OGH 1Ob26/95

OGH1Ob26/9523.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mohammad A*****, vertreten durch Dr.Thomas Prader, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 129.843,60 sA (Revisionsinteresse S 95.843,60 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2.März 1995, GZ 14 R 276/94-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 18.Juli 1994, GZ 32 Cg 1/94-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.086,40 (darin S 1.014,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis erließ gegen den Kläger mit Bescheid vom 22.März 1991 ein Aufenthaltsverbot und gewährte ihm gleichzeitig einen Vollstreckungsaufschub bis 22.Juni 1991. Am 25.März 1991, dem Tag der Bescheidzustellung, wurde der Kläger aus der Schubhaft entlassen. Er fuhr sofort nach seiner Enthaftung - also noch am selben Tag - in das Flüchtlingslager Traiskirchen; dort wurde er am 27.März 1991 mittellos und ohne Papiere aufgegriffen und gemäß § 35 lit b und c VStG um 12 Uhr 30 in Haft genommen. Die Bezirkshauptmannschaft Baden verhängte sodann mit Bescheid vom 27.März 1991 gemäß 5 Abs 1 FrPG „die Schubhaft zur Vorbereitung eines Aufenthaltsverbotes“. Der Behörde war in diesem Zeitpunkt nichts von dem gegen den Kläger bereits erlassenen Aufenthaltsverbot und dem bis zum 22.Juni 1991 gewährten Vollstreckungsaufschub bekannt, weil dieser weder mündlich darauf hingewiesen noch den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vorgelegt hatte. Der Kläger hatte jedoch gegenüber der Behörde klargestellt, daß er keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe, mittellos und in Österreich unsteten Aufenthaltes sei. Er war auch nicht in der Lage, eine Person zu nennen, die für seinen Lebensunterhalt in Österreich aufkommen könnte. Später - am 10.Juni 1991 - gab der Klagevertreter eine entsprechende Verpflichtungserklärung ab.

Am 28.März 1991 führte die Bezirkshauptmannschaft Baden eine den Kläger betreffende „Anfrage über das zentrale EDV-Netz“ durch; das über den Kläger verhängte Aufenthaltsverbot war jedoch noch nicht festgehalten. Erst am 9.April 1991 erlangte die Bezirkshauptmannschaft Baden durch die Übersendung der Akten der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis von dem gegen den Kläger bereits erlassenen Aufenthaltsverbot und dem ihm gewährten Vollstreckungsaufschub Kenntnis. Gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 27.März 1991 erhob der Kläger Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien; dieser erkannte mit Bescheid vom 10.Juni 1991 ua:

„1) Gemäß § 5a Abs.6 Fremdenpolizeigesetz 1954 wird die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Festnahme am 27.3.1991 und die Anhaltung vom 27.3.1991 bis 9.4.1991 richtet, als unbegründet abgewiesen und die Festnahme und Anhaltung als nicht rechtswidrig festgestellt.

2) Gemäß § 5a Abs.6 Fremdenpolizeigesetz 1954 wird der Beschwerde jedoch, soweit sie sich gegen die dem 9.4.1991 folgende Anhaltung richtet, Folge gegeben und die Anhaltung vom 9.4.1991 bis 10.6.1991, 10.15 Uhr als rechtswidrig festgestellt.

Die Haft wird mit diesem Zeitpunkt gem. § 5a Abs.6 letzter Satz formlos aufgehoben.

Hinsichtlich der Kosten ergeht folgende Entscheidung:

1) Der Beschwerdeführer hat gem. § 76 Abs.1 AVG die mit 1.438,-- bestimmten Barauslagen (Dolmetschkosten) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution an den unabhängigen Verwaltungssenat Wien zu bezahlen.

2) Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer gem. § 74 Abs.2 AVG i.V.m. § 79a AVG und § 67c AVG, § 5a Abs.6 FrPG 1954, TP 7 Z 2, TP 2 I Z 1 lit. e und TP 3 A II lit. 1 des Tarifes des BG über den Rechtsanwaltstarif sowie §§ 5 Z 38 lit a und 11 der Autonomen Honorar-Richtlinien die mit 10.212,38 bestimmten Beteiligtenkosten binnen 14 Tagen... zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.“

Gegen die Kostenentscheidung dieses Bescheides erhob der Kläger Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof; dieser hob den Bescheid vom 10.Juni 1991 mit Erkenntnis vom 23.September 1991 „hinsichtlich der Z.2) des Kostenspruches wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes“ auf und wies die Beschwerde im übrigen „als unbegründet“ ab.

