OGH 2Ob513/95

OGH2Ob513/959.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj.Alexandra L*****, vertreten durch Dr.Ernst Hagen und Dr.Günther Hagen, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagte Partei Christine W*****, vertreten durch Dr.Herwig Medwed, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 239.000 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 23.September 1994, GZ 6 R 80/94-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 28.Dezember 1993, GZ 24 Cg 320/92b-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes, die hinsichtlich der Bestätigung der Abweisung des Begehrens auf Zahlung von S 69.000 samt 4 % Zinsen seit 14.12.1993 und hinsichtlich eines weiteren Zuspruches von S 20.000 samt 4 % Zinsen seit 10.7.1990 mangels Anfechtung als Teilurteil in Rechtskraft erwachsen ist, wird im übrigen - Bestätigung der Abweisung des Begehrens auf Zahlung von S 100.000 samt 4 % Zinsen seit 14.12.1993 und Kosten - aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die am 14.10.1986 geborene Klägerin wurde am 1.1.1990 vom Hund der Beklagten gebissen und schwer verletzt.

Mit der am 3.7.1992 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin aus prozeßökonomischen Gründen vorerst ein Schmerzengeld von 50.000 S vorbehaltlich späterer Ausdehnung und eine Entschädigung nach § 1326 ABGB von S 20.000; weiters begehrte sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Nachteile, die die Klägerin aus dem Vorfall vom 1.1.1990 in Hinkunft erleide.

Die Beklagte anerkannte "das Leistungsbegehren" dem Grunde nach, sie erachtete aber ein Schmerzengeld von lediglich 40.000 S einschließlich der psychischen Alteration für angemessen; die Berechtigung des Feststellungsbegehrens und einer Entschädigung nach § 1326 ABGB wurden bestritten.

In dem am 1.9.1993 beim Erstgericht eingelangten Gutachten der Sachverständigen Dr.K***** wurden der Klägerin 33 Tage starke, 20 Tage mittelstarke und 51 Tage leichte Schmerzen attestiert, wobei die starken Schmerzen innerhalb des ersten Halbjahres nach dem Unfall und die mittelstarken und leichten Schmerzen innerhalb eines Jahres nach dem Unfall zu erdulden waren. In der Verhandlung vom 13.12.1993 dehnte die Klägerin ihr Begehren um S 169.000 an Schmerzengeld für psychische Schmerzen laut Gutachten Dris.K***** samt 4 % Zinsen seit 14.12.1993 aus.

Die Beklagte erhob hinsichtlich des ausgedehnten Betrages die Einrede der Verjährung.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt und sprach der Klägerin ein Schmerzengeld von 50.000 S samt 4 % Zinsen seit 10.7.1990 zu, das Begehren auf Zahlung eines weiteren Betrages von 189.000 S samt Anhang (umfassend S 169.000 S Schmerzengeld und 20.000 S Entschädigung nach § 1326 ABGB) wurden abgewiesen.

Dabei ging das Erstgericht von folgenden Feststellungen aus:

Die Klägerin erlitt durch den Biß des Hundes der Beklagten multiple Bißverletzungen im Gesicht. Sie hatte rein körperlich drei Tage starke, fünf Tage mittlere und acht bis zehn Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Bei den Bißverletzungen handelt es sich im wesentlichen um Rißquetschwunden, nach deren Abheilung ein körperlches Schmerzgeschehen nicht mehr anzunehmen ist.

Der Klägerin sind multiple Narben im Bereich der linken Gesichtshälfte verblieben, die in Ruhe nur aus der Nähe zu sehen sind, da sie zur Hautfarbe abgeblaßt und im Hautniveau liegen. Bei lebhaften Gesichtsbewegungen, wie zB beim Lachen oder schnellen Sprechen zeigen diese Narben, vor allem bei seitlicher Betrachtung, eine deutliche Furchung der Gesichtsoberfläche, so daß eine deutliche Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes der Klägerin gegeben ist. Es ist anzunehmen, daß sich das Narbenbild im Zuge des weiteren Wachstums der Klägerin weiter normalisieren wird, doch kann eine endgültige Aussage darüber noch nicht getroffen werden. Kosmetische Operationen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig nicht erforderlich, sie können aber nicht ausgeschlossen werden. Funktionsbeeinträchtigende Dauerfolgen sind nicht gegeben.

Zu diesen physischen Schmerzen kommen psychische Schmerzen der Klägerin und zwar starke psychische Schmerzen in der Dauer von 33 Tagen für den Zeitraum von sechs Monaten ab dem Unfall; diese sind ausgelöst durch den Unfall selbst, die physischen Schmerzen, die zweimalige Trennung von der Familie und Trennungsangst, Verlassenheitsgefühle, Angst vor Schmerz, Einengung der Bewegungsfreiheit, Verletzung des Körperschemas, dauerhafte Ängstlichkeit, vermindertes Selbstwertgefühl. Mittelstarke Schmerzen sind in der Dauer von 20 Tagen und leichte psychische Schmerzen in der Dauer von insgesamt 51 Tagen anzunehmen, dies über einen Zeitraum von einem Jahr ab Unfall.

