OGH 2Ob96/95

OGH2Ob96/957.12.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Edith T*****, vertreten durch Dr.Eduard Saxinger ua Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei E***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Karl Stockreiter, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 150.000,-- sA und Feststellung, infolge außerordentlicher Revision (Revisionsinteresse: S 70.000,-- sA) der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19.Dezember 1994, GZ 15 R 211/94-139, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30.August 1994, GZ 21 Cg 38/93z-132, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes, die hinsichtlich der Bestätigung des das Feststellungsbegehren betreffenden Teiles sowie des Zuspruchs von S 80.000,-- samt 4 % Zinsen seit 21.1.1987 mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen ist, wird im übrigen - Abweisung des Mehrbegehrens von S 70.000,-- samt 4 % Zinsen ab 21.1.1987 und Kosten - aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die *****1966 geborene Klägerin wurde am 11.12.1986 in Wien als in einem Krankenwagen mitfahrende Sanitätshelferin bei einem von Diethard M***** als Lenker seines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs W 368.820 verschuldeten Verkehrsunfall verletzt (HWS-Schleudertrauma).

Mit Klage vom 20.10.1987, eingebracht am 2.11.1987, begehrte die Klägerin zunächst ein Schmerzengeld in Höhe von S 80.000,-- vorbehaltlich des Begehrens späterer Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle zukünftigen Nachteile der Klägerin aus dem genannten Vorfall. Mit dem am 9.5.1989 eingelangten Schriftsatz ON 16 begehrte die Klägerin schließlich die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle Folgen, die sie in Zukunft aus dem Vorfall vom 11.12.1986 erleide.

Der medizinische Sachverständige aus dem Fachgebiet der Neurologie, Univ.Prof.Dr.Kurt J*****, kam in seinem Gutachten vom 3.5.1991, ON 61, zu einem Schmerzkalkül von 0 Tagen starken, 4 Tagen mittleren und 14 Tagen leichten unfallkausalen Schmerzen und gab als Endzeitpunkt dieser Schmerzen den 30.12.1986 an.

In der Folge wurde der Neurologe Dr.Herbert K***** zum Sachverständigen bestellt, welcher in seinem mehrfach korrigierten Gutachten (ON 102, 105, 109) letztlich am 29.9.1993 (ON 112) ein Schmerzkalkül von 14 Tagen schweren, 54 Tagen mittelgradigen und 20 bis 21 Tagen leichten Schmerzen vornahm, wobei er den Endzeitpunkt unfallkausaler Schmerzen mit 26.3.1987 angab und Dauerfolgen ausschloß.

In der Tagsatzung vom 29.9.1993 dehnte die Klägerin aufgrund des letztgenannten Gutachtens zunächst das Leistungsbegehren um S 70.000,-- auf S 150.000,-- aus und schränkte unmittelbar danach um das Feststellungsbegehren ein. Die beklagte Partei erhob hinsichtlich der Klagsausdehnung einen Verjährungseinwand.

Der Neurologe Dr.Heinz G***** ermittelte in seinem Gutachten ON 122, welches in der mündlichen Streitverhandlung vom 31.5.1994 (ON 129) erörtert wurde, ein Schmerzkalkül von 7 Tagen starken, 15 Tagen mittleren und 90 Tagen leichten Schmerzen und legte den Endzeitpunkt der unfallkausalen Schmerzen erst mit Ende des Jahres 1989 fest; weiters diagnostizierte der Sachverständige Dauerfolgen in Form einer Sensibilitätsstörung zweier Finger sowie unfallkausale seelische Schmerzen.

Aufgrund dieses Gutachtens stellte die Klägerin in der Tagsatzung vom 31.5.1994 wiederum ein Feststellungsbegehren auf Haftung der beklagten Partei für alle zukünftigen Folgen aus dem klagsgegenständlichen Unfall.

Die beklagte Partei wandte Verjährung ein.

