OGH 1Ob29/95

OGH1Ob29/955.12.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang L*****, vertreten durch Dr.Karl Krawagna und Dr.Walter Wolf, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, wider die beklagte Partei Land Steiermark, vertreten durch Dr.Hella Ranner und Dr.Franz Krainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen 54.000 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichts vom 27.März 1995, GZ 4 R 26/95-30, womit infolge von Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 16.Dezember 1994, GZ 9 Cg 6/94-22, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.871,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon 811,84 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 25.Juli 1992 kam der Kläger als Lenker eines Motorrads in der Kehre einer Bundesstraße zum Sturz und erlitt hiedurch einen Sachschaden von 39.000 S und - ein Schmerzengeld von 15.000 S rechtfertigende - Verletzungen. Der Kläger hatte sich mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h der Kehre genähert und kurz davor sein Motorrad durch Betätigung der Vorderradbremse mit 3 m/sek2 auf etwa 50 km/h abgebremst. Er bemerkte den auf der Fahrbahn gestreuten, infolge des Sonnenstands kaum erkennbaren Sand vorerst nicht, jedoch das Gefahrenzeichen nach § 50 Z 10 StVO „Schleudergefahr“ mit dem Zusatz „Rollsplitt“, das Bedienstete der Straßenmeisterei zu knapp - rund 40 m statt richtig etwa 125 m - vor der Gefahrenstelle aufgestellt hatten. Bei den gegebenen Bodenverhältnissen hatte der Kläger die Vorderradbremse zu stark „angetippt“ und kam bei etwa 40 km/h zu Sturz.

Der Kläger begehrte vom Land Steiermark zuletzt 54.000 S sA und brachte hiezu vor, Organe der Straßenmeisterei hätten Schlackensand gestreut, das Gefahrenzeichen „Schleudergefahr“ mit der Zusatztafel „Streusplitt“ jedoch nur 35 m vor der Gefahrenstelle aufgestellt, weshalb er bei seiner Annäherung auf die Gefahr nicht mehr rechtzeitig habe reagieren können und zu Sturz gekommen sei. Die beklagte Partei hafte nach § 1319a ABGB und aus dem Titel des Schadenersatzes nach § 1 AHG, weil ihren - im Rahmen der dem Land obliegenden straßenpolizeilichen Maßnahmen in Kundmachung einer Verordnung - hoheitlich handelnden Organe grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.

Die beklagte Partei wendete, soweit jetzt noch von Belang, neben Unzulässigkeit des Rechtswegs mangelnde Passivlegitimation ein. Das Land sei nicht Straßenerhalter, auch treffe ihre Organe kein Verschulden.

Das Erstgericht verhielt die beklagte Partei, ausgehend von einer dem beiderseitigen Verschulden (zu starkes Antippen der Vorderradbremse und somit ein Fahrfehler des Klägers gegenüber unrichtiger Aufstellung des Gefahrenzeichens) als angemessen erachteten Schadensteilung von 1 : 1, zur Zahlung von 27.000 S sA und wies das Mehrbegehren ab. Es vertrat die Auffassung, die Aufstellung des Gefahrenzeichens sei durch Bedienstete der Straßenmeisterei im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung erfolgt; hiefür hafte das beklagte Land.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinn einer gänzlichen Klagsabweisung ab. Halter einer Bundesstraße sei der Bund und bleibe dies auch, wenn die Bundesstraßenverwaltung im übertragenen Wirkungsbereich organisatorisch vom Land besorgt werde. Für den Ersatz von Schäden, die der Landeshauptmann oder ihm unterstellte Beamte des Landes dabei vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten, hafte der Bund. Mangels Haltereigenschaft könne die beklagte Partei nach § 1319a ABGB nicht in Anspruch genommen werden. Eine Haftung der beklagten Partei nach dem AHG - auch nach dessen § 1 Abs 3 - scheitere daran, daß die Aufstellung eines Gefahrenzeichens nach § 50 Z 10 StVO keine Verordnung voraussetze, nicht unter die unaufschiebbaren Maßnahmen des § 44b StVO falle und deshalb nicht hoheitlich erfolge.