Mit Ersatzbescheid vom 8.November 1991 entschied der Unabhängige Verwaltungssenat Wien sodann:

„Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer gemäß § 79a AVG in Verbindung mit §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers über die Pauschalierung der Aufwandersätze vor dem Verwaltungsgerichtshof, BGBl.Nr. 104/1991, die mit S 16.810,- bestimmten Beteiligtenkosten binnen 14 Tagen.... zu ersetzen.“

Dem Kläger entstanden im Beschwerdeverfahren insgesamt Kosten von S 53.653,60; unter Abzug des mit dem Ersatzbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 8.November 1991 zuerkannten Betrages hat er seinem Rechtsvertreter - aufgrund einer vereinbarten Anwendung der Autonomen Honorar-Richtlinien - noch S 36.843,60 zu bezahlen.

Der Kläger begehrte den Zuspruch von S 129.843,60 sA und brachte im wesentlichen vor: Seine Schubhaft vom 9.April 1991 bis 10.Juni 1991 sei, wie der Unabhängige Verwaltungssenat Wien festgestellt habe, rechtswidrig gewesen; er sei daher in seinem Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art.5 EMRK und Art.1 PersFrG verletzt worden und habe insoweit einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens in Höhe von S 93.000 (62 Tage rechtswidriger Haft - S 1.500 je Tag). Außerdem habe ihm die beklagte Partei die im Verwaltungsverfahren nicht zuerkannten Vertretungskosten von S 36.843,60 zu erstatten, die er seinen Vertretern als „zur Rechtsverfolgung notwendige Kosten“ zu ersetzen habe. Die geltend gemachten Ansprüche würden „auch auf das AHG und ABGB gestützt“.

Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein: Die Bezirkshauptmannschaft Baden habe die Schubhaft über den Kläger - vorliegenden Haftgründen entsprechend - zur Vorbereitung eines Aufenthaltsverbotes verhängt. Der Kläger sei nämlich aufgrund wiederholter illegaler Grenzübertritte nach Österreich gekommen und „trotz gewährter Bundesbetreuung“ unsteten Aufenthalts gewesen. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vom 7.Februar 1991 sei festgestellt worden, daß der Kläger nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Die „Vorbereitung eines Aufenthaltsverbotes“ stelle „gegenüber der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes... ein Minus“ dar. Sei aber die Verhängung der Haft „bereits bloß zur Vorbereitung“ zulässig, müsse das „für das bereits verhängte Aufenthaltsverbot umso mehr gelten“. Verfehlt habe der unabhängige Verwaltungssenat die Anhaltung bloß deshalb für rechtswidrig erklärt, weil im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 27.März 1991 „nur auf die Vorbereitung des Aufenthaltsverbotes, nicht (aber) auf dieses selbst Bezug genommen worden“ sei. Bei richtiger Anwendung des Gesetzes hätte der unabhängige Verwaltungssenat vielmehr zu erkennen gehabt, „daß die Anhaltung des Klägers durch den Bescheid der BH Schärding vom 25.1.1991 (Anmerkung: eine vorläufige Verwahrung zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung oder einer Sicherung der Abschiebung betreffend) nicht nur nicht rechtswidrig geworden sei, sondern vielmehr eine Bestätigung seiner Rechtmäßigkeit erhalten“ habe; richtig habe der unabhängige Verwaltungssenat dagegen ausgeführt, daß durch den Kläger eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit habe bewirkt werden können. Der Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates binde das Amtshaftungsgericht nicht. § 190 ZPO werde durch § 11 AHG verdrängt. Teile das Amtshaftungsgericht nicht die Ansicht der beklagten Partei über das Fehlen einer Gesetzesverletzung zu Lasten des Klägers, sei der Verwaltungsgerichtshof „mit einem Feststellungsverfahren zu befassen, ob die über den Kläger ab 9.4.1991 verhängte Haft rechtswidrig gewesen sei oder nicht“. Diesen treffe an der Verhängung der Schubhaft ein Mitverschulden von mindestens 50 %, weil er wiederholt „illegal in das Bundesgebiet gekommen“ sei, sich bis zum 27.März 1991 nicht bei der „Lagerbehörde des Flüchtlingslagers Traiskirchen“ gemeldet und den ein „Aufenthaltsverbot und Vollstreckungsaufschub“ betreffenden Bescheid nicht vorgelegt habe. Der für die erlittene Haft begehrte Tagessatz von S 1.500 sei überhöht; über den Ersatz der Verfahrenskosten sei vom Verwaltungsgerichtshof und vom unabhängigen Verwaltungssenat „erschöpfend abgesprochen“ worden und es gebe auch im Zivilprozeß „keine über den Kostenzuspruch des Gerichtes nach dem RATG hinausgehenden Kostenersätze“. Aufrechnungsweise eingewendet werde im übrigen S 1.000 aufgrund einer über den Kläger wegen Übertretung des Paßgesetzes verhängten, aber bislang noch nicht bezahlten Verwaltungsstrafe.