Speziell ein Kleinkind empfindet physische und psychische Schmerzen anders und bewältigt diese langsamer als ein Erwachsener, da es körperlich und seelisch noch schutzloser ist. Die körperliche Abwehr und die seelischen Abwehrmechanismen sind noch nicht voll entwickelt bzw ausgebildet, im Bereich der kognitiven Entwicklung fehlt weitgehend das logische Denken, das logische Verständnis, das Erfassen von Zusammenhängen, das Abstraktionsvermögen, Raum- und Zeitbegriff usw. Situationen, die ein Erwachsener aufgrund seiner Persönlichkeitsentwicklung und Lebenserfahrung ohne Schwierigkeiten bewältigen kann, können im Kind Ängste und Hilflosigkeit auslösen.

In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht das Feststellungsbegehren wegen der nicht auszuschließenden Dauerfolgen als berechtigt. Für den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung bestehe zur Zeit noch kein Anlaß, die Klägerin sei durch das zuerkannte Feststellungsbegehren ohnehin abgesichert. Das Schmerzengeld für die von der Sachverständigen Dr.K***** attestierten starken Schmerzen sei mit längstens Juni 1990 fällig gewesen, die Verjährungsfrist ende somit mit Juni 1993. Bezüglich des Schmerzengeldes für die mittelstarken und leichten Schmerzen sei die Verjährung mit Ende 1993 eingetreten. Hinsichtlich dieser Schmerzen könne der Klägerin Schmerzengeld lediglich für die letzten zwei Wochen des Jahres 1993 zugesprochen werden, doch sei dieser geringfügige Betrag im zugesprochenen Betrag von 50.000 S mitberücksichtigt. Ein darüber hinausgehender Anspruch sei jedenfalls verjährt, so daß sich Überlegungen dahingehend, in welchem Ausmaß die von Dr.K***** festgestellten Schmerzperioden zu bewerten seien, erübrigten.

Während der klagsstattgebende Teil dieser Entscheidung in Rechtskraft erwuchs, erhob die Klägerin gegen den abweisenden Teil Berufung.

Das Berufungsgericht sprach der Klägerin einen weiteren Betrag von 20.000 S zu, im übrigen aber bestätigte es das Urteil des Erstgerichtes; die ordentliche Revision wurde nicht für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme jener, daß die Klägerin komprimiert auf den 24-Stundentag an 33 Tagen starke, an 20 Tagen mittelstarke und an 51 Tagen leichte psychische Schmerzen zu erdulden hatte.

Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Meinung, die Feststellungsklage habe nur die Verjährung hinsichtlich aller in diesem Zeitpunkt noch nicht fälligen und daher zukünftigen Schadenersatzansprüche unterbrochen. Die Meinung der Klägerin, bei Erhebung einer Feststellungsklage sei eine Ausdehnung des Schmerzengeldbegehrens, auch wenn es sich nicht auf neue Schadenswirkungen stütze, zulässig, werde zwar auch vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 531/91 vertreten, doch stehe diese Ansicht der generell vertretenen und somit herrschenden Auffassung, daß das Feststellungsbegehren und dessen Unterbrechungswirkung nur künftige Ansprüche erfasse, entgegen. Der Schmerzengeldanspruch, der sich auf die im ersten Jahr nach dem Unfall vom 1.1.1990 erlittenen psychischen Schmerzen beziehe, sei zum Zeitpunkte der Erhebung der Feststellungsklage vom 3.7.1992 kein künftiger Anspruch gewesen. Soweit die psychischen Schmerzen im mit der Leistungsklage geltend gemachten Betrag von 50.000 S Deckung finden, seien sie ohnehin zuerkannt worden, die darüber hinausgehenden Ansprüche seien verjährt. Insoweit bedürfe es auch keiner Feststellungen über Schmerzperioden bezüglich der psychischen Alteration, dem auch das Gebot, das Schmerzengeld global zu bemessen, entgegenstehe.

Das Berufungsgericht verneinte auch das Vorliegen eines Anerkenntnisses der Beklagten. Die Prozeßerklärung der Beklagten, das Leistungsbegehren dem Grunde nach anzuerkennen, sei objektiv nur dahingehend auszulegen, daß sich diese Prozeßerklärung auf den erhobenen Leistungsanspruch von 50.000 S erstrecke, nicht aber auf die Haftung als solche; Gegenstand des Anerkenntnisses sei ja das Klagebegehren, es beziehe sich daher immer nur auf den gerade aktuellen Anspruch. Eine Weiterwirkung auf noch nicht geltend gemachte Ansprüche sei vom Wortlaut der Erklärung nicht gedeckt.

