OGH 8ObA300/95(8ObA301/95)

OGH8ObA300/95(8ObA301/95)25.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Walter Zeiler und ADir.Friederike Grasmuk als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien

1. Andreas W*****, 2. Franz W*****, beide vertreten durch Dr.Georg Grießer, Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Hans S***** GesmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Grohmann, Dr.Helmut Paul, Rechtsanwälte in Krems an der Donau, wegen

S 121.456,80 brutto sA und S 330.758,32 brutto sA, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Juni 1995, GZ 10 Ra 53/95-33, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 24.November 1994, GZ 8 Cga 107/93-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt einen Installationsbetrieb für Gas-, Wasser-, Heizungs- und Lüftungsinstallationen mit durchschnittlich 16 bis 20 Mitarbeitern. Da wegen schlechter Auftragslage in den Monaten März und April 1993 zwei Mitarbeiter des Unternehmens vorübergehend freigestellt werden sollten, vereinbarte der Geschäftsführer der Beklagten unter Zuziehung des Betriebsratsvorsitzenden mit den Klägern, daß deren Arbeitsverhältnisse in den genannten Monaten ausgesetzt werden. Aufgrund eines Beschlusses des Betriebsrates kamen die Beteiligten überein, die Aussetzung in Form einer Betriebsvereinbarung zu kleiden, welche folgenden Text hatte:

"Betriebsvereinbarung.

Zwischen der Firmenleitung der Firma Hans S. ... GmbH & Co KG einerseits und dem Arbeiterbetriebsrat obgenannter Firma andererseits wird folgendes vereinbart:

1. Wegen Arbeitsmangel ist es erforderlich, in der Zeit vom 1.3.1993 bis 30.4.1993 eine Arbeitseinschränkung vorzunehmen.

2. Beide Vertragspartner kommen überein, die Arbeitseinschränkung durch Erstellung eines Unterbrechungsvertrages für den gesamten Zeitraum durchzuführen.

3. Der Unterbrechungsvertrag erstreckt sich auf einzelne Dienstnehmer im Betrieb.

4. Jeder vom Unterbrechungsvertrag betroffene Dienstnehmer setzt gemäß dieser Vereinbarung 9 Wochen aus, vom 1.3.1993 bis 30.4.1993.

5. Die Unterbrechungszeit wird für Ansprüche, bei denen die Dienstdauer maßgeblich ist, wie Urlaub, Abfertigung usw. nicht als Unterbrechung gewertet, sondern als Dienstzeit gerechnet. Grundsätzlich jedoch ruhen während der Unterbrechungszeit die gegenseitigen aus dem Dienstverhältnis erwachsenden Rechte und Pflichten des Dienstgebers und Dienstnehmers. Nach Ablauf der Unterbrechungszeit lebt das Dienstverhältnis in vollem Umfang automatisch wieder auf, und zwar so, als wenn keine Unterbrechung stattgefunden hätte.

6. Sollte aus irgendwelchen Gründen nach der Unterbrechungszeit das Dienstverhältnis nicht wieder weitergeführt werden, so gilt als Beendigung des Dienstverhältnisses der erste Unterbrechungstag, und zwar als unberechtigte Entlassung durch den Dienstgeber. Der Dienstnehmer hat Anspruch auf seine vertraglichen Rechte, und zwar so, als wenn er gekündigt worden wäre (Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung, Sonderzahlungen, Abfertigung usw.).

7. Es besteht Einvernehmen darüber, daß Arbeiten, die im eigenen Betriebsbereich von den eigenen Dienstnehmern durchgeführt werden können, nicht an Fremdfirmen vergeben werden.

Die Firma Hans S. ... GmbH & Co KG verpflichtet sich, alle von der Unterbrechung betroffenen Dienstnehmer wieder zu beschäftigen."