Das Erstgericht stellte die Klageforderung mit S 96.843,60 und die Gegenforderung mit S 1.000 als zu Recht bestehend fest und erkannte die beklagte Partei daher schuldig, dem Kläger S 95.843.60 sA zu bezahlen; das Mehrbegehren von S 32.000 (rechnerisch richtig S 34.000) wies es dagegen unbekämpft ab. Nach seiner Ansicht sei der Zweck der Anhaltung des Klägers (Vorbereitung eines Aufenthaltsverbotes) hinfällig geworden, als der zuständige Beamte der Bezirkshauptmannschaft Baden vom bereits bestehenden Aufenthaltsverbot mit Vollstreckungsaufschub Kenntnis erlangt habe. Ab 9.April 1991 sei somit die Schubhaft des Klägers rechtswidrig gewesen. Dieser habe daher gemäß Art 7 PersFrG und Art 5 EMRK Anspruch auf volle Genugtuung einschließlich des Ersatzes immateriellen Schadens. Für jeden Tag unrechtmäßig erlittener Haft stehe dem Kläger ein Betrag von S 1.000 zu. Das ergebe für insgesamt 62 Tage einen Betrag von S 62.000. Die vor dem unabhängigen Verwaltungssenat entstandenen Vertretungskosten seien zur Schadensabwehr notwendig gewesen und entsprächen dem Tarif. Ein „Mitverschulden an seiner Haft“ sei dem Kläger nicht anzulasten, weil die Bezirkshauptmannschaft Baden bereits ab 9.April 1991 vom bestehenden Aufenthaltsverbot gewußt habe; eine „Mitarbeit des Klägers“ sei demnach nicht mehr erforderlich gewesen. Die über den Kläger verhängte Verwaltungsstrafe von S 1.000 stehe der zu Recht bestehenden Klageforderung aufrechenbar gegenüber.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu. Es erwog im wesentlichen: Die Rechtswidrigkeit der Schubhaft aufgrund des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 27.März 1991 sei durch die Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien für die Zeit vom 9.April 1991 bis 10.Juni 1991 für die Gerichte unüberprüfbar festgestellt. Der Einwand der beklagten Partei, über den Kläger sei die Schubhaft „zur Sicherung der Abschiebung aufgrund des bereits verhängten Aufenthaltsverbotes anzuordnen gewesen“, treffe deshalb nicht zu, weil es an einem die Schubhaft anordnenden Bescheid gefehlt habe. Nicht zu folgen sei der Entscheidung EvBl 1993/57. Ein Mitverschulden des Klägers an der Schubhaft scheide aus, weil die beklagte Partei seit 9.April 1991 Kenntnis „von den Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Ried“ gehabt habe. Die vom Erstgericht für die vom Kläger erlittene Haft festgesetzte Entschädigung entspreche der Judikatur. Die Kosten der Schadensabwehr seien Gegenstand eines Amtshaftungsanspruches. Es seien daher auch die „entsprechend den AHR in Rechnung gestellten Leistungen unter Berücksichtigung des durch den UVS bereits zugesprochenen Betrages“ zuzuerkennen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im vorliegenden Fall ist noch das gemäß § 86 Abs 3 FrG BGBl 1992/838 mit Ablauf des 31.Dezember 1992 außer Kraft getretene Fremdenpolizeigesetz maßgebend. Gemäß § 5a Abs 1 FrPG stand tatsächlich in Schubhaft genommenen oder angehaltenen Personen das Recht zu, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme oder Anhaltung anzurufen. Gegenstand einer solchen Beschwerde war aber nicht der Schubhaftbescheid - diesen zu überprüfen fiel gemäß § 11 Abs 2 und 3 FrPG in die Kompetenz der Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde - , sondern die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Festnahme oder Anhaltung des Fremden. Der unabhängige Verwaltungssenat hatte dabei als Haftprüfungsinstanz über die Frage der Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Haft oder Anhaltung im Zeitpunkt seiner Entscheidung oder - falls die Haft schon vorher geendet haben sollte - in dem unmittelbar vor der Freilassung liegenden Zeitpunkt zu entscheiden. Zu prüfen war die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Schubhaft oder Anhaltung in jeder Richtung; jede unterlaufene Gesetzwidrigkeit, also nicht etwa nur qualifiziert rechtswidriges behördliches Verhalten, war festzustellen und aufzugreifen. Die Entscheidung wirkte als neuer Titelbescheid. Im Falle der Stattgebung der Beschwerde hatte dieser die Haftaufhebung, im Falle der mit der Feststellung der Rechtmäßigkeit der Haft verbundenen Abweisung der Beschwerde die Fortdauer der Haft zur Folge; eine Entscheidung dieser Art ließ den Schubhaftbescheid „notwendig gegenstandslos werden“ (VfGH ZfVB 1995/2/787; VfGH ZfVB 1993/2/656; kritisch dazu: U Davy, Schubhaft und Rechtmäßigkeitsprüfung durch den Unabhängigen Verwaltungssenat, ZfVB 1992, 620; Thienel, Schubhaftprüfung verfassungskonform? ÖJZ 1992, 705).

