OGH 6Ob147/64

OGH6Ob147/6429.7.1964

SZ 37/107

Normen

ABGB §1488
ABGB §1488

 

Spruch:

Die Frist der dreijährigen Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB. beginnt mit dem Zeitpunkt der Widersetzlichkeit gegen die tatsächliche Ausübung der Dienstbarkeit zu laufen.

Entscheidung vom 29. Juli 1964, 6 Ob 147/64. I. Instanz:

Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Mit dem Urteil des Erstgerichtes wurde 1. auf Grund des von dem Beklagten gestellten Zwischenantrages auf Feststellung festgestellt, daß die im C-Blatt der Liegenschaft EZ. 552/II, Katastralgemeinde S., zugunsten der Gp. 366/3 in EZ. 557/II, Katastralgemeinde S., einverleibte Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges an der Westgrenze der Gp. 366/1 in einer Breite von 3 m erloschen ist, 2. das Klagebegehren des Inhaltes, der Beklagte als Eigentümer der Gp. 366/1 in EZ. 552/II, Katastralgemeinde S., sei verpflichtet, die Ausübung der auf Grund des Vertrages vom 11. Juni 1954 im C-Blatt unter OZ. 1 einverleibten Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges an der Westgrenze der Gp. 366/1 in einer Breite von 3 m (das ist vom Westeck der Gp. 366/1 nach dem Stande des Jahres 1954 in 20.90 m Länge nach Nordosten zur R.-Straße) zu gestatten, abgewiesen.

Folgender Sachverhalt steht fest:

Mit Kaufvertrag vom 11. Juni 1954 verkaufte Max R. die Gp. 366/3 an die G. Gesellschaft m. b. H. und belastete dabei zugunsten dieser Grundparzelle die ihm verbliebene Gp. 366/1 mit der verbücherten Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges an der Westseite dieses Grundstückes. Im Jahre 1956 verkaufte er dann auch die belastete Gp. 366/1 an Zaira C., die darauf in den Jahren 1956 und 1957 ein Kinderhotel errichtete und das Grundstück noch im Jahre 1957 mit einem Drahtmaschenzaun umgab, der verhindern sollte, daß sich die Kinder aus dem Grundstück entfernen und fremde Personen auf ihr Grundstück gelangen können. Sie kannte zwar die Belastung mit der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges zugunsten des Eigentümers des Nachbargrundstückes Gp. 366/3, setzte sich aber darüber hinweg, zumal das berechtigte Grundstück nicht verbaut war, sie den Eigentümer nicht kannte und sich bei ihr auch niemand wegen der Behinderung der Ausübung der eingetragenen Dienstbarkeit beschwerte. Im Jahre 1961 verkaufte sie die Liegenschaft an einen gewissen N. Dieser verkaufte sie im Sommer 1962 an den Beklagten, der nunmehr darauf eine Fremdenpension betreibt und den von C. errichteten Drahtmaschenzaun, der die Ausübung der eingetragenen Dienstbarkeit verhindert, belassen hat.