Am 26.2.1993, dem Tag der Unterfertigung dieser Betriebsvereinbarung, meldete die Beklagte die beiden Kläger von der Krankenkasse ab. Mit Schreiben vom gleichen Tag gab sie gegenüber beiden Klägern eine Wiedereinstellungszusage für den 1.5.1993 unter Wahrung aller bisher erworbenen Rechte ab. Den Klägern wurden am Beginn der Karenzierungszeit ihre Arbeitspapiere nicht ausgefolgt und es wurde keine Endabrechnung vorgenommen. Beide Kläger suchten vor Beendigung der Karenzierungszeit den Geschäftsführer der Beklagten auf und teilten ihm mit, daß sie die Arbeit bei der Beklagten nicht wieder aufnehmen, sondern bei einem anderen Arbeitgeber ein Dienstverhältnis beginnen würden. Beide Kläger bezogen während der Karenzierungszeit Leistungen nach dem Arbeitslosen-Versicherungsgesetz. Der jeweils neue Arbeitsplatz wurde ihnen jedoch nicht durch die Arbeitsmarktverwaltung vermittelt.

Mit ihren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehrten die Kläger unter Hinweis auf Punkt 6. der Betriebsvereinbarung sowie die Bestimmung des § 9 Abs.7 AlVG Kündigungsentschädigung, Abfertigung, Urlaubszuschuß und Weihnachtsremuneration im Gesamtbetrag von S 121.456,80 brutto sA (Erstkläger) und S 330.758,32 brutto sA (Zweitkläger). Die Beklagte wendete dagegen ein, daß die Erklärung der Kläger, ihre Dienstverhältnisse nach Ablauf der Karenzierungszeit nicht fortsetzen zu wollen, einem unbegründeten vorzeitigen Austritt gleichkomme. Die Betriebsvereinbarung, auf welche die Kläger ihre Ansprüche stützten, sei rechtsunwirksam. Insbesondere widerstreite deren Punkt 6. den guten Sitten, da er eine Knebelung des Arbeitgebers beinhalte. Gegen die Klagsforderung des Erstklägers werde eine Gegenforderung aus Warenlieferungen im Betrag von S 43.116,99, gegen jene des Zweitklägers eine solche im Betrag von S 1.333,-- eingewendet.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß die "Betriebsvereinbarung" unzulässig und rechtsunwirksam sei, da sie nur die beiden Kläger, nicht aber die gesamte Belegschaft oder Arbeitnehmer eines bestimmten Betriebsbereiches oder eines abstrakt umschriebenen bestimmten Arbeitsplatzes betroffen habe. Allerdings sei in dem Übereinkommen eine zulässige arbeitsvertragliche Regelung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Aussetzung des Dienstverhältnisses zu sehen. Bei Auslegung der Vereinbarung seien die §§ 914, 915 ABGB heranzuziehen. Punkt 6. der beiden Karenzierungsverträge widerstreite den guten Sitten, da es damit dem Gutdünken der Kläger überlassen werde, ihre Dienstverhältnisse ohne wichtigen Grund nicht fortzusetzen und dessenungeachtet in den Genuß der gesetzlichen Ansprüche zu kommen. Dieser Vertragspunkt sei entsprechend dem Verständnis der Mehrheit der am Zustandekommen des Vertrages beteiligten Personen teleologisch dahin zu reduzieren, daß die Folgen einer ungerechtfertigten Entlassung nur dann eintreten sollten, wenn das Dienstverhältnis aus in der Sphäre des Arbeitgebers liegenden Gründen nicht weitergeführt würde. Die Auflösung der Dienstverhältnisse durch die beiden Kläger sei daher als unberechtigter vorzeitiger Austritt zu qualifizieren, weshalb die eingeklagten Ansprüche nicht zustünden.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Die Auslegung des Punktes 6. der Vereinbarung dahingehend, daß es im Gutdünken der Kläger gelegen sei, das Dienstverhältnis auch ohne wichtigen Grund nicht fortzusetzen und die Rechtsfolgen einer berechtigten Entlassung in Anspruch nehmen zu können, führe zu einem sittenwidrigen Ergebnis, da die Beklagte der gänzlichen Fremdbestimmung der beiden Kläger ausgeliefert sei. Der strittige Vertragspunkt lasse aber auch eine den guten Sitten nicht widerstreitende Auslegung zu, wonach die Folgen der ungerechtfertigten Entlassung nur dann einzutreten hätten, wenn das Arbeitsverhältnis aus Gründen nicht fortgeführt werde, die in der Sphäre des Arbeitgebers gelegen seien. Diese Auslegung werde durch den Vertragstext gestützt, da das dort verwendete Wort "Entlassung" einen eindeutigen Bezug zur arbeitgeberseitigen Beendigung des Dienstverhältnisses herstelle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision der klagenden Parteien kommt Berechtigung zu.