Der Schmerzengeldanspruch sei daher im Umfang seiner Ausdehnung (S 169.000 sA) verjährt.

Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes vermeinte das Berufungsgericht aber einen Anspruch der Klägerin für Verunstaltungsentschädigung in der Höhe von S 20.000 als berechtigt. Die angefochtene Entscheidung wurde daher insoweit abgeändert und der Klägerin ein weiterer Betrag von S 20.000 zugesprochen.

Gegen die Abweisung des Begehrens auf Zahlung weiterer 100.000 S samt Anhang richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß ihr ein weiterer Betrag von 100.000 S zugesprochen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, sie ist im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.

Die Klägerin macht in ihrem Rechtsmittel geltend, es sei unrichtig, daß die Kenntnis des psychischen Schadens bereits mit Eintritt des körperlichen Schadens erfolgt sei. Erst aufgrund des Gutachtens Dris.K***** sei es möglich gewesen, den Schaden zu erkennen und die Schmerzengeldansprüche entsprechend zu präzisieren. Gerade Schmerzengeldansprüche von Kleinkindern könnten oft erst nach Vorliegen eines entsprechenden Gutachtens präzisiert werden, weil diese psychische Schmerzen nicht entsprechend ausdrücken könnten. Das Gutachten Dris.K***** sei der klagenden Partei am 9.9.1993 zugestellt worden, so daß die Verjährungsfrist erst zu diesem Zeitpunkt begonnen habe.

Weiters habe die Beklagte in der Klagebeantwortung vom 10.9.1992 das Klagebegehren anerkannt, was zur Folge habe, daß die Verjährung gemäß § 1497 ABGB unterbrochen sei. Die Klagsausdehnung sei daher jedenfalls rechtzeitig. Da die Beklagte das Klagebegehren dem Grunde nach anerkannt habe, könne sich das Anerkenntnis nicht auf einen bestimmten Höchstbetrag erstrecken.

Schließlich verstoße die nunmehrige Verjährungseinrede der Beklagten gegen Treu und Glauben, weil die Klägerin aufgrund des Anerkenntnisses Grund zur Annahme hatte, daß eine Verjährung nicht eintrete; sie habe daher keine weiteren Schritte unternommen, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern.

Hiezu wurde erwogen:

Den Ausführungen der beklagten Partei betreffend die Unterbrechung der Verjährung durch Anerkenntnis kann nicht gefolgt werden. Es stimmt zwar, daß für die Verjährungsunterbrechung auch eine Anerkennung dem Grunde nach genügt (2 Ob 20/94; ZVR 1991/72; Schubert in Rummel2, § 1497 Rz 2; Mader in Schwimann, Rz 2 und 6 zu § 1497). Eine Anerkennung kann aber nur zur Unterbrechung der Verjährung hinsichtlich solcher Forderungen führen, die zum Zeitpunkte der Anerkennung auch geltend gemacht wurden. Im vorliegenden Fall war von der Klägerin zum Zeitpunkte des Anerkenntnisses der Beklagten in der Klagebeantwortung lediglich eine Schmerzengeldforderung von 50.000 S geltend gemacht worden, das Anerkenntnis der Beklagten kann sich daher nur auf diese Forderung, nicht aber auf die später erhobene Forderung eines weiteren Schmerzengeldes von 169.000 S beziehen.

Der Verjährungseinwand der Beklagten ist aber deshalb unberechtigt, weil die Klägerin auch ein Feststellungsbegehren erhoben hat. Im Falle der Erhebung eines Feststellungsbegehrens für künftige Schäden ist nach herrschender Lehre (Schubert in Rummel2, Rz 7 zu § 1497;

Apathy, KommzEKHG, Rz 34 zu § 13; Jarosch-Müller-Piegler-Danzl, Schmerzengeld6, 200; aM Mader in Schwimann, Rz 17 zu § 1497) und ständiger Rechtsprechung (7 Ob 531/91; EvBl 1974/110; ZVR 1972/31;

ZVR 1966/57) eine Ausdehnung des Schmerzengeldbegehrens nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist auch dann zulässig, wenn die Klagsausdehnung nicht auf neue Schadenswirkungen, sondern lediglich auf die Ergebnisse eines für den Kläger günstigen Sachverständigengutachtens gestützt wird. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben, so daß die durch Klagsausdehnung geltend gemachte Forderung auf Zahlung eines (weiteren) Schmerzengeldes von 169.000 S nicht verjährt ist.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist daher die vom Erstgericht getroffene Feststellung über die von der Klägerin erlittenen psychischen Schmerzen für die Entscheidung von Relevanz. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Berufungsgericht mit der diesbezüglichen Beweisrüge der beklagten Partei auseinanderzusetzen und sodann eine globale Bemessung des Schmerzengeldanspruches der Klägerin durchzuführen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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