Die G. Gesellschaft verkaufte die noch unbebaute Gp. 366/3 im Jahre 1959 an die I. Ges. m. b. H., deren geschäftsführender Gesellschafter der Kläger war. Anläßlich seines Ausscheidens aus dieser Gesellschaft übernahm der Kläger dieses Grundstück ins Eigentum. In den Jahren 1962 und 1963 errichtete er darauf und auf der westlich anschließenden Gp. 366/2, die er bereits im Jahre 1954 von Max R. erworben hatte, zwei Ferienhäuser. Keiner der bisherigen Eigentümer der Gp. 366/3 hat gegenüber dem Eigentümer der Gp. 366/1 bis zum Herbst 1963 das eingetragene Dienstbarkeitsrecht geltend gemacht. Die Zufahrt zur Gp. 366/3 erfolgte nämlich bisher über den westlich der Gp. 366/2 vorbeiführenden öffentlichen Weg. Beide Grundparzellen waren bis zur Errichtung der Ferienhäuser zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet und erst anläßlich dieser Bauführung gab es die ersten Schwierigkeiten wegen der Zufahrt, weil die Anrainer des westlich gelegenen Weges die Zufahrt der schweren Baufahrzeuge schließlich verhinderten. Um den Bau nicht weiter zu verzögern, vereinbarte der Kläger mit dem Eigentümer der nordwestlich von der Gp. 366/3 gelegenen Gp. 359/1, daß er gegen Zahlung eines hohen Zinses über diese Grundparzelle zufahren dürfe. Erst im Jahre 1962 stellte er fest, daß ihm nach dem Grundbuchstand ein Fahrrecht über die Gp. 366/1 zu dem nordöstlich vorbeiführenden Gemeindeweg zusteht. Ein Weg war dort allerdings nicht errichtet, so daß die Durchfahrt nicht möglich war. Mit Schreiben vom 5. September 1963 wandte sich der Kläger erstmalig wegen der Gestattung der Durchfahrt an den Beklagten. Dieser lehnte jedoch die Ausübung des Durchfahrtsrechtes unter Hinweis auf die eingetretene Verjährung ab.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht dahin, daß es die vom Beklagten erhobene Einrede, wonach die Dienstbarkeit gemäß § 1488 ABGB. durch Nichtgebrauch verjährt sei, für begrundet erachtet. Es genüge nämlich zur Herstellung dieses Verjährungstatbestandes die Aufstellung und der Fortbestand eines die Ausübung der Dienstbarkeit hindernden Hindernisses, ohne daß dabei die Absicht bestehen müsse, sich dadurch der Ausübung der Dienstbarkeit zu widersetzen. Ursache der Verjährung sei nicht der Widerstand, sondern die Nichtausübung des Rechtes; der Widerstand sei nur eine Bedingung für den früheren Eintritt der Verjährung und deshalb sei es auch ohne Bedeutung, aus welchem Grund das Recht bisher nicht ausgeübt worden ist. Da feststehe, daß das Hindernis bereits im Jahre 1957 errichtet und bis jetzt noch nicht entfernt wurde, sei die Dienstbarkeit gemäß § 1488 ABGB. spätestens mit Ablauf des Jahres 1960 verjährt, sodaß wohl das Begehren des Beklagten im Zwischenantrag auf Feststellung, nicht aber jenes des Klägers berechtigt sei.

Infolge der aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens und der Abweisung des vom Beklagten gestellten Zwischenantrages auf Feststellung ab.

Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes fordere das Gesetz im § 1488 ABGB. für die Erfüllung des Verjährungstatbestandes eine Widersetzlichkeit des Verpflichteten. Diese könne nur ein bewußtes Abwehren eines gegnerischen Handelns sein, denn es sei ein Widerstand gegen einen Untätigen nicht denkbar. Es müsse die Absicht des sich Widersetzenden dahin gehen, die Ausübung des Rechtes durch sein Einschreiten dauernd zu verhindern; sie müsse für den Berechtigten auch erkennbar sein, da sonst sein Besitz nicht verlorengehen würde (vgl. § 351 ABGB.). Dies könne aber nur dann der Fall sein, wenn der Berechtigte die Dienstbarkeit tatsächlich ausübe. Übe er sie nicht aus, dann komme ihm auch nicht das Recht zu, die Entfernung des Hindernisses zu verlangen, da er in diesem Fall am nötigen Gebrauch des fremden Grundstückes nicht gehindert werde, und er zufolge des Gebotes der schonenden Ausübung der Dienstbarkeit (§ 484 ABGB.) die Freihaltung des Weges stets nur nach Maßgabe seines tatsächlichen Bedarfes begehren könne. Im vorliegenden Fall sei nun die Servitut bis zum gegenständlichen Streit nie ausgeübt worden, weshalb bis dahin aus den oben dargelegten Gründen ein Widerstand gegen die Ausübung der Dienstbarkeit gar nicht möglich gewesen sei. Erst im Jahre 1963 hatte der Kläger die Gestattung der Durchfahrt und die Entfernung des Zaunes begehrt. Was das Verhalten der Zaira C. betreffe, so habe das Erstgericht nicht angenommen, daß sie die Absicht gehabt habe, die Ausübung der Servitut für dauernd unmöglich zu machen. Sie habe vielmehr das belastete Grundstück eingezäunt, weil die Dienstbarkeit ohnehin nicht ausgeübt wurde, da das herrschende Grundstück für landwirtschaftliche Zwecke verpachtet und zu dieser Bewirtschaftung die Zufahrt über das dienende Grundstück weder notwendig gewesen noch verlangt worden sei. Die Durchfahrt sei überdies nicht allein wegen des Zaunes unmöglich gewesen, sondern auch deshalb, weil kein Weg errichtet wurde. Aus allen diesen Gründen ergebe sich, daß im vorliegenden Fall der Verjährungstatbestand des § 1488 ABGB. nicht gegeben sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Auszugehen ist davon, daß das Erlöschen einer Dienstbarkeit durch bloßen Nichtgebrauch gemäß § 1479 ABGB. eine dreißigjährige und gemäß § 1485 ABGB. bei Dienstbarkeiten juristischer Personen eine vierzigjährige Nichtausübung voraussetzt. Nur dann, wenn sich der Belastete der Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt und der Berechtigte durch drei aufeinanderfolgende Jahre sein Recht nicht geltend macht, verjährt gemäß § 1488 ABGB. das Recht der Dienstbarkeit durch Nichtgebrauch innerhalb von drei Jahren. Dazu führt Ehrenzweig[2] I/2 S. 353/354 aus, daß die Erlöschung durch die sogenannte Ersitzung der Freiheit des Eigentums voraussetzt, daß sich der durch die Dienstbarkeit Belastete der Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt und der Berechtigte "infolgedessen" die Ausübung drei Jahre lang, ohne die richterliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, unterlassen hat. Dies spricht dafür, daß eine Widersetzlichkeit gegen die Ausübung der Dienstbarkeit nur dann vorliegt, wenn sich der verpflichtete Teil der tatsächlichen Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt und daß sich der verpflichtete Teil einer nicht in Anspruch genommenen Dienstbarkeit nicht im Sinne des § 1488 ABGB. widersetzen kann. Im letzteren Fall wird trotz Errichtung eines Hindernisses die Dienstbarkeit erst nach 30 bzw. nach 40 Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt an infolge Nichtausübung verjähren, ab welchem der Berechtigte die an sich mögliche Ausübung der Dienstbarkeit unterlassen hat (§ 1478 ABGB., Klang[2] VI S. 630, Vorbemerkungen zu § 1488 ABGB.). Hingegen beginnt die Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB. erst mit dem Zeitpunkt der Widersetzlichkeit gegen die tatsächliche Ausübung der Dienstbarkeit und der Nichtgeltendmachung des Rechtes durch drei Jahre.

Für die dargelegte Rechtsansicht spricht auch die Entscheidung JBl. 1960 S. 641 insofern, als im bloßen Fortbestehen eines bei der Servitutsbestellung bereits vorhandenen Hindernisses ein Widerstand gegen die Ausübung der Servitut im Sinne des § 1488 ABGB. schon nach der eigentümlichen Bedeutung des Wortes "widersetzt" in dieser Gesetzesstelle nicht erblickt werden kann und der Tatbestand des § 1488 ABGB. erst dann gegeben ist, wenn sich der verpflichtete Teil der Entfernung des Hindernisses widersetzt.

Da sohin für den Kläger bis zur Erbauung der Ferienhäuser überhaupt keine Notwendigkeit bestand, von der ihm zustehenden Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes Gebrauch zu machen und er nach den Feststellungen auch keinen Gebrauch gemacht hat, so läuft zwar ab dem Zeitpunkt der Begründung dieser Servitut (11. Juni 1954) und der damit geschaffenen Möglichkeit der Ausübung der Servitut die dreißigjährige Verjährungsfrist, doch begann trotz Errichtung des Zaunes im Jahre 1957 die dreijährige Frist des § 1488 ABGB. nicht zu laufen, weil darin infolge Nichtausübung der Dienstbarkeit keine Widersetzlichkeit gegen die Ausübung der Dienstbarkeit erblickt werden kann. Die Widersetzlichkeit trat erst mit dem Zeitpunkt ein, als der Kläger die Beseitigung dieses Hindernisses wegen Ausübung seiner Servitut begehrte und der Beklagte dies verweigerte, sohin im September 1963, also zu einem Zeitpunkt, zu welchem die dreißigjährige Frist noch nicht abgelaufen war. Dieser im September 1963 eingetretenen Widersetzlichkeit gegen die Ausübung der Servitut ist der Kläger mit der am 20. November 1963 eingebrachten Klage innerhalb der dreijährigen Frist des § 1488 ABGB. entgegengetreten. Es erweist sich daher, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, aus den oben dargelegten Gründen das Klagebegehren als begrundet.

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