Durch BGBl 682/1991 wurden mit Wirksamkeit vom 1.1.1992 die Bestimmungen des § 9 Abs.5 bis 7 Arbeitslosen-Versicherungsgesetz 1977 (AlVG) novelliert. Gemäß Abs.5 ist nunmehr eine vermittelte Beschäftigung dem Arbeitslosen auch dann zumutbar, wenn er eine Wiedereinstellungszusage seines früheren Arbeitgebers hat oder er sich zur Aufnahme einer Beschäftigung in der Zukunft verpflichtet hat. Gemäß Abs.6 leg. cit. ist der Arbeitslose zum Ersatz eines allfälligen Schadens, der aus der Nichterfüllung der Einstellungsvereinbarung wegen Antrittes einer anderen Beschäftigung entstanden ist, nicht verpflichtet. Er soll dem früheren Arbeitgeber sein Abstandnehmen vom Wiederantritt der Beschäftigung vor dem Wiederantrittstermin bekanntgeben. Ansprüche aus einem früheren Arbeitsverhältnis, auf die der Arbeitslose anläßlich der Beendigung nur wegen der erteilten Wiedereinstellungszusage oder nur wegen der geschlossenen Wiedereinstellungsvereinbarung verzichtet hat, leben wieder auf, wenn der Arbeitslose dem früheren Arbeitgeber sein Abstandnehmen vom Wiederantritt der Beschäftigung vor dem Wiederantrittstermin bekannntgibt. Werden infolge eines Wiedereinstellungsvertrages oder einer Wiedereinstellungszusage Ansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis nicht oder nicht zur Gänze erfüllt, so werden diese gemäß Abs.7 spätestens zu jenem Zeitpunkt fällig, zu dem der Arbeitnehmer seine Beschäftigung gemäß dem Wiedereinstellungsvertrag (Wiedereinstellungszusage) hätte aufnehmen müssen, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Verjährungs- und Verfallsfristen verlängern sich um den Zeitraum zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem vereinbarten Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Beschäftigung. Durch diese Novelle sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bezieher von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe angebotene zumutbare Beschäftigungen mit der Begründung ablehnen konnten, daß sie bereits einen Einstellungs- bzw. Wiedereinstellungsvertrag hätten. Dadurch war die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsmarktverwaltung eingeschränkt und wurden andererseits die Kosten saisonaler Schwankungen (Saisonende, Auftragsmangel), die in den Bereich des Arbeitgeberrisikos fallen, zunehmend auf die Arbeitsmarktverwaltung überwälzt (AB 321 BlgNR 18.GP, 1; Dirschmied, Neuerungen in der Arbeitslosenversicherung DRdA 1993, 441 ff). Unter diesen Umständen war es ein sachgerechtes Anliegen des Gesetzgebers, die Arbeitsmarktverwaltung von den Kosten saisonaler Schwankungen, die sonst zum typischen Betriebsrisikobereich des Arbeitgebers zählen, zu entlasten. Zur Erreichung des angestrebten Zweckes bedurfte es auch der Regelung materiellrechtlicher Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die mit dem Betriebsrisiko der saisonalen Schwankungen und dem dadurch letztlich entstandenen Anspruch auf Arbeitslosengeld zusammenhängen. Durch die angestrebte Entlastung der Arbeitsmarktverwaltung sollte dem Arbeitnehmer aus der Vermittlung eines neuen Dienstpostens kein Schaden entstehen und sollten seine Ansprüche, die zur Zeit der "Beendigung" des alten Dienstverhältnisses bestanden, gewahrt bleiben. Hiebei ist unerheblich, ob die Parteien von einer unechten oder echten Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses ausgingen und es kommt auch nicht auf die Art der späteren Erklärung, die Arbeit nicht mehr antreten zu wollen, an. Nur dadurch ist im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes eine Gleichbehandlung aller bei saisonalen Schwankungen von Arbeitslosigkeit betroffener Arbeitnehmer gewährleistet, weil es bei gleicher Ausgangslage nicht vom Formulierungsgeschick der Arbeitsvertragspartner abhängen kann, eine Karenzierung oder Unterbrechung der Arbeitsverhältnisse mit den damit verbundenen unterschiedlichen Rechtsfolgen bei den verschiedenartig gestaltbaren Saisonarbeitsverhältnissen anzunehmen (Dirschmied aaO 449). Für die auflösungsabhängigen Ansprüche wie Abfertigung und Urlaubsentschädigung ist maßgeblich, wem die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zuzurechnen ist. Auch bei Aussetzungsvereinbarungen erfolgt die Beendigung der Tätigkeit des Arbeitnehmers in allen Fällen immer über Initiative des Arbeitgebers aus in seiner Sphäre eingetretenen und von ihm zu vertretenden Gründen, die vom Arbeitnehmer nicht beeinflußt werden können; sie sind von dessen Willen unabhängig. Der Arbeitnehmer wird im Hinblick auf den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes mehr oder minder gezwungen, einer Arbeitszusage für die Zukunft gegenüber dem Verlangen auf Erfüllung des Arbeitsvertrages Vorzug zu geben.

