OGH 4Ob2310/96a

OGH4Ob2310/96a26.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr.Gamerith als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Monika B*****, Hausfrau, 2. Mag.Gerhard B*****, beide vertreten durch Dr.Helmut Destaller und andere Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Karl W*****, vertreten durch Dr.Alfred Lind und Dr.Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung (Streitwert S 80.000,--), infolge Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 5.Juli 1996, GZ 7 R 18/96k-43, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Gleisdorf vom 19.März 1996, GZ 2 C 672/94f-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 200 Grundbuch ***** P*****. Zum Gutsbestand dieser Liegenschaft gehören Grundstücke, die mit einer Dienstbarkeit des Gehens, Fahrens und Viehtreibens zugunsten (ua) des Grundstückes 160/1 belastet sind. Eigentümer des Grundstückes 160/1 ist Franz W*****; er hat die Liegenschaft dem Beklagten verpachtet. Das Grundstück wird als Obstplantage genutzt.

Mit Kaufvertrag vom 8.7.1931 verkauften Karl und Theresia W***** Johann und Maria F***** (ua) die Grundstücke 160/2 und 58. Punkt 2 des Kaufvertrages lautet:

"Die Käufer räumen den Verkäufern und ihren jeweiligen Nachfolgern am Besitze der Gp. 160/1, 159/1, 158, 161/4 KG P***** das Recht ein, auf dem bereits bestehenden Weg zu fahren und Vieh treiben zu dürfen, und sie bewilligen die Einverleibung dieser Dienstbarkeit auf die genannten Parzellen, sie mögen in welche Grundbuchseinlage immer kommen, zu Gunsten der Verkäufer und ihrer jeweiligen Nachfolger am Besitze der Gp. 160/1, 159/1, 158 und 161/4 KG P***** in EZ 21 KG P*****."

Aufgrund dieser Vertragsbestimmung wurde im Grundbuch folgende Eintragung bewilligt:

"Aufgrund des Kaufvertrages vom 8.7.1931 GRP 81 vom 10.7.1931 wird die Dienstbarkeit des Gehens, Fahrens und Viehtreibens auf dem bereits bestehenden Wege über die Gp. 141, 140/2, 160/2 und 159/2 KG P***** in der neuen EZ 200 KG P***** als dem dienenden Gute zu Gunsten der jeweiligen Eigentümer der Gp 160/1, 159/1, 158 und 161/4 KG P***** als dem herrschenden Gute einverleibt und diese Dienstbarkeit in der EZ 21 KG als dem herrschenden Gute angemerkt."

Das Anwesen der Kläger ist von der Gemeindestraße über einen zuerst in Ost-West-Richtung verlaufenden geschotterten Weg und in der Folge über einen im wesentlichen von Nord nach Süd verlaufenden Weg zu erreichen. Dieser Weg, ein Interessentenweg, ist ebenfalls teilweise geschottert und rund 2 m breit. Er führt in etwa 6 m Entfernung an einem Brunnen mit Handpumpe vorbei. Rund 50 m südöstlich des Anwesens der Kläger zweigt ein Weg nach Südosten ab und führt zu einem Holztor an der südöstlichen Ecke des Grundstückes 160/1 (Zufahrt 1).

Südlich des Hauses der Kläger führt ein Weg nach Osten und zweigt dann in Richtung Süd-Ost zum Brunnen ab. Dort sind Fahrspuren erkennbar, deren gedachte Verlängerung in Richtung Osten zum zweiten nordwestlichen Holztor des Grundstückes 160/1 führt (Zufahrt 2). Die beiden Holztore sind etwa 55 m voneinander entfernt. Die Zufahrt 2 führt über jenen Bereich, in dem das nunmehr mit dem Grundstück 160/2 vereinigte Grundstück 159/2 gelegen war.

Etwa im November 1990 riß der Zweitkläger ein Wirtschaftsgebäude ab, das aus Holz und Stein gebaut war. Er lagerte das Holz etwa im Bereich des Brunnens, das Steinmaterial etwa im Bereich der Zufahrt

2.

Der Beklagte nutzt beide Zufahrten. Es ist ihm dadurch möglich, einen auf dem Interessentenweg abgestellten LKW mit Hilfe eines Traktors und Staplers zu beladen, ohne reversieren zu müssen.

Die Kläger begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, jegliches Befahren ihres Grundstückes 160/2 der EZ 200 KG ***** P***** mit Ausnahme des in der Natur ersichtlichen Servitutsweges entlang der Vermessungsmarken Nr. 30, 29, 16, 17 und 18 zu unterlassen.

Der Beklagte sei seit April 1994 mehrmals nicht über den Servitutsweg, sondern nahezu quer über das Grundstück 160/2 zum Grundstück 160/1 gefahren. Ein allfälliges Servitutsrecht in diesem Bereich sei durch Nichtausübung verjährt.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen.

