OGH 3Ob2303/96i

OGH3Ob2303/96i9.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elgin G*****, vertreten durch Dr.Johann Fontanesi, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*****, vertreten durch Rechtsanwälte Siemer - Siegl - Füreder & Partner in Wien, wegen Unzulässigkeit einer Exekution, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom 9.Mai 1996, GZ 29 R 138/96b-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 13.März 1996, GZ 3 C 2028/95p-9, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Klagsänderung insgesamt zugelassen wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 39.539,23 bestimmten Kosten des Zwischenstreites (darin enthalten S 6.589,87 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei führte zu 3 E 1237/95 des Bezirksgerichtes St.Pölten gegen die Firma Karl B***** eine Fahrnisexekution, in deren Verlauf eine Reihe von Gegenständen gepfändet wurde.

Dagegen erhob die Klägerin mit der Behauptung, sie sei Eigentümerin dieser Gegenstände, Widerspruch. Sie begehrte das Urteil, die Vornahme der Exekution hinsichtlich dieser Gegenstände sei unzulässig.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 20.2.1996 brachte die Klägerin vor, da ihrem Aufschiebungsantrag in erster Instanz vom Exekutionsgericht nicht stattgegeben worden sei, seien die Gegenstände in der Zwischenzeit veräußert worden. Die beklagte Partei habe aus dem Verkaufserlös S 12.094,80 erhalten; in diesem Umfang sei sie bereichert; der wahre Wert der Gegenstände habe S 629.300,-- betragen. Die Differenz zwischen Verkaufserlös und tatsächlichem Wert mache die Klägerin nunmehr gestützt auf den Titel des Schadenersatzes geltend. Sie begehre daher den Zuspruch des Betrages von S 574.594,80 sA. Zur Substantiierung ihres Vorbringens legte sie eine Urkunde vor, aus der sich bei den insgesamt 22 Postzahlen die Differenz zwischen tatsächlichem Wert und Versteigerungserlös ergibt.

Die beklagte Partei bestritt und sprach sich gegen die Klagsausdehnung aus, "soweit sie die Wertgrenze des Bezirksgerichtes übersteigt."

Das Erstgericht sprach aus, daß "die Änderung der Exszindierungsklage" unzulässig sei. Es handle sich bei der Umstellung der Klage wegen Unzulässigkeit der Exekution auf einen Schadenersatz- bzw Bereicherungsanspruch um eine Klagsänderung im Sinn des § 235 Abs 2 ZPO, die der Einwilligung des Gegners bedürfe. Diese Einwilligung sei ausdrücklich nicht erteilt worden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin teilweise Folge, es sprach aus, daß die Umstellung des Klagebegehrens auf eine Forderung von S 12.094,80 sA zulässig sei. Die darüber hinausgehende Klagsänderung wurde nicht zugelassen. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Wenn es im Protokoll heiße, der Beklagtenvertreter bestreite und spreche sich gegen die Klagsdehnung aus, soweit sie die Wertgrenze des Bezirksgerichtes übersteige, so sei darin keine Einwilligung gemäß § 235 Abs 2 Satz 2 ZPO zu erblicken. Bloß wegen nicht exakter Reihung der Worte im Vorbringen trete nämlich keine Präklusion ein. Eine Zulassung dieser Klagsänderung gemäß § 235 Abs 3 ZPO komme nicht in Betracht. Denn zum einen überschreite die zusätzlich geltend gemachte Schadenersatzforderung die Wertzuständigkeit des Bezirksgerichtes, wobei hier eine spezielle bezirksgerichtliche Eigenzuständigkeit nicht mehr gegeben sei, überdies wäre aufgrund der Klagsänderung auch eine erhebliche Erschwerung und Verzögerung der Verhandlung zu besorgen, weil über einen Exszindierungsprozeß hinausgehend weitergehende Fragen des Schadenersatzrechtes erörtert und geprüft werden müßten.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 235 Abs 2 ZPO bedarf eine Klagsänderung nach Eintritt der Streitanhängigkeit der Einwilligung des Beklagten; mit dieser Einwilligung ist eine Änderung der Klage auch dann zulässig, wenn das Prozeßgericht für die geänderte Klage nicht zuständig wäre, soferne es durch Parteienvereinbarung zuständig gemacht werden könnte oder die Unzuständigkeit nach § 104 Abs 3 JN geheilt wird.

Die in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 20.2.1996 von der beklagten Partei zur Klagsänderung abgegebene Erklärung ist als Prozeßhandlung (prozessuale Willenserklärung; Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 753), auslegungsbedürftig. Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates, daß es bei der Auslegung einer Parteihandlung nicht auf einen etwa verborgenen Willen des Erklärenden, sondern einzig darauf ankommt, wie die Erklärung im Augenblick ihres Zuganges unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände objektiv verstanden werden muß. In diesem Sinn sind die Auslegungsregeln für rechtsgeschäftliche Erklärungen des bürgerlichen Rechts auch auf Prozeßerklärungen anzuwenden (JBl 1993, 792; RZ 1992/8; zuletzt 3 Ob 146/93; Fasching aaO; derselbe in FS Baumgärtl 67 mwN in FN 19). Damit kommt es gewiß nicht auf den (inneren) nicht zum Ausdruck gebrachten Parteiwillen an (5 Ob 117/95), sodaß, weil es auch nach bürgerlichem Recht auf den objektiven Erklärungswert ankommt (ständige Rechtsprechung seit SZ 48/44; Koziol/Welser10 I 90 f), die Rechtsprechung des erkennenden Senates in der Sache selbst weder zu Fasching ZPR2 Rz 757, noch zur Entscheidung 5 Ob 117/95 in einem inhaltlichen Widerspruch steht.

