OGH 8ObA289/94

OGH8ObA289/9415.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer sowie durch die fachkundigen Laienrichter D.I.Holzer und Hofrat List als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Husein D*****, vertreten durch DDr.Giampaolo Caneppele, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei S***** & O*****, Baugesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Helmut Kern, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen brutto S 18.552,50 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Mai 1994, GZ 8 Ra 6/94-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 8. November 1993, GZ 32 Cga 59/93-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die erstgerichtliche Entscheidung lautet:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 18.552,50 brutto samt 4 % Zinsen seit 22.12.1992 zu bezahlen, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 25.657,68 (einschließlich S 3.000,- Barauslagen und S 3.776,28 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der aus Bosnien stammende Kläger arbeitet seit dem Jahre 1990 in Klagenfurt. Seine Ehegattin lebt nach wie vor in Bihac. Der Kläger hat außerdem zwei erwachsene Söhne, die ebenfalls in Österreich arbeiten. Sein ordentlicher Wohnsitz ist in Klagenfurt. In der Zeit vom 20.7.1992 bis 21.12.1992 war er bei der beklagten Partei beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis fand der Kollektivvertrag für die Bauindustrie im Baugewerbe Anwendung.

Während des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses machte der Kläger gegenüber der beklagten Partei seinen nunmehr eingeklagten Anspruch auf Trennungsgeld nicht geltend. Eine "jugoslawische" amtliche Bestätigung über seinen Familienwohnsitz hat der Kläger der beklagten Partei nicht übermittelt. Erst während des Rechtsstreites legte er eine Urkunde aus dem Jahre 1991 vor, aus der sich ergibt, daß er zumindest zum damaligen Zeitpunkt noch über einen Familienwohnsitz in Bihac verfügt hat (Beilage./A) und zwar hat er zum Zwecke der Mitversicherung seiner Ehegattin der Kärtner Gebietskrankenkasse letztmals im Jahr 1991 eine Bestätigung über in "Jugoslawien" lebende anspruchberechtigte Angehörige vorgelegt. Neue Bestätigungen und Urkunden konnte der Kläger infolge des in seiner Heimat herrschenden Krieges nicht beschaffen.

Der Kläger begehrt gemäß § 9 II Z 1 des Kollektivvertrages für die Bauindustrie und das Baugewerbe für 82 Arbeitstage aus der Zeit vom 1.8. bis 21.12.1992 Trennungsgeld in Höhe des eingeschränkten Klagsbetrages.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Kläger habe seinen ordentlichen Wohnsitz in Klagenfurt. Er habe niemals Trennungsgeld gefordert und die Berechtigung zum Bezug eines solchen weder behauptet noch nachgewiesen.

Das Erstgericht gab dem auf S 18.592,50 sA eingeschränkten Klagenbegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof zu. Es führte aus:

Nach § 9 II Z 3 des bezogenen Kollektivvertrages sei die Vorlage einer polizeilichen Wohnsitzbestätigung keine Anspruchsvoraussetzung, sondern nur für die "Feststellung des Anspruchs" erforderlich (Arb 10.494). Dementspechend müsse es als hinreichend angesehen werden, wenn durch den Anspruchsberechtigten auf irgendeine Weise der Nachweis erbracht werde, daß die Anspruchsvoraussetzungen nach § 9 II Z 1 des genannten Kollektivvertrages vorlägen. Andernfalls wären jene Arbeitnehmer, denen es durch von ihnen nicht steuerbare Ereignisse wie im gegenständlichen Fall oder weil im Familienwohnsitzstaat die geforderten polizeilichen Wohnsitzbestätigungen überhaupt nicht ausgestellt werden, von vorneherein unmöglich gemacht, den von ihnen bei Vorliegen der Voraussetzungen bereits erworbenen Anspruch auch durchzusetzen.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revision, die berufungsgerichtliche Entscheidung im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die beklagte Partei meint, es sei unrichtig, daß für den Nachweis des Anspruchs auf Trennungsgeld "irgendein Nachweis" genüge; die Existenz der Gattin ergebe sich hier nur aus der Aussage des Klägers. Die von den Vorinstanzen vertretene Meinung eröffne dem Mißbrauch Tür und Tor. Der Nachweis könne nach der zwingenden Bestimmung des Kollektivvertrages nur durch die dort geforderte polizeiliche Wohnsitzbestätigung erbracht werden.