Er benütze ausschließlich den Servitutsweg. Die Kläger hätten den Servitutsweg im April 1994 abgesperrt und den Beklagten aufgefordert, die Zufahrt 2 zu benützen. Der Beklagte brauche beide Zufahrten und nutze sie auch.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Nach dem Kaufvertrag aus 1931 erstrecke sich die Dienstbarkeit auf beide Zufahrten, weil der darin angeführte Servitutsweg auch über das nunmehr mit dem Grundstück 160/2 vereinigte Grundstück 159/2 geführt habe. Beide Zufahrten seien seit 1931 genutzt worden. Die jeweiligen Eigentümer der Grundstücke 159/2 und 160/1 hätten dieses Recht anerkannt und beachtet. Sie hätten sich bis 1994 nicht in einer Weise der Dienstbarkeit widersetzt, die zur Freiheitsersitzung geführt hätte. Daß die Zufahrt zeitweise durch Holz- und Steinhaufen behindert gewesen sei, reiche nicht aus.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die Freiheitsersitzung setze voraus, daß der Belastete in der Absicht handle, den Berechtigten zu hindern, sein Recht weiter auszuüben. Es stehe unbekämpft fest, daß die Dienstbarkeit des Gehens, Fahrens und Viehtreibens über den Zufahrtsweg 2 bereits mit Kaufvertrag aus 1931 eingeräumt worden sei. Die Kläger hätten nicht behauptet, den Holzhaufen in der Absicht gelagert zu haben, den Berechtigten in der Ausübung seines Dienstbarkeitsrechtes zu hindern. Die Frage, ob von 1990 bis 1994 zugefahren werden konnte, sei daher rechtlich unerheblich. Die Kläger hätten die Feststellung unbekämpft gelassen, daß Anna P***** die Zufahrt 2 zumindest bis 1976 genutzt habe. Es sei demnach auch eine Verjährung des Rechtes, die Zufahrt 2 zu nutzen, ausgeschlossen; die übrigen von den Klägern bekämpften Feststellungen seien nicht mehr entscheidungswesentlich.

Die Behauptung der Kläger, daß der Beklagte die Servitut unzulässigerweise erweitert habe, indem er nunmehr zwei Zufahrten nutze, widerspreche dem festgestellten Sachverhalt. Es stehe unbekämpft fest, daß sich die im Kaufvertrag aus 1931 eingeräumte Dienstbarkeit auch auf die Zufahrt 2 erstreckt habe. Auf die Ausführungen der Kläger zur unzulässigen Servitutserweiterung und zur Verlegung des Servitutsweges sei nicht weiter einzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Kläger ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes die Rechtssicherheit gefährdet; sie ist auch berechtigt.

Die Kläger vertreten die Auffassung, daß eine Widersetzlichkeit im Sinne des § 1488 ABGB bereits dann vorliege, wenn ein Hindernis errichtet werde. Die Frage, ob nach dem Kaufvertrag aus 1931 zwei Zufahrten zustehen, sei eine Rechtsfrage. Das Berufungsgericht hätte sich daher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der Beklagte die Servitut unzulässigerweise erweitert habe. Die Entscheidung sei auch aktenwidrig, weil die Kläger die Feststellung bekämpft hätten, daß Franziska P***** die Zufahrt 2 genutzt habe; eine Anna P***** sei nicht vernommen worden.

Dienstbarkeiten können entweder durch schlichten Nichtgebrauch verjähren oder die Freiheit kann nach § 1488 ABGB ersessen werden. Die Verjährung durch Nichtgebrauch beginnt, wenn die an sich mögliche Rechtsausübung unterbleibt und innerhalb der 30-jährigen Verjährungszeit (§ 1479 ABGB; gegenüber den begünstigten Personen des § 1472 ABGB innerhalb der 40-jährigen Verjährungszeit: § 1485 ABGB) auch nicht wieder einsetzt. Bei fortdauernden Servituten ist die letzte Ausübungshandlung entscheidend (SZ 58/98; Schubert in Rummel, ABGB**2 § 1479 Rz 2).

Die Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB setzt voraus, daß der Verpflichtete ein Hindernis errichtet, das die Ausübung des Rechtes für den Berechtigten wahrnehmbar unmöglich macht oder manifest beeinträchtigt; bei Wegservituten genügt es, daß durch die Beeinträchtigung die ungehinderte Benützung des Weges auf gewöhnliche und allgemeine Art unmöglich wird (NZ 1995, 105 mwN; Schubert aaO § 1488 Rz 2 mwN). Daß der Belastete in der Absicht handelt, die Rechtsausübung durch den Berechtigten zu beeinträchtigen oder unmöglich zu machen, ist nicht erforderlich (MietSlg 46.194; s auch SZ 58/98). Aus der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 6 Ob 147/64 folgt nichts Gegenteiliges. Die Entscheidung befaßt sich mit der Frage, ob sich der Verpflichtete auch einer nicht in Anspruch genommenen Dienstbarkeit widersetzen kann. Sie kommt zum Ergebnis, daß die Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB erst mit dem Zeitpunkt der Widersetzlichkeit gegen die tatsächliche Ausübung der Dienstbarkeit und der Nichtgeltendmachung des Rechtes durch drei Jahre beginnt und im bloßen Fortbestehen eines bei der Servitutsbestellung schon vorhandenen Hindernisses keine Widersetzlichkeit im Sinne des § 1488 ABGB liegt.