Rechtliche Beurteilung

Der von der zweiten Instanz zugelassenen ordentlichen Revision des Klägers kommt im Ergebnis keine Berechtigung zu.

Der Kläger nimmt das beklagte Land als Wegehalter nach § 1319a ABGB und als Rechtsträger nach § 1 AHG in Anspruch. Grundsätzlich können beide Rechtsgründe nebeneinander bestehen (SZ 41/59; 1 Ob 5/90; Reischauer in Rummel 2, § 1319a ABGB Rz 7; Harrer in Schwimann, § 1319a ABGB Rz 29).

a) Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung sind die Angelegenheiten der wegen ihrer Bedeutung für den Durchzugsverkehr durch Bundesgesetz als Bundesstraßen erklärten Straßenzüge außer der Straßenpolizei (Bundesstraßenverwaltung) nach Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG. Bundessache in Gesetzgebung, Landessache in Vollziehung sind hingegen die Angelegenheiten der Straßenpolizei nach Art 11 Abs 1 Z 4 B-VG; aber auch die Durchführungsverordnungen sind, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, vom Bund zu erlassen (Art 11 Abs 3 B-VG).

Die Instandhaltung von dem Verkehr übergebenen Straßen, auch von Bundesstraßen, fällt im allgemeinen nicht in den Kompetenztatbestand der (hoheitlichen) Straßenpolizei, sondern der Straßenverwaltung und damit in den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung (1 Ob 5/90; 1 Ob 37/87 = NRsp 1988/14; SZ 59/4 ua; Schragel AHG2 Rz 93, 339 und Erg Rz 339; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 93 f mwN; Harrer aaO Rz 10, 29). Die Gebietskörperschaft hat dabei keine andere Funktion zu erfüllen als ein zur Verkehrssicherung verpflichteter Liegenschaftseigentümer. Das jedem Straßenerhalter nach § 98 Abs 3 erster Satz StVO eingeräumte Recht, auch ohne behördlichen Auftrag Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs (§ 31 Abs 1 StVO) anzubringen, gilt zwar nicht für die in § 44 Abs 1 StVO genannten Straßenverkehrszeichen (jetzt auch Bodenmarkierungen), umfaßt aber jedenfalls auch die Kennzeichnung von Verkehrshindernissen durch Aufstellen von Gefahrenzeichen (NRsp 1988/14; SZ 59/4; Schragel aaO Rz 32, 93, 339 mwN und Erg Rz 339). Insoweit ist Grundlage für eine allfällige Haftung des Straßenerhalters § 1319a ABGB.

Vorschriftszeichen dienen der Kundmachung einer Verordnung (§ 44 Abs 1 StVO) und zeigen eine gesetzliche oder verordnete Regelung an; der Normadressat hat sie zu befolgen, ohne sich auf Überlegungen über ihren Grund und Zweck einzulassen. Generelle Anordnungen, mit denen den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben und die Kundmachung durch die entsprechenden Verkehrszeichen verfügt wird, sind dem hoheitlichen Bereich zugeordnet (1 Ob 37/95, 1 Ob 25/94; SZ 56/134 = ZVR 1984/256 mwN ua; Schragel aaO Rz 32). Die Anbringung von Vorschriftszeichen nach § 52 StVO erfolgt als Verordnungskundmachung in Vollziehung der Gesetze; die Kundmachung als integrierender Bestandteil der Hoheitsverwaltung (1 Ob 37/95; SZ 59/4 = JBl 1986, 250 = EvBl 1986/119 = ZVR 1987/40 mwN). Erfolgt aber die Aufstellung von Vorschriftszeichen nach § 52 StVO im Rahmen der Hoheitsverwaltung, führen Fehler bei der technisch einwandfreien Aufstellung entsprechend den bei der Kundmachung zu berücksichtigenden Verkehrsverhältnissen oder bei deren mangelhaften Überwachung zur Amtshaftung (1 Ob 37/95; SZ 62/144 = JBl 1990, 50; Schragel aaO Erg Rz 340).