Der objektive Erklärungswert der Prozeßerklärung der beklagten Partei kann nur dahin verstanden werden, daß sie einem auf den Rechtstitel des Schadenersatzes geänderten Leistungsbegehren nicht schlechthin ihre Einwilligung versagt, sondern mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen der Weiterführung des Exekutionsverfahrens bis zur Höhe von S 100.000,-- einverstanden ist.

§ 235 Abs 2 ZPO kennt jedenfalls bei quantifizierbarem Begehren wie zB bei auf Geld gerichteten Schadenersatzansprüchen, die auf den Verlust mehrerer Gegenstände aufgrund eines einheitlich zu beurteilenden Sachverhaltes gegründet werden, keine Teileinwilligung. Die beklagte Partei kann der Ausdehnung und Änderung des Klagebegehrens entweder zustimmen oder die Zustimmung versagen. Keinesfalls kann sie durch eine teilweise Einwilligung die klagende Partei zwingen, zwei Parallelprozesse zu führen. Damit erweist sich ihre Erklärung als nicht in der Prozeßordnung vorgesehen und damit unwirksam.

Das bedeutet aber noch nicht, daß damit schon feststünde, die beklagte Partei habe durch die Abgabe ihrer unwirksamen Prozeßerklärung ihre Zustimmung versagt. Wie Fasching jüngst in FS Baumgärtel 65 ff nämlich nachwies, können auch dort, wo Auslegung einer Prozeßerklärung versagt, durchaus unter Übernahme der für das bürgerliche Recht geltenden Grundsätze (SZ 58/12; Fasching aaO in FN 11; Binder in Schwimann Rz 142 zu § 914 ABGB) unwirksame Prozeßerklärungen umgedeutet werden. Die Umdeutung fehlerhafter Prozeßhandlungen ist ein Instrument zur Verwirklichung des Grundsatzes des Vorranges der Sacherledigung. Sie rechtfertigt sich daher nicht nur aus dem Blickwinkel der Parteien, sondern auch als Konsequenz wohlverstandener Justizgewährung und der Prozeßökonomie im öffentlichen Interesse (Fasching aaO, 67). Daher können auch Sachanträge - außer gegen den ausdrücklichen Willen des Antragstellers - so umgedeutet werden, daß sie unter Zugrundelegung des bisherigen Sachvorbringens einer sachlichen Erledigung zugeführt werden können (Fasching aaO, 69). Die Parteiabsicht ist dabei nach dem in der fehlerhaften Parteihandlung enthaltenen Gesamtvorbringen unter Berücksichtigung der Prozeßlage objektiv zu ermitteln (Fasching aaO 72).

Die beklagte Partei war nach dem objektiven Erklärungswert ihres nicht den Vorschriften der Prozeßordnung entsprechenden Vorbringens durchaus damit einverstanden, über das geänderte Schadenersatzbegehren bis zur Höhe von S 100.000,-- zu verhandeln, selbst wenn eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung mit der Klagsänderung verbunden gewesen wäre. Die Vorschrift des § 55 Abs 3 JN hat zum Ziel, daß durch willkürliche Teileinklagung nicht die Zuständigkeit des Gerichtshofes umgangen wird (SZ 63/213; JBl 1991, 595). Da bei Geltendmachung bloß eines Teiles einer einheitlichen, ziffernmäßig bestimmten Schadenersatzforderung, die insgesamt den Betrag von S 100.000,-- übersteigt, gleichfalls die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichtes nicht gegeben gewesen wäre (ZVR 1996/14), folgt aus der Erklärung der beklagten Partei, daß sie mit der sachlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichtes anstelle des Gerichtshofes erster Instanz durchaus einverstanden war. War dann aber die beklagte Partei bereit, über ein Begehren, das in die Zuständigkeit des Gerichtshofes fiel, zu verhandeln, dann kann ihre nicht der Prozeßordnung entsprechende Erklärung nur in die Richtung gedeutet werden, daß sie der Klagsänderung insgesamt zustimmt.

Ist aber schon aus diesem Grund die Einwilligung zur Klagsänderung gegeben, bedarf es keiner Erörterung mehr, ob durch die im Protokoll über die Tagsatzung enthaltene Formulierung einer zeitlichen Abfolge eines "Bestreitens" und im selben Satz sofort anschließend eine Erklärung zur Klagsänderung nicht ohnedies bereits kraft unwiderlegbarer Vermutung die Zustimmung zu einer solchen Klagsänderung anzunehmen ist (so ausdrücklich 5 Ob 517/93 = JUS 1993/1396; SZ 49/25 gegen EvBl 1992/8, 4 Ob 36/93, 4 Ob 532/95), nicht mehr eingegangen zu werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens gründet sich, da wegen der Einwendung der beklagten Partei ein Zwischenverfahren notwendig wurde, auf §§ 41, 50, 52 Abs 2 ZPO (vgl 1 Ob 572/92 und 1 Ob 531/92).

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