OGH 10ObS165/94

OGH10ObS165/9419.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helene F*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Heinz Eger, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. April 1994, GZ 7 Rs 14/94-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.September 1993, GZ 33 Cgs 215/92-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies das auf eine Berufsunfähigkeitspension gerichtete Klagebegehren ab.

In der Berufung machte die Klägerin unrichtige Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Sie beantragte, das erstgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen oder es allenfalls nach Beweis- und Verfahrensergänzung im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es erachtete die Beweisrüge als nicht berechtigt und die Rechtsrüge als im wesentlichen nicht gesetzgemäß ausgeführt.

In der Revision macht die Klägerin Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Sie beantragt, das Berufungsurteil, allenfalls auch das Urteil des Erstgerichtes aufzuheben und die Sache zur Verfahrensergänzung an die zweite oder erste Instanz zurückzuverweisen, allenfalls diese Urteile im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist berechtigt.

Ob das Urteil des Berufungsgerichtes auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht (§503 Z 4 ZPO), ist allerdings nicht zu prüfen, weil die Rechtsrüge nicht gesetzgemäß ausgeführt ist.

Das Berufungsverfahren leidet jedoch an einem Mangel, der, ohne die Nichtigkeit zu bewirken, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern geeignet war (§ 503 Z 2 ZPO). Obwohl diese Gesetzesstelle nur von einem Mangel des Berufungsverfahrens spricht, können auch Unvollständigkeiten des Berufungsurteils gerügt und wahrgenommen werden (Fasching, Komm IV 303 f; ders, ZPR2 Rz 1908).

Das Berufungsverfahren (Berufungsurteil) leidet zB an einem Mangel, wenn sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge des Berufungswerbers oder mit dem Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung nicht befaßt hat (zB SZ 25/219; JBl 1959, 238; EvBl 1967/63; RZ 1970, 222; SZ 43/205; EFSlg 23.155, 41.796, 41.797, 44.103). Nehmen die Entscheidungsgründe zu einzelnen Streitpunkten (überhaupt) keine Stellung, dann ist die Sache insoweit nicht erschöpfend erörtert und ihre gründliche Beurteilung verhindert oder erschwert. Bloße Formverstöße bei der Begründung oder eine mangelhafte Begründung von Fragen und Streitpunkten, die der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen sind, bilden hingegen keinen Revisionsgrund (Fasching, Komm IV 315 f).

Die Klägerin machte in der Berufung unter dem Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens im wesentlichen geltend, daß sie in der (letzten) Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 15.9.1993 (bei der die mündliche Verhandlung gemäß § 412 Abs 2 ZPO vor dem geänderten Senat von neuem durchgeführt wurde), in der sie nicht mehr durch eine qualifizierte Person (§ 40 ASGG) vertreten war, (entgegen § 39 Abs 2 Z 1 ASGG) in mehrfacher Hinsicht nicht ausreichend angeleitet und belehrt worden sei, und zwar insbesondere nicht hinsichtlich ergänzender Fragestellungen an mehrere Sachverständige. Das Erstgericht habe den bei der erwähnten Tagsatzung anwesenden ärztlichen Sachverständigen entgegen dem Ersuchen der Klägerin den von ihr damals vorgelegten Bescheid des Landesinvalidenamtes für Steiermark vom 10.2.1993 nicht vorgehalten. (In diesem Bescheid wird festgestellt, daß die Klägerin ab 22.10.1992 dem Kreis der begünstigten Behinderten [§ 2 Abs 1 Behinderteneinstellungsgesetz] angehört und der Grad der Behinderung [§ 3 leg cit] 70 vH beträgt. Im Beiblatt des Bescheides ist ua die Art der für die Gesamteinschätzung des Grades der Behinderung berücksichtigten Gesundheitsschädigungen angeführt.) Die Klägerin habe auch wegen des Verhaltens der Sachverständigen und des Beklagtenvertreters während der Tagsatzung den Eindruck gewonnen, daß zumindest einige Sachverständige nach § 87 Abs 5 ASGG nicht hätten bestellt werden dürfen. Mangels entsprechender Anleitung sei es der Klägerin auch nicht möglich gewesen, sich dahin verständlich zu machen, daß sich ihr Gesundheitszustand nach den Untersuchungen durch die ärztlichen Sachverständigen bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung schwerwiegend verändert habe. Deshalb seien ergänzende Begutachtungen unterblieben.

Obwohl das Berufungsgericht auf S 5 seines Urteils erwähnt, daß in der Berufung auch der Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht wird, befassen sich die Entscheidungsgründe nur mit den Berufungsgründen der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die Mängelrüge blieb hingegen - wie die Revision zutreffend darlegt - gänzlich unerledigt.

Das Urteil des Berufungsgerichtes ist daher nach § 510 Abs 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

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