Entgegen der nicht weiter begründeten Ansicht des Erstgerichtes ist die gesetzliche Regelung sachlich begründet und es bestehen dagegen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es erfolgt kein ungerechtfertigter Eingriff in schutzwürdige Güter des Arbeitgebers, sondern wird vielmehr die durch arbeitsvertragliche Konstruktionen in Verbindung mit bewußt unrichtigen Erklärungen gegenüber der Arbeitsmarktverwaltung herbeigeführte ungerechtfertigte Überwälzung des Betriebsrisikos auf die Allgemeinheit gemildert und dem Arbeitgeber die arbeitsvertragliche Haftung für das typische Betriebsrisiko nach § 1155 ABGB belassen. Das Vertrauen des Arbeitgebers darauf, daß die ihn aufgrund des Betriebsrisikos treffenden Lasten von der Arbeitsmarktverwaltung getragen werden und er dennoch aufgrund einer Wiedereinstellungsvereinbarung auf den Stammarbeiter bei Bedarf zurückgreifen könne und der Arbeitnehmer sich vertragsgetreu zu verhalten habe, ist nicht schützenswert.

Gemäß § 9 Abs.1 AlVG gilt der arbeitslose Arbeitnehmer nicht nur dann als arbeitswillig, wenn er bereit ist, eine durch das Arbeitsamt vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sondern auch, wenn er von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch macht. Die Voraussetzungen des § 9 Abs.7 AlVG zur Geltendmachung der nicht zur Gänze erfüllten Arbeitnehmeransprüche sind daher auch dann erfüllt, wenn der arbeitslose Arbeitnehmer eine nicht vom Arbeitsamt vermittelte Beschäftigung angetreten und auch zur Zeit der vereinbarten Wiedereinstellung beibehalten hat. Dem Zweck des Gesetzes, Arbeitnehmer mit einer Wiedereinstellungszusage oder -vereinbarung uneingeschränkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, ist auch damit entsprochen (9 ObA 27/95 = RdW 1995, 481).

Den Klägern stehen daher die geltend gemachten Ansprüche zu. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht Feststellungen zu deren Höhe sowie zu Art und Höhe der eingewendeten Gegenforderungen (§ 78 GewO 1859, § 293 Abs.3 EO) zu treffen haben.

Es war daher der Revision im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.

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