OGH 2Ob2/94

OGH2Ob2/9424.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sabine B*****, vertreten durch Dr.Walter Lenfeld, Rechtsanwalt in Landeck, wider die beklagten Parteien 1.) Franz H*****, und 2.) D*****AG, ***** beide vertreten durch Dr.Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 751.543,17 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 3.November 1993, GZ 3 R 226/93-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 4.August 1993, GZ 9 Cg 345/91-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und die angefochtenen Entscheidungen dahin abgeändert, daß sie einschließlich des unangefochten gebliebenen Teiles insgesamt wie folgt zu lauten haben.

1.) Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters den Betrag von S 189.713,92 samt 4 % Zinsen aus S 186.113,92 vom 25.10.1991 bis 15.11.1991 und aus S 189.713,92 ab 16.11.1992 zu bezahlen.

2.) Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters für die Zeit von Dezember 1991 bis einschließlich Juli 1992 einen Betrag von

S 6.044,72 monatlich und ab August 1992 auf unbestimmte Zeit einen Betrag von S 6.548,46 zu bezahlen, wobei jene ab Dezember 1991 bis zur Rechtskraft des Urteiles fällig werdenden Beträge binnen 14 Tagen nach Rechtskraft, die weiteren Beträge jeweils spätestens bis zum 5. eines jeden Monats im vorhinein zu bezahlen sind. Die Haftung der zweitbeklagten Partei begrenzt sich mit der Ausschöpfung der Höhe des mit dem Erstbeklagten hinsichtlich seines Pkw's mit dem Kennzeichen V

53.698 zum 8.8.1981 abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrages.

3.) Das Mehrbegehren in der Höhe von S 178.305,77 samt 4 % Zinsen seit 25.10.1991 wird abgewiesen.

4.) Das Mehrbegehren des monatlichen Betrages in Höhe von S 4.608,71 für Dezember 1991 bis Juli 1992 bzw S 4.104,97 wird abgewiesen.

5.) Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters die mit S 17.261,25 anteilig bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zu ersetzen.

Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 19.468,56 (darin enthalten S 12.000,-- Barauslagen und S 1.244,76 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagten Parteien wurden mit Teilanerkenntnisurteil den Landesgerichtes Innsbruck vom 25.11.1982 zu 9 Cg 513/82-12 schuldig erkannt, der Klägerin für alle künftigen Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 8.8.1981 in Landeck zu haften, die zweitbeklagte Partei jedoch nur im Rahmen und bis zur Höhe des mit dem Erstbeklagten für sein Kraftfahrzeug abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrages.

Die Klägerin erlitt bei dem Unfall eine Schädigung des Plexus brachialis, die eine vollständige Lähmung der linken Schulter-, Arm- und Handmuskulatur sowie einen Sensibilitätsverlust am linken Unterarm und der linken Hand bedingt. Es handelt sich im wesentlichen um eine schlaffe Lähmung ohne jeglichen Bewegungsrest. Dies bedeutet für die rechtshändige Klägerin eine funktionelle Einarmigkeit, wobei die Funktion des rechten Armes und der rechten Hand nicht eingeschränkt ist. Auf Grund dieses Defektbildes ist die Klägerin mit einer Teilinvalidität im Ausmaß von 80 % einzuschätzen.

Die Klägerin bewohnte bis einschließlich August 1991 ein eigenes Zimmer im Haushalt ihrer Eltern. Im September 1991 bezog sie eine 90 m2 Wohnung im elterlichen Wohnhaus. Seit Herbst 1991 studiert die Klägerin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Sie erhält von ihren Eltern Unterhalt, die ihrerseits die Familienbeihilfe für die Klägerin beziehen. Die Eltern erhalten seit Oktober 1988 in Anbetracht der Behinderung der Klägerin die erhöhte Familienbeihilfe. Diese Erhöhungsbeträge betrugen im Jahre 1988 und 1989 monatlich S 1.450,--, im Jahre 1990 monatlich S 1.550,-- und ab 1992 monatlich S 1.650,--. Trotz der eigenen Wohnung der Klägerin besteht zwischen ihr und ihren Eltern im wesentlichen eine gemeinsame Haushaltsführung. Sie nimmt die Mahlzeiten, sofern sie nicht gerade tagsüber in Wien ist und zu Mittag die Mensa aufsucht, bei ihren Eltern ein. Die Wäsche der Klägerin wird im wesentlichen von ihrer Mutter gemeinsam mit der übrigen Wäsche gewaschen und gebügelt. Durch die Einarmigkeit der Klägerin besteht bei den täglichen Verrichtungen im Rahmen der Haushaltsführung eine deutliche Einschränkung, weil sie beidhändige Tätigkeiten, die eine Haltearbeit enthalten, nicht durchführen kann. Das oberflächliche Zusammenräumen ihrer Wohnung ist der Klägerin zwar möglich, doch intensivere Putzarbeiten können von ihr nicht ohne fremde Hilfe erledigt werden. Die Klägerin bedarf daher in Folge ihrer Behinderung fremder Hilfe, wobei das Ausmaß dieser Hilfe mangels Relevanz im Revisionsverfahren nicht entscheidungswesentlich ist. Es kann dazu auf die diesbezüglichen Feststellungen des Gerichtes zweiter Instanz verwiesen werden.