Das Amtshaftungsgericht ist an den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom 10.Juni 1991 gebunden; wegen der anzustrebenden Entscheidungsharmonie besteht auch kein Anlaß, sich nicht an der durch die Praxis des Verfassungsgerichtshofs bestimmten Rechtsfolge zu orientieren, daß die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates als neuer Titelbescheid wirkt und dieser den Schubhaftbescheid notwendig gegenstandslos werden läßt. Im Amtshaftungsverfahren - auch der Anspruch gemäß Art 5 Abs 5 EMRK ist in diesem geltend zu machen (EvBl 1993/57; SZ 62/176; SZ 60/117; SZ 52/153; SZ 48/69) - steht daher bindend fest, daß die Anhaltung des Klägers vom 9.April 1991 bis 10.Juni 1991 rechtswidrig war. Eine Bindung ist nur in Ansehung jenes - im übrigen auch gar nicht mehr existenten - Bescheides zu verneinen, aus dem der Kläger seine im Amtshaftungsverfahren verfolgten Ansprüche ableitet. Bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit dieses Verwaltungsaktes könnte eine Bindung schon nach dem Wesen des Amtshaftungsverfahrens nicht bestehen; andernfalls müßte ein Ersatzanspruch schon daran scheitern. Für das Amtshaftungsverfahren findet sich nämlich in § 11 Abs 1 AHG eine eigenständige Lösung der Bindungsfrage (1 Ob 14/94). Gegenstand eines Antrages gemäß § 11 Abs 1 AHG kann nämlich nur jener Bescheid sein, aus dem der Kläger seinen Anspruch ableitet (1 Ob 14/94; Schragel, AHG2 Rz 271; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 240). Der Kläger stützt sein Begehren nicht auf den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 10.Juni 1991; es besteht demnach kein Hindernis, eine Bindung an diesen Bescheid anzunehmen. Ist aber das Amtshaftungsgericht insoweit gebunden, kann die vom beklagten Rechtsträger erhobene Einrede, der Bescheid seines Organs - im vorliegenden Fall ging es um die Vollziehung in Wahrnehmung der Bundeskompetenz durch den unabhängigen Verwaltungssenat - sei in Wahrheit rechtswidrig, schon deshalb nicht erfolgreich sein (so schon: 1 Ob 14/94 - bezogen auf einen vom Rechtsträger als rechtswidrig angesehenen Bescheid einer Berufungsbehörde, mit dem der Bescheid der Verwaltungsbehörde erster Instanz über den Entzug einer Lenkerberechtigung ersatzlos aufgehoben wurde).