Das Zeichen „Schleudergefahr“ nach § 50 Z 10 StVO idF der 6.StVO-Novelle ist kein Verbots-, sondern ein Gefahrenzeichen und zeigt Stellen an, auf denen auf der Fahrbahn unter besonderen Verhältnissen Gleitgefahr besteht. Auf einer Zusatztafel kann die Ursache der Gleitgefahr angekündigt werden. Gemäß § 49 Abs 1 StVO kündigen die Gefahrenzeichen an, daß sich in der Fahrtrichtung auf der Fahrbahn Gefahrenstellen befinden. Die Lenker von Fahrzeugen haben sich in geeigneter Weise, erforderlichenfalls durch Verminderung der Geschwindigkeit, der angekündigten Gefahr entsprechend zu verhalten. Nach Abs 2 leg.cit. sind auf anderen Straßen als Autobahnen die Gefahrenzeichen 150 m bis 250 m vor der Gefahrenstelle anzubringen, sofern sich aus § 50 nichts anderes ergibt oder die Verkehrssicherheit eine andere Entfernung verlangt (Abs 3 leg.cit.). Keines der Gefahrenzeichen drückt im Gegensatz zur Rechtslage vor der 6.StVO-Novelle eine Verordnung aus (Benes - Messiner, StVO9 § 49 Anm 4). Soweit daher ein Schaden auf die unterlassene oder wie hier mangelhafte, weil zu knappe Aufstellung von Gefahrenzeichen vor der Gefahrenstelle zurückzuführen ist, löst ein solcher Sachverhalt Amtshaftung deshalb nicht aus, weil damit keine verordnungspflichtigen Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise nach § 43 StVO verordnet werden, sondern nur vor Gefahren gewarnt wird; solche Fehler sind als Verstöße gegen die privatrechtliche Verkehrssicherungspflicht zu beurteilen (1 Ob 37/95).

Hoheitliches Handeln bei der Aufstellung von Gefahrenzeichen könnte bei einem Auftrag der Behörde im Sinne des § 98 Abs 3 zweiter und dritter Satz StVO, Verkehrseinrichtungen iS des § 31 Abs 1 StVO anzubringen oder zu entfernen, mittels Bescheids (Benes-Messiner aaO § 98 Anm 6) in Betracht kommen (Vrba/Zechner aaO 95 f), doch wurde ein solcher bescheidmäßiger Auftrag hier nicht festgestellt.

Die Behauptung des Klägers, daß die Aufstellung eines Gefahrenzeichens nach § 50 Z 10 StVO unter die unaufschiebbaren Maßnahmen des § 44b StVO falle, ist nicht nur eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO), sondern ist auch unzutreffend. Zwar erfolgt die Ermächtigung zu Maßnahmen im Sinn des § 44b StVO, die die Grundlage für im „vereinfachten Verfahren“, also ohne Verordnung und deren Kundmachung, zu verfügende Verkehrsbeschränkungen bietet (1 Ob 21/92), nach herrschender Auffassung in Vollziehung der Gesetze (1 Ob 5/90, EvBl 1978/39; Schragel aaO Rz 32; Vrba/Zechner aaO 95), durch das Aufstellen eines Gefahrenzeichens nach § 50 Z 10 StVO wird aber keine Maßnahme iS des § 44b StVO getroffen, weil mit dem Aufstellen eines Gefahrenzeichens inhaltlich keine Verkehrsbeschränkung im Sinn des § 43 StVO angeordnet wird.

b) Auch wenn die Bundesstraßenverwaltung im übertragenen Wirkungsbereich organisatorisch vom Land besorgt wird (Art 104 Abs 2 B-VG), so bleibt der Bund dennoch Halter (SZ 51/129 = EvBl 1979/9; Reischauer aaO Rz 10; Harrer aaO Rz 10). Im Ergebnis zutreffend und vom Kläger unbekämpft hat daher die zweite Instanz die Passivlegitimation des beklagten Landes für eine Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB verneint, weil in diesem Bereich eine dem § 1 Abs 3 AHG vergleichbare Regelung fehlt und der weite Organbegriff des AHG für die Privatwirtschaftsverwaltung nicht fruchtbar gemacht werden kann.

Demnach kann der Revision kein Erfolg beschieden sein. Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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