Die Klägerin begehrt aus dem Titel der "Vermehrung der Bedürfnisse" die Zahlung von S 368.019,69 samt Anhang (darin ist unter anderem enthalten, das Entgelt für Pflegeleistungen vom Oktober 1988 bis November 1991 in Höhe von S 364.419,69), sowie die Zahlung eines monatlichen Betrages von S 10.653,43 ab Dezember 1991.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei nicht auf fremde Hilfe aufgewiesen; auf die Pflegeleistungen sei die zur Auszahlung gelangende "erhöhte" Familienbeihilfe anzurechnen.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagten Parteien zur Bezahlung eines Betrages von S 135.313,92 samt Anhang sowie weiterer Beträge von S 4.494,72 für Dezember 1991, S 4.394,72 monatlich für Jänner 1992 bis einschließlich Juli 1992 sowie eines Betrages von monatlich S 4.898,46 ab August 1992, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der Ausschöpfung der Höhe des mit dem Erstbeklagten hinsichtlich seines Pkw's abgeschlossenen Haftpflichtvertrages beschränkt sei. Das Mehrbegehren wies es ab. Es ging davon aus, daß die Klägerin in ihrer derzeitigen Lebenssituation pro Tag durchschnittlich zwei Stunden fremder Hilfe benötige, wobei solche Arbeitsleistungen am Sonntag nicht erforderlich seien. Das Erstgericht errechnete unter Zugrundelegung des für Niederösterreich gültigen Mindestlohnterifes sowie der anteiligen Sonderzahlungen und der Kosten einer Ersatzkraft während des Urlaubes die Kosten einer Hilfskraft für die Zeit bis November 1991 mit brutto monatlich S 4.749,44 bzw S 5.181,20, vom 1.12.1991 bis Juli 1992 mit S 6.044,72 und ab August 1992 mit S 6.548,46. Von diesen Beträgen seien die Familienbeihilfenerhöhungsbeträge in Abzug zu bringen, weil diese Beträge gerade den Sinn hätten, einen Ausgleich für den durch eine Behinderung verursachte Vermehrung der Bedürfnisse entstandenen Mehraufwand zu schaffen.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung. Es bejahte den Ersatzanspruch wegen der Vermehrung der Bedürfnisse im Sinne der §§ 1325 ABGB, § 13 Z 3 EKHG und trat auch der Rechtsmeinung des Erstgerichtes, daß sich die Klägerin die Erhöhungsbeiträge gemäß § 8 Abs 4 FamLag auf die Pflegekosten anrechnen lassen müsse, bei. Die Familienbeihilfe solle die Pflege und Erziehung des Kindes als Zuschuß erleichtern, sowie die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen ausgleichen. Im vorliegenden Fall seien es gerade die Eltern der Klägerin, die gegenüber der Klägerin unentgeltlich jene Verrichtungen besorgten, die der Klägerin die Führung eines eigenen Haushaltes ermöglichten. Die bei der Vorteilsausgleichung gebotene wertende Betrachtung ergäbe, daß diese Zuschüsse des Staates auch dem Schädiger zugutekommen sollten, weil es sonst zu einer doppelten Abgeltung bzw Bereichung des Geschädigten käme.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Anrechenbarkeit eines Familienbeihilfenerhöhungsbetrages auf die Ansprüche eines Kindes gemäß §§ 1325 ABGB, § 13 Z 3 EKHG im Rahmen der Vorteilsausgleichung nicht bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, daß der Klägerin für die Zeit vom Oktober 1988 bis November 1991 ein weiterer Betrag von S 54.400,--, für Dezember 1991 ein weiterer Betrag von S 1.550,-- sowie für die ab Jänner 1992 zugesprochenen monatlichen Beträge ein weiterer Betrag von monatlich S 1.650,-- auf unbestimmte Zeit zugesprochen werde.