Hiezu ist zunächst zu bemerken, daß der Kläger noch einen anderen - seine Aussage objektivierenden Beweis durch die Beilage./A zumindest darüber erbracht hat, daß seine Gattin im Jahr 1991 noch in Bihac gelebt hat; die beklagte Partei bekämpft mit ihren Ausführungen im übrigen weitgehend und unzulässigerweise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen: Es ist bei der rechtlichen Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof von der im Revisionsverfahren unbekämpfbaren Tatsachenfeststellung auszugehen, daß die Ehegattin des Klägers nach wie vor in Bihac lebt.

Damit ist aber für den Kläger nichts gewonnen.

Die Bestimmung des § 9 II Z 3 des genannten Kollektivvertrages lautet:

"Die Feststellung des Anspruches auf Trennungsgeld erfolgt auf Grund der Lohnsteuerkarte und der Vorlage einer polizeilichen Wohnsitzbestätigung vom Ort der Haushaltsführung".

Zwar hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.2.1986, 4 Ob 166/85 = Arb 10.494, - allerdings nur als obiter dictum, weil die dort beklagte Partei in ihren Revisionsausführungen auf den Einwand, die Vorlage einer polizeilichen Wohnsitzbestätigung sei Anspruchsvoraussetzung, offenbar deshalb nicht mehr zurückkam, weil der Kläger die amtliche Bestätigung im Zuge des Rechtsstreits vorgelegt hatte, - ausgesprochen, daß die Vorlage einer Wohnsitzbestätigung für das Entstehen nicht erforderlich ist, sondern nur für die "Feststellung des Anspruchs" diene.

Hieraus ist aber noch nicht mit den Vorinstanzen zu folgern, daß der Beweis des Familienwohnsitzes auch durch andere Beweismittel als die polizeiliche Wohnsitzbestätigung erbracht werden kann. Zwar ist grundsätzlich auch eine Parteienaussage ein geeignetes Beweismittel; es fragt sich aber, ob die Kollektivvertragsparteien andere Beweismittel als die im Kollektivvertrag genannte polizeiliche Wohnsitzbestätigung vom Ort der Haushaltsführung zulassen wollten.

Die normativen Bestimmungen eines Kollektivvertrages sind wie Gesetze, also nach den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen (Arb 9.567, 10.494 uva; Kuderna, DRdA 1975, 161, 168 f; vgl auch neuestens B.Schwarz DRdA 1994, 365). Mangels "Materialien" zum Kollektivvertrag, der die Absicht der Vertragspartner offenlegen würde, ist somit zu fragen, ob eine objektiv-teleologische Interpretation eine vom klaren Wortlaut abweichende Interpretation erlaubt. Dies ist am Zweck der Regelung zu prüfen.

Die polizeiliche Wohnsitzbestätigung benötigt der Dienstgeber für die ordnungsgemäße Führung seiner Lohnaufzeichnungen; er hat nämlich gemäß § 87 EStG 1988 idF BGBl 818/1993 den Organen des Finanzamtes Einsicht in die nach § 76 vorgeschriebenen Aufzeichnungen und Unterlagen zu gewähren, soweit dies für die Feststellung der den Arbeitnehmern gezahlten Vergütungen aller Art (wozu auch das hier begehrte Trennungsgeld gehört) und für die Lohnsteuerprüfung erforderlich ist. Da sich eine Parteien- oder Zeugenaussage in einem - erst in Zukunft zu führenden - Prozeß naturgemäß nicht zum Nachweis gegenüber den Organen des Finanzamtes über die getrennte Haushaltsführung eines seiner Dienstnehmer eignet, ist anzunehmen, daß die Dienstgeberseite auf einer formellen, genau umschriebenen Bestätigung beharren wollte und mit keinem "liberaleren Nachweis" einverstanden gewesen wären, auch wenn sie bedacht hätten, daß im Einzelfall einem Dienstnehmer die Beibringung der geforderten Urkunde nur schwer oder gar nicht möglich sein könnte und dies für diesen Dienstnehmer eine - aus seiner Sicht - ungerechtfertigte Härte bedeuten könnte. Die bloße Behauptung von Anspruchsvoraussetzungen durch den Dienstnehmer kann nicht genügen und die diesbezügliche Überprüfung muß dem Dienstgeber leicht möglich sein.

Es ist daher davon auszugehen, daß der Nachweis des Anspruches auf Trennungsgeld nur durch das im Kollektivvertrag erwähnte Beweismittel der Vorlage einer polizeilichen Wohnsitzbestätigung vom Ort der Haushaltsführung erbracht und durch kein anderes Beweismittel ersetzt werden kann. Hieraus folgt, daß dem Kläger das begehrte Trennungsgeld nicht zuerkannt werden kann und die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinn geändert werden müssen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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