Die Revision verneint dagegen eine Bindung des Amtshaftungsgerichtes an rechtskräftige Bescheide einer Verwaltungsbehörde generell, also auch an solche Verwaltungsakte, aus welchen der Kläger die im Amtshaftungsverfahren geltend gemachten Ansprüche gar nicht ableitet; sie führt in Ablehnung der Entscheidung 1 Ob 14/94 aus, „es gehe nicht an, nur jene Bescheide für bindend zu erklären, die für den Ersatzwerber günstig“ seien, sondern es müsse wohl „das gesamte Verwaltungsgeschehen im Instanzenzug der Überprüfung durch das Gericht zugänglich gemacht werden“. Die beklagte Partei übersieht bei ihrer inhaltlich verfehlten Argumentation, daß das Amtshaftungsgericht aufgrund der Verfassung und der einfachgesetzlichen Rechtslage keine Kontrollinstanz für die Rechtmäßigkeit der gesamten hoheitlichen Vollziehung ist, sondern gemäß Art 23 Abs 1 und 4 B-VG und § 1 Abs 1 AHG nur über jenen Schaden zu erkennen hat, den die als Organe des haftpflichtigen Rechtsträgers handelnden Personen durch ein rechtswidriges Verhalten in Vollziehung der Gesetze wem immer schuldhaft zufügten. Die durch § 11 Abs 1 AHG angeordnete eigenständige Regelung des Bindungsproblems in Ansehung von Bescheiden einer Verwaltungsbehörde kann sich daher - wie schon dargestellt - nur auf solche Verwaltungsakte beziehen, deren Rechtswidrigkeit der Kläger behauptet und daher den im Amtshaftungsverfahren geltend gemachten Ansprüchen zugrunde legt.

Soweit die Revision meint, es lasse sich nicht argumentieren, „das Zivilgericht sei an den UVS-Bescheid gebunden, an den Bescheid der BH Baden hingegen nicht“, weil „dem einen Bescheid...keine höhere Bindungswirkung...als dem anderen“ zukomme, läßt sie - neben den schon oben dargestellten Gründen - auch unbeachtet, daß der Schubhaftbescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 27.März 1991 durch die Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 10.Juni 1991 - im Sinne der Entscheidungspraxis des Verfassungsgerichtshofes - gegenstandslos wurde. Auch deshalb stellt sich daher gar nicht die in der Revision behandelte Frage einer Bindungskonkurrenz.

Die über den Kläger mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 27.März 1991 verhängte Schubhaft diente - nach dem von der Behörde im Spruch zum Ausdruck gebrachten Entscheidungswillen - bloß der „Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes“. In der Bescheidbegründung ist lediglich abstrakt auch davon die Rede, aus welchen sonstigen Gründen nach dem Fremdenpolizeigesetz „mit dem Instrument der vorläufigen Verwahrung vorgegangen werden“ könne. Nachdem die Bezirkshauptmannschaft Baden am 9.April 1991 von dem gegen den Kläger bereits verhängten Aufenthaltsverbot und dem ihm gewährten Vollstreckungsaufschub Kenntnis erlangt hatte, wäre es im Falle des Vorliegens eines anderen vom Gesetz angeordneten Schubhaftgrundes - wie das Berufungsgericht richtig erkannte - an ihr gelegen, einen weiteren Schubhaftbescheid zu erlassen, um der vom Kläger ab 9.April 1991 erlittenen Haft die gemäß Art 2 Abs 1 Z 7 PersFrG und Art 5 Abs 1 lit f EMRK erforderliche Rechtsgrundlage zu geben. Der Umstand, daß sich ein Fremder, gegen den ein Aufenthaltsverbot mit vorläufigem Vollstreckungsaufschub erlassen worden war, während dieses Aufschubes noch im Bundesgebiet aufhielt, konnte nämlich für sich allein nicht das gemäß § 5 Abs 1 FrPG notwendig gewesene Interesse für eine Schubhaft begründen (VwGH ZfVB 1994/6/1845 = JUS A 1993/1610). Unzutreffend geht die Revision daher davon aus, die „Aufrechterhaltung der Schubhaft“ sei auch ab 9.April 1991 rechtmäßig gewesen, weil „die Haft des Klägers die ganze Zeit über bescheidmäßig tituliert“ gewesen sei. Anders als die beklagte Partei meint, ist es auch nicht „noch gravierender“, daß die „Vorbereitung eines Aufenthaltsverbotes.... ein Minus gegenüber der Verhängung des Aufenthaltsverbotes“ sei. Aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt vielmehr das Gegenteil, nämlich daß nicht einmal ein bereits erlassenes und mit einem Vollstreckungsaufschub verbundenes Aufenthaltsverbot - also das Plus im Sinne der Revisionsbegründung - für sich allein eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Verhängung - und damit auch für die Aufrechterhaltung - der Schubhaft bildet.

