu verrichten, weil die Gangstörung nur ataktischer Natur ist, dh daß der Kläger unsicher wird, wenn er die Augen schließen würde. Er gleicht dies aber dadurch aus, daß er einen breitbeinigen Gang hat und außerdem mit den Augen seinen Gang kontrolliert. Arbeitsplätze für einen Boten im Innendienst kommen im Bundesgebiet in einer ausreichenden Zahl vor und sind der bisherigen Berufsarbeit des Klägers auch sozial gleichwertig.
Mit dem bekämpften Bescheid wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab.
Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht wiesen das gegen diesen Bescheid gerichtete Klagebegehren ab. Das Erstgericht beurteilte den einleitend zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß die Anspruchsvoraussetzungen des Klägers nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen seien. Da er noch die Tätigkeit eines Boten im Innendienst ausüben könne, läge Invalidität im Sinne dieser Bestimmung nicht vor.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es ausführte, daß sowohl die Beweis- als auch die Rechtsrüge in der Berufung des Klägers nicht gesetzmäßig ausgeführt seien; letztere gehe nämlich nicht von den getroffenen Feststellungen bzw dem festgestelltem Leistungskalkül, sondern von einem verfahrensfremden Beschwerdebild aus.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene, auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte, gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige und von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
1. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Rechtsrüge in der Berufung gehe nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, und sei daher nicht gesetzmäßig ausgeführt, muß nach der ständigen Rechtsprechung des Senates als Mangel des Berufungsverfahrens bekämpft werden, damit der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht werden kann (SSV-NF 5/18, 10 ObS 25/95, 10 ObS 40, 41/96, 10 ObS 2085/96g). Einen solchen Verfahrensmangel zweiter Instanz rügt die Revision zutreffend gleich zu Beginn ihres Rechtsmittels; daß dieser Revisionsgrund (§ 503 Z 2 ZPO) dabei nicht ausdrücklich genannt ist, schadet gemäß § 84 Abs 2 2. Satz ZPO nicht. Tatsächlich hatte der Kläger den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - sehr wohl gesetzmäßig ausgeführt (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 9 zu § 471), sodaß dieses auch gehalten gewesen wäre, sich hiermit meritorisch und sachbezogen zu befassen. Da jedoch das Revisionsgericht trotz Vorliegens des in § 503 Z 2 ZPO bezeichneten Grundes das Berufungsurteil nicht aufzuheben findet und eine neuerliche (Berufungs-)Verhandlung zur Erledigung der Sache nicht für notwenig erachtet, ist die Rechtssachezum Zwecke der Nachholung der inhaltlichen Erledigung der Rechtsrüge der Berufung nicht an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, sondern kann der Oberste Gerichtshof vielmehr in der Sache selbst entscheiden (§ 510 Abs 1 ZPO).
2. Es ist nicht strittig, daß die Voraussetzungen der vom Kläger begehrten Invaliditätspension nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sind. In einem solchen Fall ist aber das Verweisungsfeld für Versicherte, die keinen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt haben, mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident (stRsp des Senates: SSV-NF 1/4, 2/34, 3/46, 6/12, 6/56, 10 ObS 2129/96b, 10 ObS 2161/96h uva). Ob der Versicherte auch tatsächlich einen Dienstposten im Rahmen des festgestellten Verweisungsfeldes (hier: als Bote im Innendienst) erlangen kann, ist nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung für die Frage der Berufsunfähigkeit ohne Bedeutung (SSV-NF 1/23, 2/5, 2/14, 6/56, 8/92, 10 ObS 2161/96h). Daß es in diesem Verweisungsfeld österreichweit mehr als 100 Arbeitsplätze gibt, kann als gerichtsbekannt (§ 269 ZPO) unterstellt werden. Soweit behauptet wird, daß er diesen Verweisungsberuf zufolge seiner jederzeit überraschend und ungewollt auftretenden Stuhlentleerungen ("mit voller Hose und mit Windeln") nicht ausüben könne, entfernt er sich von den maßgeblichen Tatsachenfestellungen des Erstgerichtes und bringt insoweit seine Rechtsrüge nicht zur gesetzmäßigen Ausführung. Dies gilt im übrigen auch zur Krankenstandsdauer, sofern - abweichend vom Erstgericht - ausgeführt wird, daß diese 6 Wochen pro Jahr weit überschreiten würde. Die festgestellten Krankenstände von nicht mehr als 6 Wochen jährlich bewirken nämlich ebenfalls keinen Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt (SSV-NF 6/70, 6/82, 7/76, 10 ObS 42/96).
Der Revision war daher aus allen diesen Gründen ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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