Das Erstgericht gab dem (ausgedehnten) Schmerzengeldbegehren zur Gänze, dem Feststellungsbegehren zum größten Teil statt. Dabei ging es von folgenden Feststellungen aus:

Der Klägerin wurden durch den Unfall eine Kopfprellung mit Schwellung am linken Jochbein, eine Zerrung der Halswirbelsäule, eine leichte Hüftprellung links und Butunterlaufungen am linken Ober- und Unterschenkel sowie verletzungsbedingt gerafft 7 Tage starke, 15 Tage mittlere und 90 Tage leichte körperliche Schmerzen sowie seelische Schmerzen verursacht, letztere insbesondere dadurch, daß die Klägerin durch die Halswirbelsäulenbeschwerden einer vermehrten Streßbelastung während des Medizinstudiums und der Angst ausgesetzt war, infolge bleibender Beeinträchtigungen die Ausbildung nicht beenden zu können, sowie dadurch, daß die Klägerin mehrere Jahre hindurch an sportlichen Aktivitäten gehindert war. Die Schmerzperioden erstreckten sich bis Ende 1989. Die Klägerin erlitt bei dem Unfall weiters einen Dauerschaden nämlich eine Gefühlsstörung im rechten kleinen Finger und Ringfinger, welche möglicherweise eine berufliche Beeinträchtigung der Klägerin bewirken könnte.

In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht das Feststellungsbegehren wegen des unfallkausalen Dauerschadens als berechtigt, sowie das von der Klägerin zuletzt begehrte Schmerzengeld in der Höhe von S 150.000,-- als den erlittenen köperlichen und seelischen Schmerzen angemessen. Die Verjährungseinreden seien nicht berechtigt, weil die Verjährungsfrist betreffend den Dauerschaden (Feststellung) nicht vor dem Vorliegen des Gutachtens des Sachverständigen Dr.G***** (ON 122) begonnen habe und die Verjährungsfrist betreffend das S 80.000,-- übersteigende Schmerzengeld frühestens mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr.Kögler (ON 102) begonnen habe.

Gegen die Stattgebung des Feststellungsbegehrens und gegen den Zuspruch eines S 25.000,-- übersteigenden Schmerzengeldes erhob die beklagte Partei Berufung.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes in dessen dem Feststellungsbegehren stattgebenden Teil, änderte den Ausspruch über das Leistungsbegehren jedoch dahingehend ab, daß der Klägerin S 80.000,-- samt Zinsen und Kosten zugesprochen, das Mehrbegehren von S 70.000,-- samt Zinsen jedoch abgewiesen wurde; die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme der Feststellung unfallbedingter seelischer Schmerzen der Klägerin, weil im Hinblick auf die zufolge Verjährung teilweise abgewiesene Schmerzengeldforderung der zugesprochene Betrag jedenfalls unter jenem liege, der allein für die körperlichen Schmerzen angemessen sei.

In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Meinung, daß ein Fall, bei dem die Verjährungsfrist erst mit dem Einlangen eines Sachverständigengutachtens beginne, weil ein Laie ohne ein solches die Ursachen und das Ausmaß des Schadens nicht zu erkennen vermöge, bloß hinsichtlich des Feststellungsbegehrens vorliege. Da die Klägerin erstmals aufgrund des vom Erstgericht seinen Feststellungen zugrundegelegten Gutachtens Dris.G***** Kenntnis vom Vorliegen eines unfallkausalen Dauerschadens und somit eines Schadens im Sinn des § 1489 ABGB erlangt habe, sei ihr Feststellungsbegehren nicht verjährt. Das ausgedehnte Schmerzengeldbegehren (S 70.000,-- samt Anhang), das weit nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist gestellt worden sei, sei jedoch verjährt, weil dieser Teil des Schmerzengeldes für keine "neuen Wirkungen des Schadenfalles" bzw für keinen "unvorhersehbaren neuen Schaden" begehrt worden sei, sodaß auch keine Verjährungsfrist neu zu laufen beginnen habe können.

Gegen die Abweisung des Begehrens auf Zahlung weiterer S 70.000,-- samt Anhang richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu es als unbegründet abzuweisen.

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist im Sinne eines Antrages auf Aufhebung, welcher als in einem Antrag auf Abänderung inkludiert anzusehen ist, auch berechtigt.