Der erkennende Senat vermag der beklagten Partei auch nicht darin zu folgen, daß der hier zu beurteilende Sachverhalt mit jenem vergleichbar sei, auf den sich die Entscheidung EvBl 1993/57 bezog. Dort war dem in Untersuchungshaft genommenen Kläger ein mit Gründen versehener schriftlicher Haftbefehl nicht innerhalb von 24 Stunden nach der Verhaftung zugestellt und eine - nach dem konkreten Sachverhalt - von amtswegen erforderliche Haftprüfungsverhandlung unterlassen worden; doch stellte sich die Haft in der Folge als erforderlich und berechtigt heraus, war doch über jenen Kläger unmittelbar nach Ablauf der Frist von 24 Stunden rechtskräftig die Untersuchungshaft verhängt und später auch eine größere Anzahl von Enthaftungsanträgen rechtskräftig abgewiesen worden. Im Unterschied dazu fehlte es im vorliegenden Fall für den Zeitraum nach dem 8.April 1991 - wie schon oben dargelegt - immer an einem die weitere Schubhaft des Klägers rechtfertigenden Bescheid. Art 5 Abs 1 EMRK, der die konventionsgemäßen Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung regelt, ermächtigt staatliche Organe noch nicht zur Anordnung von Freiheitsbeschränkungen; ein konventionsgemäßer Freiheitsentzug setzt vielmehr die Erfüllung der dafür nach innerstaatlichem Recht angeordneten und im einzelnen zu beachtenden Bedingungen voraus (1 Ob 4/94 [teilweise veröffentlicht in: Newsletter 1994, 302]; EvBl 1993/57). Dabei darf der aufgrund innerstaatlichen Rechts erfolgende Freiheitsentzug nicht über die durch Art 5 Abs 1 EMRK normierten materiellrechtlichen Voraussetzungen hinausgehen (1 Ob 4/94; EvBl 1993/57; SZ 60/117; SZ 54/108). Rechtswidriger Freiheitsentzug führt zur Schadenersatzpflicht gemäß Art 5 Abs 5 EMRK. Voraussetzung dieses Anspruches ist nur, daß die Haft rechtswidrig war (1 Ob 4/94). Aus Art 5 Abs 1 EMRK, wonach der Freiheitsentzug nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise erfolgen darf, ist abzuleiten, daß die diesen regelnden innerstaatlichen Vorschriften nicht einen bloß formalen Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen bezwecken, sondern die materielle Gewähr für eine Sicherung der Freiheit bieten wollen. Bei konventionswidrigem Freiheitsentzug kann daher auch die Einwendung des beklagten Rechtsträgers, derselbe Schaden wäre auch bei rechtmäßigem Organverhalten entstanden, nicht von Erfolg begleitet sein (1 Ob 4/94; SZ 60/117; SZ 54/108). Mangels Vergleichbarkeit des in EvBl 1993/57 entschiedenen mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt stehen die Ausführungen des erkennenden Senates in dieser Entscheidung auch nicht im Widerspruch mit der hier zu bejahenden Verpflichtung der beklagten Partei zum Ersatz des Schadens für den vom Kläger erlittenen konventionswidrigen Freiheitsentzug gemäß Art 5 Abs 5 EMRK. Demnach muß auch gar nicht näher geprüft werden, ob sich die Entscheidung EvBl 1993/57 insoweit harmonisch in die von der ständigen Rechtsprechung geprägten Grundsätze einer Schadenersatzpflicht gemäß Art 5 Ab 5 EMRK einfügt. Zu Recht sprachen die Vorinstanzen dem Kläger für den von ihm erlittenen konventionswidrigen Freiheitsentzug in der Dauer von 62 Tagen den Ersatz des damit erlittenen immateriellen Schadens zu; eine Entschädigung gemäß Art 5 Abs 5 EMRK setzt auch kein Organverschulden voraus (1 Ob 4/94; EvBl 1993/57; SZ 60/117 uva).