Die beklagten Parteien beantragen der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Beurteilung der Vorteilsausgleichung bei Zuwendungen von dritter Seite ist eine teleologische Betrachtungsweise geboten. Danach muß die Anrechnung eines Vorteiles dem Zweck des Schadenersatzes entsprechen und soll nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen. Es ist daher nicht schlechthin jeder Vorteil anzurechnen, der dem Geschädigten aus der vom Schädiger verursachten Ereignissen zufließt, sondern es kommt immer auf die ganz besondere Art des erlangten Vorteiles und den Zweck der Leistung des Dritten an. In Fällen von Sozialleistungen, die im Hinblick auf eine bestimmte, durch das schädigende Ereignis ausgelöste soziale Situation gewährt werden, ist grundsätzlich davon auszugehen, daß der Dritte seine Leistungen dem Geschädigten unabhängig vom Ausmaß eines Schadenersatzanspruches und zusätzlich zu diesem zuwenden will, sie nicht aber in der Absicht erbringt, den Schädiger zu entlasten (SZ 53/58; ZVR 1982/29; ZVR 1989/106; JBl 1991/653). Die Vorteilsausgleichung hat auch nicht von Amts wegen zu erfolgen; den Ersatzpflichtigen trifft vielmehr die Behauptungs- und Beweislast für die im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigenden Umstände (Reischauer in Rummel ABGB Rz 8 zu § 1312). Bei der von den Eltern der Klägerin bezogenen erhöhten Familienbeihilfen handelt es sich um Leistungen, die an sie wegen des erhöhten Aufwandes für die verletzte Tochter erbracht werden. Die Familienbeihilfe ist nämlich ihrem Wesen nach Betreuungshilfe (SZ 59/79; RZ 1991/26; RZ 1992/69). Sie soll die Pflege und Erziehung des Kindes als Zuschuß erleichtern, sowie die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen - zumindest zum Teil - ausgleichen. Sie ist als Sozialbeihilfe des öffentlichen Rechtes eine besondere Form der Drittzuwendung. Der Staat verfolgt damit den Zweck den Mindestunterhalt des Kindes zu gewährleisten und gleichzeitig die Eltern von ihrer Unterhaltspflicht zu entlasten. Die Leistung wird daher an die Eltern und nicht aber an die Geschädigte erbracht. Der Oberste Gerichtshof hat aus diesen Gründen bereits ausgesprochen, daß eine Anrechnung dieser von den Eltern der verletzten Tochter bezogenen Leistungen auf die Schadenersatzansprüche der Klägerin nicht in Betracht kommt (2 Ob 14/88 teilweise veröffentlicht in EFSlg 57.006). Von dieser Entscheidung abzuweichen, sieht der erkennende Senat keine Veranlassung. Bei der Leistung des Staates an die das Kind betreuenden Eltern soll deren erhöhter Pflegeaufwand zum Teil abgegolten werden, nicht aber eine Entlastung des Schädigers erfolgen.

Der Revision war daher aus diesen Gründen Folge zu geben.

Bei der Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, daß die Klägerin im Verfahren erster Instanz mit rund der Hälfte ihres Begehrens durchgedrungen ist. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz waren daher gegenseitig aufzuheben, der Klägerin jedoch im Ausmaß ihres Obsiegens 51 % ihrer Barauslagen zuzusprechen. Im Berufungsverfahren ist die Klägerin ebenfalls mit rund der Hälfte ihres in diesem Verfahren noch strittigen Begehren durchgedrungen, weshalb die Berufungskosten ebenfalls aufzuheben waren, der Klägerin ebenfalls nach dem Ausmaß des Obsiegens 45 % ihrer Barauslagen zuzusprechen waren. Im Revisionsverfahren ist die Klägerin zur Gänze durchgedrungen, weshalb sie Anspruch auf vollen Kostenersatz hat.

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