Die Klägerin macht in ihrem Rechtsmittel geltend, sie sei mit ihrem Feststellungsbegehren letztendlich durchgedrungen, sodaß es zu einer Unterbrechung der Verjährung hinsichtlich des ausgedehnten Leistungsbegehrens gekommen sei. Weiters habe sie die Klage bereits etwa elf Monate nach dem Unfall bei Gericht eingebracht, die tatsächlichen Schmerzen hätten jedoch weit über diesen Zeitraum hinaus angedauert. Sie habe erst anläßlich der Erörterung der Gutachten des Sachverständigen Dr.K***** am 29.9.1993 bzw des Sachverständigen Dr.G***** Kenntnis von der kausalen Verursachung ihrer langwierigen Schmerzen durch den Unfall erlangt, sodaß erst ab diesem Zeitpunkt die Verjährung des Mehrbegehrens zu laufen begonnen habe.

Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Den Ausführungen der Klägerin hinsichtlich der Kenntnis der kausalen Verursachung ihrer Schmerzen kann nicht gefolgt werden.

Die Ausdehnung des Leistungsbegehrens um S 70.000,-- erfolgte am 29. September 1993 aufgrund des Sachverständigengutachtens Dris.K*****, der den Endtermin der unfallkausal verursachten Schmerzen mit 26.3.1987 annahm. Dieser Zeitpunkt liegt jedoch vor dem Tag, an dem die Klage verfaßt wurde (20.10.1987). Die Klägerin ging daher bei der Ausdehnung des Leistungsbegehrens nur von solchen Schmerzen aus, die sie schon im Zeitpunkt der Verfassung der Klage als kausal verursacht ansah. Das Gutachten Dris.K***** bestätigte somit bloß die vorhandene Annahme der Kausalität und wich nur hinsichtlich der Bewertung der kausal verursachten Schmerzen von der Klage in einer für die Klägerin günstigen Weise ab. Eine neue Verjährungsfrist hat daher bezüglich des ausgedehnten Begehrens nicht zu laufen begonnen.

Der Verjährungseinwand der beklagten Partei ist aber deshalb unberechtigt, weil die Klägerin am 9.5.1989 ein Feststellungsbegehren erhoben hat. Im Falle der Erhebung eines Feststellungsbegehrens für künftige Schäden ist nach herrschender Lehre (Schubert in Rummel2, Rz 7 zu § 1497; Apathy, Kommz EKHG, Rz 34 zu § 13;

Jarosch-Müller-Piegler-Danzl, Schmerzengeld6, 200; a.M.Mader in Schwiman, Rz 17 zu § 1497) und ständiger Rechtsprechung (7 Ob 531/91;

2 Ob 513/95 mwH) eine Ausdehnung des Schmerzengeldbegehrens nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist auch dann zulässig, wenn die Klagsausdehnung nicht auf neue Schadenswirkungen, sondern lediglich auf die Ergebnisse eines für den Kläger günstigen Sachverständigengutachtens gestützt wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, zumal bei aufrechtem Bestand des erst danach zurückgezogenen Feststellungsbegehrens ausgedehnt wurde. Es ändert nichts an der Unterbrechung der Anspruchsverjährung, daß das Feststellungsbegehren gleichzeitig mit der Ausdehnung des Leistungsbegehrens zurückgezogen wurde, weil eine Unterbrechung der Verjährungsfrist auch dann stattfindet, wenn ein berechtigtes Feststellungsbegehren deshalb zurückgezogen wird, weil im Lauf des Verfahrens Umstände eintreten, welche die Geltendmachung aller Ansprüche mit Leistungsklage ermöglichen (2 Ob 59/94).

Das Berufungsgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren auch mit den seelischen Schmerzen auseinanderzusetzen haben, was es bisher - auf Grund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht hinsichtlich der Verjährung - nicht getan hat. (Die Berücksichtigung seelischer Schmerzen bedarf im allgemeinen zwar weder konkreter Behauptungen noch Beweiserhebungen. Auf seelichse Schmerzen ist vielmehr Bedacht zu nehmen, wenn nach Lage des Falles mit solchen zu rechnen ist (Jarosch-Müller-Piegler-Danzl, aaO, mwN). Von den Tatsacheninstanzen festgestellte Umstände, die für den Eintritt seelischer Schmerzen sprechen, können jedoch bei Beurteilung, ob nach Lage des Falles mit derartigen Schmerzen zu rechnen ist, nicht unberücksichtigt bleiben. Das Berufungsgericht wird sich daher mit den vom Erstgericht getroffenen, in der Berufung bekämpften Feststellungen über seelische Schmerzen auseinandersetzen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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