Verfehltermaßen behauptet die beklagte Partei, „wer sich illegal ins Bundesgebiet“ begebe, könne „nicht denselben immateriellen Ersatz (Tagessatz von S 1.000) begehren wie ein völlig Unschuldiger, der durch eine von der Behörde verschuldete Verwechslung (etwa wegen Namensgleichheit) in Haft“ geraten sei. Da im Bereich der Amtshaftung die Grundsätze des bürgerlichen Rechts gelten, steht dem haftpflichtigen Rechtsträger zwar auch die Einwendung zu, dem Geschädigten falle an dessen Schaden ein Mitverschulden zur Last, es ist jedoch bei dessen Wertung in bezug auf einen hoheitlichen Rechtsakt stets zu berücksichtigen, daß die Organe der Rechtsträger unabhängig von Handlungen der Parteien verpflichtet sind, sich rechtmäßig zu verhalten. Im Falle einer rechtswidrigen Aufrechterhaltung einer durch Bescheid verhängten Schubhaft über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus kommt ein Mitverschulden der Partei - selbst in Ansehung eines Amtshaftungsanspruches - aus den von der beklagten Partei genannten Gründen (illegale Einreise des Klägers in das Bundesgebiet, Unterlassungen des Klägers vor Erlassung des Schubhaftbescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 27.März 1991) nicht in Betracht (vgl zu den Voraussetzungen eines Mitverschuldenseinwandes: SZ 64/126). Soweit die Revision die Rechtswidrigkeit der Einreise des Klägers in das Bundesgebiet hervorhebt, ist ihr jedoch auch zu entgegnen, daß die dabei verletzten innerstaatlichen Rechtsnormen nicht auch dem Zweck dienen, die rechtswidrige Aufrechterhaltung einer zunächst durch Bescheid rechtmäßig verhängten Schubhaft zu vermeiden. Da der von der beklagten Partei erhobene Einwand des Mitverschuldens also selbst bei einem Amtshaftungsanspruch scheitern müßte, bedarf die Frage, ob dem auch auf Art 5 Abs 5 EMRK gestützten und daher verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Ersatz des durch konventionswidrigen Freiheitsentzug entstandenen immateriellen Schadens ein Mitverschuldenseinwand gemäß § 1304 ABGB wie bei einem Amtshaftungsanspruch entgegengesetzt werden könnte, keiner Erörterung mehr. Es besteht auch kein Anlaß, dem Kläger einen geringeren Betrag als S 1.000 für jeden Tag rechtswidriger Haft nach den hiefür maßgeblichen Kriterien zuzuerkennen (SZ 63/223 mwN).

Da die Zweckverfehlung der von der Bezirkshauptmannschaft Baden verhängten Schubhaft in dem Zeitpunkt, da diese Behörde von dem durch die Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis über den Kläger verhängten Aufenthaltsverbot mit Vollstreckungsaufschub Kenntnis erlangte, bereits feststand, die Schubhaft aber dennoch ohne Erlassung eines weiteren Bescheids, der gegebenenfalls einem anderen gesetzmäßigen Zweck dieser Haft als ausreichende Rechtsgrundlage hätte dienen können, aufrechterhalten wurde, ist auch ein Organverschulden infolge unvertretbarer Anwendung des Fremdenpolizeigesetzes, die zur nun rechtswidrigen Fortdauer der Schubhaft des Klägers über den 8.April 1991 hinaus führte, zu bejahen. Dem Kläger steht daher bereits aus dem Titel der Amtshaftung auch der Ersatz des für die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes tatsächlich erforderlichen und nicht bereits titulierten Verfahrenskostenaufwandes zu (SZ 62/6; SZ 59/141), ohne daß noch zu prüfen wäre, ob dieser Aufwand ohne die Voraussetzung eines Organverschuldens auch gemäß Art 7 PersFrG und Art 5 Abs 5 EMRK zuzuerkennen wäre. Gegen die Höhe der von den Vorinstanzen als Schadenersatz zugesprochenen Kosten werden in der Revision keine Einwände erhoben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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