Die Frage, ob das von den Klägern im Bereich der Zufahrt 2 gelagerte Abbruchsmaterial die Nutzung des Weges manifest beeinträchtigt hat, ist daher für die Entscheidung erheblich. Das Berufungsgericht hätte sich mit der Beweisrüge der Kläger auseinandersetzen müssen. Die Kläger haben die Feststellung bekämpft, daß die Zufahrt 2 in den Jahren 1990 bis 1994 benützbar gewesen sei.

Darüber hinaus haben die Kläger alle Feststellungen bekämpft, aus denen sich ergibt, daß das Zufahren zum Grundstück 160/1 über die Zufahrt 2 nicht aufgrund der seinerzeit in diesem Bereich stehenden Bäume, des Küchengartens und des dort abgestellten Wohnwagens be- bzw. verhindert gewesen und die Zufahrt 2 tatsächlich von Franziska P*****, Anna G*****, Theresia W*****, Franz W***** und Rupert K***** benützt worden sei. Das Berufungsgericht hat sich mit der Beweisrüge nicht weiter befaßt, weil die Kläger die Feststellung unbekämpft gelassen hätten, wonach "Anna" P***** die Zufahrt 2 bis 1976 benutzt habe. Diese Feststellung reiche bereits aus, die Verjährung nach § 1479 ABGB zu verneinen; die übrigen von den Klägern bekämpften Feststellungen seien für die Entscheidung unerheblich.

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes sind aktenwidrig; eine "Anna" P***** kommt im ganzen Akt und insbesondere im Ersturteil nicht vor. Die Feststellung über die Benützung des Weges durch Franziska P***** haben die Kläger aber, wie oben erwähnt, ausdrücklich bekämpft, wenn sie auch insoweit nicht näher ausgeführt haben, warum die Aussage dieser Zeugin unrichtig sein soll.

Unrichtig ist auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, auf die Ausführungen der Kläger zur unzulässigen Erweiterung der Dienstbarkeit nicht eingehen zu müssen. Das Erstgericht hat festgestellt, daß die Dienstbarkeit des Gehens, Befahrens und Viehtreibens auf dem bereits bestehenden Weg über die Grundstücke 141, 140/2, 160/2 und 159/2 zugunsten der Parzelle 160/1 im Kaufvertrag aus dem Jahre 1931 vereinbart worden ist und sich "somit" auch auf die Zufahrt 2 bezogen habe, da bei Benützung des Interessentenweges sowie der Zufahrt 1 allein das (ehemalige) Grundstück 159/2 nicht berührt worden wäre. Diese "Feststellung" folgt aus der Auslegung des Kaufvertrages; sie ist daher in Wahrheit keine Tatsachenfeststellung, sondern rechtliche Beurteilung. Es steht daher auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, unbekämpft fest, daß nach dem Kaufvertrag aus 1931 zwei Zufahrten bestanden. Das Berufungsgericht hätte sich demnach mit der Rechtsrüge befassen müssen, die Dienstbarkeit sei unzulässigerweise erweitert worden. Behauptet haben die Kläger, der Servitutsweg sei zwar eigenmächtig, aber mit ihrer stillschweigenden Billigung verlegt worden, so daß nunmehr nur mehr die Zufahrt 1 zustehe.

Der Revision war daher Folge zu geben. Die angefochtene Entscheidung war aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird die Beweisrüge der Kläger zu erledigen und dann zu beurteilen haben, ob zugunsten des Grundstückes 160/1 an der Zufahrt 2 keine Wegedienstbarkeit mehr besteht, weil der Servitutsweg auf die Zufahrt 1 verlegt wurde oder weil die Zufahrt 2 durch drei Jahre hindurch wegen der Lagerung von Abbruchsmaterial nicht auf allgemeine und gewöhnliche Art genutzt werden konnte oder weil die Zufahrt 2 durch dreißig Jahre hindurch von keinem hiezu Berechtigten befahren wurde. Bei der Beurteilung, ob die Zufahrt 2 während der 30-jährigen Verjährungszeit benutzt wurde, wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß nur eine dem Berechtigten zurechenbare Nutzung die Verjährung hindert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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